Deut­liche Worte des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­riums zum Fall Julian Assange

Das rus­sische Außen­mi­nis­terium hat am Don­nerstag in sehr deut­lichen Worten Partei für Julian Assange ergriffen. Die rus­sische Position steht in völ­ligem Gegensatz zu dem, was die deutsche Bun­des­re­gierung zu dem Fall sagt.

Ich habe oft genug berichtet, dass die Bun­des­re­gierung sich zu den Fol­ter­vor­würfen der UNO gegen Assange nicht äußert. Sie hat sogar offen gesagt, die Berichte der UNO zu dem Theman nicht zu lesen.

Russland lässt sich so nicht abspeisen. Es ist bemer­kenswert, dass in unseren Tagen Dis­si­denten und Kri­tiker wie Assange oder Snowden im Westen ver­folgt werden und sich Russland mit Nach­druck für sie ein­setzt. Im Gegensatz zur Zeit des Kalten Krieges, als Dis­si­denten in der Sowjet­union ver­folgt wurden und der Westen ihnen Schutz bot, scheint es heute genau umge­kehrt zu sein: Dis­si­denten suchen in Russland Schutz vor poli­ti­scher Ver­folgung im Westen.

Aus Anlass des nun begon­nenen Aus­lie­fe­rungs­ver­fahrens gegen Assange hat sich die Spre­cherin des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­riums, Maria Sacharova, deutlich wie selten zu dem Umgang Londons mit Assange geäußert. Ich habe diese offi­zielle Erklärung des rus­si­schen Außen­mi­nis­te­riums übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

Dieses Thema sprengt natürlich alle Grenzen des Vor­stell­baren. Wie Sie wissen, hat am 24. Februar in London die Ver­handlung über die Aus­lie­ferung von Julian Assange an die Ver­ei­nigten Staaten begonnen. Wir alle wissen sehr gut, wie diese Aus­lie­ferung enden wird, wenn sie umge­setzt wird. Es gibt reichlich Bei­spiele. Ich möchte Sie an Maria Butina erinnern, die unbe­gründet 117 Tage in Ein­zelhaft gesessen hat.

Der Zustand von Julian Assange ruft nicht nur einfach Besorgnis hervor, er wird von inter­na­tio­nalen Experten als kri­tisch bezeichnet. Der Grund dafür ist nicht sein Alter oder seine schlechte Gesundheit, sondern die lang­fris­tigen Aus­wir­kungen von psy­chi­scher Folter. Ich zitiere einen Experten. Wir müssen das ver­stehen. Wir sind jetzt schließlich im Jahr 2020 und wir sprechen über einen Men­schen, der lange Zeit psy­cho­lo­gi­scher Folter aus­ge­setzt wurde.

Lokale Beob­achter in Groß­bri­tannien pro­gnos­ti­zieren, dass der Prozess in die Länge gezogen wird und erwarten das Urteil in ein paar Monaten, der Mai wird als wahr­schein­liches Datum für die Bekanntgabe der Ent­scheidung des Gerichts genannt. Auf diese Weise wird der Jour­nalist, der ohnehin schon seit mehr als sieben Jahren in Haft ist, wei­terhin gequält und als letzte Stufe droht ihm, wenn er aus­ge­liefert wird, eine lebens­lange Frei­heits­strafe von bis zu 175 Jahren.

Die ganze Welt bezeichnet den „Fall Assange“ als einen Schlag gegen die Insti­tution des inves­ti­ga­tiven Jour­na­lismus und die freien und unab­hän­gigen Medien, als einen kata­stro­phalen Schlag gegen die grund­le­genden Men­schen­rechte. Solche Straf­maß­nahmen gegen einen Jour­na­listen sind im 21. Jahr­hundert völlig inak­zep­tabel und eine totale Schande für die betei­ligten west­lichen Länder, die sich als demo­kra­tisch und frei bezeichnen.

