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Nebel­ker­zen­werfen beim Fami­li­en­nachzug für Flüchtlinge

Früher, als es noch analog zuging, gab es das Sprichwort: „Nichts ist älter als die Zeitung von gestern“. Und in der Tat, sie wurde zum Anfeuern des Ofens benutzt oder um Fens­ter­scheiben blank zu reiben. Und was drin­stand, war schnell vergessen.

Das ist heute etwas anders geworden. Das Netz ver­gisst nicht. Das neue Format „fak­ten­finder“ der ARD im Netz berichtete in seinem Beitrag „Flücht­lings­po­litik — Wahl­kampf mit dem Fami­li­en­nachzug“ vom 01. Sep­tember 2017:

„So teilten AfD-Poli­tiker bei Facebook und Twitter ein Bild mit fol­gender Behauptung: “Fami­li­en­nachzug — Weitere 2 Mil­lionen Migranten ab 2018”. Auch der Par­tei­vor­sit­zende Jörg Meuthen ver­breitete diesen Eintrag. 2018 werde nach allen Berech­nungen “das schwär­zeste Jahr in der deut­schen Asyl­krise”, beklagt AfD-Spit­zen­kan­di­datin Alice Weidel. Und der AfD-Bun­des­tags­kan­didat Daniel Freiherr von Lützow aus Bran­denburg schrieb zu dem Thema: “390.000 Syrer dürfen Ihre Familien nach­holen! Wenn Mann nur 3 Fami­li­en­mit­glieder rechnet, sind das 1.170.000 neue Hartz IV Emp­fänger. Der Wahnsinn der Regierung geht weiter!”“

Fak­ten­finder schreibt, dass sich die AfD-Poli­tiker dabei auf einen Artikel der BILD-Zeitung bezogen. Die BILD wie­derum bezog sich dabei auf Regie­rungs­in­for­ma­tionen, die davon aus­gehen, dass ab März 2018 ca 390.000 Syrer ihre Familien nach­holen dürfen. Auf Nach­frage konnte das Bun­desamt für Migration und Flücht­linge (BAMF) die in der “BILD” genannten Zahlen jedoch nicht bestä­tigen, schreibt “fak­ten­finder”.

Man erwähnt zwar, dass die Pro­gnosen zur Höhe der zu erwar­tenden Nach­kom­menden Familien weit aus­ein­an­der­gehen, lässt jedoch in dem Beitrag den Ein­druck auf­kommen, die AfD arbeite unlauter und wolle mit Panik­mache wegen Familien-Nachzug Wahl­kampf ver­an­stalten. Im Übrigen habe Frau Bun­des­kanz­lerin Dr. Angela Merkel ja auch noch gar nicht ent­schieden, ob über­haupt Fami­li­en­nachzug und wenn ja wann. Das wolle sie sich „Anfang nächsten Jahres anschauen“.

Dies berichtete auch die Zeit. Auch hier wird ein bisschen Zah­len­akro­batik betrieben und eine „harmlos“ klin­gende Zahl von 60.000 Anträgen im ersten Halbjahr genannt. Und seit 2015 seien ins­gesamt 102.000 Visa-Anträge für syrische Staats­an­ge­hörige aus­ge­stellt worden.

Aller­dings nahm auch der Fokus die Zahl von 390.000 syri­schen Flücht­lingen auf, die ihre Familien nach Deutschland holen könnten. Eine Zahl, die die AfD eben­falls ver­wendete, dafür aber als Panik­schürer hin­ge­stellt wurden. Hier wird aber schon die Gesamtzahl der Anträge auf Fami­li­en­nachzug von 2015 bis zum Ende des ersten Halb­jahres 2017 erwähnt: 230.000 Anträge. Und man gehe bei den syri­schen Flücht­lingen von einem starken Anstieg aus: „Schon jetzt gebe es viel mehr Anträge, als die 230.000 erteilten Visa glauben machen. Das liege an der „Antragsflut zum Fami­li­en­nachzug“ und an „langen War­te­zeiten“ an deut­schen Kon­su­laten, zitierte „Bild“ aus dem Papier.“

