Erwerbs­armut – Arm trotz Arbeit, das bittere Los immer mehr Deutscher

“Den Men­schen in Deutschland ging es noch nie so gut wie im Augen­blick.”, das sagte Bun­des­kanz­lerin Angela Merkel Ende 2016 im Deut­schen Bun­destag und sie wird seitdem nicht müde, es immer und immer wieder zu wie­der­holen. Es ist eines dieser Merkel-Mantras, die sich wohl durch red­un­dantes Her­un­ter­beten irgendwann bewahr­heiten sollen. Doch die bittere Rea­lität in vielen deut­schen Haus­halten sieht ganz anders aus.

Wer Vollzeit arbeitet, der sollte eigentlich in der Lage sein, von seinem Lohn zu leben und sich und seine Familie aus­rei­chend ver­sorgen zu können. Zumindest sollte das so sein. Jedoch nimmt die Zahl derer, denen der Zahltag nicht mehr aus­reicht um schlichtweg über­leben zu können, stetig zu wie jetzt eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zeigt. Demnach liegt die Zahl der von Erwerbs­armut Betrof­fenen in Deutschland schon bei 9,6%! Defi­niert wird diese Quote so: Wir sprechen von Erwerbs­armut, wenn eine erwerbs­tätige Person in einem Haushalt mit einem ver­füg­baren Ein­kommen unterhalb der Armuts­grenze lebt (60 % des Medi­an­ein­kommens). (Berechnung siehe *)

Für Deutschland konkret bedeutet das weniger als 869 Euro pro Monat für Allein­ste­hende. Und weiter im Text heißt es:

(…) Im Durch­schnitt lag die Erwerbs­ar­mutsrate der EU 28 im Jahre 2014 bei 9,6 %. Rumänien weist den höchsten Anteil an Erwerbs­armut auf (18,6 %), gefolgt von Grie­chenland (13,4 %) und Spanien (13,2 %). Mit 4,5 % oder weniger haben Belgien, die Tsche­chische Republik und Finnland die geringsten Erwerbs­ar­muts­quoten. Deutschland liegt mit 9,6 % genau im Durch­schnitt der EU-Länder.

Auch wenn es sich bei der Hans-Böckler-Stiftung um eine Stiftung des Deut­schen Gewerk­schafts­bundes handelt, der ab und an zu leichten Über­trei­bungen ten­dieren kann, sind die Zahlen doch im rea­lis­ti­schen Bereich. Was einem aber wirklich zu Denken geben sollte, ist neben der enorm hohen Zahl der Betrof­fenen vor allem die Stei­gerung, die Deutschland in der Quote hin­gelegt hat. Im Zeitraum von 2004 bis 2014 ver­zeichnete diese nämlich eine Zunahme von 100% und hat sich somit innerhalb von 10 Jahren verdoppelt!

Dabei dürfte es solche Zahlen laut unserer Politik doch gar nicht geben? Schließlich steigt in den offi­zi­ellen Arbeits­markt-Sta­tis­tiken die Zahl der Beschäf­tigten ständig an und die Wirt­schaft erblüht nach Aus­sagen unserer Spit­zen­po­li­tiker wie zu Zeiten des Wirt­schafts­wunders. Wie kann es da sein, dass immer mehr Arbeit­nehmer Jobs annehmen müssen, bei denen der Ver­dienst geringer als die erwähnten 869 Euro pro Monat ausfällt?

Dass diese Studie in der poli­ti­schen Kaste nicht ange­kommen ist, zeigt wohl auch, warum sich ein CDU-Gene­ral­se­kretär Peter Tauber noch vor ein paar Tagen völlig im Recht sah, wenn er, ange­sprochen auf das Ziel „Voll­be­schäf­tigung“ aus dem neuen CDU-Wahl­pro­gramm, einem jungen Mann hohnvoll twit­terte: „Wenn Sie was Ordent­liches gelernt haben, dann brauchen Sie keine drei Minijobs.“

Die Rea­lität sieht leider anders aus…
* Dazu ergänzend die Defi­nition der Euro­päi­schen Union:
Eine Person gilt gemäß der Defi­nition der Euro­päi­schen Union als erwerbsarm, wenn sie im Jahr mehr als sechs Monate erwerbs­tätig ist und in einem Haushalt lebt, der mit weniger als 60% des Medians (mitt­leres Ein­kommen) des Net­to­äqui­va­lenz­ein­kommens aus­kommen muss. Das Äqui­va­lenz­ein­kommen wird auf Basis der 1994 ent­wi­ckelten neuen OECD-Skala berechnet. Nach dieser wird der ersten erwach­senen Person im Haushalt das Bedarfs­ge­wicht 1,0 zuge­ordnet, für die wei­teren Haus­halts­mit­glieder werden kleinere Gewich­tungen ange­setzt (0,5 für weitere Per­sonen im Alter ab 14 Jahren und 0,3 für jedes Kind im Alter von unter 14 Jahren), weil ange­nommen wird, dass sich durch gemein­sames Wirt­schaften Ein­spa­rungen erreichen lassen. Nach den Ergeb­nissen des Mikro­zensus galten in Deutschland im Jahr 2012 bei­spiels­weise Ein­per­so­nen­haus­halte mit einem monat­lichen Ein­kommen von weniger als 869 Euro netto als armuts­ge­fährdet. Die Armuts­schwelle von Haus­halten mit zwei Erwach­senen und zwei Kindern unter 14 Jahren lag bei 1826 Euro netto monatlich (Berechnung: Armuts­schwelle für Ein­per­so­nen­haus­halte mul­ti­pli­ziert mit dem Bedarfs­ge­wicht des Haus­halts nach neuer OECD-Skala von 2,1).