Vera Lengsfeld: Die Rückkehr der Hexenverfolgung

Während meiner kurzen Zeit als Lek­torin beim Jugend­buch­verlag „Neues Leben“ hatte ich eine Bio­grafie über Friedrich Spee zu bear­beiten, der als Jesuit ein Buch gegen die Hexen­ver­fol­gungen schrieb, die ganz Deutschland ver­heerten. Damals genügte eine Denun­ziation, um als Hexe inhaf­tiert und ange­klagt zu werden. Eine Unschulds­ver­mutung galt nicht. Die Frau hatte ihre Unschuld zu beweisen. Das war so gut wie unmöglich, denn das erwünschte Geständnis wurde unter Folter erpresst. Hielt eine Ange­klagte wider Erwarten den Tor­touren stand, wurde sie in den sel­tensten Fällen ent­lassen, sondern einer „Hexen­probe“ unter­worfen. Man setzte sie in einen Korb, band sie fest und warf sie ins Wasser. Kam sie frei und schwamm, war sie eine Hexe, wurde ein­ge­fangen und ver­brannt. Ertrank sie, war ihre Unschuld erwiesen und sie kam zur Belohnung in den Himmel.

Auf dem Höhe­punkt des Hexen­wahns leerten sich ganze Dörfer.

Grundlage für die Ver­folgung war der „Hexen­hammer“, das Machwerk zweier Mönche, die detail­lierte Anwei­sungen schieben, wie mit Hexen zu ver­fahren sei.

Friedrich Spee war der Erste, der die Pro­zesse in Frage stellte. Er ver­ur­teilte vor allem, dass eine Denun­ziation aus­reichte, das Ver­fahren in Gang zu setzen. Am Ende siegte Friedrich Spee, indem es ihm gelang, das Prinzip der Unschulds­ver­mutung durchzusetzen.

Die Unschulds­ver­mutung geht auf den fran­zö­si­schen Kar­dinal Jean Lemoine (1250–1313) zurück. Im Jahr 1631 wurde sie im deutsch­spra­chigen Raum mit der For­mu­lierung in dubio pro reo („im Zweifel für den Ange­klagten“) von Friedrich Spee in seiner umfang­reichen Schrift  Cautio Cri­mi­nalis, auf­ge­griffen und vertieft.

Eines unserer wich­tigsten und grund­le­gendsten Rechts­güter war also die kon­se­quente Antwort auf ein töd­liches Unrecht, begangen an hun­dert­tau­senden Frauen.

Nun legt eine Frau, Innen­mi­nis­terin Faeser, die Axt an dieses Rechtsgut. Sie will im Beam­ten­recht die Beweis­last­umkehr ein­führen. Künftig soll der Hinweis genügen, um einen miss­lie­bigen Beamten feuern zu lassen, wenn es ihm nicht gelingt, seine Unschuld zu beweisen.

Damit ist der Denun­ziation, die sowieso in unserer Gesell­schaft schon gras­siert, Tür und Tor geöffnet.

Die FDP als Mit­glied der Ampel­re­gierung schweigt nicht nur zu diesem Gene­ral­an­griff auf die Mei­nungs­freiheit, sondern Jus­tiz­mi­nister Buschmann soll an einem Hin­weis­ge­ber­schutz­gesetz arbeiten, das den gesell­schaftlich wert­vollen Hin­weis­gebern Schutz gewährt. Sollte das so kommen, werden Denun­zia­tionen voll­kommen gefahrlos sein. Der Denun­ziant muss nichts beweisen und ist vor Klagen geschützt.

