Walter war bereits ein wenig in die Jahre gekommen, als er verwitwet in einer kleinen Wohnung in Oberfranken lebte. In seiner Freizeit widmete er sich gerne dem Lesen von Sachbüchern und dem Schreiben von Kurzgeschichten. Er führte sogar ein Tagebuch, in das er alles Erlebte penibel eintrug. Sprache und Rhetorik waren einfach sein Ding. Seine berufliche Laufbahn als Deutsch-Lehrer hatte er dennoch bereits vor einigen Jahren gegen das Pensionärs-Dasein eingetauscht. Prinzipiell konnte man ihn also völlig ungeniert als ausreichend gebildet und bodenständig bezeichnen. Wäre da nicht diese eine Sache, die ihn fast schon ein halbes Leben lang begleitete, in den letzten Jahren aber wieder an Intensität zugenommen hatte.
(von Thorsten Läsker)
Schon als Jugendlicher, so sagt Walter, wären einige Nächte etwas seltsamer verlaufen als die meisten anderen. Geplagt von furchtbaren Träumen über kleine Wesen, welche ihn im Schlaf mitnehmen, um anschließend unangenehme Untersuchungen und Experimente an ihm vorzunehmen, wachte er danach stets schweißgebadet und völlig aufgelöst auf. Diese nächtlichen Torturen fühlten sich jedes Mal so unfassbar realistisch an, dass Walter irgendwann an deren Echtheit zu glauben begann, selbst wenn er es vom gesunden Menschenverstand her betrachtet, eigentlich nicht wahrhaben wollte. Doch am Ende betraf es schließlich nicht nur die vermeintlichen Träume, denn manchmal kamen auch noch einige körperliche Auffälligkeiten hinzu, wie etwa leichte Rötungen, Schwellungen oder kleine Einstichwunden. Wenn er diese dann am nächsten Tag an sich entdeckte, war er fast immer der Meinung, dass sie sich ziemlich exakt an den Körperstellen befanden, an denen sich laut seiner Erinnerung die fremden Entführer in seinen vorausgegangenen Träumen zu schaffen gemacht hatten.
Als junger Mensch machte er sich noch nicht allzu große Gedanken darüber, tat es eher als Zufall und Einbildung ab und schenkte diesen vermeintlichen Alpträumen daher keine allzu große Bedeutung. Glücklicherweise ließ das Ganze mit den Jahren nach und erfolgte nur noch sporadisch, bis es irgendwann gar nicht mehr auftrat, zumindest konnte er sich an keine weiteren Vorfälle aus seiner anschließenden Erwachsenenphase erinnern. Erst viele Jahre später begann alles von Neuem – zu einer Zeit, als er gerade Witwer geworden war und seine berufliche Laufbahn beendet hatte. Eigentlich wollte er jetzt sein Pensionärs-Dasein genießen, auch wenn ihn das plötzliche Alleinsein ein wenig belastete. Dennoch schien ihn der Lebensmut nicht gänzlich verlassen zu haben. Er widmete sich daher emsig seinen beiden Hobbys, dem Lesen und Schreiben. Zudem war er ein recht geselliger Mensch und frönte daher nicht selten den gesellschaftlichen Ereignissen seiner näheren Umgebung und Nachbarschaft. Eigentlich schien soweit alles OK, bis es plötzlich wieder anfing, das längst vergessene Trauma seiner Jugend.
Alles begann an einem späten Sonntagabend, als sich Walter müde und erschöpft zur Ruhe begeben wollte, da er einen ausgiebigen Wandertag hinter sich hatte. Nachdem er zu Bett gegangen war, schnappte er sich noch schnell sein Tagebuch, ergänzte die aktuelle Seite und schaltete anschließend die Nachttischlampe aus. Er schlief offensichtlich recht schnell ein, so vermutete es Walter auf jeden Fall, denn schon kurze Zeit später begannen auf einmal wieder diese verrückten Träume, die er eigentlich schon seit geraumer Zeit ad acta gelegt hatte. Erneut tauchten dabei diese seltsamen kleinen Wesen auf, standen zuerst nur beobachtend um sein Bett herum, bevor sie auf einmal gemeinsam nach ihm griffen. Wie auch früher schon, konnte sich Walter auch diesmal nicht bewegen oder irgendeinen Laut von sich geben. Dennoch sah er alles ganz genau, denn seine Augen waren die gesamte Zeit über geöffnet.
