Von der Vernichtung der Schöpfergöttin…
„Die abgeschaffte Mutter“ – das ist der Titel eines Buches von Dr. Hilde Schmölzer, das 2005 in der Erstauflage erschien. Der Untertitel lautet: „Der männliche Gebärneid und seine Folgen“. Klar, dass Frieda auf dieses Buch hinweisen muss, wird uns Frauen doch seit Sigmund Freud der Penisneid unterstellt. Der dem Kokain zugetane Psychoanalytiker stützte seine Penisneid-These auf die Vermutung, der Neid auf das Genital des Mannes entstehe bei kleinen Mädchen im Laufe der Kindheitsentwicklung, wenn ihnen der anatomische Unterschied zwischen Frau und Mann bewusst werde. Nach Freuds Triebtheorie habe diese „Erkenntnis“ zur Folge, dass Mädchen in Ermangelung eines Penisses die unbewusste Fantasie entwickeln würden, sie seien kastriert worden, was mit Minderwertigkeitsgefühlen einhergehe. Eine der daraus resultierenden Folgen sei zudem, dass der Neid kleiner Mädchen sich darin äußern könne, den Vater inzestuös besitzen zu wollen. (…) Freuds gleichermaßen populäre wie auch kontrovers diskutierte These wirft leider noch lange Schatten – bis heute.
Die eklatante Zunahme an Kinderpornografie einerseits und die rasante Entwicklung in der Reproduktionstechnologie andererseits, sind nur zwei von vielen Gründen, um Freuds These erneut aus weiblicher Sicht zu beleuchten. Frieda befragte hierzu die Autorin des eingangs erwähnten Werkes. Dr. Hilde Schmölzer wurde 1937 in Linz, Österreich, geboren, erlernte zunächst den Beruf der Fotografin und promovierte später in Publizistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Als freiberufliche Fotografin und Journalistin arbeitete sie 25 Jahre für unterschiedlichste Medien. Seit 1990 ist sie ausschließlich als Autorin tätig mit den Schwerpunkten Frauengeschichte und Frauenbiografien. Ihre Bücher „Phänomen Hexe“ und „Die verlorene Geschichte der Frau“ waren Bestseller.
Muttermord und Patriarchat
Worum es in „Die abgeschaffte Mutter“ geht, bringt bereits der Deckeltext auf den Punkt: „Mit dem Muttermord begann das Patriarchat. Vom gewaltsamen Tod der großen alten Göttin kündet der Mythos. Dann begannen die männlichen Götter zu gebären: Athene, die Kopfgeburt, entspringt dem Haupt des Zeus. Und die Geschichte von der Rippengeburt macht im christlichen Schöpfungsmythos den Mann zur Mutter der Frau. Mit der Entstehung der Gen- und Reproduktionstechnologie wird beginnendes Leben zum wichtigen Forschungsgut erklärt; es wird zerteilt, zerstückelt, weggeworfen und manipuliert. Hilde Schmölzer zeigt auf ihrem Streifzug durch die Geschichte der männlichen Aneignung von Reproduktion, dass es in diesem Prozess um Macht und Kontrolle geht, um patriarchale Gewalt und schließlich um Ausbeutung und Vermarktung des weiblichen Körpers (…).
Weit entfernt von feministischer Betroffenheitsliteratur…
Wer nun meint, bei Dr. Schmölzer könne es sich um eine Kampfemanze handeln, die den Männern mit ihrem Buch die Kante geben wollte, ist völlig auf dem Holzweg. Bei dem Buch haben wir es nicht entfernt mit larmoyanter Betroffenheitsliteratur zu tun, sondern mit einem exzellent recherchierten Sachbuch, das Frauen- und Männeridentitäten nicht nur kulturhistorisch beleuchtet, sondern auch einen Bogen zum nach wie vor aktuellen Umgang des medizinischen Establishments mit der naturgemäß weiblichen Domäne des Gebärens spannt. Es geht, früher wie heute, um Macht und Kontrolle, um patriarchale Gewalt und nicht zuletzt um die Vermarktung und Ausbeutung des weiblichen Körpers.