Dass es jetzt schon gefährlich ist, denun­ziert zu werden, davon können viele Nicht-Regie­rungs­kon­forme ein Liedchen singen. Es genügt die bloße Behauptung, um die Staats­an­walt­schaft aktiv werden zu lassen. Zwar müssen Straf­täter frei­ge­lassen werden, weil es keine Kapa­zi­täten gibt, ihre Ver­brechen zu bear­beiten, aber aus Erfahrung weiß ich, dass gegen Anders­den­kende die Staats­an­walt­schaft sogar Wiki­pedia nach „Beweisen“ für die Gesinnung durch­forstet, unge­achtet der Tat­sache, dass sich das ehe­malige Lexikon immer mehr zur Denun­zia­ti­ons­plattform entwickelt.

Mein Haupt­de­nun­ziant bei Wiki nennt sich Joss Fritz, nach dem süd­deut­schen Bau­ern­führer, weil „Gesicht zeigen“ bei den Anonymen „Hin­weis­gebern“ schon jetzt nicht „in“ ist. Wider­spruch und Kor­rek­tur­ver­suche zwecklos, weil die Joss Fritzens anscheinend nichts Anderes zu tun haben, als sich tagein- tagaus auf Wiki­pedia rum­zu­treiben und die Ein­träge nach ihrem Gusto zu verfälschen.

Wenn jetzt auch noch die gesetz­liche Beweis­last­umkehr kommt, sind die Beschul­digten in einer Situation, wo sie auf­ge­fordert werden, ihre Unschuld zu beweisen, aber dazu nicht in der Lage sein werden, weil jede Äußerung von ihnen sofort gelöscht wird.

Dass Nancy Faeser so agiert, kann bei ihrer Affi­nität zum Links­ra­di­ka­lismus nicht verwundern.

Sie hat sich und Deutschland nicht nur mit ihrer kin­di­schen Arm­binde in Qatar bla­miert, sondern mit dem Groß­einsatz gegen einen angeb­lichen Putsch­versuch von 22 Rentnern, die sich augen­scheinlich in einer Chat­gruppe über Fehler und Ver­sagen der Ampel­re­gierung lustig gemacht und ihre Ablösung gefordert haben.

Im Ausland ist zunächst der Ein­druck ent­standen, dass Deutschland kurz vor der Wie­der­holung des Mar­sches auf die Feld­her­ren­halle gestanden habe. Aber die Tat­sache wird sich auf Dauer nicht unter­drücken lassen, dass sich bei den umfang­reichen Haus­su­chungen in etwa 150 Objekten keine Waf­fen­lager fanden.

Mit Arm­brüsten, Stein­schleudern und Bau­ern­kriegs­spießen der 25 gegen Bun­deswehr und Polizei? Der „mili­tä­rische Arm“ der Rol­lator-Revo­lu­tionäre scheint genau das zu sein: Ein Arm, sonst nichts.

Das Ganze über­trifft das „Sieben auf einen Streich“-Märchen der Gebrüder Grimm – das wird sich eher früher als später trotz mas­siver Gegen­pro­pa­ganda rum­sprechen und dann ist Deutschlang wieder einmal bis auf die Knochen blamiert.

Dafür ist Faeser ver­ant­wortlich, aber natürlich auch ihre wil­ligen Helfer, die mit­ge­macht haben.

Last not least: Faeser ist die Frau, die geäußert hat:

„Wir können nicht hin­nehmen, dass Frauen sich nachts nicht frei bewegen können, weil sie Angst haben“, die es aber geleich­zeitig ablehnt, den Ver­ge­wal­tiger einer 14-jäh­rigen nach Ver­büßung seiner lächerlich kurzen Frei­heits­strafe, nach Afgha­nistan abzu­schieben. Das wäre dem Mann nicht zumutbar. Aber es ist den Mädchen in Baden-Würt­temberg zumutbar am hell­lichten Tag mit wirk­lichen Gefährdern leben zu müssen?

Ich bin im pas­senden Rol­lator-Revo­lu­ti­ons­alter und deshalb schreibe ich lieber nicht, wer die eigent­liche Gefährdung für die Demo­kratie unseres Landes ist.

Das muss jeder selbst rausfinden.


Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de