Von Peter Helmes
Statt Vorausblick eher Rückblick
Hatten wir alles schon, aber beim ersten Mal „Leipzig“ war´s spannend. Spannend hätte auch der Aufguß am Wochenende noch sein können, aber er schmeckte fad.
Leipzig, zum Zweiten! Einen Leipziger Parteitag der CDU gab es nämlich schon einmal. Das war vor 16 Jahren mit der Oppositionsführerin Angela Merkel und einem kämpferischen Friedrich Merz, der die Steuererklärung auf dem Bierdeckel populär machte. Eine Art konservative Revolution war das oder sollte das sein, eine CDU mit klaren Ecken und Kanten. Jetzt heute ist alles anders. Die Partei ist weichgespült, sagen nicht nur die Kritiker, und die Parteichefin ringt um ihren Kurs, um den richtigen Kurs, wie sie sagt, und ringt um ihre Position noch einmal dazu und ringt eigentlich mit allen und allem, und wieder spielt Friedrich Merz auch diesmal (k)eine Rolle.
Die Union hat zurzeit Probleme, die weniger mit den Personen zusammenhängen, sondern mit der Tatsache, daß sie inhaltlich keinen Weg in die Zukunft zeigt. Statt Sicherheit – zumindest gefühlt – zu verbreiten, hält sie uns weiter in Unsicherheit. Nicht nur, was die Partei selbst angeht, sondern mehr noch, was die Zukunft der (deutschen) Gesellschaft betrifft. Die CDU gibt uns nicht einmal mehr die Sicherheit, daß Deutschland deutsch bleibt. Die Zukunft ist so offen wie die Grenzen unseres Landes. Genauso offen wie die C‑D-U: „C“ weg, „D“ weg – und „U“, Union allein, ist etwas mager.
Deutschlands „starke Mitte“ ist links
Dazu paßte auch, daß der Parteitag, ohne viel Mühe aufwenden zu müssen, schwierigen Debatten aus dem Weg ging und schwierige Anträge verschoben wurden. Von Streitkultur war in Leipzig wenig zu sehen. Stattdessen: „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb.“ Doch hinter den Kulissen – und erst recht nach dem Parteitag – gingen und gehen die eigentlich notwendigen Debatten weiter – der Führung zum Trotz.
Denn vor allem blieb die K‑Frage offen. Das heißt, wenn die Parteivorsitzende die an sie gestellten Erwartungen weiterhin nicht erfüllt, dürften auch alle Appelle nichts helfen, daß Personaldebatten nur schaden. Dann wird ganz schnell wieder die Frage gestellt werden, ob es nicht vielleicht doch noch eine(n) gibt, der oder die es besser könnte. Bei aller rhetorischen Leistung, eines hat AKK gewiß nicht erreicht: daß in die Partei wieder Ruhe einkehrt. Diese Ruhe könnte – wenn überhaupt – erst dann einkehren, wenn tatsächlich geklärt ist, wer die CDU in die kommende Wahl führt. Aber eines kann man schon jetzt feststellen:Auch nach diesem Parteitag sehnt sich kaum jemand in der CDU danach, mit Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin in einen Wahlkampf zu ziehen. Es sind viele, sehr viele Themen und Fragen, auf die viele Mitglieder der CDU seit Monaten Antworten haben wollen. Die liefert Kramp-Karrenbauer nicht. Stattdessen klang es in Leipzig wie eine Rede zur Lage der Nation, bei der sie aber nur die Probleme ansprach, doch keine Auswege aufzeigte.
Ob Klagen über den YouTuber Rezo, eine unglückliche Wortwahl zu der Gewalttat in Halle oder ihre umstrittene Idee zu einer Schutzzone in Nordsyrien: Annegret Kramp-Karrenbauer, CDU-Chefin und seit 100 Tagen auch Verteidigungsministerin, leistete sich bereits im ersten Amtsjahr einen Lapsus nach dem anderen.
Nein, allen Lobhudeleien nach Leipzig zum Trotz: AKK sitzt in der (selbstgestellten) Falle. Das heißt, es hat sich relativ schnell der Eindruck verfestigt, daß sie es eben nicht kann.
Diesen Eindruck hat auch „Leipzig“ nicht weggeschafft. Und nun wird im besonderen Maße darauf geschaut, welche Fehler sie demnächst macht, um genau diese These („sie macht Fehler, weil sie zu schwach ist“) sich selbst wieder zu bestätigen, und da ist es natürlich schwer, aus dieser Situation herauszukommen.
Noch verheerender ist der Eindruck, daß AKK ihre Rolle noch nicht gefunden hat bzw. daß sie es noch immer nicht geschafft hat, als Vorsitzende vorbehaltlos anerkannt zu werden. Sie ist immer noch nicht angekommen – weder im Amt der CDU-Chefin noch im Amt der Verteidigungsministerin. Letzteres, das Amt der Verteidigungsministerin übernommen zu haben, erweist sich immer noch als Fehlentscheidung.
Da sind markige Worte – wie die des Parteitagsmottos – zwar wohlfeil, verdecken aber nur mühsam die innere Schwäche der (früheren) Kanzlerpartei: Von ihrem Parteitagsmotto „Deutschlands starke Mitte“ scheinen die Christdemokraten weit entfernt. Die CDU ist schon längst nicht mehr in der Mitte, zumal sie sich selbst – bei vollem Bewußtsein, aber ohne Not – weit weg von der Mitte nach links bewegt hat. Da trippelt das Führungspersonal zwar gerne hinterher, aber die Bevölkerung hat Umfragen zufolge das Vertrauen in die unionsgeführte Regierung längst verloren.
Die CDU sucht nach einer Strategie und kann die Zweifel an ihrer Vorsitzenden nicht ausräumen. Sie hechelt einem diffusen Zeitgeist hinterher und spürt insgeheim doch, daß sie nicht grüner als die Christdemokraten werden kann und nicht sozialer als der SPD. So lange das so ist – und ich befürchte, noch sehr lange – wird der Niedergang der Christdemokraten nicht aufzuhalten sein. Die CDU sehnt sich nach einer neuen Positionsbestimmung, einer neuen Ansprache auch – scheut dabei aber jedes Risiko.
Ob es aber richtig ist, mit Frauenquote und Kandidaten-Urwahl die Grünen zu kopieren, das sollten sich die Christdemokraten noch mal gut überlegen. Wenn kein Wunder geschieht, dann hat die CDU den Weg der SPD vor sich. Eine ausgelaugte und ermüdete Partei sucht nach Hoffnung durch neues Führungspersonal.
Gespalten in der A‑Frage
Aber ganz gewiß muß die CDU sehr bald die „A‑Frage“ lösen: Wie halte ich es mit der AfD? Die in der Union nur noch zu vernehmende Beschimpfung der größten Oppositionspartei wird ihr sehr bald – bei den kommenden Wahlen – auf die Füße fallen.
Der Richtungsstreit innerhalb der CDU spielt sich auch auf Landesebene ab. Ein Knackpunkt in den Ost-Landesverbänden ist das Verhältnis zur AfD: Soll man mit den Rechten ein Bündnis schmieden oder sie doch lieber ächten und stattdessen ungeliebte Bündnisse mit SPD, Linken oder Grünen eingehen? Die Antwort steht noch aus.
Baden-Württembergs CDU-Fraktionschef Wolfgang Reinhart beschrieb den Zustand der CDU vor wenigen Tagen als – Zitat – „inhaltlich insolvent“. Der Quedlinburger Ulrich Thomas, einer der Verfasser der sogenannten Denkschrift, ergänzt:
„Grundsätzlich geht es darum, das Profil der CDU wieder zu schärfen. Wir haben feststellen müssen, dass unser Profil in den letzten Jahren verloren gegangen ist. Daß die Leute nicht erkennen, wofür steht die CDU. Deshalb waren wir der Meinung, wir müßten eine Profilbestimmung vornehmen.“
Ähnlich sieht es der Bitterfelder Ingo Gondro. Er ist der Landeschef der Werte-Union in Sachsen-Anhalt:
„Ich meine, wenn man sich mal die Mühe machen würde und bestimmte Überlegungen anschaut, die die AfD anstellt, zu den Themen der Familie, der Flüchtlingsproblematik, dann wird man feststellen, dass das Themen sind, die auch Konservative in der CDU unterschreiben würden.“
Alles markige Worte – aber niemand will sie hören! Und sie ersetzen auch nicht die dringend notwendige Überzeugungskraft, die der CDU verlorengegangen ist. Statt der offenen Diskussion kontroverser Positionen – die gibt´s doch! – bietet sich die CDU dar als eine Partei im Wartestand – oder sollte ich eher Schlafzustand schreiben? Das Bild der CDU heute – vor Leipzig, in Leipzig und wohl auch danach – ist abgelutscht und ausgelaugt. Eine Partei, die nicht so richtig weiß, wohin sie gehen soll. Und das weiß sie schon seit langem nicht, nämlich seit jenem unseligen Tag, als Kohls Mädchen den Vorsitz übernahm.
Und jetzt läßt sich die Doublette feiern – und tut so, als sei mit ihr die Partei zu neuem Leben erwacht. Annegret Kramp-Karrenbauer wünschte „eine kontroverse Debatte“. Ja, das hat sie wirklich auf diesem Parteitag in Leipzig gefordert. Angeblich wollte sie auch über die Richtung und über die Positionierung der Partei diskutieren. Aber es folgte – heiße Luft, parole, parole, Geschwafel… Motto: „Und jetzt hauen wir mal mit der Faust ganz zart neben den Tisch!“
Wo sie hätte „liefern“ müssen, kam nichts, was die Partei weiterbringt – höchstens der Vorsitzenden eine paar Monate Atemluft verschafft. „Trotz massivem Applaus geht sie aus diesem Parteitag eher als Überlebende denn als strahlende Siegerin“, schreibt DIE WELT zutreffend.
Sie hätte mehr liefern müssen als Worte. Merkt denn sie, merken denn ihre Berater nicht, daß es nicht mehr so weitergehen kann, und daß angesichts der Wahlergebnisse der letzten Jahre in der Partei selbst erhebliche Zweifel aufgebrochen sind, ob die CDU noch in der Lage ist, der Gesellschaft ein Programm zu vermitteln, das dazu führt, daß ihr relevante Gruppen folgen?
Gibt sie tatsächlich ein Bild der starken Mitte? Das wage ich zu bezweifeln. Das redet sie sich vielleicht ein, aber es ist ein strategischer Irrtum, weil der Kompaß zur Mitte fehlt. Wer definiert denn noch in dieser Partei, was „Mitte“ ist? Und wenn die Mitte jeweils neu definiert werden muß, weil der Begriff „dank“ Merkel inhaltsleer und hohl geworden ist, dann muß er erst mit Inhalten gefüllt werden. Ja, dann muß jeder, der an die CDU-Spitze kommt, anfangen, das zu füllen. Ansonsten bliebe es bei der strategischen Orientierungslosigkeit.
Das wird auch nicht dadurch besser, daß jetzt alle betonen, in erster Linie solle „das Inhaltliche im Vordergrund stehen“. So nachvollziehbar der Wunsch der Partei ist, Geschlossenheit zu demonstrieren, so irritierend ist es, daß durch diese Art der Nicht-Auseinandersetzung einmal mehr der Eindruck erweckt wird, man habe es mit reinem Polit-Theater zu tun hat
Das ist die große Herausforderung für Annegret Kramp-Karrenbauer in den kommenden Monaten, den inhaltlichen und auch den personellen Neuaufbruch ihrer Partei in der Nach-Merkel-Ära zu gestalten und sogar zu organisieren! Aber schwer vorstellbar, daß ausgerechnet AKK „die Mitte“ füllen könnte! Und wenn sie das nicht schafft, dann hat sie auch keine richtige Zukunft. Und die CDU hätte als Volkspartei nach altem Verständnis ebenso keine Zukunft.
AKK hat jetzt vielleicht ein Jahr Zeit, das zu tun, und sie wird natürlich versuchen, das zu gestalten, wobei ich in ihrer Rede keinen großen Durchbruch feststellen konnte – von „visionär“ ganz zu schweigen. Das Fatale an diesem Zustand ist, daß die Union sich kaum geschlossen und loyal hinter ihr versammeln wird.
Auch unter AKK merkt die CDU nicht, daß sie als Volkspartei nicht so weitermachen kann wie bisher, einfach etwas mehr oder weniger Unverbindliches anzubieten und dabei ihre Fähigkeit zu verlieren, nach rechts und nach links zu integrieren. Und eben das kam nicht. Applaus, Setzen! Das war´s im Wesentlichen.
Sprechen wir noch ein Wort zu Friedrich Merz:
Es hat jetzt eine Umfrage gegeben, da haben 56 Prozent der Befragten sich positiv zu Merz als Kanzlerkandidat geäußert. Aber auf der anderen Seite hat man auch feststellen können, daß es eigentlich keine richtigen Netzwerke gibt, die Merz inzwischen aufgebaut hat, die ihn unterstützen würden, daß – von Mittelstandsvereinigung und Junger Union mal abgesehen – andere Arbeitskreise oder Flügel eher distanziert sind und vor allen Dingen auch große Landesverbände wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg die Kritik an der Regierung, die von Merz geübt worden ist, zum Anlaß genommen haben, um ihm zu sagen: Nein, lieber Freund, das nicht, und da finden wir auch keine Zustimmung in unseren Reihen. Seine Position in der Partei ist eher schwach, zumal er auch nicht eingebunden ist. Das ist der Vorteil: Er kann nicht diszipliniert werden. Das ist nur sein Nachteil: Er kann keine institutionellen Bündnisse schließen.
