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Europa: Zu feig zum Kulturimperialismus?

Die euro­päische Zivi­li­sation ver­steht sich als die am besten ent­wi­ckelte und humanste der Welt. Mit gutem Grund: Immerhin wurde in Europa nicht nur das Abendland erfunden, in unserem okzi­den­talen, durch Antike und Chris­tentum geprägten Kul­turraum fand auch die Auf­klärung statt. Hier wurde der Rechts­staat in seinen Grund­zügen fest­gelegt und auf dem euro­päi­schen Kon­tinent sind die ältesten Demo­kratien der Welt zu finden. Wir Europäer kennen Mei­nungs­freiheit, freie Wahlen, Bür­ger­rechte, Sozi­al­staat, innere Sicherheit in den Nationen, Reli­gi­ons­freiheit und Gleichheit vor dem Gesetz.
Die Ver­pflichtung Europas
Das alles ist uns Euro­päern seit Jahr­zehnten bewusst und unzählige Poli­tiker, Autoren und Jour­na­listen erinnern in Essays und Sonn­tags­reden stets gerne daran. Oft ist auch die Rede davon, dass diese glück­liche Ent­wicklung, die dem Bürger erst seine volle Ent­faltung ermög­licht, auch eine besondere Ver­pflichtung dar­stellt: Europa sollte anderen Regionen dieser Welt als leuch­tendes Bei­spiel dienen und tut dies in vieler Hin­sicht auch.
Mission? Ver­breitung?
Sobald wir uns aber aktiv zu diesen vor­teil­haften Ent­wick­lungen und Errun­gen­schaften bekennen, ver­lässt uns der Mut. Keine euro­päische Demo­kratie ist in den letzten Jahren je auf die Idee gekommen, die “euro­päi­schen Werte” in großem Stil aktiv in die Welt hinaus zu tragen, die Wer­tigkeit der Werte fällt eher unter die Begriffe Nabel­be­schau und Selbst­re­ferenz. Auf diese Art ist eine nach­haltige Ver­breitung kaum möglich.
Der Begriff der Mission ist sogar für die katho­lische Kirche, für die sie seit Petrus den fun­da­men­talsten Grund­auftrag dar­stellte, zwi­schen­zeitlich eine Ange­le­genheit geworden, die zumindest frag­würdig, sicher aber respektlos anderen Kul­turen gegenüber und irgendwie als implizit gewalt­tätig, über­heblich und daher als obsolet gilt.
Aus Toleranz wurde Feigheit
Damit sind wir bei einem euro­päi­schen Grund­problem ange­langt: Wer nicht zu seinen Werten steht und diese nach außen nicht ver­tritt, muss für seine Schwächen Recht­fer­ti­gungen suchen. Diese wurden unter dem Deck­namen Toleranz und Respekt gefunden. Ursprünglich waren diese Begriffe einmal wichtig und sie bedingen auch die Freiheit des Ein­zelnen. Aber heute stellen sie keine echte selbst­be­wusste Haltung mehr dar, sondern sind längst Zeichen einer dege­ne­ra­ti­ons­be­dingten Feigheit geworden.
Zu Ende gedacht sitzen wir mit unserer aktu­ellen Pas­si­vität und Schwäche in einer töd­lichen Falle. Wenn wir davon aus­gehen, dass Europa den Hort der­je­nigen Werte dar­stellt, die für den Men­schen die besten Mög­lich­keiten bieten, sich frei zu ent­wicklen, dann sind wir nicht nur ver­pflichtet, dies laut zu sagen, sondern dann haben wir in einem huma­nis­ti­schen Sinne ja auch den unleug­baren Auftrag, mög­lichst viele Men­schen aus ihrer womöglich nicht immer selbst ver­schul­deten Unmün­digkeit und aus ihrer Unfreiheit heraus zu holen.
Wir sind kein Schaukasten
Europa kann nicht nur als Angebot und als Schau­kasten exis­tieren, wo man sich ansehen kann, wie Demo­kratie und Rechts­staat funk­tio­nieren, denn das wäre im Grunde ein Zynismus jenen gegenüber, die nicht die Mög­lichkeit haben, ihren eigenen Staat in eine echte Demo­kratie zu ver­wandeln. Die “Republik” (wort­wörtlich die Sache der Bürger) bliebe für Außen­ste­hende sol­cherart unwirklich wie der Inhalt einer dieser kit­schigen Glas­kugeln, in denen es innen schneit.
Die Schuld, die ewige Schuld
Weil aber Europa durch Jahr­hun­derte hin­durch Kolo­ni­al­mächte her­vor­brachte, die eine impe­ria­lis­tische, expansive und krie­ge­rische Politik samt ent­spre­chenden gewalt­tä­tigen Maß­nahmen bis tief ins 20. Jahr­hundert betrieben und die untrennbar zur Geschichte des Kon­ti­nents gehören, trauen wir uns heute nicht einmal mehr, unsere auf­ge­klärte, wirt­schaft­liche und soziale Kultur in die Welt hinaus zu expor­tieren. Europa ist der Riese, der sich von seiner eigenen Geschichte auf alle Zeiten fesseln ließ.
Die Mittel zur Freiheit
Auch wenn wir wissen, dass die freie Markt­wirt­schaft und die Demo­kratie die besten Garanten für eine vor­teil­hafte Ent­wicklung sind, hat Europa aus lauter Scham für seine Ver­gan­genheit keine Tech­niken ent­wi­ckelt, diese Struk­turen in die Welt zu tragen. Der poli­tisch gelähmte Riese darf nur sal­bungs­volle Rhe­to­riken benützen, aber niemals mehr aktiv werden, weil er wie weiland Gul­liver gut vertäut am Boden liegt.
Die Alter­native war fatal
Da man aber wusste, dass man der Welt etwas schuldig ist, kam man dafür im Zentrum des chro­ni­schen Schuld­be­wusst­seins, nämlich in Deutschland, auf eine andere, höchst fatale Idee: Weil  Europa aus den genannten Gründen der Kol­lek­tiv­schuld nicht in die weniger weit ent­wi­ckelte Welt hin­aus­gehen darf, um diese zu euro­päi­sieren, soll doch diese Welt, wo wirt­schaft­liche Miss­stände und massive poli­tische Pro­bleme und frag­würdige Welt­an­schau­ungen herr­schen, nach Europa kommen. “Hier werden sie geholfen!” — das ist der sozi­al­ro­man­tisch-pseu­do­mo­ra­lische und irgendwie auch ver­zwei­felte, fast erbärm­liche Ruf der Deut­schen, der den Hin­ter­grund der gesamten Migra­ti­ons­ka­ta­strophe der letzten Jahr­zehnte bildet.
Nur Zer­störung
Wie kon­tra­pro­duktiv dieser Ansatz ist und welchen zer­stö­re­ri­schen Denk­fehler er grund­sätzlich beinhaltet, können wir mitt­ler­weile tag­täglich den Nach­richten ent­nehmen. Das Messer und das Attentat regieren, mitten in Europa. Der Respekt, den man seitens Europa anderen Kul­turen ent­ge­gen­brachte und noch immer ent­ge­gen­bringt, weil ja alle Kul­turen zwar unter­schiedlich, aber bit­te­schön unbe­dingt gleich­wertig sind, hat mitten in Europa eine Unzahl von Par­allel-Gesell­schaften ent­stehen lassen. Und in diesen Sozie­täten wüten genau jene Welt­an­schau­ungen und Hal­tungen, die man in Europa als über­wunden betrachtete und die grund­sätzlich dia­metral den euro­päi­schen Werten gegenüber stehen.
Das Dilemma
Unser Kon­tinent ist nun in der miss­lichen Lage, den für seine eigenes Über­leben immer schon not­wen­digen Kul­tur­im­pe­ria­lismus, den er nach aussen hin aus lauter Schuld­ge­fühlen, falsch ver­stan­denem Respekt und nicht zuletzt aus rie­sen­hafter Feigheit tun­lichst ver­meiden wollte, nach innen hin kon­se­quent anwenden zu müssen. Tut er das nicht, ist die Existenz des euro­päi­schen Modells beim Teufel und das Abendland mit ihm.

Dr. Marcus Franz — Abge­ord­neter zum öster­rei­chi­schen Natio­nalrat und Medi­ziner — www.dailyfranz.at