Nun ist die Wahl vorbei, und – wie immer – kommen jetzt die Katzen so nach­ein­ander aus dem Sack gekrochen. Wurde die AfD für ihre Zahl von 1.170.000 nach­zie­henden Flücht­lingen an den Pranger gestellt, mit diesen „spe­ku­la­tiven Zahlen“ die Wahl beein­flussen zu wollen, erfahren wir am Samstag in der Augs­burger All­ge­meinen von Bayerns Vize-Minis­ter­prä­si­dentin Aigner, dass womöglich bis zu sieben Mil­lionen Flücht­linge durch Fami­li­en­nachzug nach Deutschland kommen könnten. Offenbar hat diese Zahl wie eine Bombe ein­ge­schlagen und ist weit in den sozialen Netz­werken ver­teilt worden. Jeden­falls sah sich die Augs­burger All­gemein ver­an­lasst, einen Hinweis vor dem Text des Bei­trages anzubringen:

„Hinweis: Dieser Artikel wird aktuell (Oktober 2017) stark über die sozialen Netz­werke auf­ge­rufen. Wir weisen daher darauf hin, dass es sich um einen Artikel aus dem Jahr 2015 handelt, der nicht mehr aktuell ist. Aktuelle Bericht­erstattung über die Einigung im Ober­grenzen-Streit finden Sie hier:#http://www.augsburger-allgemeine.de/politik/Union-findet-Kompromiss-Zeitplan-fuer-Jamika-Gespraeche-steht-id42905166.html#

Tat­sächlich erscheint diese Zahl von „Bis zu 7,36 Mil­lionen“ Flücht­lings-Fami­li­en­nach­zügler auch im ARD „fak­ten­finder“ Beitrag ganz unten, wird aber als voll­kommen unzu­ver­lässige Spe­ku­lation der BILD-Zeitung dargestellt.

Halten wir fest: Die Zahl, die die AfD zum Fami­li­en­nachzug für asyl­be­rech­tigte Flücht­linge ver­an­schlagte, von 1.170.000 Frauen und Kindern war keine „erfundene Panik­mache“ sondern stützte sich aus Angaben der Main­stream­presse. Schon damals kur­sierte, wie der „Fak­ten­finder“ zeigt, die 7,36 Millionenzahl.

Und nun, was ist heute der Sachstand?

CDU und CSU sollen sich am Sonn­tag­abend auf eine Flücht­lings­ziel­marke („Ober­grenze“ darf nicht mehr gesagt werden) von 200.000 Flüchtlingen/Jahr. Selbst­ver­ständlich gibt es „Aus­nahmen für Son­der­si­tua­tionen“. Nunja, ist das Leben nicht eine einzige Son­der­si­tuation? Außerdem soll „niemand an der Grenze zurück­ge­schickt“ werden. Was ist dann die Zahl 200.000 wert?

Ob die Fami­li­en­nach­zügler in diesen 200.000 ent­halten sind, bleibt eben­falls seltsam unklar. Zählen sie als Flücht­linge? Ist der Nachzug eine „Son­der­si­tuation“, die auch sieben Mil­lionen erlauben würde?

Es steht lediglich in den Ver­ein­ba­rungen, dass der Fami­li­en­nachzug von Flücht­lingen mit ein­ge­schränktem (sub­si­diärem) Schutz aus­ge­setzt bleiben soll, das sind die, die keinen  aner­kannten Flücht­lings­status haben.

Schon in ihrem Artikel von 2015 aber stellte Vize-Minis­ter­prä­si­dentin Aigner klar: „Gegenüber dem Münchner Merkur sagte sie, man spreche von “bis zu sieben Mil­lionen Men­schen, sobald aner­kannte Flücht­linge ihre Familien nach­geholt haben. Worüber wir reden, über­steigt also – erneut – alle Vor­stel­lungen”.… […] Das 2005 in Kraft getretene Auf­ent­halts­gesetz erlaubt den Zuzug von Ehe­partnern und Kindern, wenn Asyl­be­werber als solche aner­kannt sind. … “.

Das bedeutet, dass die Ein­wan­derung der Familien der aner­kannten Flücht­linge nicht aus­ge­setzt ist und die Zahl von sieben Mil­lionen durchaus rea­lis­tisch ist.
Ob aber der Fami­li­en­nachzug der Familien aner­kannter Flücht­linge in den 200.000 ein­ge­schlossen sind, wird gar nicht ange­sprochen. Sollte der Fami­li­en­nachzug aus der „Flücht­lings­ziel­marke“ aus­ge­nommen sein, dürften die  Zwei­hun­dert­tausend Ziel­marken-Flücht­linge im Ver­hältnis zu den Mil­lionen an Fami­li­en­mit­gliedern fast unbe­deutend sein.