Liegt die Wiege der Menschheit doch in Europa?

Bisher galt es als Stand der Wis­sen­schaft: Der Mensch kommt aus Afrika. Eines der maß­geb­lichen Bücher „Eva kam aus Afrika“, zeichnete die Stam­mes­linie der ver­schie­denen mensch­lichen Rassen nach und stellte fest: Sie alle führen auf die ältesten Men­schen­funde in Afrika zurück. Welcher nun genau der älteste war, blieb aller­dings dabei offen.

Der Schädel eines Ardipi­thecus ramidus. Bild: Wiki­pedia, T. Michael Keesey, Bild­lizenz CC-by-sa 2.0 US

Zum Bei­spiel galt als Kan­didat der etwa 5 Mil­lionen alte Ardipi­thecus ramidus, von dem man aller­dings nicht mit Sicherheit sagen kann, ob er nicht doch einfach ein früher Men­schenaffe war. Ein Skelett samt Schädel wurde in einem äthio­pi­schen Tal gefunden und auf ein Alter von über 4 Mil­lionen Jahre datiert. Man sah dabei groß­zügig über kör­per­liche Eigen­schaften hinweg, die eher für den Affen, als für den Men­schen sprachen. So war das lang­armige Kno­chen­gerüst mit Greif­zehen von Madame „Ardi“ noch deutlich das eines  Baum­be­wohners und Klet­terers. Ob sie über­haupt auf­recht ging, blieb unklar. Ardi war bei 120 cm Kör­per­größe und ca 50 kg Gewicht ein mit­tel­schlanke  Dame. Die Ein­schätzung als Hominide wurde nicht zuletzt wegen des ver­gleichs­weise zier­lichen Gebisses getroffen. Auch ein zweites Skelett, das als Vor­mensch in Betracht kommt, der Sahel­an­thropus tcha­densis wurde als Stamm­vater der Menschheit in Betracht gezogen, gilt aber wohl nicht als Vor­mensch, sondern als eine aus­ge­storbene Art von Men­schen­affen, wahr­scheinlich ein Vor­fahre des Gorillas. Seine Art ist noch älter als „Ardi“, der in der Sahelzone, im Tschad gefundene Men­schenaffe ist ca 6–7 Mil­lionen Jahre alt.

Es gibt noch einige andere Arten, bei denen unter Wis­sen­schaftlern umstritten ist, ob sie in die Ahnen­reihe des Men­schen ein­zu­ordnen sind, oder einfach aus­ge­storbene Affen­arten waren. Jetzt sorgt ein neuer Fund für Auf­regung in der Wis­sen­schaft: In Grie­chenland wurde bei Aus­gra­bungen ein Kie­fer­knochen gefunden und ein Zahn dieser Art in Bul­garien. Nach dem Fundort des Kiefers in Grie­chenland bekam diese Art den Namen „Grae­copi­thecus frey­bergi“ mit dem Zusatz (Epi­theton) „frey­bergi“ wird auf den Ent­decker des ersten Kno­chen­fundes 1944, Bruno von Freyberg ver­wiesen. Das Fossil wurde in Grie­chenland bei Aus­schach­tungs­ar­beiten für einen Wehr­machts­bunker in der Nähe von Athen ent­deckt. Von Freyberg hielt das Kno­chen­fragment für Über­reste einer frühen Meer­kat­zenart. 1972 wurde der Unter­kiefer schon einer frühen Men­schen­af­fenart zuge­schrieben, da aber nicht viel mehr Ske­lett­masse als der Unter­kiefer vor­handen war, war eine genaue Zuordnung kaum möglich.

2012 fand man dann bei Aus­gra­bungen im bul­ga­ri­schen Asmaka einen Vor­der­ba­ckenzahn (auf dem Foto unten unter b), dessen Alter auf 7 Mil­lionen Jahre datiert wurde. Da der grie­chische Unter­kiefer (auf dem Foto unter a) etwas über 7 Mil­lionen Jahre alt ist, ver­glich eine For­scher­gruppe um Made­leine Böhme dieses Jahr die beiden Fos­silien die beiden Funde: Die Ergeb­nisse sind in der Arbeit „Potential hominin affi­nities of Grae­copi­thecus from the Late Miocene of Europe„ nach­zu­lesen.

