Vom Dro­gen­dealer zum Gast der Queen: Ein ehe­ma­liger Täter wird zum Leuchtturm für die bri­tische Jugend (+Video)

Mar­cellus Baz wurde nicht mit dem sprich­wört­lichen „sil­bernen Löffel“ im Mund geboren. Eher war sein Start ins Leben wenig viel­ver­spre­chend, und es schien von vor­ne­herein klar, dass die einzige Abwechslung in seinem Lebenslauf die zwi­schen Straf­taten und Gefäng­nis­auf­ent­halten sein würde. Falls er nicht selbst einem Ver­brechen zum Opfer fiele, was beinahe der Fall war. Er wuchs in einer Umgebung auf, die von den Regeln der Gangs geprägt war, brach – wie viele junge Männer dort —  die Schule ab und sah einem von Drogen und Gewalt bestimmten Leben ent­gegen. Aber es sollte ganz anders kommen…

Mar­cellus wuchs in der Pro­blem­gegend Meadows in Not­tingham auf. Er war als Junge nicht gerne zu Hause. „Mein Vater war dauernd unterwegs, um etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen. Er wollte ja für uns sorgen, aber er wusste nicht, dass wir eine Richtung und Liebe in unserem Leben brauchten: Wir haben ihn so gut, wie nie gesehen.“ Seine Mutter war keine Hilfe und auch keine Stütze für die Kinder, erinnert sich der große, breit­schultrige Mitt­vier­ziger heute. „Meine Mutter litt unter schreck­lichen psy­chi­schen Pro­blemen. Einmal hat sie uns ver­sammelt und gesagt, wir würden alle in den Fluss springen und uns umbringen.“

Daheim war nichts als Depression, Sinn­lo­sigkeit und Lan­ge­weile und so ver­brachte der junge Mar­cellus viel Zeit auf der Straße. Aber die Straßen waren ein Schlachtfeld für den Revier­kampf der Gangs, Dro­gen­handel, Gewalt und leichten Mädchen. „Ich habe viele schreck­liche Dinge gesehen. Ich bin nie ohne Messer oder Schuss­waffe aus­ge­gangen. Mein bester Freund ist in meinen Armen gestorben, und ich habe gesehen, wie das Licht in seinen Augen erlo­schen ist.“
Also lief es, wie es vor­her­sehbar war: Mar­cellus Baz dealte mit Drogen, wurde von der Schule geworfen und bekam massig Ärger mit der Polizei, wurde verhaftet.

Als er eines Tages wieder einmal vor der Polizei floh, stieß er auf ein Frei­zeit­zentrum, in dem Leute boxten. Fas­zi­niert machte er mit. Diese erste Begegnung mit dem Box­sport und sein begin­nendes und wach­sendes Enga­gement  war der Anfang eines neuen Lebens: „Die Box­halle war eine sichere Umgebung und Gebor­genheit. Es war das erste Mal, dass jemand seinen Arm um mich legte und sagte:‚ Gut gemacht, mein Sohn, du bist gut darin.’ Weil ich noch nie gut in irgend­etwas gewesen war.“ Mar­cellus wurde sogar so gut im Boxen, dass er auf dem Weg zum Profi war — sogar zum Champion.
Aber dann lief etwas furchtbar schief.

Mar­cellus hatte immer noch Ver­bin­dungen in die Gangs, es gab Ärger und er wurde in einer ein­samen, dunklen Straße über­fallen. Drei Männer lau­erten ihm auf und atta­ckierten ihn mit einer Machete. Der Angreifer wollte damit auf seinen Kopf ein­schlagen. Aber Mar­cellus Baz riss instinktiv seine Arme und Fäuste hoch vor sein Gesicht, wie Boxer das tun, was sein Leben rettete. Aber seine Unterarme und Hände wurden geradezu zer­hackt. Die Knochen und Gelenke waren schwer beschädigt. Das setzte seiner Champion-Kar­riere als pro­fes­sio­neller Boxer ein vor­zei­tiges Ende. Noch heute ziehen sich über seine Hand­rücken und Unterarme lange, breite Narben.

Nor­ma­ler­weise wäre ein Mann mit seinem Hin­ter­grund jetzt in eine pro­fes­sio­nelle Kar­riere als Dro­gen­dealer oder Schwer­kri­mi­neller abge­glitten. Mar­cellus Baz tat das nicht. Er begann eine Aus­bildung und machte seinen qua­li­fi­zierten Abschluss während der Reha­bi­li­tation von seinen schweren Ver­let­zungen. Doch es war auch damit nicht einfach. Mar­cellus hatte mit seinem Hin­ter­grund Schwie­rig­keiten, einen Job zu finden. Schließlich begann er, in einem Frei­zeit­zentrum zu arbeiten.

Dort traf er genau die jungen Leute, wie er selber mal einer war. Jungs, die ein schwie­riges Leben hatten und dringend ein Vorbild und eine Führung brauchten. Mar­cellus erkannte, dass er mit seinen Erfah­rungen und seinem Hin­ter­grund die Jungs wirklich ver­stehen und ihnen helfen konnte — und das sie ihm glaubten. Mar­cellus Baz richtete eine Box­halle ein, um ihnen einen Anlauf­punkt und ein Ziel zu geben.