Die etwa 90 cm großen und gräulichen Kreaturen schnappten sich den älteren Mann und hoben ihn mit ihren dünnen und langen Armen aus dem Bett heraus. Er fühlte sich dabei so leicht, fast schwerelos, dennoch hatte er furchtbare Angst, konnte dies aber nicht zeigen oder sich sonst wie äußern. Ohne jegliche Emotionen trugen ihn die Kreaturen mit den riesigen schwarzen Augen völlig geräuschlos in die Mitte seines Schlafzimmers. Dann sah er plötzlich ein grelles Licht und fand sich bereits wenige Sekunden später in einem beleuchteten Raum wieder. Nun lag er auf einem Tisch, mutmaßlich ein Operationstisch, zumindest deutete alles darauf hin. Die Wesenheiten waren nach wie vor anwesend, standen nun aber eher teilnahmslos herum. Stattdessen schien jetzt eine wesentlich größere Gestalt das Kommando übernommen zu haben. Nach einer kurzen Betrachtungsphase begann dieses humanoid wirkende Etwas, dessen Gesamtkostümierung fast an einen modernen Chirurgen erinnerte, sich zielstrebig dem regungslosen „Patienten“ zu widmen. Die Gesichtsmaske verhinderte zwar eine genauere Identifizierung, aber dennoch konnte Walter einen Teil des Antlitzes erkennen, besser gesagt: die Augen. Er beschrieb diese später als bläulich und recht menschlich aussehend. Ab dann folgten nur noch schemenhafte Eindrücke, gepaart mit Schmerzen, Panikattacken und leisen, surrenden Geräuschen, ähnlich einem Zahnarztbohrer.
Aufgrund seiner Ganzkörperstarre konnte er nicht erkennen, was genau an ihm durchgeführt wurde. Es schien aber an seinem rechten Unterarm stattzufinden, zumindest fühlte es sich so an. Niemand sprach mit ihm oder zeigte irgendein Interesse an seinem Wohlbefinden. Auch ansonsten fanden keinerlei hörbare Kommunikationen unter den Anwesenden statt. Alles schien nach einem festen und vorgefertigten Plan abzulaufen, bei dem jeder seine zugewiesene Rolle zu spielen hatte, selbst Walter, auch wenn sein Part eher ungewollt und zweitrangig war. Immer wieder schien er kurzzeitig das Bewusstsein zu verlieren, auf jeden Fall dachte er es, da ihn die ganze Situation so sequenzartig vorkam, fast wie bei einem zusammengeschnittenen Kino-Trailer. Diese Annahme verhärtete sich, als es urplötzlich einen erneuten Lichtblitz gab und er auf einmal wieder in seinem eigenen Bett lag. Panisch wollte er hochschrecken und losschreien, doch sein Körper steckte wohl noch immer in den letzten Zügen der Paralyse, zumindest wirkte anfänglich alles ein wenig behäbig und festgefahren. Erst nach und nach löste sich die Starre allmählich, bis er endlich wieder ganz „Herr seiner Sinne“ war. Schweißgebadet stand er anschließend auf, während seine Atmung nach wie vor wild hyperventilierte.
Er musste nun erst einmal einen klaren Kopf bekommen, zu aufwühlend war sein nächtliches Abenteuer verlaufen. Nachdem er einen Schluck Wasser getrunken und sich langsam aber sicher beruhigt zu haben schien, setzte er sich direkt an seinen Schreibtisch, um das ganze Erlebnis, welches er nach wie vor für einen bösen Traum hielt, so exakt wie möglich in seinem Tagebuch festzuhalten. Doch kaum waren die letzten Worte notiert, fiel ihm immer mehr sein leicht schmerzender Arm auf, was er zwar schon während des Schreibens bemerkt, aber da noch nicht weiter beachtet hatte. Zuerst schob er es auf die angestrengte und zügige Federführung, doch nachdem die Schmerzen nicht weniger wurden, wollte er es sich doch einmal etwas genauer ansehen. Zu seinem großen Erstaunen, um es jetzt einmal milde auszudrücken, entdeckte er einen roten und druckempfindlichen Fleck auf seinem rechten Unterarm. Zudem fühlte sich die Stelle ganz hart und geschwollen an. Bei genauerer Betrachtung fiel Walter sogar eine Art Einstich auf, welcher sich mitten im Zentrum der offensichtlichen Entzündung befand. Nicht groß, aber dennoch eindeutig vorhanden. Sein angeblicher Traum schien sich also regelrecht manifestiert zu haben, zumindest waren gewisse Parallelen unverkennbar. Zufall? Vielleicht, aber vielleicht auch nicht.
Leider blieb es nicht bei diesem einen nächtlichen Zwischenfall, sondern es sollte sich noch einige Male wiederholen. Die jahrelangen Erlebnisse seiner Jugendzeit schienen also erneut aufzukeimen, in einem Alter, in dem man eigentlich nur noch seine Ruhe haben und ganz gewiss nicht mit derartigen Dingen konfrontiert werden möchte. Doch den unbekannten Mächten da draußen, wer auch immer dahinterstecken möge, scheinen solche menschlichen Belange völlig egal zu sein, zumindest wenn tatsächlich etwas Übernatürliches dahinter stecken sollte. Und genau diese Unsicherheit treibt Walter auch heute noch um. Jedoch ist seine Angst vor der Wahrheit stets so groß gewesen, dass er es bisher immer abgelehnt hat, sich näher untersuchen oder gar einer Hypnose-Regression zu unterziehen. Und so wird es wohl auf ewig ein ungelöstes Mysterium bleiben, auch wenn es sicherlich ein paar plausible Erklärungsansätze geben dürfte.
Diese Geschichte stammt aus meinem aktuellen Buch „Paranormales Deutschland“, welches vor Kurzem im Ancient-Mail-Verlag erschienen ist. Die dazugehörigen Erklärungsversuche und noch viele weitere spannende und paranormale Fallberichte warten dort auf Sie.
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