Es ist eine großzügige Geste Präsident Assads und ein Fanal der Hoffnung und des Wiederaufbaus in Syrien. Er lud nicht nur öffentlich alle geflohenen Syrer ein, wieder in ihre Heimat zu kommen und Syrien wieder aufzubauen, er streckt sogar die Hände freundschaftlich in Richtung der Kämpfer aus, die gegen ihn zu Felde zogen. Er möchte auf den klugen Vorschlag Moskaus eingehen, Schutzzonen in Syrien einzurichten. In diesen Deeskalationszonen haben Kämpfer aller Gruppierungen die Möglichkeit, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben. Auch diese Männer erhalten eine Amnestie und können sich ein neues Leben in Syrien aufbauen.
Eine sehr weise Entscheidung, denn – bei aller berechtigten Empörung und verständlicher Wut über die grauenhaften Untaten radikalislamischer Milizen (incl. IS/ISIS) – man muss als Staatsmann weit über den Tag hinaus denken. Auf diese Weise verhindert Assad, dass die Kämpfer keine andere Wahl haben, als in ihrer Truppe zu bleiben und mit westlicher, saudischer und katarischer Finanzierung weiter zu morden und zu marodieren. Im Gegenteil: Viele, die sonst aus der Region fliehen müssten und sich wahrscheinlich nur innerhalb der Terrornetz-Strukturen sicher bewegen könnten, kämen so in den Westen, um dort weitere Anschläge zu verüben. Teils aus Hass, teils, weil sie keine andere Wahl haben und unter der Kontrolle des Terrornetzes stehen, das sie nicht laufen ließe.
Syrien ist in Aufbruchsstimmung. Es gibt eindrückliche Beschreibungen, die in krassem Gegensatz zu den Berichten der westlichen Mainstreammedien stehen. Am 24. Oktober veröffentlichte der US-amerikanische Autor und langjährige Syrienkenner und Berichterstatter Brandon Turbeville seine Erfahrungen von einer Reise nach Syrien „“Western Media Narrative Is Bullshit“. Die Webseite „N8wächter“ hat dankenswerterweise Teile davon übersetzt:
„Um mit einigen dieser Mythen aufzuräumen, was vor langer Zeit bereits hätte geschehen sollen, könnte es der Erwähnung wert sein, dass die traditionelle Darstellung des Mittleren Ostens (verhüllte Frauen, Unzivilisiertheit und Enthauptungen) bei Amerikas Alliierten Saudi Arabien der Wirklichkeit näher kommt, als irgendetwas in Syrien. Das Land hat gewiss Wüsten, doch es hat auch Berge, üppige grüne Gegenden, Küstenregionen und Seen. Frauen dürfen Auto fahren, wählen, öffentliche Ämter bekleiden und praktisch alles in Syrien tun, was ein Mann tut, sofern sie es wünschen. Frauen sind nicht verhüllt. Wenn man in den Straßen von Damaskus oder jeder anderen großen Stadt unterwegs ist, dann wird man zahlreiche unverhüllte Frauen in engen Jeans und Tanktops sehen. Es gibt keine Religionspolizei von der sie gejagt werden, denn die Regierung ist weltlich und fördert die Säkularität mittels Gesetzen und Politik. Religiöse Freiheit gilt für Muslime, Juden und Christen gleichermaßen.“
Die Nachbarn Syriens wie Jordanien und Libanon sind froh, wenn sich die großen Flüchtlingscamps wieder leeren und Normalität einkehren könnte. Auch dort weiß man, aus den Erfahrungen mit den bald 70 Jahre existierenden Palästinenser-Flüchtlingslagern, dass sich solche Strukturen irgendwann verselbständigen. Die Zeltlager in Ramallah offenbaren, was mit den Menschen, die 1948 aus Palästina vertrieben wurden und ihren Nachkommen geschieht. Sie sind ewige Flüchtlinge, haben kaum Perspektiven und die Lager über Jahrzehnte sind Brutstätten von Wut, Hoffnungslosigkeit und daher von Terroristen gewesen.
Insofern sollte die Welt dankbar sein über die kluge, staatsmännische Geste Assads. Seine zähe, unprovokative, intelligente Politik hat im Verbund mit Russlands kluger Strategie und Entschlossenheit erreicht, dass es den zerstörerischen Westmächten unter Führung der USA nicht gelang, auch noch Syrien zu einem brodelnden, instabilen, zerfallenen Niemandsland unter der Regierung irgendeiner US-Marionette zu zerbomben.
