Eine wahre Indiana-Jones-Geschichte – eine archäologische Sensation! Schon seit dem 16. Jahrhundert gab es Gerüchte über eine Provinz im Regenwald von Honduras, deren Städte reich und prachtvoll seien, ganz besonders die Weiße Stadt, auch Stadt des Affengottes genannt.
Immer wieder machten sich Abenteurer und Archäologen auf die Suche nach den Zeugnissen dieser Zivilisation, die offenbar nicht zu den Mayas gehörte. Manchmal stießen sie tatsächlich auf Ruinen, aber eine wirkliche Erforschung war in dem von giftigen Schlangen und tödlichen Krankheitserregern verseuchten und vom Dschungel überwucherten Gelände unmöglich.
Erst die moderne Lasertechnik, mit deren Hilfe das Gelände aus der Luft gescannt wird, ermöglichte genauere Hinweise, wo sich größere Ansiedlungen befinden. Um sie vor Ort zu untersuchen muss man sich allerdings auch heute noch auf den beschwerlichen Weg durch den Dschungel machen.
Der Schriftsteller und Journalist Douglas Preston schloss sich kürzlich einer archäologischen Expedition an. Sie fand tatsächlich die eindrucksvollen Ruinen einer untergegangenen Stadt, aber sie zahlte am Ende auch einen hohen Preis.
Das Tor zur Hölle
Ganz im Osten von Honduras, in einem Landstrich namens La Mosquitia, befinden sich einige der letzten weißen Flecken unserer Landkarte. Die Mosquitia ist eine etwa 80 000 Quadratkilometer große Bergregion, die von Regenwäldern, Sümpfen, Seen und Flüssen durchzogen ist.
Die ersten spanischen Entdecker markierten sie auf ihren Karten mit Portal del Infierno, »Tor zur Hölle«. Die Mosquitia ist eine der unzugänglichsten Gegenden der Welt, jahrhundertelang scheiterte jeder Versuch, in sie vorzudringen. Bis heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wurden Tausende Quadratkilometer nicht erforscht.
Im Herzen der Mosquitia überwuchert der dichteste Urwald der Welt eine wilde Berglandschaft. Einige der Gebirgszüge ragen über anderthalb Kilometer hoch auf und sind von tiefen Schluchten, hohen Wasserfällen und reißenden Bächen durchsetzt.
Pro Jahr gehen hier mehr als drei Meter Regen nieder, weshalb die Gegend regelmäßig von Überschwemmungen und Erdrutschen heimgesucht wird. Die Schlammlöcher können einen Menschen bei lebendigem Leib verschlingen. Im Unterholz lauern tödliche Giftschlangen und Jaguare, Dornen bohren sich in Kleider und Fleisch.
Selbst erfahrene und mit Macheten und Sägen ausgerüstete Forscher müssen damit rechnen, an einem brutalen Zehn-Stunden-Tag bestenfalls vier oder fünf Kilometer voranzukommen. Aber nicht nur natürliche Gefahren erschweren die Erkundung der Mosquitia.
Honduras hat neben El Salvador die mit Abstand höchste Mordrate der Welt. Vier Fünftel des Kokains, das von Südamerika in die Vereinigten Staaten kommt, wird durch Honduras geschleust. Weite Teile des Landes werden von Drogenkartellen beherrscht. Regierungsbeamte der Vereinigten Staaten dürfen derzeit nicht in die Mosquitia und den Bezirk Gracias a Dios reisen, »aufgrund ernstzunehmender Drohungen gegen US-amerikanische Staatsbürger«, wie das Außenministerium mitteilt.
Aufgrund der Abgeschiedenheit der Mosquitia hält sich seit vielen Jahrhunderten eine faszinierende Legende.
Tief in der undurchdringlichen Wildnis liege eine geheimnisvolle Stadt aus weißem Stein, heißt es. Es sei die Ciudad Blanca, die Weiße Stadt, die auch die »Stadt des Affengottes« genannt wird. Manche behaupten, dass die Stadt von den Maya erbaut wurde, andere glauben, dass sie schon vor Jahrtausenden von einem unbekannten und längst untergegangenen Volk gegründet wurde (Teotihuacan: Mysteriöse Zivilisation baute anders als alle anderen Kulturen Mittelamerikas).
