Am 12. September 2017, ab 10 Uhr Ortszeit in Cupertino passiert es: Apple präsentiert neue Produkte. Apfel-Jünger raunen staunend die Namen: TV 5, iPhone 7s, iPhone 7s Plus, iPhone 8. Kommt das ersehnte Taschentelefon Nr. 8 dabei in der Version „X“ oder „Pro“ oder „Edition“? Alles erscheint wieder einmal als ein Tanz ums Goldene Kalb. Oder ist es bloß eine Inszenierung mit Hollywood-Qualität?
(via TheEuropean, von Sebastian Sigler)
Strahlend erleuchtete Bühne, gewaltige musikalische Umrahmung, ein CEO in der Pose eines Hohepriesters. Apple präsentiert seine neue Produktgeneration. Die Grüchte überschlagen sich im Vorfeld: Was werden wir sehen? Was dürfen wir erhoffen? Wohin dürfen wir unsere Sehnsüchte lenken lassen? Was können wir erwerben, koste es, was es wolle? Dabei geht es ganz und gar nicht um das Seelenheil, sondern um Produkte, die zum prinzipiell zum Telefonieren und Kommunizieren gedacht sind, in aller Regel aber zur Vernebelung der Sinne, zur Flucht aus der Realität genutzt werden.
Der Börsenwert steigt und steigt
Der Aktienkurs von Apple macht im Vorfeld der langerwarteten Verkaufsveranstaltung mit quasi-religiösem Anstrich Freudensprünge: sei es, weil Anleger ausgezeichnete Geschäfte ahnen, sei es, weil Apfel-Gläubige unter den Anlegern nicht mehr die Finger stillhalten können und beim traden einfach wieder und wieder auf „Apple kaufen“ clicken müssen. Im Wochenverlauf legte das Apfel-Papier jedenfalls um knapp drei Prozent zu bei einer leicht abschwächenden Aufwärtstendenz, was aber nichts heißen muss, denn binnen letzten zwölf Monate hat sich die Apple-Aktie um rund 50 Prozent verteuert. Was sehr ordentlich ist. Was angesichts des Religionsstatus, den Apple mancherorts genießt, aber nicht wundernimmt. Die Papiere erreichten im Wochenverlauf ein neues Rekordhoch bei 164,94 US-Dollar, die Marktkapitalisierung nahm auf 815 Milliarden US-Dollar zu.
Der Veranstaltungsort für die wohl bedeutendste Veranstaltung des Apple-Jahres könnte natürlich auch eine Weihestätte, ein Heiligtum sein, doch es ist – zwar piekfein, aber eine Spur profaner – das Steve-Jobs-Theater im Apple Park in Cupertino. Also in etwa das Äquivalent dessen, was ein anständig regierender Graf im 18. Jahrhundert als „Residenztheater“ erbauen ließ – in Bayreuth, wo es als Markgräfliches Opernhaus firmiert, oder in Gotha, dort im Westflügel des Schlosses Friedenstein, kann man solche Theater besichtigen. Das Motto für die Apfel-Messe am 12. September heißt denn auch „Let’s meet at our place“, die Apple-Jünger sind also eingeladen. Also nicht zum Hingehen, das würde ja gar nicht gehen, sondern zum streamen – zum Zugucken über den Mac-Bildschirm. Oder über das fast fabrikneue iPhone 7, das nun alsbald durch die Nr. 8 ersetzt werden soll. Rückschlüsse auf das Programm der Produktvorstellung mit Weihecharakter erlaubt die dreifarbige Logo-Einfärbung in Blau, Weiß und Rot, die durchaus als dezent patriotische Anspielung interpretiert werden könnte. Eine Hommage an den Apple-Großaktionär Trump? We shall see.
Das nächste große Ding
Die Umsätze werden sich für Apple durch das neue Taschentelefon, dass gut und gerne in vollausgestatteter Version bis zu 1.500 US-Dollar kosten könnte, nochmals verbessern – diese Prognose dürfte sicher sein. Konkret werden zwischen 49 und 52 Milliarden US-Dollar an Umsatz erwartet, an Gewinn pro Aktie für dieses Jahr neun, und für 2018 deutlich über zehn Euro. Entsperrt wird das neue iPhone offenbar per Gesichtserkennung. Zudem soll es kabellos aufladbar sein.