Denken wir allein an die Reproduktionstechnologie, an die zunehmende Reglementierung des Berufsstandes der Hebammen, und auch an die Pathologisierung der schwangeren Frau und des ungeborenen Kindes, hat das Buch von Hilde Schmölzer an Aktualität nichts eingebüßt. Bereits 2005 schrieb sie, eine Umkehr sei dringend nötig. Sie müsse mit einer geänderten Bewusstseinslage beginnen. Deshalb gehe es in ihrem Buch auch um Alternativen, um eine andere, nicht von Männern dominierte Wissenschaft, in der lebendige Zusammenhänge, die im Grunde Liebe bedeuten, gewahrt blieben. Angesichts der schon heute gängigen Realität erscheint ihr Buch geradezu prophetisch und aktueller denn je, wenngleich anscheinend das Thema an sich im „kollektiven Unbewussten“ seit Jahrtausenden präsent ist, nur anders ausagiert wird.
Männlicher Gebärneid
All dem geht eine Entwicklung voraus, die nach Ansicht von Dr. Schmölzer von männlichem Gebärneid geprägt war und ist. Inzwischen sind wir aufgrund der technischen Möglichkeiten beängstigend nahe an dem Szenario, Leben in immer größerem Ausmaß künstlich zu erschaffen. In welche Richtung das gehen kann, wird insbesondere anhand des aktuell diskutierten Themas „Transhumanismus“ deutlich. Ray Kurzweil, google-Chef, gehört zu den Befürwortern dieser Bewegung, die die Verschmelzung des Menschen mit Computertechnologie als nächsten Evolutionsschritt begreift und das Universum mit „Cyborgs“ auf eine „neue Stufe“ heben will. Etliche Filme aus den letzten Jahren, allesamt US-Produktionen, transportieren diese perfide Idee bereits in Form von Bildbotschaften.
FRIEDA im Gespräch mit Dr. Hilde Schmölzer
Frieda: Frau Dr. Schmölzer, welche Alternativen könnten es sein, die die von Männern dominierte Wissenschaft reformieren könnten in die von Ihnen empfohlene Richtung des Gewahrseins lebendiger Zusammenhänge?
Dr. Hilde Schmölzer: Bereits in den 80’er Jahren hat die allgemeine Patriarchatskritik auch die Wissenschaften erfasst. Wissenschaftlerinnen sämtlicher Fachrichtungen nahmen sich dieses Themas an, um festzustellen, dass auch die Wissenschaften androzentrisch geprägt sind, und zwar sowohl in der praktischen Ausübung als auch in der Realitätsvermittlung. Weil die Wissenschaften seit ihren Anfängen eine fast ausschließliche Männerdomäne seien, können sie, so wurde argumentiert, keinen Anspruch auf Objektivität erheben. Evelyn Fox Keller etwa, eine der profiliertesten feministischen Wissenschaftlerinnen, setzte sich mit der Frage auseinander, in welchem Maße Wissenschaft mit der Vorstellung von Männlichkeit verknüpft ist, wobei sie Psychologie, Soziologie und Geschichtswissenschaften in ihre Überlegungen mit einbezieht. Denn der Ausschluss der Frau aus den Wissenschaften ist nicht nur in seiner historischen Entwicklung zu erklären, sondern ganz allgemein als ein „Symptom für eine breitere und tiefere Kluft zwischen weiblich und männlich, subjektiv und objektiv, ja sogar zwischen Liebe und Macht zu sehen; er ist eine Spaltung des menschlichen Gefüges, das uns alle betrifft…“.
Das Nicht-Vorkommen von Frauen in den Wissenschaften hat vor allem zwei Gründe: einerseits die Abwertung weiblicher Lebensäußerungen, weiblicher Arbeit und weiblicher Bedürfnisse und ihre Beschreibung als untergeordnet, andererseits die Vorstellung von der Allgemeingültigkeit männlichen Denkens, Fühlens und Handelns, das als „menschlich“ definiert wird und somit weibliches Denken, Fühlen und Handeln ausschließt.
