Altes Saatgut geht immer mehr ver­loren! — Der Kampf gegen die“Monsantonisierung” des Essens

Das Recht auf Saatgut gehört zum Men­schen­recht auf Nahrung. Doch die “Mons­an­to­ni­sierung” schreitet weiter fort. Zehn Saatgut-Kon­zerne beherr­schen mitt­ler­weile rund 85 Prozent des Welt­marktes und ent­scheiden darüber, was wir essen dürfen.
Folglich sind bereits 75 Prozent der land­wirt­schaft­lichen Vielfalt ver­loren gegangen. Wer alte und seltene Sorten züchtet und das Saatgut ver­kaufen möchte, hat es schwer, da büro­kra­tische Hürden den Weg ver­sperren. Doch gibt es nach wie vor Mög­lich­keiten, Saatgut alter und sel­tener Sorten zu erwerben und auszusäen.
Saat­gut­ver­mehrung – Früher die Aufgabe von Bauern, heute von Konzernen
Jahr­tau­sen­delang war es ganz selbst­ver­ständlich, neue Pflan­zen­sorten zu züchten und das Saatgut an Fami­li­en­mit­glieder, Freunde und Bekannte wei­ter­zu­geben oder auch zu verkaufen.
Oft waren jahr­hun­der­te­lange Pro­zesse von­nöten, um Land­sorten zu züchten, die perfekt an die lokalen Umwelt­be­din­gungen ange­passt waren. Es ent­standen im Laufe der Zeit immer mehr Sorten.
Bis ins 20. Jahr­hundert war die Pflan­zen­zucht stets ein Teil­gebiet des Pflan­zenbaus. Zahllose Gene­ra­tionen von Bauern und Gärtnern haben an der land­wirt­schaft­lichen Vielfalt hart gearbeitet.
Doch dann ent­wi­ckelte sich im Laufe der 1950er Jahre die soge­nannte Grüne Revo­lution und es wurden die ersten Hoch­er­trags­sorten erzeugt. Der Chemie- und Saat­gut­in­dustrie ging es angeblich immer nur darum, den Welt­hunger zu bekämpfen, dennoch stirbt heute alle 3 Sekunden ein Mensch an Hunger (Pflanzen selbst ver­mehren, alte Sorten pflegen und sich dadurch von der Saat­gut­in­dustrie unab­hängig machen).
Saatgut: 10 Kon­zerne kon­trol­lieren 85 Prozent des Weltmarktes
In den 1980er Jahren begann überdies die Grüne Gen­technik Fuss zu fassen. Hierbei wird mit Labor­me­thoden in das Erbgut von Pflanzen ein­ge­griffen. Seit 1996 werden gen­tech­nisch ver­än­derte Pflanzen kom­mer­ziell angebaut. Inzwi­schen sind schon rund 12 Prozent des weltweit nutz­baren Acker­landes damit bepflanzt – betroffen sind vor allem arme Länder wie z. B. Paraguay.
Der Einsatz der Grünen Gen­technik ist deshalb so umstritten, da die Aus­wir­kungen auf Mensch, Tier und Umwelt unkon­trol­lierbar und unvor­her­sehbar sind. Was einst ein gut durch­dachter Prozess war, der im Ein­klang mit der Natur stattfand, verkam mehr und mehr zu einem rück­sichts­losen Business.
Denn während es im Jahr 1985 weltweit 7.000 Saatgut-Unter­nehmen gegeben hat, deren Anteil am Welt­markt jeweils weniger als 1 Prozent betrug, waren es im Jahr 2013 nur noch 10 Kon­zerne, die gemeinsam mehr als 85 Prozent des Welt­marktes kontrollierten.
Im EU-Raum stammen mitt­ler­weile 95 Prozent des Gemüse-Saat­gutes von nur 5 Konzernen!
Die Kon­troll­stra­tegien der Saatgut-Konzerne
Zu den Kon­troll­stra­tegien der Saatgut-Kon­zerne wie z. B. Syn­genta (CH), Bayer Crop Sc. (D) und Monsanto (USA) zählen mit­unter der Aufkauf von Saat­gut­firmen sowie die Ent­wicklung von Sorten mit hohem Bedarf an Dün­ge­mitteln und Pes­ti­ziden, von sog. Hybriden (deren Samen nicht ver­wendbar sind) und patent­ge­schützten Gen-Sorten (GVO-Sorten, gen­tech­nisch ver­än­derte Organismen).