Der OSZE-Beauf­tragte für Medi­en­freiheit Desir äußerte sich zu der Situation und for­derte die bri­ti­schen Behörden aus­drücklich auf, den in Ungnade gefal­lenen Jour­na­listen nicht aus­zu­liefern. Man muss ver­stehen, dass hier – wie ich bereits sagte – von den Ver­ei­nigten Staaten ein System aus­ge­ar­beitet wurde, das funk­tio­niert und wei­terhin funk­tio­nieren wird. Men­schen­rechts­ak­ti­visten haben wie­derholt ihre Besorgnis über den sich ver­schlech­ternden Gesund­heits­zu­stand von Assange zum Aus­druck gebracht. Die Gruppe „Ärzte zur Unter­stützung der Assange“ ver­öf­fent­lichte am 17. Februar einen offenen Brief, in dem sie ein Ende der „psy­cho­lo­gi­schen Gewalt und medi­zi­ni­schen Fahr­läs­sigkeit“ gegen ihn forderte.

Ich frage mich die ganze Zeit, ob William Browder sich ein­schalten wird. Ich denke, es ist an der Zeit, er hat doch so viel Erfahrung. Was könnte erreicht werden, wenn er all seine Macht und seine frü­heren Aktionen zur Ver­tei­digung von Assange ein­ge­setzt hätte? Oder, wenn es nichts gebracht hätte, hätte er Sank­tionen gegen die betrof­fenen Ländern, ins­be­sondere das Ver­ei­nigten König­reich und die USA, fordern können. (Anm. d. Übers.: Wer den Fall Brwoder nicht kennt, findet hier die Hin­ter­gründe)

Es ist erstaunlich, dass alles, was mit Assange pas­siert, der Preis ist, den ein Jour­nalist dafür bezahlt, dass er seine Arbeit gemacht und seine staats­bür­ger­liche Pflicht treu erfüllt hat, nämlich die Gesell­schaft zu infor­mieren und die ihm zur Ver­fügung ste­henden Infor­ma­tionen wei­ter­zu­geben. Noch auf­fäl­liger ist jedoch die Position der so genannten „unab­hän­gigen“ Medien Groß­bri­tan­niens: Statt eines echten, all­ge­meinen Pro­tests gibt es in der bri­ti­schen Presse nur lako­nische, punk­tuelle Berichte. Die einzige Aus­nahme in diesem Fall ist die Zeitung Guardian, die offen sagt, dass die Ver­ei­nigten Staaten hinter diesem Fall stehen.

Noch einmal sollten wir uns daran erinnern – ich hoffe, Sie haben es nicht ver­gessen – wie der absolut unver­ständ­liche, mys­te­riöse „Fall Skripal“ in den bri­ti­schen Medien behandelt wurde, wie Staaten und Ein­zel­per­sonen beschuldigt wurden, unan­ge­messene Vor­würfe erhoben wurden, die bis heute durch kei­nerlei Fakten bestätigt sind. Im Gegensatz dazu ist in diesem Fall alles ein­deutig. Es gibt einen kon­kreten Men­schen, der noch lebt, sich aller­dings in einem kri­ti­schem Zustand befindet. Viel­leicht wäre es in diesem Fall sinnvoll, dass die bri­ti­schen Medien alles tun, um ein Ver­brechen zu verhindern.

Wir fordern die Men­schen­rechtler und die ein­schlä­gigen inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tionen auf, ihre Position ent­schlossen zum Aus­druck zu bringen und alles zu tun, um sicher­zu­stellen, dass Assange Gerech­tigkeit wider­fährt. Und zwar bevor das tat­säch­liche Ver­brechen geschieht. Obwohl gegen ihn schon viele Ver­brechen begangen wurden, ist das Schlimmste noch nicht geschehen.

Ende der Übersetzung


Wenn Sie sich dafür inter­es­sieren, wie Russland auf die Fragen der inter­na­tio­nalen Politik blickt, dann sollten Sie sich die Beschreibung meines Buches ansehen, in dem ich Putin direkt und unge­kürzt in langen Zitaten zu Wort kommen lasse. In dem Buch gibt es auch Pas­sagen über Edward Snowden, zu dem Putin von Jour­na­listen befragt wurde. Und Putins Ant­worten, die auch auf Assange zutreffen würden, wenn er denn in Russland und nicht in England Schutz gesucht hätte, dürften viele überraschen.


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru

Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“