Mar­cellus gründete dar­aufhin eine Wohl­tä­tig­keits­or­ga­ni­sation, die sich auf die Betreuung junger Men­schen kon­zen­trierte, die Vor­bilder brauchen. Seine eigene Lebens­ge­schichte gibt ihm das Ver­ständnis und auch das Mit­gefühl für diese ver­lo­renen jungen Männer. Sie akzep­tieren und bewundern ihn auch für das, was er erreicht und geleistet hat. Er ist einer der ihren und gibt ihnen eine reale Hoffnung, „es auch schaffen zu können“. Aber auch für Mar­cellus Baz ist diese Arbeit eine Aus­ein­an­der­setzung mit seinem Schmerz und einem Weg der Heilung. „Ich habe mich dazu ent­schlossen, weil es in der Gemeinde einen echten Bedarf gab. Und wegen meines per­sön­lichen Schmerzes — der Iso­lation und Ver­nach­läs­sigung. Ich wollte nicht, dass andere Leute das durch­machen, was ich durch­ge­macht habe.”

Die Mes­ser­gewalt ist in Groß­bri­tannien ein all­ge­gen­wär­tiges Problem. Jedes Jahr sterben Hun­derte Briten an Stich­wunden durch Messer, die Zahl der Ver­letzten gehen in die Tau­sende. Im ver­gan­genen Jahr gab es 47.000 Straf­taten unter Ver­wendung von Messern. Eine Studie der Uni­ver­sität Salford stellte fest, dass haupt­sächlich Männer aus den unteren Schichten im Alter zwi­schen 16 und 34 zur Mes­ser­gewalt neigen. Und während die Mit­tel­schicht verarmt und aus­dünnt, wächst die Unter­schicht. 14 Mil­lionen Men­schen im United Kingdom leben in Armut. Etwa ein Drittel der bri­ti­schen Kinder sind betroffen.

Ein For­scher vom Centre for Crime and Justice Studies kennt die Bedingen, unter denen die Gewalt und Mes­ser­kämpfe gedeihen:
„Wir sprechen hier über junge Men­schen mit sehr beschränkten Mög­lich­keiten, die ver­suchen, ihren Weg zu finden. Sie ori­en­tieren sich an dem, was um sie herum pas­siert. Wenn das Dro­gen­handel ist, dann wird das auch ihr Weg, an Geld zu kommen.” Der Umgang mit Messern ent­wickle sich dann “wie eine Epi­demie”, sagt Grimshaw. „Einige fangen an, andere rüsten nach, Gangs befeuern sich untereinander.“

Früher lief Mar­cellus Baz auch mit einem Messer herum, und ein Messer hätte beinahe auch sein Leben beendet. Der Mes­ser­an­griff beendete seine Boxer­kar­riere, aber er führte auch zu einem Neu­anfang eines mutigen Mannes, der heute gegen diese Mes­ser­gewalt kämpft und den jungen Männern aus den Pro­blem­vierteln neue, andere, bessere Per­spek­tiven bieten kann. Gefäng­nis­strafen, sagt Mar­cellus Baz, nützen hier wenig. Niemand fürchte „den Knast“. Das war bei ihm auch so. Das gehört in diesen Kreisen zum guten Ton und zum Mann-Sein.

Der Erfolg seiner beiden Orga­ni­sa­tionen — der „Not­tingham School of Boxing“ und „Switch Up“ — ist mehr als außer­ge­wöhnlich. Mar­cellus Baz hat mitt­ler­weile Tau­senden Jugend­lichen geholfen. Er hat Erfolge vor­zu­weisen, nach­haltige Erfolge, die mit Gefäng­nis­strafen nicht zu erzielen gewesen wären. Mr. Baz arbeitet heute mit der Polizei, der Bewäh­rungs­auf­sicht und dem Innen­mi­nis­terium zusammen. Er reiste nach Nor­wegen, Bra­silien und in die Staaten und hielt Vor­träge über seine Erfah­rungen und Her­an­ge­hens­weise. Er sagt: „Wir haben in der Ver­gan­genheit viele Dinge gemacht, auf die wir nicht stolz sind, aber wir wurden wieder in die zivi­li­sierte Gesell­schaft auf­ge­nommen. Wir geben etwas zurück und ver­suchen, die nächste Gene­ration zu beein­flussen, dass sie ein bes­seres Leben führen als wir. Das schenkt uns ein echtes Erfolgs­er­lebnis und heilt uns als Menschen.“

Sogar Prinz Harry hat Mar­cellus Baz besucht und letztes Jahr wurde ihm die British Empire Medal für Ver­dienste um das Jugend­boxen und die Gemein­schaft ver­liehen, und er wurde von der Queen ein­ge­laden. Nicht schlecht für jemanden, der die Schule abge­brochen hat.

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