Zwar dringen immer mehr Frauen in den wissenschaftlichen Bereich vor; trotzdem jedoch werden sie mit einer Situation konfrontiert, die sich in Jahrhunderten entwickelt hat und nicht so leicht zu durchbrechen ist. Wie die Philosophin Cornelia Klinger ausführlich darlegt, führt der Andronzentrismus in den Wissenschaften zu einem verzerrten Bild der Realität, die nicht umfassend, vollständig und daher auch nicht objektiv sind, sondern einen einseitigen, nämlich männlich orientierten, Standpunkt vermitteln. Neben den Forderungen nach einem höheren Frauenanteil im wissenschaftlichen Bereich wird also auch die Forderung nach einer „neuen Wissenschaft“ gestellt, die ein ganzheitliches Denken anstrebt und auch die vergessenen, emotionalen Dimensionen zurückholen möchte. Eine Forschung also, die andere Prioritäten setzt, den Dienst am Leben an vorderste Stelle rückt und damit jene zerstörerischen, Natur und menschenverachtenden Zielsetzungen ausklammert, wie sie vor allem die Naturwissenschaften auszeichnet. Sind Frauen doch nicht nur durch Mutterschaft, den Umgang mit Kindern, Alten und Kranken – ein Bereich, der nach wie vor meist ihnen überlassen wird – ebenso wie aufgrund einer jahrhunderte oder jahrtausende langen Sozialisation näher am Leben, seinen Notwendigkeiten und Bedürfnissen. Feministische Wissenschaftlerinnen fordern eine Aufhebung der Spaltungen, der „Zersplitterung der inneren Natur des Menschen“, der „Zersplitterung der menschlichen Naturerfassung“, und der „Zersplitterung des menschlichen Verhältnisses zur Natur,“ und wollen Naturbeherrschung durch Naturverständnis ersetzen.
Weil diese Spaltungen und Zersplitterungen nicht nur die Wissenschaften selbst – und dabei insbesondere die Naturwissenschaften -, sondern darüber hinaus den gesamten Wissenschaftsbetrieb kennzeichnen, treten Feministinnen auch hier für eine Aufhebung der Trennungen einzelner Disziplinen ein, wenn sie sich inhaltlich sowie gesellschaftlich aufeinander beziehen, so wie etwa in der Medizin, in der ein hochspezialisiertes, Zusammenhänge weitgehend ignorierendes Expertentum den Verlust ganzheitlicher Menschlichkeit zur Folge hat.
Dieses Zerteilen, Zerstückeln und Manipulieren kennzeichnet auch die Reproduktionstechnologie. Zusammenhänge, die im Grunde auch Zuwendung, Zuneigung und Liebe bedeuten, werden zerrissen. Die Frau wird ihrer Ganzheit beraubt, ihr wird als Person wenig Bedeutung eingeräumt, wichtig ist sie lediglich als Lieferantin von „Rohmaterial“, wichtig sind ihre Eier, wichtig ist ihr Embryo, und wichtig ist ihr Körper als Experimentierfeld.
In einer „anderen“ Wissenschaft müsste eine Ganzheit wiederhergestellt werden, die weitgehend verloren gegangen ist. Dazu sind allerdings nicht nur Frauen aufgerufen, sondern auch Männer in den Labors, und zwar nicht nur in den medizinischen Wissenschaften. Es bedarf eines anderen Umgangs mit der Natur, mit dem organischen Leben auf unserem Globus, das geschunden, ausgebeutet, gequält und ausgerottet wird. (Die oft brutale Massentierhaltung soll lediglich als ein Beispiel dienen).
