Der Macron-Hype — Ein zweiter Obama

Im Umgang mit Macrons Angebot an Deutschland, zusammen die EU zu refor­mieren, mangelt es vielen Jour­na­listen und Publi­zisten an Sou­ve­rä­nität, viel­leicht gar Selbst­achtung und Refle­xi­ons­niveau. Zu unkri­tisch sind viele Jour­na­listen Macrons Charme erlegen. Er sei ein Links­li­be­raler im besten Sinne des Wortes, meinen einige.
(Von Hans-Martin Esser)
Einige Aspekte von Macrons Reform­vor­schlägen sind inter­essant, andere wie­derum gar gefährlich für die Finanzen Deutsch­lands – Stichwort neue gemeinsame Schulden. Es besteht kein Anlass, sich zu über­schlagen, um dem Prä­si­denten bloß zu gefallen. Europas Schulden sind auf­grund der weit­gehend bank­rotten Süd­staaten in erster Linie deutsche Schulden. „Fass mal einem nackten Mann in die Taschen“ ist hier das Motto.
Positiv hin­gegen ist bei ihm der Erneue­rungs­wille, was die abge­hängte fran­zö­sische Volks­wirt­schaft angeht. Er will die hellen Köpfe der Welt nach Frank­reich holen. Das ist vor­bildlich. Da nun Obama seit einem Jahren von der poli­ti­schen Bühne ver­schwunden ist, benötigt das Juste Milieu eine neue Gali­ons­figur – der fran­zö­sische Prä­sident bietet sich dort an.
Des Prä­si­denten Wunsch sei Befehl. Macron als Obama 2.0 gibt also den Takt vor und treibt die lahme Ente Merkel vor sich her. Ein Gutes hat das Bild: Macron zeigt die zwölf Jahre als Sta­bi­lität ver­kaufte lang­weilig-bräsige Untä­tigkeit unserer Kanz­lerin auf.

Frank­reich als sou­ve­ränes Land

Was im Diskurs nach dem Motto „Macron wartet“ auf­fällt, ist der Mangel an Sou­ve­rä­nität in unserem Land. Deutschland hat Reformen bereits 2003 unter Gerhard Schröder in Angriff genommen, die Frank­reich bis heute bewusst ver­schlafen hatte.
Wäre der durch­schnitt­liche fran­zö­sische Wähler reform­ori­en­tierter gewesen, hätte Europa einige Pro­bleme weniger. Es ist wun­derbar, dass ein Macron die Wahl gewinnen konnte in einem Land, das sich trotz PISA-Studien Platz 30 noch als grande nation in der Selbst­wahr­nehmung sieht und einen ent­spre­chenden Habitus pflegt.
Ob die Musik im Jahr 2017 nun im Silicon Valley, in Sin­gapur, Shanghai oder New York und Berlin spielt: Frank­reich geriert sich gern als DAS Land der Welt schlechthin – auch wenn die aller­meisten Fran­zosen noch nicht einmal ein ver­ständ­liches Eng­lisch sprechen können, was auch erklärt, warum dieses Land in der Glo­ba­li­sierung bis heute nicht wett­be­werbs­fähig geworden ist.
Einem, der seine Kolumne Esser ist besser nennt, gefällt so ein Land natürlich, dessen Wap­pentier der Großkotz zu sein scheint. Frank­reich weiß um seine Schönheit, da muss man sich nie­mandem anbiedern – erst recht nicht einem häss­lichen Entlein wie Deutschland oder seiner Kanzlerin.

Deutschland als Land der Getriebenen

Auf der anderen Seite ein durch­re­for­miertes Deutschland, das im Gegensatz zu Frank­reich fit dasteht wie ein Turn­schuh, Gerhard Schröder sei Dank. In der Selbst­wahr­nehmung erscheint Deutschland dafür aber wie ein von Min­der­wer­tig­keits­ge­fühlen geplagtes Entchen, das aus Gefall­sucht alles mit­macht, um bloß geliebt zu werden. Ein solcher Inter­essen-Eunuch beschwört hin­gegen eher Ver­ach­tungs­re­flexe gerade einer grande nation herauf.
Öko­no­misch erscheint Frank­reich so wie ein ambi­tio­nierter Zweitliga-Auf­steiger, der sich einen großen Moti­vator Marke Kloppo als Trainer geholt hat, um in drei Jahren in der Europa League mit­zu­mi­schen. Deutschland, der FC Bayern Europas, lässt sich aus­ge­rechnet von diesem Nach­barland auf­scheuchen, man möge mal vor­an­machen mit EU-Wei­ter­ent­wicklung. Frank­reich, das Fortuna Düs­seldorf der EU, sollte selbst erst einmal das Cham­pions League Niveau erreichen, um Rat­schläge zu erteilen.
Ob unser Land bis Frühjahr oder Sommer 2018 eine Regierung stellen kann oder erst im Herbst 2018 im Falle von Neu­wahlen, ist nicht Frank­reichs Ange­le­genheit. So sou­verän muss ein Land sein, dass es sich zur Regie­rungs­bildung so viel Zeit nimmt, wie dies erfordert.
 
Hans-Martin Esser / TheEuropean.de