Am 15. Februar 2015 saß ich in einem Konferenzraum des Hotels Papa Beto in der honduranischen Kleinstadt Catacamas und nahm an einer Einsatzbesprechung teil. Schon in wenigen Tagen sollte unser Team per Hubschrauber in ein unerforschtes Tal tief in den Bergen der Mosquitia geflogen werden, das nur als »Target One« oder T1 bezeichnet wurde.
Der Hubschrauber sollte uns am Ufer eines namenlosen Bergbachs absetzen, damit wir dort, mitten im Regenwald, allein auf uns gestellt ein primitives Camp errichteten. Das sollte unser Basislager sein, von dem aus wir etwas erkunden würden, das wir für die Ruinen einer bislang unbekannten Stadt hielten. Wir würden die ersten Wissenschaftler sein, die diesen Teil der Mosquitia betraten.
Keiner von uns hatte eine Vorstellung davon, was uns dort erwartete, im tiefen Urwald und in einer Wildnis, die seit Generationen kein menschlicher Fuß mehr betreten hatte. Es war Abend in Catamacas. Am Kopfende unseres großen Tisches stand der Einsatzleiter der Expedition, ein pensionierter Soldat namens Andrew Wood, den alle nur Woody nannten. Als früherer Angehöriger der Coldstream-Garde und Oberstabsfeldwebel der britischen Spezialeinheit SAS war Woody ein Experte für Urwaldeinsätze.
Zur Einleitung erklärte er uns, seine Aufgabe sei ganz einfach: Er solle uns lebend wieder nach Hause bringen.
Er hatte uns zu dieser Einsatzbesprechung eingeladen, um uns ins Bewusstsein zu rufen, mit welchen Gefahren wir bei der Erforschung des Tals konfrontiert werden konnten. Er ließ keine Zweifel daran aufkommen, dass sein Team von ehemaligen SAS-Elitesoldaten das Sagen hatte, solange wir in der Wildnis waren: Die Expedition war eine quasi-militärische Operation, und wir – die eigentlichen Expeditionsleiter eingeschlossen – hatten seinen Anweisungen ohne Widerworte Folge zu leisten.
Es war das erste Mal, dass alle Expeditionsteilnehmer – Wissenschaftler, Fotografen, Filmleute, Archäologen und ein Schriftsteller, nämlich meine Wenigkeit – an einem Ort zusammenkamen. Wir waren eine bunt zusammengewürfelte Truppe und bislang in sehr unterschiedlichem Maße in Kontakt mit der Wildnis gekommen. Woody erklärte uns in seiner abgehackten Sprechweise die Sicherheitsvorkehrungen.
Noch ehe wir überhaupt einen Fuß in den Urwald setzten, mussten wir schon auf der Hut sein. Catacamas ist eine gefährliche Stadt und wird von einer brutalen Drogenbande beherrscht – keiner von uns durfte ohne bewaffneten Begleitschutz das Hotel verlassen. Wir durften niemandem verraten, wozu wir nach Honduras gekommen waren, nicht in Hörweite von Hotelangestellten über das Projekt sprechen, keine mit der Expedition zusammenhängenden Unterlagen herumliegen lassen und nicht telefonieren, wenn fremde Ohren mithören konnten.
Im Gepäckraum des Hotels gab es einen großen Safe, in dem wir unsere Papiere, Geldbeutel, Landkarten, Computer und Pässe lassen konnten. Dann ging Woody zu den Gefahren des Urwalds über. Ganz oben auf der Liste standen die Giftschlagen, allen voran die Lanzenotter, die in Mittelamerika als barba amarilla (»Gelbbart«) bezeichnet wird.
Dieses Reptil, das zur Familie der Grubenottern zählt, ist in der Neuen Welt für mehr Todesfälle verantwortlich als jede andere Schlangenart. Sie kommt nachts aus ihrem Versteck und wird von Menschen und Aktivität angelockt. Sie ist aggressiv, reizbar und unglaublich schnell. Mit ihren Giftzähnen durchschlägt sie den dicksten Lederstiefel und speit ihr Gift mehr als zwei Meter weit.
