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Der SWR erklärt, warum sein Angebot nicht neutral sein muss und par­teiisch sein darf

Neu­trale Berichterstattung.

Ein Leser hat uns auf einen Beitrag von Gábor Paál im SWR hin­ge­wiesen. “Müssen ARD und ZDF neutral sein?“, so ist der Beitrag über­schrieben, ein Beitrag, in dessen erster Hälfte sich Paál am Begriff “Neu­tra­lität”, also dem zen­tralen Begriff seiner Fra­ge­stellung abar­beitet, ohne Neu­tra­lität über­haupt zu defi­nieren. Eine Aufgabe, die ihn offen­kundig überfordert.

Aber wir alle wissen natürlich, was Neu­tra­lität ist, oder?

Ein Schieds­richter im Fussball ist neutral, also unpar­teiisch, unab­hängig, wird von keiner Mann­schaft bezahlt. Was nun, neutral, unpar­teisch oder unabhängig?
Okay.
Nehmen wir den neu­tralen Beob­achter zum Aus­gangs­punkt. Sie wissen schon, den Anhänger des FCK, der das Spiel der Bayern gegen Dortmund ver­folgt, als neu­traler Fan, denn er ist weder Fan von Dortmund noch von Bayern. Indes, als FCK-Fan mag er Bayern München noch weniger als Borussia Dortmund. Ist wohl doch nicht neutral, unser Fan.

Aber wir wissen natürlich alle, was mit Neu­tra­lität gemeint ist, eine aus­ge­wogene Dar­stellung eines Sach­ver­halts, nein, eine Dar­stellung des Sach­ver­halts ohne Bewertung bestimmter Posi­tionen, viel­leicht so: Neu­tra­lität liegt vor, wenn kei­nerlei Inter­essen mit den eigenen Hand­lungen ver­bunden sind. Klas­si­scher Unfug. Mit jeder Handlung sind Inter­essen ver­bunden, inter­es­selose Hand­lungen kann man nur von Irren erwarten, und viel­leicht nicht einmal von denen.

Was ist nun Neutralität?
Viel­leicht besteht Neu­tra­lität schlicht darin, KEINE BEWER­TUNGEN vor­zu­geben, zumal es eine “neu­trale Auswahl” oder eine “neu­trale Dar­stellung” von Sach­ver­halten nicht geben kann, denn jede Dar­stellung basiert auf einer Auswahl des Dar­zu­stel­lenden und jede Auswahl auf einem Interesse, das die Auswahl anleitet.

Insofern wäre eine neu­trale Bericht­erstattung aus unserer Sicht eine, bei der der Bericht­erstatter seinem Publikum die eigene Meinung nicht wie Sau­erbier anpreist, in der der Bericht­erstatter dem Hang, sein Publikum in eine Richtung zu lenken, zu mani­pu­lieren, etwa über so gerne und häufig ver­wen­deten Haupt­worte wie “Coro­na­leugner” oder “Rechts­po­pulist” oder bewer­tende Adjektive wie “umstritten” oder “rechts­extrem”, nicht nachgibt. Kurz: wir sind ange­kommen, wo wir los­ge­laufen sind: eine neu­trale Bericht­erstattung ist eine, die keine offen­sicht­liche Prä­ferenz für eine Seite des Berich­teten erkennen lässt.

Es ist vor diesem Hin­ter­grund kein Wunder, dass sich Paál in seinem öffentlich-recht­lichen Oeuvre, um die Bestimmung des Begriffs “neu­trale Bericht­erstattung” her­um­drückt, statt dessen ver­kündet, man benötige den Begriff nicht, weil er im Staats­vertrag des SWR nicht vor­komme. Dort stünden Anfor­de­rungen wie die, “gewis­senhaft zu recher­chieren” und “wahr­heits­getreu und sachlich” zu berichten.”  und darin stehe weiter, dass “Redak­teure … bei der Auswahl und Sendung der Nach­richten zur Objek­ti­vität und Über­par­tei­lichkeit ver­pflichtet” seien.

Objek­ti­vität und Über­par­tei­lichkeit haben also für Paál nichts mit Neu­tra­lität zu tun.