Die Mechanisierung der Natur entspringt der Machtgier. Sie soll uns Reichtum und Wohlstand schaffen, aber sie bringt Zerstörung und den Verlust von Arbeitsplätzen. Sie begann bereits im 17. Jahrhundert bei René Descartes, der alle Tiere zu Automaten erklärte, setzte sich fort mit dem französischen Arzt Julien Offray de La Mettrie und seinem Buch „ L’homme machine“ (Der Mensch als Maschine“), erschienen im Jahr 1748 und findet einen Höhepunkt im heutigen sogenannten „Transhumanismus“, der diese Vorstellung verwirklichen will. Aber die Maschine bewirkt eine Entfremdung vom Leben, eine Reduzierung der menschlichen Ganzheit. Aus dem Zusammenspiel von Leib-Seele-Geist entsteht die Eindimensionalität von Hirn-Bewusstsein. Und die Vorstellung, dass z.B. in Zukunft alte Menschen dank eines Roboters einen perfekt durchorganisierten Alltag vorfinden, aber ohne jede menschliche Wärme, lässt einen erschauern.
Nötig wäre ein besseres Verständnis von Zusammenhängen. Die Liebe – ein fast altmodischer Begriff, wenn sie nichts mit Sex zu tun hat – müsste einen höheren Stellenwert erhalten. Vernetzung ist auch ein wichtiger Faktor. Es mag – punktuell – zaghafte Versuche in dieser Richtung geben, die allerdings nicht ausreichend sind und andernorts wieder zerstört werden. Utopisch? Vielleicht! Und trotzdem eine anzustrebende Entwicklung.
Frieda: Stichworte Ödipus und Narzissmus – warum „ticken“ Männer immer noch so, dass sie – ob bewusst oder unbewusst – Macht und Kontrolle ausüben wollen? Haben die alle ein Mutterintrojekt und sind als Racheengel unterwegs? Haben Männer Angst vor starken Frauen, weil sie sie eine Art „übermächtige Mutter“ auf sie projizieren und sie daher – unbewusst – zerstören wollen?
Dr. Hilde Schmölzer: Ich glaube, dass ein wesentlicher Faktor für das Streben nach Kontrolle die Angst des Mannes vor der starken Frau ist. Ich hatte vor kurzem ein Gespräch mit einem – mit dem Feminismus sympatisierenden, aufgeschlossenen – Mann, der sich Mediator nennt und für Konfliktlösungen zuständig ist. Er meinte, dass Frauen auf viele Männer bedrohlich wirken, weil sie alles haben: Sie gebären Kinder, sie sind aber auch berufstätig, können ihre Kinder ernähren (wenn auch mit zum Teil großen Schwierigkeiten) und Karriere machen. Dem Mann bleibt wenig von seiner traditionellen Rolle des Familienerhalters, und er fühle sich auch ganz allgemein an den Rand gedrängt. Das schaffe Verunsicherung im männlichen Selbstverständnis, in einem durch die Jahrhunderte selbstverständlichen Männerbild. Nötig wäre hier, dass Männer den Zugang zu ihren eigenen, verschütteten Dimensionen finden, denn es wurde ja nicht nur die Frau ihrer Ganzheit beraubt, sondern auch der Mann. Ich glaube, Männern müsste deutlicher klar gemacht werden, dass dieser Prozess auch einen Gewinn für sie bedeutet, dass Leben für sie reichhaltiger, erfüllter wird, wenn sie z.B. einen intensiveren Umgang mit Kindern pflegen. Ansätze dazu gibt es ja bereits.
Frieda: Was können Mütter und Väter tun, damit aus den Söhnen keine Narzissten werden, also selbstverliebte, eitle, mehr oder weniger bindungsunfähige ewige Prinzen?