Viele weitere neue technische Details soll das iPhone 8 zu bieten haben, die allesamt zum Telefonieren völlig überflüssig sind. Aber wer möchte schließlich mit einem iPhone 8 Anrufe tätigen – außer, die Eltern, die Großeltern oder andere Menschen aus der prämobilen Ära rufen an. Die teils kryptischen Aussagen von Konzernchef Tim Cook lassen Analysten derweil drauf schließen, dass der Konzern auf Augmented Reality, unter Kennern als „AR“ bezeichnet, wettet: Das soll das nächste große Ding werden, the next big thing. Und „big“ ist enorm wichtig, Tim Cook bezeichnet die neue Technologie denn auch als „groß und tiefgreifend. AR ist eine von diesen großen Dingen auf die wir später zurückschauen und über deren Anfänge wir nur staunen können.“ AR – Kenner sprechen das wie ein hohes „Eiij“ und ein tief rollendes „Arrrr“ aus. Und ein wahrer Apfel-Jünger tanzt natürlich ums iPhone, als wäre er auf einem Exodus, als gäbe es keine Gesetzestafeln, droben vom Berge, und als gäbe es keine Bundeslade. Und er spricht AR sehr amerikanisch aus – sehr!
Die Gläubigen leben im ihrer Gewissheit
Mit Eiij-Arrr also lassen sich beliebige virtuelle Zusatzinformationen über die im Bildschirm angezeigte Realität legen. Das können kleine Monsterchen sein, die unter einer Parkband hervorluggen. Aber auch x‑beliebige Produkte, aber natürlich am besten eines jener Produkte, deren Name mit dem magischen, wenn auch grammatikalisch völlig unkorrekten „i“ beginnt. Die bisher bekannteste Anwendung für AR ist Pokémon Go – schon ist auch dies Spiel nicht mehr ganz neu. Doch wen stört es schon, dass das neue iPhone mit zwei Kameralinsen und einem fast von Rand zu Rand reichenden OLED-Bildschirm technisch kaum mehr als die jüngsten Topmodelle von Wettbewerbern wie Samsung & Co. bietet? Hauptsache, der angebissene Apfel an der Rückseite oder sonstwo ist für umstehenden immer gut zu sehen, wenn das „i“-Produkt in Betrieb ist, wenn also mit viel Eiij-Arrr der praktizierende Gläubige auf eine mutmaßlich höhere Erkenntnisstufe gehoben wird.
Auf dem Börsenparkett sieht man dies alles weithin sachlich. Und dennoch lässt sich die große Mehrheit der Analysten vom Tanz um den angebissenen Apfel anstecken. Die Apple-Aktie schiebt sich Stück für Stück vor – die Marktkapitalisierung ist noch ein Stück von der Billion-Marke entfernt, aber deren Erreichen scheint den Marktbeobachtern eine Frage der Zeit. So dominiert allerorten großer Optimismus, ja, mancherorts eine quasi-religiöse Erwartung, was für Anleger gar nicht schlecht ist. Das durchschnittliche Kursziel der Analysten liegt bei 175 Dollar, die höchste Prognose bei 208 Dollar. Und das neue iPhone 8 könnte dem Aktienkurs weiteren Auftrieb verleihen. Superinvestor Warren Buffett traut Apple jedenfalls schon in Bälde eine Marktkapitalisierung von einer Billion US-Dollar zu, und damit ist er keinesfalls allein. Steigt die Apple-Aktie auf 194 Euro, und das scheint angesichts des neuen Achter-Telefon mit all seinem Eiij und Arrr ja nun fast schon unvermeidlich, dann ist die Dollar-Billion erreicht. Und Apple um einen Superlativ reicher.
Dieser Artikel erschien zuerst auf TheEuropean.de
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