Indes leben Objek­ti­vität und Über­par­tei­lichkeit gerade von dem, was wir als Kern der Neu­tra­lität, dem Ver­zicht auf BEWERTUNG bezeichnet haben. Der Begriff “Kli­ma­leugner” etwa, stellt eine Denun­ziation einer Person mit einer bestimmten Ein­stellung dar. Er ist weder neutral noch objektiv und in keiner Weise über­par­teilich, da bestimmte Par­teien ein Interesse daran haben, die Erzählung vom men­schen­ge­machten Kli­ma­wandel als “akzep­tierte Wahrheit” durchzusetzen.

Eine objektive und über­par­tei­liche Bericht­erstattung ist also eine, die auf Wer­tungen, Bewer­tungen weit­gehend ver­zichtet, genau das, was wir als neutral defi­niert haben und ver­mutlich wird jeder, der mit gesundem Men­schen­ver­stand aus­ge­stattet ist, es genauso sehen, Gabor Paál natürlich nicht. Er kann das nicht, weil er die Praxis der wer­tenden, bewer­tenden, damit nicht neu­tralen und par­tei­ischen Bericht­erstattung in den öffentlich-recht­lichen Anstalten ver­tei­digen will, und zwar so:

“In allen Ange­le­gen­heiten von öffent­lichem Interesse sind die ver­schie­denen Auf­fas­sungen im Gesamt­an­gebot aus­ge­wogen und ange­messen zu berück­sich­tigen.” Wichtig ist dabei das Wort Gesamt­an­gebot: Das heißt, nicht jeder ein­zelne Beitrag muss alle Auf­fas­sungen zu Wort kommen lassen, sondern die For­derung richtet sich an die Summe der Bei­träge. Deshalb darf der öffentlich-recht­liche Rundfunk auch sehr poin­tierte Kom­mentare senden, also aus­ge­wiesene Mei­nungs­bei­träge, die für sich genommen viel­leicht als ein­seitig erscheinen können – ent­scheidend ist aber eben das Gesamtangebot.”

Das ist schon einen gestei­gerte Form der Selbst­sug­gestion in den Wahnsinn, die Paál hier an den Tag legt. Wie viele ein­seitig-wer­tende Bei­träge zu einem Thema, sagen wir Kli­ma­wandel, sind möglich, um dennoch “Aus­ge­wo­genheit im Gesamt­an­gebot” her­zu­stellen. Wann immer absurde Begriffs­monster wie “Aus­ge­wo­genheit im Gesamt­an­gebot” auf­tauchen, ist klar, dass es um Täu­schung, viel­leicht um Selbst­täu­schung, je nach Ausmaß per­sön­licher Dummheit geht. Wenn in einem Kom­mentar die AfD beschimpft wird, sorgt dann ein Kom­mentar, in dem die Grünen beschimpft werden, für ein aus­ge­wo­genes Gesamt­an­gebot? Wenn in Sen­dungen links­iden­ti­tärer Krempel ver­breitet wird, ist dann ein sech­stün­diges Interview mit Geert Wilders not­wendig, um ein aus­ge­wo­genes Gesamt­an­gebot herzustellen?

Wenn man hin­sieht, wie Paál dieses “Problem” löst, dann kann man sich ein Lachen nicht verkneifen:

“Wenn Poli­ti­kerin X behauptet, es gibt keinen men­schen­ge­machten Kli­ma­wandel und Poli­tiker Y behauptet das Gegenteil, wenn sich die über­wäl­ti­gende Mehrheit in der Wis­sen­schaft einig ist, dann ist der Auftrag, dass wir uns an der Wis­sen­schaft ori­en­tieren und nicht aus falsch ver­stan­dener “Neu­tra­lität” beide Posi­tionen als gleich­be­rechtigt dar­stellen. Denn das wäre false balance – eben: falsche Ausgewogenheit.”

Kann man so dumm sein und sich vor­gaukeln, man wisse, dass sich die “über­wäl­ti­gende Mehrheit in der Wis­sen­schaft” zu Kli­ma­wandel einig sei? Offen­kundig ist für Paál ein “aus­ge­wo­genes Pro­gramm” eines, in dem alle logi­schen Fehler, die derzeit so pro­minent und stetig gemacht werden, ein­ge­woben sind, und zwar auf Basis von absurden Bewer­tungen wie “über­wäl­ti­gende Mehrheit in der Wis­sen­schaft”. Für diesen Men­schen vom SWR ist “aus­ge­wogen” also eine Variante von Reprä­sen­ta­ti­vität. Es ist keine Funktion von Inhalten, der Dar­stellung von Argu­menten und Gegenargumenten.