Dr. Hilde Schmölzer: Eine Antwort auf diese Frage schließt an die vorhergehende an: Ich glaube, dass hier dem Vater eine sehr entscheidende Rolle zukommt. Er sollte ein positives Beispiel für seine Söhne sein, nicht nur im Sinne von Erfolg im Beruf, von Effizienz und Durchsetzungskraft, sondern auch, indem er sich mit der Mutter den Haushalt, die Kindererziehung teilt und damit wiederum ihr den Einstieg in die Gesellschaft ermöglicht. Das alles ist ja bekannt, wird auch versucht, halbherzig und zaghaft meist. (Wozu allerdings auch die Bereitschaft der Mutter gehört, die manchmal aufgrund ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung an ihrer Rolle als wichtigste Person für das Kind festhält und davon wenig abgeben will). Aber ich sehe ein Problem darin, wenn die Mutter – vor allem, wenn sie Alleinerzieherin ist – den Sohn, ohne väterliches Vorbild, zu einem Feministen erziehen will. Ich glaube, dass das Widerstand erzeugt; Söhne haben es dann schwer, ein männliches Selbstverständnis zu entwickeln. Ich spreche hier aus eigener Erfahrung, ich habe einen Sohn, war Alleinerzieherin und habe eine schwierige Beziehung zu ihm, obwohl ich ihn nie indoktriniert habe. Aber eine starke Mutter – ohne gleichzeitiges männliches Vorbild, an dem sich ein Sohn orientieren kann – macht genauso Angst wie eine starke Frau in einer Partnerschaft.
Frieda: In spirituellen Kreisen ist mittlerweile häufiger von „weiblicher und männlicher Urkraft“ die Rede. Können Sie erläutern, was es mit der Vernichtung der Schöpfergöttin aus mythologischer Sicht auf sich hat?
Dr. Hilde Schmölzer: Im Mythos der alten matrizentrischen Kulturen war die Große Schöpfergöttin nicht nur Fruchtbarkeitsgöttin, sondern das gesamte Sein, Anfang und Ende, Lebensgöttin und Todesgöttin zugleich. „Was da ist, was sein wird und was gewesen ist bin Ich“, sagt ein Tempelspruch von Sais über die ägyptische Nuth oder Neith, die nicht nur im Himmel wohnte, sondern die selbst der Himmel mit allen Gestirnen war. Die Göttin gebar nicht nur die Menschen, sondern auch Pflanzen und Tiere, ebenso die Gestirne und das ganze Universum. Sie war Inkarnation des Lebens, aber auch des Todes, und die Verstorbenen kehrten in ihren Leib zurück, um wiedergeboren zu werden. Die Vernichtung der alten Schöpfergöttin am Übergang zum Patriarchat etwa 3000 vor unserer Zeit markiert nicht nur den Beginn patriarchaler Religionen, sie hatte auch weitreichende Folgen für die Frau.
Vorerst wurde die eine und einzige Göttin aufgespalten in verschiedene Gottheiten, wie wir sie aus der Antike kennen. Dann wurden die Göttinnen von den inzwischen entstandenen männlichen Göttern (die es ursprünglich nicht gab…) geraubt, oder vergewaltigt (Göttervater Zeus ist ein eindrucksvolles Beispiel). Und schließlich wurde die Große Göttin gänzlich vernichtet, wie etwa in der bereits patriarchalen Theologie Babyloniens durch den Pfeil des Sonnengottes Marduk, der ihre Eingeweide zerfetzte, sich triumphierend auf ihren toten Leib setzte und in einem als heldenhaft gerühmten Akt ihren Leib in zwei Hälften spaltete, um daraus Himmel und Erde zu formen, worauf er zum obersten Sonnen-und Staatsgott emporstieg.
Hier wird deutlich, was die gesamte patriarchale Geistesgeschichte auszeichnet: Eine Spaltung des mütterlichen, ganzheitlichen Urprinzips in den männlichen Himmel ( = Geist) und die weibliche Erde ( = Natur). Wobei die große, Leben spendende Mutter zum toten „Material“ wird, zum Objekt, der männlichen Herrschaft unterworfen. Gebären wollten jetzt die Götter, Zeus etwa gebiert die Göttin Athene aus seinem Kopf, und der ägyptische Hauptgott Atum befriedigt sich mit der Hand, schluckt seinen Samen und gebiert aus seinem Mund die Götter Schuh und Tefnut. Auch in der alttestamentlichen Rippengeburt wird die Frau bekanntlich aus einem Mann geboren.
