Ein Gastbeitrag von Nikolas Pravda
Die Anzeichen mehren sich, dass sich die Bankenkrise von 2008 in einer viel größeren Dimension zu wiederholen droht – mit dem Unterschied, dass der „Instrumentenkasten“ der Zentralbanken dieses Mal leer ist, weil alle sogenannten Instrumente, wie quantitative easing, also Gelddrucken und Null- oder Negativzinsen, schon jahrelang eingesetzt werden, ohne das grundlegende Problem der Kasino-Wirtschaft zu beheben.
Diese Politik zugunsten der Banken und Spekulanten, die die Schere zwischen reich und arm immer weiter geöffnet hat, stellt die größte Bedrohung für das Gemeinwohl und damit für die Stabilität der Gesellschaft dar.
Nur die sofortige internationale Einführung des Glass-Steagall-Trennbankensystems sowie eines Kreditsystems, das ausschließlich der Finanzierung der Realwirtschaft dient, kann die Gefahr eines unkontrollierten Kollapses abwenden.
Auch wenn Regierung, Bundestagsparteien und Mainstream-Medien den Anschein erwecken, als hätte die Systemkrise von 2008 keine bleibenden Schäden angerichtet, und Fed-Chefin Janet Yellen sogar behauptet, wir würden „während unserer Lebenszeit“ keine solche Krise mehr erleben, so ist das genaue Gegenteil wahr.
Die transatlantische Welt sitzt auf einem monetären Pulverfass, zu dem diverse Lunten schon weit abgebrannt sind. Derweil funktioniert das System immer noch nach der Devise: Profite sind privat, Verluste werden sozialisiert oder auf die sogenannten kleinen Leute abgewälzt (Massenpleite zerstört Euro).
Im „Rostgürtel“ des amerikanischen Mittleren Westens, dessen Bevölkerung ohnehin von den Konsequenzen der Politik der Globalisierung geschlagen ist, wird Millionen Rentnern soeben die Rente halbiert. Stahlarbeiter, Lastwagenfahrer, Büro- und Fabrikangestellte, Maurer und Bauarbeiter sind von Kürzungen bedroht, die ihre Altersversorgung für den Rest ihres Lebens zu halbieren drohen.
Schuld daran ist ein Gesetz, der „Multiemployer Pension Fund Reform Act“, das von Präsident Obama 2014 unterzeichnet wurde. Die Rentenkassen haben sich geleert; dafür ist laut Joellen Leavelle, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit des Pensions Rights Center, u.a. der Crash von 2008 verantwortlich, bei dem viele Rentenkassen Verluste erlitten, von denen sie sich nie wieder erholten. Weniger nachrückende jüngere Arbeitskräfte, Niedrigzinsen und die Folgen der Produktionsverlagerung in Billiglohnländer sind weitere Faktoren.
Ein anderes Beispiel liefert die Art und Weise, wie die EU und die italienischen Banken die kleinen Sparer schröpfen. Es wurde bekanntgegeben, dass 16 von 19 überprüften Banken in Italien bezüglich ihrer notleidenden Kredite (nonperforming loans, NPLs) nicht den europäischen Regeln entsprechen.
Laut EU-Regeln sollen diese Banken sich deshalb mit 32 Milliarden Euro rekapitalisieren – entweder durch Verkauf der faulen Kredite und/oder durch staatliche Hilfe. Letzteres aber geht nur auf Kosten des Steuerzahler und nicht ohne „burden sharing“, eine Art Bail-in „light“, in dem Aktionäre und Halter nachrangiger Anleihen (sog. contingent convertibles, CoCo) enteignet werden. Diese Prozedur wurde bereits in der Rettungsaktion für Monte dei Paschi di Siena (MPS) unter der Bezeichnung „Präventive Rekapitalisierung“ angewendet.
Die faulen Kredite auf dem offenen Markt zu verkaufen, wird schwierig sein: Da diese Forderungen mit einem Fristablauftermin versehen sind und die Marktbedingungen extrem schlecht sind, droht dies den Verkaufswert der NPLs bis auf 11–13% des Nominalwerts herunterzudrücken.
Viele der Kredite sind mit Hypotheken auf Häuser oder Wohnungen besichert, und die Haus- und Wohnungspreise sind in Italien als Folge der Maßnahmen der Monti-Regierung seit 2011 ohnehin schon um 50% eingebrochen, weswegen das Marktumfeld für die zu verkaufenden NPLs extrem schlecht ist. Darüber hinaus wird der Verkauf eines großen Volumens von Immobilien (man schätzt, dass Immobilien im Wert von 88 Mrd. Euro auf dem Markt geworfen werden) die Immobilienpreise weiter nach unten drücken.
Da die Menschen in Italien normalerweise den größten Teil ihrer Ersparnisse in das Eigenheim stecken – viel mehr, als dies z.B. in Deutschland der Fall ist –, ist der Wertverlust für sie gravierend. Der Vorstandsvorsitzende von Unicredit, Jean-Pierre Mustier, gab bekannt, dass seine Bank den ersten Teil ihrer NPLs in einem Gesamtvolumen von 17 Mrd. Euro zu einem Preis von 13% des Nennwerts an internationale Fonds verkauft hat, die wegen ihrer Geschäftspraktiken auch Geierfonds genannt werden. Die Sparer verlieren nicht nur ihre Einlagen, sondern auch Häuser oder Wohnungen – die Geierfonds heimsen den Profit ein.
Bei den jüngsten Bankenabwicklungen in Italien erlaubte die EU-Kommission im Falle der Monte dei Paschi di Siena eine staatliche Beihilfe – sprich Steuergelder – von 5,4 Mrd. Euro. Auch bei zwei kleineren Banken, der Veneto Banca und der Banca Popolare di Vicenza, erlaubte die EU-Kommission, diese Banken nach italienischen Regeln zu retten.