Der Unter­kiefer des in Grie­chenland gefun­denen Exemplar und die in Bul­garien gefun­denen Zähne des Grae­copi­thecus frey­bergi a: Unter­kiefer (Holo­typus) von Grae­copi­thecus frey­bergi; b: linker Prä­molar P4, Archiv­nummer RIM 438/387; c‑i: 3‑D-Rekon­struk­tionen des Unter­kiefers mit sichtbar gemachten Zahn­wurzeln (Ori­ginale) Bild: Wiki­pedia, Urheber: Jochen Fuss, Nikolai Spassov, David R. Begun, Made­laine Böhme, Bild­lizenz: Creative Commons, Quelle: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0177127.g001

Das Gebiß zeigt eine, für Homi­niden sehr typische Eigen­schaft: die Prä­mo­laren, also die „kleinen Backen­zähne“ haben bei allen Affen­arten mehrere Wurzeln, so, wie beim Men­schen die „großen Backen­zähne“. Die vor­deren Backen­zähne der mensch­lichen Stamm­linie zeigen als Beson­derheit eine einzige, kegel­förmig zusam­men­ge­wachsene Zahn­wurzel, also im Schaubild in der obersten Reihe unter b die zwei mitt­leren Zähne. Das ist ein ganz typi­sches, nur bei den Homi­niden vor­han­denes Merkmal. Noch weitere Merkmale der Zahn­wurzeln und ihrer Ver­an­kerung im Kiefer deuten darauf hin, daß der Grae­copi­thecus (Grie­chen­vor­mensch) in die Reihe der Ahnen der Menschheit gehört.

Sollte sich diese Zuordnung als valide erweisen, wäre dies der Beleg, daß ein Ahne des modernen Men­schen im öst­lichen Mit­tel­meerraum daheim war, und die Datierung anhand der Sedi­ment­schichten auf ein Alter von mehr als 7 Mil­lionen Jahren, macht diesen Ahn zum ältesten, bisher gefun­denen Vor­men­schen. Damit wäre es möglich, sagen die For­scher, daß der ent­schei­dende Punkt vom Vor­mensch zum frühen Men­schen nicht in Afrika, sondern in Europa geschah.
Dazu würde passen, daß in dieses Zeit­alter ein Kli­ma­wandel stattfand, der eine zwei Mil­lionen Jahre lang anhal­tende, sehr warme Tro­ckenheit mit sich brachte und in dieser Zeit das Mit­telmeer fast aus­trocknete. Zu dieser Zeit ent­stand nach Meinung der Geo­logen die Sahara, was sich durch Sedi­ment­schichten belegen lasse. Bei­funde im Sediment, in dem der Grae­copi­thecus-Kiefer gefunden wurde zeigen, daß die ver­stei­nerten Pflan­zen­rexte Savan­nen­pflanzen sind, die in einer offenen, heißen Savannen-Busch­land­schaft wuchsen. Holz­koh­le­reste sprechen von regel­mä­ßigen Busch­bränden und Ske­lette von Vor­fahren heu­tiger Gazellen, Nas­hörnern und Giraf­fen­arten fanden sich in der­selben Sedi­ment­schicht. Es wäre also denkbar, daß diese Vor­men­schenart von Europa nach Afrika gewandert ist, wobei das fast aus­ge­trocknete Mit­telmeer dabei keine Bar­riere mehr gebildet hätte, sondern der Grae­copi­thecus tro­ckenen Fußes zwi­schen den ver­blei­benden Seen hätte hin­über­wandern können.
All das spricht nach Ansicht der For­scher sehr dafür, daß mit dem „Griechen“ tat­sächlich ein uralter Vorfahr der Men­schen gefunden wurde. Auf­grund der sehr über­sicht­lichen Anzahl der fos­silen Funde ist das aber wis­sen­schaftlich noch nicht gesi­chert. Man hofft in wis­sen­schaft­lichen Kreisen daher auf weitere Funde.
Auch diese Ein­schätzung der Geschichte des Men­schen kann sich als falsch her­aus­stellen, und trotzdem darf sie ver­öf­fent­licht und erklärt werden, was auch voll­kommen richtig ist. Es ist aller­dings immer wieder spannend zu beob­achten, auf welchen Gebieten neue Erkennt­nisse der For­schung begrüßt und unvor­ein­ge­nommen publi­ziert werden. Und welche The­men­ge­biete für wis­sen­schaft­liche Revi­sionen tabu zu sein scheinen, so daß die berech­tigten Fragen abge­schmettert werden und jede Ver­öf­fent­li­chung unter­drückt wird.

Es wäre auch inter­essant zu erfahren, was denn den dra­ma­ti­schen Kli­ma­wandel zwi­schen 7 und 5 Mil­lionen Jahren vor unserer Zeit­rechnung ver­ur­sacht hat. Ob die dünne Vor­men­schen-Popu­lation durch erhöhten CO2-Ausstoß so eine öko­lo­gische Kata­strophe her­bei­führen konnte? Und was die Alt­stein­zeit­men­schen ande­rer­seits getan haben könnten, um den Kli­ma­wandel zu der für sie äußerst ungünstige Eiszeit vor 250.000 Jahren herbeizuführen?

(Arti­kelbild: Vor­men­schen, unsere rät­sel­haften Vor­fahren warten immer wieder mit neuen Über­ra­schungen auf. Bild­lizenz: Foto: Nachosan / flickr (CC BY-SA 3.0)

Quelle: http://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0177127