Das erklärt einiges.

Aus­ge­wogen ist ein Pro­gramm im öffentlich-recht­lichen Rundfunk dann, wenn der Redakteur, der es zu ver­ant­worten hat, dem Zeit­geist in den Aller­wer­testen gekrochen ist und sich vor­macht, weil er auf der Seite derer ist, die er für die “über­wäl­ti­gende Mehrheit” hält, deshalb sei sein Pro­gramm aus­ge­wogen. Die “über­wäl­ti­gende Mehrheit” der psy­chisch Kranken, das sind sicher mehr als die “über­wäl­ti­gende Mehrheit der Wis­sen­schaft”, sucht Hilfe bei einem Psych­iater, müsste nicht Paál, im Dienste seiner Defi­nition eines aus­ge­wo­genen Pro­gramms, auch psych­ia­trische Hilfe bei dessen Erstellung nach­fragen? Aber halt, er ist bereits in einer Anstalt angestellt.

Aus­ge­wo­genheit ist also Reprä­sen­ta­ti­vität und somit ein quan­ti­ta­tives, kein qua­li­ta­tives Argument. Und Poli­tiker X ist, egal was er sagt, weniger (wert) als die ein­ge­bildete “über­wäl­ti­gende Mehrheit” der Wissenschaft.

Neben nur aus­ge­wogen, muss das Pro­gramm sein, so erklärt uns Paál, nein es muss auch ange­messen sein:

“Mit anderen Worten: Nicht jede Auf­fassung muss im gleichen Maße abge­bildet werden. Die Ein­zel­meinung eines poli­ti­schen Hin­ter­bänklers ver­dient deshalb nicht die gleiche Auf­merk­samkeit wie die einer Minis­terin oder eines Frak­ti­ons­chefs der Oppo­sition, die ja als Teil einer Regierung sprechen oder eben die Haltung ihrer Partei wie­der­geben. Und genauso ist es “ange­messen”, dass Posi­tionen, die sich auf Fakten und auf Wis­sen­schaft stützen, im Pro­gramm berück­sichtigt werden und eine unbe­legte Ver­schwö­rungs­er­zählung gar nicht. Das mag nicht neutral sein, aber es ist wahr­heits­getreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem aus­ge­wogen und angemessen.”

Abermals ein irres quan­ti­ta­tives und zudem dieses Mal hier­ar­chi­sches, um nicht zu sagen auto­ri­täres Argument: Wenn eine Horde von Mördern einen Genozid aus­führt, dann erfordert es die ange­messene Bericht­erstattung, die Paál hier bewirbt, diese Mörder, nicht aber das Häuflein Pazi­fisten, das den Wert mensch­lichen Lebens beschwört, zu Wort kommen zu lassen, denn die Mörder sind mehr, sie sind Teil einer geno­zi­dalen Mehrheits-Bewegung.

Die Welt der ange­mes­senen Bericht­erstattung ist zudem die eines Untertans in einer hier­ar­chi­schen Posi­ti­ons­ge­sell­schaft, in der das inhalt­liche Argument, die gute Begründung, die klare Argu­men­tation nichts zählt. Erst wenn ein Hans Wurst, den der Zufall in die Position eines Frak­ti­ons­chefs der Oppo­sition gespült hat, aus der er nun behaupten kann, der Unsinn, den er ver­breitet, sei die Meinung der Fraktion, so als hätten Frak­tionen eine Meinung, etwas von sich gibt, sind wir auf dem steilen Anstieg zur ange­mes­senen Bericht­erstattung, in der zwei FBI-Lügner einen Julian Assange auf­wiegen, ein Sprecher des Kanz­leramts, drei Oppo­si­ti­ons­po­li­tiker, ein ein­ge­bil­deter Konsens der Wis­sen­schaft jedes noch so fun­dierte Argument eines realen Wis­sen­schaftlers, der sich mit der Materie beschäftigt und ein Bun­des­prä­sident zwei Minister kraft Hier­archie überbietet.

Faschismus funk­tio­niert so, quan­ti­tativ positional.