Diese Mass­nahmen stellen eine grosse Gefahr für die Umwelt, die bäu­er­liche Selbst­be­stimmung und die Sor­ten­vielfalt dar.
Hybrid­sorten haben z. B. den Nachteil, dass ihre Samen nicht aus­gesät werden können, da daraus Pflanzen mit ganz anderen Eigen­schaften ent­stehen würden. Ihre ange­züch­teten guten Eigen­schaften gehen also schon in der zweiten Gene­ration ver­loren. Aus diesem Grund müssen die Bauern Jahr für Jahr neues Saatgut kaufen, woraus sich zunehmend eine voll­kommene Abhän­gigkeit von den Saatgut-Kon­zernen ergibt.
Inzwi­schen wird fast überall das­selbe Saatgut aus­gesät. Sorten, die besonders gut an die lokalen Ver­hält­nisse ange­passt sind und daher weniger Dünger oder auch weniger Pflan­zen­schutz­mittel benö­tigen, gibt es kaum noch. Sie sind auch nicht mehr nötig, da die Saat­gut­kon­zerne ihr Saatgut sowieso nur im Set mit den pas­senden Che­mi­kalien zum Pflan­zen­schutz ver­kaufen. Die Umwelt oder Gesundheit der Ver­braucher inter­es­siert nicht.
Laut Schät­zungen der Food and Agri­culture Orga­nization of the United Nations (FAO) sind auf diese Weise weltweit mitt­ler­weile 75 Prozent der land­wirt­schaft­lichen Vielfalt ver­loren gegangen.
Dem­zu­folge finden rund um den Globus immer mehr Pro­teste gegen die Saatgut-Multis statt, gegen gen­tech­nisch ver­än­dertes Saatgut, gegen Patente auf Pflan­zen­sorten etc.
EU-Saat­gut­ver­ordnung wird im Keim erstickt
Als im April 2008 bekannt wurde, dass die EU-Kom­mission an einer grund­le­genden Über­ar­beitung der EU-Saat­gut­markt­ordnung arbeitete, wurde gewis­ser­massen das Fass zum Über­laufen gebracht. Im Mai 2013 stellte man den Entwurf zur neuen EU-Saat­gut­ver­ordnung vor.
Wäre sie in Kraft getreten, wären das Erhalten und Tau­schen alter Sorten ein­ge­schränkt und der Handel mit Sor­ten­ra­ri­täten ver­boten bzw. massiv erschwert worden. Aus­serdem wäre auch die Abhän­gigkeit der Bauern von den Saatgut-Kon­zernen weiter gewachsen.
Orga­ni­sa­tionen wie z. B. Arche NoahGlobal 2000 und Green­peace waren sich einig, dass die neue Saat­gut­ver­ordnung die lokale Sor­ten­vielfalt gefährde, die Wahl­freiheit der Kon­su­menten igno­riere und die Inter­essen der Saatgut-Kon­zerne forciere.
Es wurden sodann rund 900.000 Unter­schriften gegen die umstrittene Saat­gut­ver­ordnung gesammelt –mit Erfolg! Denn am 11. März 2014 wurde diese vom EU-Par­lament mit grosser Mehrheit abge­lehnt und am 25. Februar 2015 wurde sie von der EU-Kom­mission formell zurückgezogen.
Saatgut: Wie geht es weiter?
Seitdem ist es still um das weitere Vor­gehen geworden, doch die Reform des EU-Saat­gut­ver­kehrs­rechts wird fort­ge­führt, wie Vytenis Povilas Andri­ukaitis, EU-Kom­missar für Gesundheit und Lebens­mit­tel­si­cherheit, im EU-Par­lament ver­lauten liess.
Es ist aber noch immer nicht klar, ob nur einige Artikel abge­ändert werden oder ob ein völlig neues Konzept erstellt wird. Laut Arche Noah dürfe die Vielfalt nicht auf Aus­nahmen und büro­kra­tische Nischen beschränkt werden, sondern müsse ohne Ein­schrän­kungen gesetzlich aner­kannt werden.
Im Februar 2015 rechnete Andri­ukaitis damit, dass es noch min­destens 2,5 Jahre dauern werde, bis ein neuer Vor­schlag auf dem Tisch liege. Das bedeutet im Klartext, dass das System der 12 EU-Saat­gut­richt­linien und der 3 Erhal­tungs­sorten-Richt­linien wei­terhin Gül­tigkeit hat.