Es gab danach kaum noch einen programmatischen oder rhetorischen Leerraum im Saal, den Friedrich Merz hätte füllen können. Ihm blieb nicht viel mehr, als unter offenem Gelächter im Saal Loyalität zur Vorsitzenden und zur Regierung zu behaupten. Das Versprechen ist befristet bis zum nächsten Jahr. Dann will die Parteivorsitzende eine Entscheidung über die Kanzlerkandidatur der CDU herbeiführen.
Merz hat gewiß nicht aufgegeben. Er hat nolens volens den loyalen Hoffnungsträger gespielt, also loyal zur Spitze, loyal zur Partei. Es bleibt ihm auch nichts anderes übrig. Hätte er in Leipzig einen Aufstand versucht, wäre er untergegangen, und insofern war es klug von ihm, so zu agieren, wobei der Rest seiner Rede ja nach den Loyalitätsbekundungen durchaus eine geschliffene, polarisierende Rede war, wo er sich mit den politischen Gegnern auseinandergesetzt hat. Insgesamt ist er damit auch gut angekommen.
Und auch das sollte man nicht übersehen: In der CDU wird ja selten auf offener Bühne die Machtfrage gestellt. Eher wird hinter den Kulissen an Stühlen gesägt, da muß man gar nicht so lange zurückdenken. Wie wird denn Friedrich Merz in den kommenden Monaten agieren? Wird er versuchen, im Stillen seine Truppen zu sammeln, um dann bei passender Gelegenheit zum Angriff zu blasen?
Er wird wohl eine Doppelstrategie versuchen. Das eine ist in der Tat, er muß Unterstützer finden in der Union, die hat er zum Teil ja auch. Aber das sind noch nicht genug, das ist die Junge Union, das ist der Wirtschaftsflügel, aber er braucht mehr. Er kann eigentlich nur gewinnen, indem er da zu einem Sprachrohr der Partei wird, indem er der wird, der die dezidiertesten Aussagen macht, auf denen die größte Aufmerksamkeit gerichtet ist in der Öffentlichkeit, wo die Leute sagen, Donnerwetter, ob er Kanzler kann, weiß man nicht genau, aber Wahlkämpfer, das kann er auf jeden Fall.
Das eben Geschriebene ist selbst mir zu euphorisch. Genau genommen, jedenfalls zur Zeit, steht es um Merz nicht besonders gut. Er mühte sich auf dem Parteitag, nicht aus der Rolle zu fallen. Er sprach frei und erklärte, daß Menschen immer noch einfache Lösungen in der Politik haben wollen. Und dann sagte er: Nicht jetzt würden die wichtigen personellem Entscheidungen gefällt, sondern erst in einem Jahr. Damit war endgültig klar: Heute gibt es keine Kampfansage an Kramp-Karrenbauer.
Dieser 32. Parteitag der CDU war nicht mehr der Moment des Umsturzes für Friedrich Merz. Ihm muß nach einer halben Stunde Rede von Kramp-Karrenbauer klar gewesen sein, daß er gegen die Parteichefin kaum eine Chance haben würde. Die galt zwar als angezählt, jedoch noch nicht als dermaßen politisch bankrott, daß Merz bei einem Versuch einer möglichen Kampfabstimmung hätte gewinnen können. Es sprach zu viel gegen ihn.
So hat sich die Parteichefin bereits zum zweiten Mal in einer für sie brenzligen Situation aus der Umklammerung befreit: Das erste Mal war auf dem Parteitag 2018 in Hamburg, als es um die Wahl zum CDU-Vorsitz ging. Ein Jahr später wird über die inhaltlichen und personellen Fragen der CDU eine große Haube voll Pathos gestülpt.
Das bröckelnde Denkmal
Ach ja, da war doch noch etwas! Ein Denkmal namens Merkel! Ein Denkmal, das (noch) langsam bröckelt, das aber immer schneller an Kontur verliert. Angela Merkels Auftritt war ein nostalgischer Rückblick auf vergangene Zeiten. Wir erleben da gerade genau das, was die Kanzlerin eigentlich vermeiden wollte: das Bröckeln eines Denkmals, das doch eigentlich noch gar nicht denkmalreif ist. Mir aber, so offen bin ich, geht es nicht schnell genug. Die CDU braucht derartige Denkmäler nicht.
Peter Helmes — conservo.wordpress.com
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