Dass der Westen immer noch versucht, einen westlichen Statthalter in Syrien zu installieren, der NATO- und westliche Interessen in der Region vertritt, zeigt ein Artikel aus dem April dieses Jahres. Die türkische Zeitung Takvim berichtete („Der Name des Killers Assad wird ersetzt“), dass Frankreich einen im französischen Exil lebenden, syrischen Generalmajor namens Menaf Tlas anstelle von Baschar al Assad in Syrien zu installieren:„Esad’ın devrilmesi durumunda yerine geçecek olan kişinin de neredeyse belli olduğu ifade ediliyor. O ismin Suriye olaylarının başlamasıyla birlikte Fransa’ya sığınan eski Tuğgeneral Menaf Tlas olduğu kaydediliyor.“
„Es gilt als ausgemacht, dass die Person, die Assad im Falle eines Umsturzes ersetzen wird, so gut wie feststeht. Es heißt, es handle sich um den ehemalige Brigadegeneral Menaf Tlas, der in Frankreich zu Beginn der syrischen Ereignisse Zuflucht genommen hat.“
Kann Syrien sich jedoch jetzt wieder konsolidieren und einen echten Neuanfang bewerkstelligen, wird es die gesamte Region nach und nach auch schaffen. Es könnte Frieden in Nahost einkehren.
Doch kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Der Nachbar sitzt zwar auf der anderen Seite der Weltkugel, aber auch jetzt, wo die ganze Welt Zeuge davon ist, dass nur die Allianz zwischen Russland, Syrien und den Kurden mit Unterstützung des Iran die Welt vor einem Flächenbrand und einem grausamen Kalifat unter der Schreckensherrschaft von Islamisten gerettet hat, geniert sich die USA nicht, schon wieder den Sturz Assads zu fordern. Und wieder wird der schon zigmal totgeschlagene Hund „Giftgasangriff“ aus der Grube gebuddelt und sein stinkender Kadaver als corpus delicti zur Schau gestellt: „Seht her, Assad, der Giftgas-Schurke muss gestürzt werden!“ Es hat schon mehrere Versuche gegeben, Assad einen Giftgasangriff auf die eigene Bevölkerung zu unterstellen, immer wieder stellte sich heraus, dass es andere Täter waren, oder die Beweisführung mehr als fraglich war.
So auch in diesem Fall. Der Saringasangriff auf die Stadt Chan Scheichun am 4. April dieses Jahres ist nicht geklärt. Die Untersuchungen sind weder beendet, noch ist die Türkei, die die Herkunft des verwendeten Sarins wissenschaftlich klären soll, ein unvoreingenommener Mitspieler. Außerdem ist unklar, welches Material die UNO- und OPCW-Experten (Organisation für das Verbot chemischer Waffen) überhaupt vorgelegt bekamen. Die syrische Regierung hat stets bestritten, mit dem Angriff zu tun zu haben, Russland ist der Meinung, das Giftgas sei nicht durch einen Abwurf aus großer Höhe, sondern durch einen am Boden detonierenden Sprengsatz freigesetzt worden. Es gebe massive Ungereimtheiten und unbestätigte Beweise, unlogische Zusammenhänge und zweifelhafte Zeugenaussagen bei diesem Angriff. Der Zeitpunkt, eine solche Giftgasbombe einzusetzen, hätte für Assad, der gerade auf der Siegerstraße war, nicht ungünstiger sein können. So eine Maßnahme wäre die dümmste Idee gewesen, auf die er hätte kommen können und völlig nutzlos.
In Richtung USA fasste der russische Vize-Außenminister wenig verklausuliert zusammen, „andere Länder“ wollten diesen Giftgasangriffs-Bericht dazu benutzen, „ihre eigenen geopolitischen Ziele in Syrien zu erreichen“.
Russland wird vielleicht in Zukunft irgendwann, wenn Syrien gefestigt und wiederaufgebaut ist, einem Regierungswechsel zustimmen. Präsident Assad ist jedoch zur Zeit der Einzige, der sich auf eine große Unterstützung der breiten Masse der syrischen Bevölkerung stützen kann. Selbst Gruppen, die nicht gerade seine Anhänger sind wissen, dass Assad die einzige Möglichkeit für einen friedlichen Aufbau Syriens ist. Ein Sturz des im Westen verhassten Präsidenten würde zu neuem Chaos und gewalttätigen Auseinandersetzungen in dem kriegsgebeutelten Land führen – und zu einer brutalen, islamistischen Herrschaft sunnitisch-wahabitischer Prägung – was für den schiitischen Iran eine starke Bedrohung darstellt — und auch in dieser Richtung wieder zu kriegerischer Gewalt und Terror führen muss.
Die Auseinandersetzung um die Person Baschar al Assads kommt also nicht von ungefähr zu diesem Zeitpunkt. Gelingt es Präsident Assad, ein weltoffenes, tolerantes Syrien mit schiitischen und sunnitischen Moslems, Sufis, Jesiden, Juden und Christen zusammen wieder aufzubauen, ein aufblühendes Land zu schaffen, in das die Geflohenen voller Hoffnung und mit großen Chancen wieder zurückkehren, ist das Zeitfenster für die USA zu. Dann gibt es kaum mehr eine Möglichkeit, das Land durch Chaos und Destabilisierung in die Hand zu bekommen, und der fürchterliche Kreuzzug der Umstürze von Nordafrika über Syrien bis Afghanistan wäre vergeblich gewesen.