Vor­teilhaft ist hierbei, dass die ein­zelnen EU-Mit­glieds­staaten das gel­tende Recht den jewei­ligen natio­nalen Ver­hält­nissen anpassen können.
Nichts­des­to­trotz kann das gegen­wärtige Recht in Bezug auf die Erhaltung und För­derung der bio­lo­gi­schen Vielfalt auf den Feldern und in den Gärten nicht als optimal bezeichnet werden, da die EU-Richt­linien für Erhal­tungs­sorten kei­neswegs den nötigen Spielraum bieten, um der fort­schrei­tenden Ver­armung der Agro-Bio­di­ver­sität ent­ge­gen­wirken zu können.
Wer bestimmt, was wir essen dürfen?
Das inter­na­tionale Business hat den Saat­gut­markt erst dann für sich ent­deckt, als in den 1960er Jahren die ersten Regu­lie­rungen zum Saat­gut­verkehr erlassen wurden. In der EU regelt das Saat­gut­ver­kehrs­recht, welches Saatgut auf den Markt kommen bzw. ver­kauft werden darf.
Das Saat­gut­ver­kehrs­recht sollte die Bauern eigentlich vor schlechtem Saatgut schützen. Aus diesem Grund wurden Zulas­sungs­kri­terien auf­ge­stellt, die das Saatgut erfüllen muss. Dazu zählen z. B. Min­dest­an­for­de­rungen in Bezug auf die Keim­fä­higkeit, die Reinheit, die Sta­bi­lität, die Unter­scheid­barkeit und die Homogenität.
In Deutschland ist für die Zulassung von Nutz­pflanzen das Bun­des­sor­tenamt zuständig, in Öster­reich das Bun­desamt für Ernäh­rungs­si­cherheit und in der Schweiz das Bun­desamt für Land­wirt­schaft. Dabei werden Sorten klas­si­fi­ziert und beur­teilt – bei Kar­toffeln ent­scheiden z. B. die Form und die Anzahl der Augen über deren Qua­lität. Der Geschmack oder der Nähr­stoff­gehalt spielen hierbei keine Rolle.
Da alte Sorten diesen Norm­vor­gaben meist nicht ent­sprechen, z. B. weil die Früchte nicht alle gleich gross sind, haben sie keine Chance zuge­lassen zu werden. Man passte die Richt­linien also aus­schliesslich den Bedürf­nissen der Saat­gut­in­dustrie und der indus­tri­ellen Land­wirt­schaft an.
Saatgut: Erhal­tungs­richt­linien haben ihr Ziel verfehlt
Nachdem klar wurde, dass die Sor­ten­vielfalt auf­grund besagter Mass­nahmen immer mehr abnahm, wurden die Erhal­tungs­sor­ten­richt­linien geschaffen. Doch diese Nische ist viel zu klein und mit derart viel Büro­kratie ver­bunden, sodass sie für die Erhaltung alter bäu­er­licher Sorten nicht wirklich hilf­reich ist.
Bauern, Gärtner und Züchter haben im Rahmen der Erhal­tungs­richt­linien zwar die Mög­lichkeit, altes Saatgut beim zustän­digen Bun­desamt anzu­melden und dann in Verkehr zu bringen. Doch darf eine bestimmte Höchst­menge nicht über­schritten werden – z. B. bei Gemüse so viel, wie für den Anbau auf 10 bis 40 Hektar benötigt wird.
Aus­serdem muss genau­estens darüber Buch geführt werden, wie viel Gramm Saatgut von welcher Sorte erzeugt wurde. Das Saatgut darf dabei in der Regel nur in den soge­nannten “Ursprungs­re­gionen” erhalten, ver­mehrt und in den Verkehr gebracht werden. Paradox erscheint dabei, dass genau genommen weder die Kar­toffel noch der Apfel oder die Tomate einen euro­päi­schen Ursprung haben!
Dazu kommt der finan­zielle Aspekt. In Deutschland fallen für die Aner­kennung pro Sorte 200 Euro an. Zusätzlich muss eine Schutz­gebühr in Höhe von 30 Euro bezahlt werden, damit mit dieser einen Sorte Handel betrieben werden darf.
Des Wei­teren können Gemü­se­sorten als Ama­teursorten zuge­lassen werden, aller­dings nur dann, wenn sie für den Anbau zu gewerb­lichen Zwecken als wertlos ein­ge­stuft werden.
