Land­kreis Alt­ötting: Kunst­stoff­her­steller ver­giftet seit 12 Jahren Trink­wasser – Aber die Behörden wiegeln ab

Das baye­rische Alt­ötting, nord­östlich von München, ist eine wun­der­schöne Gegend, das hübsche Barock­städtchen ein Tou­ris­ten­magnet, die alte Gna­den­ka­pelle stets gut besucht. Male­risch, gemütlich, urwüchsig, ver­mittelt das Städtchen baye­rische Lebens­weise, eine gesunde Umwelt und g’sunde, boden­ständige Leut’. Got­tes­furcht und Fröm­migkeit dazu, denn Alt­ötting ist ein Wallfahrtsort.
Wall­fahrtsorte ver­fügen oft über besondere Quellen und hei­lende Wässer. Aber in Alt­ötting ist das Gegenteil der Fall. Aus den Was­ser­hähnen von Alt­ötting und den umge­benden Ort­schaften kommt ver­gif­tetes Wasser. Und das nicht erst seit Neuestem.
Schon 2006 hatten dort Mit­ar­beiter der Umwelt­schutz-NGO „Green­peace“ im Wasser des Flüß­chens Alz erhöhte Werte einer Che­mi­kalie gemessen, die offen­sichtlich aus dem nahe lie­genden Che­miepark Gendorf stammte: Per­fluor­ok­t­an­säure (PFOA). Die Akti­visten fingen damals das Abwasser aus dem Che­miepark auf und pumpten es zurück in das Werk. Der Che­miepark ist ein wich­tiger Arbeit­geber in der länd­lichen Region. Viele Bürger gingen bisher ver­trau­ensvoll davon aus, die dort ansäs­sigen, großen Betriebe hielten sich schon gewis­senhaft an Höchst­werte und niemand wollte sich mit unbot­mä­ßigen Fragen irgend­welche Sche­re­reien holen.
PFOA ist ein sehr wider­stands­fä­higer und sta­biler Stoff. Es wird als Emul­gator für die Her­stellung von bestimmten Kunst­stoffen (Poly­meren), ins­be­sondere zur Her­stellung des Mate­rials Poly­te­traf­lu­or­ethylen (Teflon) benutzt. Der Stoff kann auf die ver­schie­denste Weise in die Umwelt und von da aus in den Körper gelangen. Im Nor­malfall sind die Haupt­ver­un­rei­ni­gungs­quellen Tep­piche, die mit einer schmutz- und was­ser­ab­wei­senden Schicht aus­ge­rüstet sind und Feu­er­lösch­schaum. Aber auch Dünger aus der Land­wirt­schaft gehört dazu.
PFOA ist ein sehr sta­biles Molekül und sehr schwer zu zer­setzen und abzu­ge­bauen. Daher sammelt es sich im Lauf der Jahre im Körper an, es ist „bio­ak­ku­mu­lativ“. Ist die Che­mi­kalie erst einmal im Blut, hal­biert sich die Kon­zen­tration erst nach drei Jahren. Es dauert viele weitere Jahre, bis sie ganz abgebaut ist.
Ver­suche mit dieser Sub­stanz an Nage­tieren und Studien an Fabrik­ar­beitern, die PFOA in erhöhtem Maße aus­ge­setzt waren, haben gezeigt, dass der Stoff leber­schä­digend, repro­duk­ti­ons­to­xisch (Fehl­bil­dungen bei Embryonen) und krebs­er­regend sein kann. DuPont, der Her­steller von Teflon, ist in den Staaten schon des öfteren zu Scha­dens­ersatz wegen der nach­weis­lichen Ver­ur­sa­chung von Gesund­heits­schäden durch PFOA ver­ur­teilt worden. Das Gift sorgte für Nie­ren­schäden, Schild­drü­sen­pro­bleme und Unfrucht­barkeit, aller­dings in deutlich höheren Kon­zen­tra­tionen als im baye­ri­schen Alztal.
Ab dem Jahr 2020 ist der Stoff durch EU-Richt­linien verboten.
Im Che­miepark Gendorf in der Gemeinde Burg­kirchen, dem größten Che­miepark Bayerns, wurde PFOA noch bis 2008 ver­wendet. Der Che­miepark hatte eine behörd­liche Geneh­migung, die Che­mi­kalie in einer Kon­zen­tration von 1000 Mikro­gramm pro Liter in die Alz zu ent­sorgen. Dazu kommt noch das Ver­teilen von PFOA durch die Luft über den ent­ste­henden Fein­staub. Aus der Luft und dem Fluss kam das Zeug in den Boden, sickerte ins Grund­wasser und gelangte so über das Trink­wasser ins Blut der Tiere und Men­schen im Land­kreis Altötting.
Aber irgendwie war das nie­mandem so recht bewusst und erst drei Jahre später gab es in Haiming die ersten, ein­zelnen Blut­tests, bei denen erschre­ckende Werte gemessen wurden. Das Umwelt­bun­desamt hält 2 µg PFOA pro Liter Blut für unbe­denklich, gemessen wurden Werte von 40 bis zu 100 µg/Liter. Das Zwanzig- bis Vierzigfache.
Dar­aufhin baute die Gemeinde Haiming einen Aktiv­koh­le­filter in ihren Was­ser­brunnen ein. Sehr löblich, nur die anderen Gemeinden sahen sich noch zu kei­nerlei Aktio­nismus gedrängt. Sie setzten auch keine breiten Blut­un­ter­su­chungen der Bevöl­kerung an. Erst weitere sieben Jahre später, im Herbst 2016, blies das Baye­rische Lan­desamt für Gesundheit und Lebens­mit­tel­si­cherheit zur Attacke: Reprä­sen­ta­tiven Zahlen von Blut­proben sollten ent­nommen und geprüft werden, um den Dingen auf den Grund zu gehen.
Das Deutsche Rote Kreuz rückte an und ließ die Gemeinde Emmerting zur Nadel. In den Proben betrug die Kon­zen­tration der PFOA-Werte das Zwan­zig­fache dessen, was als unbe­denklich gilt. Aber auch danach erfolgte weiter nichts in der Sache. Noch im Oktober 2016 hatte das Gesund­heitsamt Alt­ötting ver­lautbart, das PFOA im Blut der Alz­tal­be­wohner rühre von Goretex-Kleidung und der Ver­wendung von Tef­lon­pfannen her, und nur mini­malst von Trinkwasser.
Erst, als die Pas­sauer Neue Presse einen Artikel darüber ver­öf­fent­lichte, wurden die Leute wach.
Plötzlich ruckten die Köpfe hoch im beschau­lichen Tal. Emmerting machte eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­staltung zum Thema PFOA. Das war kein leichter Gang für die Ver­ant­wort­lichen. Bür­gerwut lag in der Luft. Der Bür­ger­meister Stefan Kam­mer­gruber orga­ni­sierte eine Infor­ma­ti­ons­ver­an­staltung in der ört­lichen Turn­halle, die bis auf den letzten Platz voll­be­setzt war. Viele mussten stehen und knub­belten sich an den Wänden entlang. Erster Punkt, der schon für Grummeln sorgte war, dass weder der Landrat Erwin Schneider, noch Ver­treter der ver­ur­sa­chenden Firmen Dyneon und Inf­raserv dabei waren. Sie seien bei anderen Info­ver­an­stal­tungen im Land­kreis unterwegs, hieß es.
Bür­ger­meister Kam­mer­gruber hatte von dem Sach­stands­be­richt zu PFOA erst wenige Tage vorher gehört, und so konnte er eigentlich nur den wenig tröst­lichen Fakt mit­teilen, dass die etwa zwan­zigfach erhöhten Werte nicht nur die Emmer­tinger betreffen, sondern alle Bewohner des Alz­tales. Vor­würfe wegen Ver­tu­schung wurden laut. Niemand habe gewusst, welche Gefahr das Trink­wasser für alle darstellte.
Und wieder setzte das her­um­schubsen der heißen Kar­toffel „Ver­ant­wortung“ ein. Nichts sei ver­tuscht worden. Dr. Franz Schuhbeck, zuständig für Trink­was­ser­hy­giene im Land­ratsamt, konnte beweisen, diesen Bericht schon im Dezember 2016, einen Tag vor Hei­lig­abend, auf die Inter­net­seite des Land­rats­amtes ein­ge­stellt zu haben, wo er nicht viel Beachtung fand. Dr. Schuhbeck fand diese Ergeb­nisse auch kei­neswegs über­ra­schend, da es ja schon lange bekannt war, dass Dyneon Goretex-Stoffe pro­du­zierte, wozu man per­fluo­rierte Tenside ein­setzte und PFOA ganz offi­ziell in die Alz ein­leiten durfte. Schuhbeck wusste auch, dass sich PFOA im Blut der Leute ansammeln würde. Dafür war die Che­mi­kalie bekannt.
Seit der Green­peace-Aktion 2006 wurde die Kon­zen­tration im Trink­wasser jährlich unter­sucht. Dyneon ver­zichtete seit 2008 auf den Einsatz von PFOA. Da war das Zeug aber schon im Erd­reich und im Grundwasser.
2006 lag lag der PFOA-Wert im Emmer­tinger Trink­wasser noch bei 0,16 Mikro­gramm, 2010 bei 0,12 Mikro­gramm, 2011 sank er auf 0,05 Mikro­gramm, 2013 ver­vier­fachte er sich auf 0,22 Mikro­gramm, 2015 stieg er weiter auf 0,25 Mikro­gramm und über­schritt im Juli 2016 mit 0,338 Mikro­gramm erstmals den dama­ligen, offi­zi­ellen Grenzwert von 0,3 Mikrogramm.
2016 wurde der offi­zielle Grenzwert auf 0,1 Mikro­gramm gesenkt. Jetzt gab es drin­genden Hand­lungs­bedarf. Einige Brunnen im Öttinger Forst waren besonders stark belastet und wurden von der Was­ser­ver­sorgung abge­kappt. Das ver­schaffte etwas Luft: November 2016 fiel der PFOA-Wert stark, er lag jetzt sogar unter dem neuen Höchstwert von 0,1 Mikrogramm.
Dr. Schuhbeck sah keinen Grund mehr zum Alar­mismus, und so schlum­merte der bri­sante Bericht etwa ein Jahr unbe­merkt irgendwo auf der Inter­net­seite des Land­rats­amtes. Der Titel war wenig infor­mativ, klang über­haupt nicht alar­mierend und wer sich nicht schon bereits gut infor­miert hatte, wusste auch dann, wenn er zufällig darüber stol­perte, nichts damit anzufangen.
Die Emmer­tinger auf dem Info-Abend hakten nach. Man wolle wissen, wie gesund­heits­ge­fährdend diese Kon­zen­tration von PFOA im Trink­wasser und im Blut denn jetzt wirklich seien, denn manchem kam sied­endheiß zu Bewusstsein, dass man sich dieses Gift unbe­sorgt sei 12 Jahren in den Körper geholt und dort ange­sammelt hatte. Ein Dr. Hermann Fromme vom baye­ri­schen Lan­desamt für Gesundheit ver­suchte sich in Beschwich­tigung, aller­dings ohne großen Erfolg.
Erhöhte PFOA-Werte im Blut bedeu­teten nicht auto­ma­tisch eine akute Gesund­heits­gefahr, ver­suchte er zu beru­higen: „Mit einer Sicherheit von 99,9 Prozent können sie davon aus­gehen, dass sie nicht mit gesund­heit­lichen Schäden rechnen müssen“ und dass die Krebs­gefahr etwa so riskant sei, wie das Essen von rotem Fleisch. Als er aber gleich­zeitig unmiss­ver­ständlich klar machte, dass die Was­ser­ver­sorger unter allen Umständen die PFOA-Kon­zen­tration unter 0,1 Mikro­gramm pro Liter halten und dass dazu das Trink­wasser noch über Jahr­zehnte gefiltert werden müsse, warfen ihm die Bürger Ver­harm­losung und Her­un­ter­spielen des Pro­blems vor.
Man wird in Alt­ötting, Neuötting und Win­höring nun erst einmal auf Wasser aus Tief­brunnen aus­weichen, das PFOA-frei ist. Ein Brunnen in Rai­ten­haslach erwis sich eben­falls als PFOA-frei und ver­sorgt nun Burg­kirchen, Kastl, Emmerting und Mehring im Alztal. Doch die benö­tigten Was­ser­mengen könnten diese „Aus­weich­brunnen“ schnell an ihre Grenzen bringen.
Die ver­ur­sa­chenden Firmen würden die Kosten des Fil­terns bis 2050 über­nehmen, erfuhren die Anwe­senden. Beru­higend fanden sie das aber nur sehr bedingt. Denn dadurch wurde unmiss­ver­ständlich klar, dass der Stoff min­destens bis zu diesem Zeit­punkt, also über 30 Jahre noch weiter im Grund­wasser, Trink­wasser, Boden, Obst und Gemüse vor­handen sein und sogar noch weiter ansteigen würde. Und dass eine Fil­terung auf unter Höchstwert nur eine Ver­lang­samung des Anstiegs der Blut­werte auf weitere Höhen dar­stellt. Die Bevöl­kerung des Alz­tales wird also noch weit über 30 Jahre lang PFOA in ihrem Blut und ihren Körpern ansammeln. Auf welche Werte sie dabei kommen wird, und welche Gesund­heits­schäden ihnen dadurch bevor­stehen, ist noch gar nicht absehbar.
Eine echte Lösung des Pro­blems ist das alles nicht, wurde den Bürgern klar. Das Problem wird noch die Kinder der jetzt gebo­renen Kinder betreffen.