Gelegentlich beißt sie zu, verfolgt ihr Opfer und beißt ein weiteres Mal zu. Oft zuckt ihr Kopf nach oben und schlägt über dem Knie ins Bein. Ihr Gift wirkt tödlich. Wer nicht sofort an Hirnblutungen stirbt, erliegt später einer Blutvergiftung. Wer wider Erwarten doch überlebt, dem muss oft das Bein amputiert werden, weil das Gift eine Nekrose bewirkt.
Bis ein Bissopfer geborgen werden kann, können einige Tage vergehen, denn die Mosquitia ist so schwer zugänglich, dass selbst Hubschrauber nur tags- über und bei gutem Wetter einfliegen können. Daher legte uns Woody dringend ans Herz, immer unsere Schlangengamaschen zu tragen, auch und vor allem, wenn wir nachts zum Wasserlassen aufstanden.
Wenn ein umgefallener Baum den Weg versperrte, sollten wir immer erst auf den Stamm steigen und dann erst den Fuß auf die andere Seite setzen; niemals sollten wir auf eine Stelle treten, die wir nicht einsehen konnten.
Auf diese Weise wurde nämlich Steve Rankin, der Produzent des Dokumentarfilmers und Abenteurers Bear Grylls, von einer Lanzenotter gebissen, als er in Costa Rica einen Drehort inspizierte. Rankin trug zwar seine Kevlar-Gamaschen, doch die Schlange, die auf der anderen Seite eines umgestürzten Baumstamms versteckt lag, biss ihn unterhalb des Schutzes in den Stiefel. Die Zähne fuhren durch das Leder, als sei es aus Butter.
*Wenn Sie etwas aushalten, können Sie sich das Foto im Internet ansehen.
»Und dann ist das hier passiert«, sagte Woody und reichte sein Handy herum. Es zeigte ein entsetzliches Foto von Rankins Fuß während der Operation. Obwohl er sofort ein Gegengift erhalten hatte, nekrotisierte der Fuß, und die abgestorbenen Muskeln mussten bis auf die Knochen und Sehnen hinunter entfernt werden. Rankins Fuß konnte zwar gerettet werden, aber um den Muskel zu ersetzen, musste ein Stück aus dem Oberschenkel transplantiert werden.
Unser Tal sehe so aus, als könnte es der ideale Lebensraum für die Lanzenotter sein, meinte Woody. Verstohlen blickte ich in die Runde. Die heitere Stimmung des Nachmittags, als wir mit einem Bier in der Hand am Swimmingpool des Hotels gesessen hatten, war verflogen.
Als Nächstes kam Woody auf die sechsbeinigen Krankheitsträger zu sprechen, denen wir begegnen würden, zum Beispiel Moskitos, Sandmücken, Milben, Zecken, Kusswanzen (die so heißen, weil sie mit Vorliebe ins Gesicht beißen), Skorpione und die Riesenameisen, deren Stich so schmerzhaft sein soll wie eine Schusswunde.
Die vielleicht furchterregendste Krankheit der Mosquitia ist die Schleimhautleishmaniose, die manchmal auch als weiße Lepra bezeichnet und von infizierten Sandmücken übertragen wird. Der Erreger, ein Parasit, wandert in Mund- und Nasenschleimhäute, frisst diese auf und hinterlässt da, wo einst das Gesicht war, eine riesige, nässende Wunde.
Woody schärfte uns ein, uns regelmäßig von Kopf bis Fuß mit DEET einzusprühen, unsere Kleidung ebenfalls damit zu behandeln und uns nach Einbruch der Dunkelheit sorgfältig zu bedecken. Dann berichtete er von Skorpionen und Spinnen, die nachts in unsere Stiefel krochen, weshalb wir diese auf Stöcke stülpen und morgens gründlich ausschütteln sollten.
Er warnte uns vor den heimtückischen roten Ameisen, die durchs Unterholz schwärmten und bei der leisesten Erschütterung eines Zweigs von oben auf uns herunterregneten, sich in die Haare setzten, den Nacken hinunterliefen, blindwütig zubissen und ein Gift verspritzten, das einen sofortigen Transport ins Krankenhaus erforderlich machte.