All das führt letzt­endlich dazu, dass die Büro­kratie mehr Zeit und Geld in Anspruch nimmt als die Pflege und Ver­breitung einer Sorte. Da sich dieser Aufwand nicht lohnt, ver­schwinden unwei­gerlich immer mehr alte Sorten von den Äckern und aus den Gärten.
Zahlen ver­deut­lichen den Verlust der Vielfalt
Das Magazin National Geo­graphic hat darüber berichtet, dass in den USA inzwi­schen rund 90 Prozent der his­to­risch bekannten Obst- und Gemü­se­sorten nicht mehr angebaut werden.
Auf den Phil­ip­pinen hat es in den 1960er Jahren noch mehr als 3.000 ver­schiedene Reis­sorten gegeben, von denen es jetzt nur noch zwei gibt. Und in Indien wurden einst 30.000 ver­schiedene Reis­sorten kul­ti­viert – inzwi­schen domi­nieren 10 Sorten 75 Prozent des Anbaugebietes.
Doch auch in Europa ist der Sor­ten­schwund erschre­ckend: So hatte früher allein in Ost­friesland jede Familie ihre Grün­kohl­sorte. Nun sind noch ganze zwei Sorten im Handel erhältlich. Zwi­schen 1850 bis 1900 wurden in Europa 2.000 Bir­nen­sorten beschrieben. Heute beherr­schen etwa zehn Sorten den Markt.
Besonders sor­ten­reich ist die Tomate. Weltweit gibt es rund 20.000 Toma­ten­sorten. Davon finden sich im Sor­ten­ka­talog der EUetwa 3.800. Herrlich süsse, zarte und aro­ma­tische Sorten sind dabei.
In Europa aber sind nur etwa 10 Toma­ten­sorten in wirt­schaft­licher Hin­sicht von Bedeutung. Keine dieser 10 Sorten zeichnet sich durch einen besonders guten Geschmack aus. Wichtig ist nur, dass die Tomaten reiche Ernten bringen, stossfest sind und sich gut lagern lassen. Das Ergebnis: Die meist unreif geern­teten Früchte sehen zwar noch nach Tomate aus, schmecken aber nach nichts.
Da nun im breiten Stil nur noch jene Sorten angebaut werden, die reiche Erträge ver­sprechen und indus­triell gut ver­wertbar sind, kommen immer weniger Ver­braucher in den Genuss der bunten Vielfalt. Die aller­meisten Kinder wachsen schon mit der fixen Idee auf, dass alle Karotten orange und alle Tomaten rot sind. Noch nie sahen sie weisse oder vio­lette Karotten. Und von oran­genen, rosa­far­benen oder gar schwarzen Tomaten haben sie noch nie gehört.
Saatgut – Ein Kul­tur­schatz, der erhalten werden muss
Gäbe es die pri­vaten Züchter und Sor­ten­er­halter sowie die enga­gierten Bauern und Gärtner nicht, wäre es um die Sor­ten­vielfalt noch viel schlechter bestellt, als es ohnehin schon der Fall ist. Viele von ihnen haben schon auf­ge­geben, behalten ihr Wissen und ihr Saatgut für sich oder werden durch die der­zeitige Geset­zeslage in die Ille­ga­lität getrieben (Selbst­ver­sorgung: Terra Preta – die schwarze Revo­lution aus dem Regenwald).
Andere wollen sich der Saatgut-Lobby jedoch nicht beugen und kämpfen wei­terhin für das, was einst die nor­malste Sache der Welt war: Die Wei­tergabe und der Verkauf von Saatgut ohne büro­kra­tische Hürden und ohne Knebelpolitik.
Auch immer mehr Ver­braucher wachen auf und betei­ligen sich an Demons­tra­tionen für die Freiheit des Saat­gutes. Sie unter­stützen ferner Orga­ni­sa­tionen, welche die Rettung gefähr­deter Kul­tur­pflanzen auf unter­schied­lichen Wegen vor­an­treiben und wollen auch selbst wieder Obst und Gemüse alter und sel­tener Sorten in ihrem Garten anbauen.
Saatgut kaufen, ver­schenken und tauschen
Wenn auch Sie sich für den Erhalt alter und bedrohter Gemüse- und Obst-Sorten ein­setzen möchten, können Sie das ent­spre­chende Saatgut z. B. bei den fol­genden Ver­einen beziehen, viele weitere Quellen finden Sie im Internet: