Ärz­te­däm­merung — Von Robo-Dok­toren und Medic-Drive-Ins

Noch nie war der Druck auf die Ärz­te­schaft so groß wie heute. Hatten die Ärzte früher die noble Pflicht und meist auch die per­sön­liche Berufung, Krank­heiten zu erkennen und zu behandeln, so haben sie heute enorm gewachsene und vielfach über­bor­dende und über­for­dernde büro­kra­tische, öko­no­mische und juris­tische Rah­men­be­din­gungen zu erfüllen. Der Arzt­beruf als solcher steht vor einem Paradigmenwechsel.
Die Krake Ökonomie
Öko­no­mische Vor­gaben dringen immer mehr in sämt­liche medi­zi­ni­schen Über­le­gungen und Hand­lungen vor. Die Öko­nomie engt den Spielraum der Ärzte trotz oder gerade wegen der dras­tisch zuneh­menden medi­zi­ni­schen Optionen massiv ein und erfordert in allen Bereichen die Bildung von Begren­zungen, die euphe­mis­tisch Leit- und Richt­linien genannt werden. Die dia­gnos­tische und the­ra­peu­tische Vielfalt, die uns die moderne Medizin mitt­ler­weile bietet, wird durch die fak­ti­schen Zwänge der knappen Res­sourcen förmlich konterkariert.
Die EBM als Werkzeug
Als Schlagwort für die überall sich aus­brei­tende Öko­no­mi­sierung dient die soge­nannte Evi­dence-Based-Medicine (EBM), nach der die Gesund­heits­öko­nomen glauben, die stets “richtige” Medizin bestimmen und vor­geben zu können. Nur was durch große Studien unter­mauert ist, findet Eingang in die EBM. Sta­tis­tisch abge­si­cherte Ergeb­nisse werden dadurch zu einem Dogma, das für alle gilt, aber dum­mer­weise im Ein­zelfall auch völlig falsch sein kann. Um nicht miss­ver­standen zu werden: Natürlich ist die Wis­sen­schaft absolut not­wendig und aus der Schul­me­dizin nicht weg­zu­denken, aber die Ergeb­nisse von Studien müssen immer fall­be­zogen von erfah­renen Ärzten inter­pre­tiert und an das jeweilig zu behan­delnde Indi­viduum ange­passt werden. Medi­zi­nische Maß­nahmen werden durch die EBM aber ver­all­ge­meinert, ver­ding­licht und vom per­sön­lichen Ver­hältnis zwi­schen Arzt und Patient auf eine abs­trakte, dafür aber umso besser von außen kon­trol­lierbare Ebene verschoben.
Ärzte im Dilemma
Das Diktat der Öko­nomie wider­spricht dem Arztsein zwar nicht grund­sätzlich, weil jeder gute Arzt immer auch öko­no­misch denkt, aber der neue Abso­lu­tismus der Wirt­schaft­lichkeit erfordert auch jede Menge neue Kom­pe­tenzen von den Ärzten: Der ideale Arzt von heute muss betriebs- und volks­wirt­schaftlich zugleich denken, buch­hal­te­rische Eigen­schaften und per­fekte EDV-Kennt­nisse haben, ver­siert im büro­kra­ti­schen und peniblen Erfassen von Daten sein und natürlich vor allem die Expertise in seinem medi­zi­ni­schen Bereich besitzen.  Er muss weiters die höchsten ethi­schen Grund­normen erfüllen und am Ende für alle diese Tätig­keiten zu 100% ver­ant­wortlich sein.
Dieses dicke und inho­mogene Ver­ant­wor­tungs-Bündel, das da den Ärzten auf­ge­bürdet wurde, ist in Wirk­lichkeit mit der ärzt­lichen Kern­kom­petenz namens Dia­gnostik und The­rapie kaum zu ver­ein­baren. Gerade diese beiden genuin ärzt­lichen Tätig­keiten brauchen vor allem eines: Zuwendung zum Pati­enten und Zeit, Zeit und nochmals Zeit. Und Zeit ist Geld. Weil dem System aber das Geld lieber ist als die Zeit, muss letztere ständig in ers­teres umge­wandelt werden.
Der Roboter kommt
Was am Ende dieser unun­ter­bro­chenen und fort­schrei­tenden Meta­mor­phose stehen wird, ist klar: Der auto­ma­ti­sierte, EDV-gesteuerte Robo-Doc. Am öko­no­misch güns­tigsten ist die totale Digi­ta­li­sierung der Medizin und die Schaffung eines medi­zi­nisch tätigen, aber elek­tro­nisch funk­tio­nie­renden Com­pu­ter­wesens — gewis­ser­maßen ein Medicus ex machina. Com­puter- und Robo­ter­as­sis­tierte Ope­ra­tionen, wie wir sie bei­spiels­weise in der Uro­logie schon länger kennen, haben prächtige Erfolge, sie (ver-)führen uns aber in fast schon unheim­liche Sphären, die ihr enormes Frust- und Gefah­ren­po­tenzial noch verbergen.
Keine Science Fiction
Die totale Com­pu­te­ri­sierung der Medizin ist keine Vision aus einem Hol­lywood-Sci-Fi-Thriller, sondern in Ansätzen bereits Rea­lität. Wir kennen zum Bei­spiel die soge­nannten Virtual Care Rooms, die in Schweden schon instal­liert wurden. In diesen Räumen kann der Patient seine Beschwerden in einen PC ein­geben und je nach Schwere des Pro­blems wird der Kranke dann mit Anwei­sungen aus dem Com­puter ver­sorgt oder auch tele­me­di­zi­nisch mit einem echten Arzt in der fernen Zen­trale ver­bunden. Manche Poli­tiker und Gesund­heits­öko­nomen sind allen Ernstes davon über­zeugt, dass solche Appa­ra­turen den klas­si­schen Arzt zumindest teil­weise ersetzen können.
Wie geht das weiter?
Die nächste Stufe sind ver­mutlich Medic-Drive-Ins, wo man zum medi­zi­ni­schen Rat aus dem Com­puter auch sein Gesund­heits-Smoothie samt einer stan­dar­di­sierten Ernäh­rungs­be­ratung bequem durch das Auto­fenster bestellen kann. Perfekt ist die IT-Ver­sorgung aber erst dann, wenn der Patient von zuhause aus alles online regeln kann und über das Internet gesteuerte medi­zi­nische Heim­ro­boter die Tätigkeit des Haus­arztes über­nehmen: Von der Blut­ab­nahme bis zur Infusion, von der Rezeptur bis zur Inkon­ti­nenz­ver­sorgung samt dazu­ge­hö­riger pfle­ge­ri­scher Maß­nahmen. Der Robodoc kann ja gleich­zeitig auch Pfleger sein, warum nicht? Das ver­ein­facht die Sache und macht sie billiger.
Der Arzt als Sündenbock
Natürlich wird es ganz ohne Men­schen nicht gehen. Irgendwer muss ja auf der anderen Seite der Technik sitzen, die medi­zi­nische Steuerung und vor allem die Ver­ant­wortung über­nehmen. Es muss einen Men­schen, einen Arzt aus Fleisch und Blut geben, der  im Falle von gesund­heits­schä­di­genden oder gar töd­lichen Fehlern, die auch und vor allem in voll­au­to­ma­ti­schen stan­dar­di­sierten Pro­grammen vor­kommen können, vor Gericht gestellt werden kann.
Man wird sich also in diesem dystopen Sze­nario ein paar “Ärzte” halten müssen, die womöglich nie einen Pati­enten sehen, aber im worst case ins Gefängnis wandern. Der archaische Mecha­nismus von Schuld und Sühne muss auf­recht erhalten bleiben. Und einen Roboter kann man schlecht in die Zelle stecken. Wäre ja auch unwirt­schaftlich. Der Robo-Doc soll lieber im Virtual Care Room 24/7 zur Ver­fügung stehen.
Gehen Sie also zum Arzt, solange er noch ein Mensch aus Fleisch und Blut ist und solange er Sie noch direkt und per­sönlich  behandelt. Lassen Sie sich beraten, wie man als Patient der totalen Apparate- und Über­wa­chungs­me­dizin ent­kommen kann. Schauen Sie dem Arzt aber beim ersten Kontakt tief in die Augen. Sollten Sie dort ein röt­liches, irgendwie tech­nisch wir­kendes Glimmen bemerken und Ihnen der Kollege merk­würdig vor­kommt, könnte es sich schon um einen Pro­to­typen der neuen Medi­ziner-Gene­ration handeln. Man weiß ja nie.
Dr. Marcus Franz / www.thedailyfranz.at