Frieda: Welche Rolle spielen die Religionen dabei, das Patriarchat über Generationen hinweg aufrechtzuerhalten und zu manifestieren?
Dr. Hilde Schmölzer: Die patriarchalen Weltreligionen kommen schließlich alle ohne eine Göttin aus; vielmehr beginnt jetzt der eine und einzige Gott die gesamte Schöpfungsmacht auf sich zu vereinen. Andere Götter oder Göttinnen werden ebenso wenig geduldet wie individuelle Glaubensauslegungen. Monotheistische Religionen sind immer Staatsreligionen, und in ihrem Namen werden in Zukunft Kriege gefochten, Großreiche gebildet und wird Herrschaft etabliert. Der jeweilige Gott ist meist auch ein Kriegsgott gewesen (eine Ausnahme bildet der Buddhismus), er hat die Waffen gesegnet und die Kriege geheiligt.
Mythos und Religion prägen natürlich auch die Realität. Das Fehlen einer weiblichen Gottheit hatte dramatische Auswirkungen auf das Selbstbewusstsein der Frau. „Gott ist der Spiegel des Menschen“ meint Feuerbach. Der Frau fehlt dieser Spiegel, um Frau zu werden. Frauen wurden in den folgenden Jahrhunderten abgewertet, auch und vor allem in ihrer generativen Rolle. Bei Aristoteles z.B. ist allein der männliche Same für die Schaffung der Seele zuständig, während die Frau mit dem Menstruationsblut den niedriger zu bewertenden Stoff liefert. Auch die großen Theologen der Hochscholastik predigen ihre untergeordnete Rolle beim Zeugungsakt und daraus folgend ihre gesamte Inferiorität. Ihr fruchtbarer Körper, in matrizentrischen Kulturen heilig und verehrt, wurde schmutzig und sündhaft und ihre Gebärkraft eine Strafe: „Mit Schmerzen sollst du Kinder gebären“ heißt es nun über die Jahrhunderte, und „In Schuld bin ich gezeugt worden und in Sünde hat mich meine Mutter empfangen“.
Diese Vorstellung vom gefährlichen, sündhaften Körper der Frau beeinflusste massiv das Alltagsleben der Frauen, und zwar nicht nur durch die Hexenverfolgungen. So etwa hatte sich die Ansicht vom Geburtsschmerz als Strafe für die weibliche Erbschuld tief in das Bewusstsein eingegraben. In den folgenden Jahrhunderten wurde die Frau zur gefährlichen Verführerin, deren Biologie (=Gebären) ihr als Fluch ausgelegt wurde. Nach der Geburt eines Kindes etwa musste sie wegen des vorangegangenen Geschlechtsverkehrs Buße tun, um sich mit der Kirche wieder „auszusöhnen“. Dazu war eine „Reinigungszeit“ von vierzig Tagen bei Knaben und achtzig bei – ganz offensichtlich mit größerer Erbschuld belegten – Mädchen notwendig. In der Praxis bedeutete das, dass sich die Frau durchschnittlich vier bis sechs Wochen nach der Geburt nicht aus ihrem Haus entfernen durfte. Ein Übertreten dieses Gebots zog nicht nur kirchliche Strafen, sondern auch weltliche Geldstrafen nach sich, und Wöchnerinnen, die ohne die notwendige „Aussegnung“ starben, wurde bis ins 16. Jahrhundert die Beerdigung am Friedhof verweigert. Die Gemeinschaft hatte sich auch ansonsten vor ihren unheilvollen Kräften zu schützen, ihre Berührungen verdarben Lebensmittel, Ernte und Vieh, die durften nicht am Brunnen Wasser schöpfen, denn das würde das Wasser verunreinigen und ein Gang über Felder hätte Unwetter zur Folge. Auch mussten sie spezielle Essensvorschriften einhalten und waren, ebenso wie während der Schwangerschaft, zur sexuellen Enthaltsamkeit verpflichtet. Hielt sie sich nicht an diese Regeln, konnte dies ein totes oder missgebildetes Kind zur Folge haben; die „Schuld“ der Frau stand also von vornherein fest. In ländlichen Gegenden wurden Frauen bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts „ausgesegnet“.
