MH-17 Wrackteile - Photo by Jeroen Akkermans - flickr.com - CC BY-NC-SA 2.0

MH17: Geleakte Unter­lagen aus Holland wider­sprechen der BUK-These

In den Nie­der­landen sind Unter­lagen der Staats­an­walt­schaft ver­öf­fent­licht worden, aus denen her­vorgeht, dass die malay­sische Boeing bei ihrem Absturz außerhalb der Reich­weite aller BUK-Raketen gewesen sein soll. Das würde bedeuten, dass das Flugzeug nicht von einer Boden-Luft-Raketen abge­schossen worden sein kann.

Die Meldung habe ich zuerst bei der rus­si­schen Nach­rich­ten­agentur TASS gefunden, die ihre Quellen immer sauber angibt, sodass man die Ori­gi­nal­quellen über­prüfen kann. Außerdem gab die TASS den Inhalt der auf einer hol­län­di­schen Seite ver­öf­fent­lichten Doku­mente korrekt wieder. Da die Ver­öf­fent­li­chung auf Eng­lisch erfolgte, war das leicht nachprüfbar.

Es geht um vier Doku­mente, die bestreiten, dass BUK-Systeme in Reich­weite der Boeing gewesen sein sollen, aber dafür aus­sagen, es seien zwei ukrai­nische Kampf­flug­zeuge in der Luft gewesen.

Das erste Dokument bezieht sich auf Unter­su­chungen des unab­hän­gigen deut­schen Jour­na­listen Billy Six. Er hat vor Ort Men­schen befragt, die ukrai­nische Kampf­flug­zeuge am Himmel gesehen haben wollen. Jeder, der mal mit Ermitt­lungen zu tun hatte, weiß, dass Zeu­gen­aus­sagen oft pro­ble­ma­tisch sind. Jeder Polizist weiß, dass Zeugen bei einem Auto­unfall oft nicht einmal die kor­rekte Farbe der betei­ligten Autos nennen können. Das bedeutet nicht, dass Angaben unwahr sein müssen, aber Zeugen sind als Quelle gerade bei Unglücken, bei denen die Zeugen auch emo­tional berührt sind, mit ein wenig Vor­sicht zu genießen.

Das zweite Dokument beschäftigt sich mit den Fotos, die angeblich belegen, dass die BUK aus Russland gekommen sein soll. Diese Fotos sind demnach aller Wahr­schein­lichkeit nach mani­pu­liert worden, nicht einmal ihr genaues Datum ist gesichert.

Hier bestellen!

Das dritte Dokument ist ein Ver­neh­mungs­pro­tokoll der hol­län­di­schen Polizei. Ein nicht namentlich genannter ukrai­ni­scher Zeuge spricht darin eben­falls von Kampf­flug­zeugen, die seiner Meinung nach die Boeing abge­schossen hätten.

All diese Doku­mente sind also nicht neu. Die Arbeit von Billy Six ist längst bekannt, auch andere Zeu­gen­aus­sagen gibt es reichlich (übrigens für jede mög­liche These für das Unglück) und auch die Vor­würfe, dass die Fotos, die beweisen sollen, dass die BUK aus Russland gekommen sind, gefälscht sind, sind nicht neu. Auf diesen Fotos baut die Arbeit von Bel­lingcat auf, die die These der aus Russland ins Kampf­gebiet gebrachten BUK in die Welt gesetzt haben.

Neu ist meines Wissens lediglich das vierte Dokument. Dabei handelt es sich um einen Bericht des hol­län­di­schen Mili­tär­ge­heim­dienstes, der die Posi­tionen aller BUK-Systeme in dem Großraum auf­listet. Demnach war keine BUK – weder rus­sische, noch ukrai­nische – in Reich­weite der Boeing, als sie abge­schossen wurde.

Die ukrai­nische Staats­an­walt­schaft hat die gele­akten Unter­lagen nicht kom­men­tiert, sondern nur mit­ge­teilt, der Ort, die Beweis­mittel zu besprechen, sei der Gerichtssaal und nicht die Öffentlichkeit.