Schaut genau hin, ehe ihr einen Zweig, Ast oder Stamm anfasst, mahnte er uns. Schlagt euch nicht blind durch die dichte Vegetation. Dort lauern nicht nur Insekten und Baumschlangen, sondern auch Pflanzen mit spitzen Dornen und Stacheln. Im Urwald sollten wir immer Handschuhe tragen, am besten Taucherhandschuhe, die besser vor Dornen schützen.
Eindringlich schilderte er, wie leicht man sich im Urwald verirren konnte. Oft reichte es schon, sich vier oder fünf Meter von der Gruppe zu entfernen. Nie und unter gar keinen Umständen sollte es sich irgendjemand von uns einfallen lassen, sich allein vom Camp oder im Urwald von der Gruppe zu entfernen.
Bei jeder Exkursion waren wir angehalten, einen Rucksack mit einer Notfallausrüstung – Proviant, Wasser, Kleidung, DEET, Taschenlampe, Messer, Streichhölzer, Regenkleidung – dabeizuhaben, für den Fall, dass wir uns verirrten und eine Nacht im Schutz eines tropfenden Baumstamms verbringen mussten.
Jeder von uns bekam eine Trillerpfeife, und sobald wir glaubten, uns verlaufen zu haben, sollten wir stehen bleiben, pfeifen und warten, bis uns jemand holte. Ich hörte aufmerksam zu.
Ehrlich. Aber ich hatte den Eindruck, dass Woody uns nur Angst einjagen wollte, damit wir uns brav an seine Anweisungen hielten. Ich nahm an, dass er den Greenhorns unter uns lieber ein bisschen zu viel Vorsicht einbläuen wollte. Ich war einer von drei Teilnehmern, die bereits über Target One geflogen waren.
Aus der Luft hatte es ausgesehen wie ein sonniges Tropenparadies und nicht wie der gefährliche, düstere, von Ungeziefer und Schlangen verseuchte Dschungel, den Woody an die Wand malte. Uns würde schon nichts passieren.
*Der Name Mosquitia hat nichts mit dem Insekt zu tun, sondern geht auf die Küstenbewohner zurück, eine Mischung aus Ureinwohnern, Europäern und Afrikanern. Nachdem sich diese vor einigen Jahrhunderten Musketen (spanisch mosquetes) beschafft hatten, wurden sie als Miskitos oder Mosquitos bezeichnet.
Irgendwo in Amerika
Zum ersten Mal hörte ich von der Legende der Weißen Stadt 1996, als ich im Auftrag der Zeitschrift National Geographic eine Geschichte über die alten Tempel von Kambodscha recherchierte. Die NASA war kurz zuvor mit einer DC-10 über verschiedene Urwaldregionen der Welt geflogen, um zu ermitteln, ob man mit einem neuen, hochentwickelten Radarsystem das dichte Blätterdach durchdringen und Aufnahmen vom Boden machen konnte.
Experten, die sonst Satellitenaufnahmen der Erdoberfläche analysierten, hatten die Bilder in den NASA-Labors im kalifornischen Pasadena ausgewertet. Dabei hatten sie im kambodschanischen Urwald die Ruinen eines bislang unbekannten Tempels aus dem 12. Jahrhundert entdeckt.
Um mehr darüber zu erfahren, traf ich mich mit dem Teamleiter Ron Blom. Blom hatte wenig Ähnlichkeit mit dem Klischee eines Wissenschaftlers. Er war braun gebrannt und durchtrainiert, trug Bart sowie Fliegerbrille und Indiana-Jones-Hut. International bekannt geworden war er, weil er die verschollene Stadt Ubar in der Arabischen Wüste entdeckt hatte.
Als ich ihn fragte, an welchen Projekten er arbeitete, ratterte er gleich eine ganze Reihe herunter: Er suchte die Routen der Weihrauchhändler durch die Wüste der Arabischen Halbinsel, rekonstruierte den Verlauf der alten Seidenstraße und kartierte Schlachtfelder des Amerikanischen Bürgerkriegs in Virginia.
Wenn man Radar- und Infrarotaufnahmen mit verschiedenen Wellenlängen kombinierte und die digitalisierten Bilder am Computer bearbeitete, konnte man heute bis fünfzehn Meter tief unter den Wüstensand blicken, durch das Blätterdach eines Urwalds spähen und sogar unter der Teerdecke von modernen Straßen alte Wege erkennen, erklärte er mir.