Der „sündige Körper“ der Frau und ihr „unreines Blut“ dienten auch als Rechtfertigung, um ihr das Priesteramt zu verweigern. Menstruierende durften lange Zeit nicht das Haus des einen und einzigen Gottes betreten, sie wurden vom Kirchgang und von der Kommunion ausgeschlossen. Die Menstruierende war ebenso wie die Wöchnerin zu meiden, konnte Pflanzen verdorren lassen, Krankheiten übertragen und den bösen Blick verursachen.
Diese Tabuisierung von Menstruation und Geburt ist bei allen patriarchalen Völkern zu finden, sie ist Ausdruck von Furcht vor dem Mysterium der Mutterschaft, aber auch von Neid auf die Gebärkraft der Frau. In Teilen Indiens beispielsweise gilt die Mutter während der Geburt und zehn Tage danach heute noch als „unberührbar“. Und rituelle Reinigungen der Frauen nach ihrer Geburt finden auch bei den Juden, den Arabern und im Kaukasus statt.
Frieda: Kinderpornografie hat stark zugenommen, wohl auch wegen der neuen Möglichkeiten durch das Internet. Nicht selten ist in diesem Zusammenhang zu lesen, dass Täter, besonders bei Missbrauchsfällen, den Opfern auch noch die Schuld geben, sich selbst aber keiner Schuld bewusst zu sein scheinen. Ist Freuds Mutmaßung, bereits kleine Mädchen hätten inszestuöse Fantasien ihren Vater betreffend, etwas, das viele Männer – unbewusst – als Rechtfertigung für ihr Verhalten in sich tragen?
Dr. Hilde Schmölzer: Das glaube ich eigentlich weniger. Ich meine auch, dass diese Details von Freuds Lehre zu wenig im allgemeinen Bewusstsein vorhanden sind. Ich glaube eher, dass Kinder – seien es nun Mädchen oder Jungen – für Männer, die Angst haben vor der starken Frau, Begehrlichkeiten auslösen können. Vor einem Kind muss ein sexuell frustrierter Mann keine Angst haben. Was allerdings Mädchen betrifft, so finden sich in der Literatur zahlreiche Beispiele, dass selbst Kinder als Verführerinnen wahrgenommen werden, also selbst kleinen Mädchen diese Rolle zugeschrieben wird, und sich damit der Täter entlastet fühlt. (So etwa macht der Psychiater Theodor Spoerri für eine pubertäre vermutete sexuelle Annäherung des Dichters Georg Trakl an seine vier Jahre jüngere Schwester Margarete ihre „versteckte Aufforderung“ verantwortlich).
Frieda: Was wünschen Sie uns allen für die Zukunft?
Dr. Hilde Schmölzer: Ich wünsche mir für die Zukunft, dass sich Frauen weniger an männliche Werte anpassen, sondern dass sie eher versuchen, jenen menschlichen Werten, deren Bewahrung ihnen zugewiesen wurde, Vorrang zu geben. Wir brauchen eine Gesellschaft, die nach menschlichen Prinzipien organisiert ist, in der die Grundbedürfnisse von Menschen Priorität genießen und in der auch Kindererziehung nicht abgeschoben wird als individuelles Problem einer Frau, sondern in der die Sorge für Kinder und ihr Wohlergehen eine allgemeine, öffentliche Angelegenheit ist.
Frieda: Liebe Frau Dr. Schmölzer, ich danke Ihnen von Herzen – und das sicher auch im Namen von vielen anderen – für Ihre Bereitschaft zu diesem Interview, zumal Sie inzwischen knapp 80 Jahre alt sind. Und ich danke Ihnen ganz persönlich für Ihr wertvolles Lebenswerk!
Quelle: Beate Wiemers, Journalistin und Betreiberin von https://frieda-online.de/
von Beate Wiemers, veröffentlicht am 21. November 2016