Kreml­sprecher Peskow hat die ver­öf­fent­lichten Doku­mente wie folgt kom­men­tiert:

„Dies zeigt einmal mehr, dass es immer noch viele Anzahl von Fragen gibt, die die bisher nach­drücklich geäu­ßerte Position ernsthaft in Frage stellen. (…) Daher waren wir immer skep­tisch und miss­trauisch gegenüber der über­eilten und nicht auf einem ernst­haften Ansatz beru­henden, über­eilten Schluss­fol­ge­rungen. Diese Infor­ma­tionen zeigen einmal mehr, dass rus­sische Seite damit recht hat.“

Das waren die aktu­ellen Neu­ig­keiten zu dem Thema MH17.

Da ich mich sehr intensiv mit MH17 beschäftigt habe, erlaube ich mir, noch eine kleine Ein­schätzung der gele­akten Unter­lagen zu geben. Eine Zusam­men­fassung meiner Recherchen zu MH17, die ich für mein Buch über die Ukraine-Krise 2014 gemacht habe, finden Sie hier. Das ganze, fast 70 Seiten lange Kapitel zu MH17 aus dem Buch, finden Sie als Lese­probe hier.

Wie gesagt handelt es sich bei den aktu­ellen Ver­öf­fent­li­chungen im Kern um nichts Neues, das meiste ist längst bekannt.

Da es Zeu­gen­aus­sagen für jede mög­liche These gibt, halte ich Zeu­gen­aus­sagen in diesem Fall für nicht ent­scheidend. Für mich ist das Scha­densbild an dem abge­schos­senen Flugzeug ent­scheidend. Und das zeigt erstens, dass die Boeing in großer Höhe aus­ein­an­der­ge­brochen ist, sonst wären die Wrack­teile nicht über ein so großes Gebiet ver­teilt gewesen. Zweitens zeigt das Scha­densbild, dass das Flugzeug seitlich von tau­senden Pro­jek­tilen durch­lö­chert wurde. Der dadurch struk­turell geschwächte Rumpf ist dann auseinandergebrochen.

Die Frage ist also, was ein solches Scha­densbild ver­ur­sachen kann.

Anti-Flugueug-Raketen, die von den in Frage kom­menden Kampf­flug­zeugen getragen werden, treffen das Triebwerk ihre Ziels und zer­stören es. Eine solche Rakete hätte die Boeing wohl abschießen können, aber wir hätten ein anderes Scha­densbild: Die tau­senden Löcher würden fehlen.

Auch die These, die Boeing sei mit der Bord­kanone eine Kampf­flug­zeuges abge­schossen worden, ist nicht haltbar. Im Luft­kampf nähern sich Kampf­flug­zeuge ihrem Gegner von hinten, weil nur dadurch das Ziel lange genug im Schussfeld bleibt, um es zu treffen und ernsthaft zu beschä­digen. Die Boeing wurde aber von der Seite durchlöchert.

Das würde bedeuten, dass das schie­ßende Kampf­flugzeug in einem mehr oder weniger genauen 90-Grad-Winkel zur Boeing gestanden haben müsste. Jeder, der etwas von Luft­kampf ver­steht, weiß, dass es prak­tisch unmöglich ist, einen Gegner von der Seite zu treffen. Das ist leicht erklärbar: Das Ziel würde mit 800 Kilo­meter pro Stunde an einem vor­bei­rau­schen. Dabei einen Treffer zu landen, ist unmöglich. Und erst recht wäre der Sekun­den­bruchteil, den die Boeing bei einem solchen Manöver im Schussfeld gewesen wäre, viel zu kurz, als dass sie von tau­senden Pro­jek­tilen hätte getroffen werden können. Wer das bezweifelt, kann sich mal an eine Schnell­straße stellen und sich anschauen, wie schnell ein nur 100 km/h schnelles Auto an einem vor­bei­rauscht. Selbst das wäre aus einer Maschi­nen­kanone nicht mit tau­senden Pro­jek­tilen zu treffen. Und die Boeing war acht Mal so schnell.

Das einzige System, dass vor Ort war und ein Scha­densbild ver­ur­sachen kann, wie wir es bei MH17 sehen, ist eine BUK. Diese Rakete fliegt neben ihr Ziel und dann explo­diert ein Sprengkopf, der tau­sende Schrapnelle frei­setzt, die das Ziel durchlöchern.

Neu an den ver­öf­fent­lichten Unter­lagen ist aller­dings der Bericht des hol­län­di­schen Geheim­dienstes. Ob der Geheim­dienst sich geirrt hat oder ob der Bericht gefälscht ist, wissen wir nicht.

In drei Wochen beginnt in den Nie­der­landen der Prozess um MH17, viel­leicht erfahren wir dann mehr.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“