Das erklärt alles.
Indes, der Höhe­punkt des Unfugs, den Paál schreibt, ist mit der fol­genden Passage erreicht:

“Und genauso ist es “ange­messen”, dass Posi­tionen, die sich auf Fakten und auf Wis­sen­schaft stützen, im Pro­gramm berück­sichtigt werden und eine unbe­legte Ver­schwö­rungs­er­zählung gar nicht. Das mag nicht neutral sein, aber es ist wahr­heits­getreu, sachlich, objektiv, und es ist trotzdem aus­ge­wogen und angemessen.”

Wenn sich ein Schrei­berling in einer öffentlich-recht­lichen Anstalt ein­bildet, er könne beur­teilen, welche Posi­tionen sich auf Fakten und auf Wis­sen­schaft [die offen­kundig in der Welt von Paál nichts mit Fakten zu tun hat, sondern mit ver­mu­teten Mehr­heits­mei­nungen] beziehen und welche “Ver­schwö­rungs­er­zählung” seien, dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Ist der Mann so blöd, dass er sich ein­bildet, seine Bewertung sei in irgend einer Weise, die kei­nerlei Beziehung zum Inhalt, um den es geht und zur Argu­men­tation, mit der er gestützt wird, hat, “ange­messen”? Das kann sich nur vormachen, wer wirklich kei­nerlei Ahnung hat und denkt, eine ange­messene und aus­ge­wogene Bericht­erstattung bestehe darin, das zu berichten, was von bestimmter Seite vor­ge­geben wird oder für richtig gehalten wird.

Alle Begriffe, die Paál benutzt, aus­ge­wogen, ange­messen, objektiv, sind Begriffe, die er quan­ti­tativ füllt. Aus­ge­wogen, ange­messen, objektiv ist eine Bericht­erstattung also dann, wenn Leute wie Paál der von ihm ver­mu­teten oder ihm genehmen Mehr­heits­meinung hin­ter­her­laufen. Diese aus­schließlich quan­ti­tative Bestimmung ist der Kern der öffentlich-recht­lichen Malaise, die zumindest von sich weiß, dass sie keine neu­trale Bericht­erstattung betreibt.

Begriffe wie aus­ge­wogen, ange­messen, objektiv sind ihrer­seits wer­tende Begriffe, die nur inhaltlich einen Sinn machen. Ob ein The­menfeld ange­messen wie­der­ge­geben ist, ist keine Frage, die man dadurch beant­worten kann, dass man die Men­gen­ver­hält­nisse bestimmt, sondern dadurch, dass man die unter­schied­lichen Auf­fas­sungen ALLE zusam­men­stellt. Der Stand der Wis­sen­schaft ist nicht das, was nach Aus­zählung der Artikel an “Mehr­heits­meinung” gefunden wird, sondern das Gesamt der Bei­träge zu einem Thema und die Stärke der empi­ri­schen Belege für die jeweilige Argumentation.

Das wie­derum erlaubt es, die ideo­lo­gische Ver­dummung in öffentlich-recht­lichen Sendern auf einen ein­fachen Nenner zu bringen: Die Leute ver­suchen gar nicht, einem Thema gerecht zu werden. Sie inter­es­sieren sich nicht für die Argu­mente, die für oder wider ein Thema vor­ge­bracht werden. Sie inter­es­sieren sich für das, was sie als Mehr­heits­po­sition ansehen, um es wie­der­zu­kauen. Sie sind Unter­tanen, die dem Diktat ihrer ver­meint­lichen Mehrheit folgen, ohne auch nur ansatz­weise den Anspruch zu erheben, sich ein eigenes Urteil bilden zu wollen. So deutlich wie von Paál haben wir die öffentlich-recht­liche Selbst­be­schreibung als ideo­lo­gische Durch­lauf­er­hitzer noch nicht gelesen.

Immerhin ist damit Klarheit geschaffen.
Fragt sich nur, warum man eine Anstalt, deren Mit­glieder sich an bestimmte Posi­tionen, die sie zu Mehr­heits­po­si­tionen erklären, anbiedern, finan­zieren sollte, zumal es viele alter­native Angebote von alter­na­tiven Medien gibt, die kein Problem damit haben, ein eigen­stän­diges Urteil nicht nur zu fällen, sondern auch zu begründen.

Der Artikel erschien zuerst bei ScienceFiles.org