Der österreichische Finanzminister Hans Jörg Schelling kritisierte diese italienische Sonderbehandlung jedoch scharf und betonte, die österreichische Hypo Alpe Adria sei die einzige Bank, die bisher nach europäischen Regeln abgewickelt wurde.
Betrachtet man die lange Liste der Regelverletzungen der EU, wird deutlich, wie vorgeschoben das Insistieren der EU ist, dass sie diejenige ist, die die Regeln setzt. In Wirklichkeit wird dieses Argument nur vorgebracht, um Chinas Einfluss einzudämmen. Interessanterweise hat Finanzminister Schäuble kein Problem damit, dass die EU-Regeln im Falle Italiens ignoriert werden.
Die italienische Bankenkrise ist nur eine der verschieden Minen, die eine Explosion des gesamten Feldes auslösen können, denn die gesamten faulen Kredite in europäischen Banken werden auf 1 Billion Euro geschätzt. Das viel größere Problem sind die ausstehenden Derivatkontrakte, bei denen die EU wundersamerweise nicht auf eigenen Regeln besteht, sondern es den Banken mit eigenen Modellen und ihren hausgemachten Algorithmen überlässt, wie sie operieren und bilanzieren.
Das Gesamtvolumen dieser Derivate beträgt offiziell rund 700 Bio. Dollar, ist in Wirklichkeit aber eher doppelt so hoch. Wenn es in einem Marktsegment zu einem Einbruch kommt, droht eine internationale Kettenreaktion. Das Office of Financial Research (ORF), eine Abteilung des US-Finanzministeriums, veröffentlichte schon Ende 2016, dass die sog. G‑SIBs („U.S. global systemically important banks“ – die US-Banken von globaler systemischer Bedeutung -) mehr als 2 Billionen an offenen Positionen in Europa haben.
Ungefähr die Hälfte davon sind außerbilanzliche Verbindlichkeiten. Das ORF betonte weiter, dass neun Großbanken in den USA und in Europa wiederum die Gegenparteien für rund 60% der 2 Bio. Dollar an Derivaten sind, die die amerikanischen Lebensversicherungsgesellschaften halten.
Zusammen mit der seit 2008 um rund 40% angewachsenen Verschuldung der Unternehmen außerhalb der Finanzbranche, die die Liquidität zum Nulltarif reichlich genutzt haben, um ihre eigenen Aktien aufzukaufen und so deren nominellen Wert in die Höhe zu treiben, ist die Derivatblase die wirkliche Achillesferse des transatlantischen Finanzsystems.
Selbst der IWF warnte in seinem jüngsten Halbjahresbericht, dass auch nur eine geringere weitere Anhebung der Zinsraten eine Insolvenzrate von über 20% der Unternehmen in den USA zur Folge hätte. Hier liegt der tiefere Grund, warum EZB-Chef Marion Draghi die Zinsrate der EZB erneut bei Null Prozent festgeschrieben hat.
Die Wähler tun gut daran, sich die Brutalität zu vergegenwärtigen, mit denen die Renten im amerikanischen Mittleren Westen halbiert und die italienischen Sparer enteignet werden. Falls es zum großen Krach kommt, dessen Anzeichen sich bedrohlich mehren, werden die Lebensersparnisse sowie der Lebensunterhalt der Bevölkerung skrupellos geopfert.
Dagegen gibt es nur ein Mittel: Das transatlantische Finanzsystem muss mit einem Glass-Steagall-Trennbankengesetz in jedem Land vollkommen reorganisiert werden, bevor es zum Kollaps kommt. Die Wähler, die sich am 24. September entscheiden müssen, sollen gründlich bedenken, dass die BüSo die einzige Partei ist, die überhaupt vor dieser Krise warnt und eine Lösung dafür parat hat (Heimliche Enteignung: Merkel-Regierung senkt Obergrenzen für Bargeld und Goldkäufe weiter nach unten).
Die Austeritätspolitik der EU hat die Wirtschaft und den Lebensstandard Griechenlands um ein Drittel dezimiert und die Armutsrate dramatisch gesteigert, und sie ist maßgeblich für eine ähnliche Entwicklung in Italien verantwortlich. Nach Angaben des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft ist die Armut in Griechenland von 2008 bis 2015 um 40% gestiegen, und damit ist nicht nur das Einkommen gemeint, sondern auch materielle Entbehrungen, Unterbeschäftigung, gesundheitliche Einschränkungen etc.
In Italien hat sich die Armut innerhalb der gleichen zehn Jahre verdreifacht. Laut dem italienischen Nationalen Institut für Statistik (ISTAT) stieg die Zahl der in absoluter Armut lebenden Italiener von knapp 1,7 Millionen 2006 auf 4,7 Millionen 2016. Das entspricht 7,9% der Bevölkerung.
Für Deutschland berichtet der Paritätische Wohlfahrtsverband, dass sich die Armut auf einem historischen Höchststand befindet, nämlich bei 15,7%, d.h., dass 12,9 Millionen Menschen in diesem Land arm sind. Von der durchsichtigen Debatte, wie der Armutsbegriff zu definieren sei, einmal abgesehen, ist offensichtlich, daß das sogenannte Gewinnerland der Globalisierung und des Euro im Prinzip dem gleichen Trend folgt wie Südeuropa – zumindest, was den benachteiligten Teil der Bevölkerung angeht.
Quellen: PublicDomain/solidaritaet.com am 23.07.2017
Dieser Artikel erschien zuerst hier: