Vogelschiss - By 4028mdk09 - Own work, CC BY-SA 3.0, Link

Die kal­ku­lierte Ent­gleisung: Gauland als Merkels Retter in höchster Not

Es gehört zum Stil­mittel der poli­ti­schen Rede zuzu­spitzen. Was der AfD-Vor­sit­zende Alex­ander Gauland in seinem heftig dis­ku­tierten Vortrag beim Bun­des­kon­gress der Jungen Alter­native tat, ver­lässt jedoch diesen Rahmen. Der erfahrene Berufs­po­li­tiker, der auf viele Jahr­zehnte in der Füh­rungs­riege der CDU zurück­blickt, musste wissen, welch heftige Reak­tionen er selbst bei jenen her­vorruft, die seiner Partei wohl­ge­sonnen gegen­über­stehen. Wer den Begriff “Vogel­schiss” in einem wie auch immer gear­teten Zusam­menhang mit dem NS-Regime ver­wendet, darf sich über breite Kritik nicht wundern. Da ist der Kontext der Aussage ebenso nach­rangig wie die grund­sätz­liche Bot­schaft der Rede, in der Gauland sich klar von den Ver­brechen der Natio­nal­so­zia­listen distan­zierte. Natürlich hatte sich der AfD-Vor­sit­zende auf die Dauer der Nazi-Schre­ckens­herr­schaft im Ver­hältnis zur langen deut­schen Geschichte bezogen. Das ergibt sich zwei­felsfrei, wenn man die betref­fende Passage der Rede liest. Und dennoch ist seine Wortwahl ange­sichts der Grö­ßen­ordnung des ver­ur­sachten Leids geschmacklos und überdies schädlich für seine Partei. Man muss kein Feind der AfD sein, um Unbe­hagen zu emp­finden, wenn einer sich so äußert. Ursprünglich sah der Redetext die For­mu­lierung “Flie­gen­schiss” vor. Schwer zu beur­teilen, ob die Abwei­chung vom Manu­skript den Effekt eher ver­schlimmert oder abge­mildert hat. In jedem Fall ist die mit­schwin­gende Anbie­derung an die rechts­extreme Szene genauso inak­zep­tabel wie die feh­lende Distan­zierung von Links­extremen, Grün­ra­di­kalen oder Isla­misten, die sich in anderen Par­teien zeigt.

Könnte es sich bei Gauland um ein “U‑Boot” der CDU handeln, mit dem eine Ver­an­kerung der AfD im bür­ger­lichen Lager ver­hindert werden soll?

Die neu­er­liche Ent­gleisung Gau­lands könnte aller­dings auch einen ganz anderen Hin­ter­grund haben: Im Polit­jargon spricht man von “U‑Booten”, wenn man Per­sonen meint, die Par­tei­or­ga­ni­sation im Sinne der Draht­zieher beein­flussen, steuern oder mani­pu­lieren. Sie wirken gerne bei Par­tei­neu­grün­dungen und in Phasen, in denen sich junge Par­teien eta­blieren. Dabei agieren sie zunächst unauf­fällig, sind enga­giert und ver­meintlich der gemein­samen Sache ver­pflichtet. Sobald sie jedoch die Füh­rungs­ebene erreicht haben, was in neuen Par­teien schnell gehen kann, setzen sie gezielt Stör­feuer ein. Ich selbst habe vor acht Jahren eine solche Erfahrung im Rahmen einer Par­tei­neu­gründung gemacht, als die zusammen mit Gabriele Pauli und anderen gegründete Freie Union durch Ex-CSUler von innen desta­bi­li­siert wurde. Nach einem Jahr, in dem wir bun­des­weite Struk­turen auf­gebaut hatten, gaben wir das Projekt auf. Könnte es sich also bei Gauland um ein “U‑Boot” der CDU handeln, dessen Auftrag es ist, einer breiten Ver­an­kerung der AfD im bür­ger­lichen Lager den Boden zu ent­ziehen? Letztlich erreicht er mit seinen kal­ku­lierten Aus­fällen genau das. Und so völlig aus der Luft gegriffen ist die Frage nicht. Es fällt auf, dass der lang­jährige CDU-Spit­zen­po­li­tiker immer dann für einen Eklat sorgt, wenn es für die Kanz­lerin eng wird. Das mag Zufall sein oder daran liegen, dass Merkel seit zwei­einhalb Jahren fast beständig unter Druck steht. Jeden­falls hat Gauland mit seiner neu­esten Ent­gleisung dafür gesorgt, dass die selbst von Teilen der getreuen Presse ange­zählte Asyl­skandal-Kanz­lerin aus den Schlag­zeilen verschwindet.

Dank Gauland kann die Kanz­lerin erst einmal durch­atmen und den von ihr ver­ur­sachten und ver­ant­wor­teten BAMF-Skandal wei­terhin aussitzen

Dem erfah­renen Polit­stra­tegen musste klar sein, dass dies ein ent­schei­dender Neben­effekt seiner Rede sein würde. Ähnlich war es auch schon vor zwei Jahren, als Gauland – damals noch stell­ver­tre­tender Vor­sit­zender seiner Partei – öffentlich kundtat, einen wie Jerome Boateng wolle er ganz sicher nicht als Nachbarn haben. Inzwi­schen hat sich der AfD-Vor­sit­zende für den “ani­ma­li­schen Auswurf, mit dem ich den Natio­nal­so­zia­lismus ver­glichen habe”, ent­schuldigt. Dies spricht ihn aller­dings nicht vom Ver­dacht frei, bewusst agiert zu haben. Und den ent­stan­denen Schaden für seine Partei kann er damit eben­falls kaum gut­machen. Es wird inter­essant sein zu sehen, wie die AfD in kom­menden Umfragen abschneidet. Eine Heimat für das bür­ger­liche Lager ist sie mit derlei Wort­mel­dungen aus ihrer Füh­rungs­ebene aber zunehmend weniger. Und die Kanz­lerin kann erst einmal durch­atmen. Sie sitzt den von ihr ver­ur­sachten und ver­ant­wor­teten BAMF-Skandal wei­terhin aus und freut sich darüber, dass sich Fußball-Deutschland spä­testens ab Mitte kom­mender Woche für nichts anderes mehr inter­es­sieren wird als den rol­lenden Ball. Panem et Cir­censes – das jahr­tau­sen­dealte Mittel der Herr­scher, wird auch in diesem Jahr sein Ziel nicht ver­fehlen. Ohne die Wort­meldung des AfD-Vor­sit­zenden hätte Angela Merkel aller­dings weitaus mehr Mühe gehabt, die täglich lauter wer­denden Rufe nach einer lücken­losen Auf­klärung bis dahin an sich abperlen zu lassen. Wie unver­hofft die “Rettung” war, weiß nur Alex­ander Gauland selbst.
 

 
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