(Nach Abzug des dichten Urwaldbewuchses ergeben sich aus den LiDAR-Daten Informationen über eine große, von Terrassen eingefasste rechteckige archäologische Struktur unter dem dichten Urwald der Los Mosquitia Region)
Alte Wege waren ganz nett, aber ich interessierte mich vor allem dafür, ob man mit dieser neuen Technik noch weitere untergegangene Städte wie Ubar entdecken könnte. Als ich ihn danach fragte, antwortete er plötzlich ausweichend. »Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir uns auch andere Regionen ansehen.«
Wissenschaftler sind schlechte Lügner. Ich wusste sofort, dass er mir etwas verheimlichen wollte. Als ich nachhakte, gab er schließlich zu, dass es »eine sehr große Fundstätte sein könnte. Aber ich darf nicht darüber sprechen. Ich arbeite für einen privaten Kunden und habe eine Vertraulichkeitserklärung unterschrieben.
Wir gehen von einer Legende um eine versunkene Stadt aus. Ich kann Ihnen nur sagen, dass sie irgendwo auf dem amerikanischen Kontinent liegt. Der Legende nach befindet sie sich an einem ganz bestimmten Ort, und wir suchen auf Satellitenaufnahmen danach.« »Und haben Sie sie gefunden?« »Das kann ich Ihnen nicht sagen.« »Für wen arbeiten Sie?« »Auch das darf ich Ihnen nicht verraten.«
Blom willigte aber ein, seinem geheimnisvollen Auftraggeber von meinem Interesse zu berichten und ihn zu bitten, mich anzurufen. Versprechen konnte er mir allerdings nichts. Neugierig geworden, rief ich verschiedene Archäologen an, die in Mittelamerika arbeiteten, um herauszufinden, um welche Stadt es sich handeln könnte.
Der Maya-Experte David Stuart, der damals am Peabody Museum der Universität Harvard an der Entschlüsselung von Maya-Schriftzeichen arbeitete, sagte mir: »Ich kenne die Gegend ganz gut. Teile davon sind quasi unerforscht. Die Leute vor Ort haben mir immer von Tempeln im Wald erzählt, auf die sie bei der Jagd gestoßen waren – große Ruinen mit Skulpturen. Die meisten Geschichten stimmen. Warum sollten die Leute uns anlügen?«
In den Texten der Maya ist immer wieder von Städten und Tempeln zu lesen, die nichts mit bekannten Anlagen zu tun haben. Es ist eine der letzten Regionen der Welt, in der seit Jahrhunderten unberührte Ruinenstädte zu finden sein könnten.
Der inzwischen verstorbene Maya-Forscher Gordon Willey von der Universität Harvard brachte sofort die Legende der Weißen Stadt zur Sprache. »Als ich in den siebziger Jahren in Honduras war, war die Rede von einem Ort namens Ciudad Blanca, die Weiße Stadt, irgendwo im Urwald hinter der Küste. Es war das Gerede der üblichen Schwätzer, und ich habe gedacht, dass es sich wahrscheinlich um ein paar Kalkfelsen handelt.«
Trotzdem war Willeys Interesse geweckt, und er wollte der Sache nachgehen. »Leider habe ich keine Erlaubnis bekommen.« Die Regierung von Honduras genehmigte nur selten archäologische Expeditionen in diesen abgelegenen Urwald, weil die Gegend zu gefährlich war. Eine Woche später erhielt ich einen Anruf von Bloms Auftraggeber.
Er hieß Steve Elkins und beschrieb sich als Filmemacher und als ein von Neugierde getriebener Abenteurer. Ich sagte ihm, ich würde gern für den New Yorker einen kurzen Artikel über seine Suche nach der legendären versunkenen Stadt schreiben – welche Stadt es auch sein mochte. Zögernd willigte er ein, aber nur unter der Bedingung, dass er weder die Stadt noch das Land preisgeben musste. Im Vertrauen gab er schließlich zu, dass er tatsächlich nach der Ciudad Blanca, der Weißen Stadt oder der Verschollenen Stadt des Affengottes, suchte (King-Kong hat es wirklich gegeben (Video)).
Aber das durfte ich in meinem Artikel nicht erwähnen, denn zunächst wollte er der Sache am Boden nachgehen. »Sagen Sie einfach, dass es sich um eine Tempelstadt in Zentralamerika handelt. Aber sagen Sie nichts von Honduras, sonst fliegt alles auf.« Elkins kannte die Legenden der Europäer und Ureinwohner über eine hochentwickelte und reiche Stadt mit einem großen Handelsnetz, die sich tief in den unzugänglichen Bergen der Mosquitia befand und seit Jahrhunderten im Dornröschenschlaf lag. Es wäre eine archäologische Entdeckung von allergrößter Bedeutung.
»Wir haben gedacht, dass wir das Zielgebiet auf Satellitenbildern ausfindig machen und vielversprechende Stellen für spätere Expeditionen identifizieren könnten«, erklärte er mir. Blom und sein Team hatten sich auf ein rund zweieinhalb Quadratkilometer großes Gebiet konzentriert – der Einfachheit halber Target One oder kurz T1 genannt –, auf dem große, von Menschenhand geschaffene Bauwerke zu sein schienen.
Mehr wollte er mir nicht verraten »Mehr kann ich dazu nicht sagen, weil jeder diese Satellitenaufnahmen kaufen kann. Was wir gemacht haben, kann jeder tun und dann den Ruhm einheimsen. Oder die Stätten plündern. Wir müssen nur noch hin, und das haben wir für kommendes Frühjahr geplant. Dann können wir der Welt hoffentlich mehr sagen.«
Der Teufel hat ihn geholt
Heilige katholische und kaiserliche Majestät: … Ich habe Kunde von großen und reichen Provinzen mit mächtigen Herrschern … Man hat mir berichtet, dass sie acht oder zehn Tagesmärsche, also fünfzig oder sechzig Leugen, von Trujillo entfernt liegt. Was man von dieser Provinz berichtet, ist so wunderbar, dass sie, selbst wenn zwei Drittel davon falsch sind, Mexiko an Reichtum übertrifft und in der Pracht der Städte, Bevölkerung und Kultur gleichkommt.
Als der spanische Eroberer Hernán Cortés diese Zeilen im September 1526 zu Papier brachte, befand er sich an Bord eines Schiffs in der Bucht von Trujillo vor der Küste von Honduras.
Historiker glauben, dass er mit seinem berühmten fünften Bericht, den er fünf Jahre nach dem Untergang von Mexiko-Tenochtitlan an Kaiser Karl V. schickte, die Saat für den Mythos der Weißen Stadt des Affengottes legte.
Wenn man bedenkt, dass Mexiko, also das Reich der Azteken, atemberaubende Reichtümer barg und eine Hauptstadt mit etwa 300.000 Einwohnern hatte, dann war die Aussage, dass diese unbekannte Gegend noch prächtiger sein sollte, sehr bemerkenswert. Die Ureinwohner nannten es das Alte Land der roten Erde, so Cortés, und nach dieser vagen Beschreibung musste es irgendwo in den Bergen der Mosquitia liegen. Doch damals befand sich Cortés gerade auf einem Feldzug gegen einen seiner ehemaligen Weggefährten, der sich gegen ihn aufgelehnt hatte, weshalb er sich nie auf die Suche nach dem Alten Land der Roten Erde begab (Die Inka-Anlagen: Gigantische Steinblöcke einer unbekannten Zivilisation (Videos)).
Vielleicht schreckten ihn auch die zerklüfteten Berge ab, die von der Bucht aus zu sehen waren. Doch der Mythos lebte weiter, genau wie die Geschichten von El Dorado, die man sich jahrhundertelang in Südamerika erzählte. Zwanzig Jahre später behauptete ein Missionar namens Cristóbal de Pedraza, der später zum ersten Bischof von Honduras geweiht werden sollte, er sei auf einer seiner beschwerlichen Missionsreisen tief in den Urwald der Mosquitia vorgedrungen und habe dort etwas ganz Erstaunliches gesehen: Von einem hohen Felsen aus habe er hinunter auf eine weitläufige und blühende Stadt in einem Flusstal geblickt.
(Eine Illustration von Virgil Finlay für The American Weekly, der den Tempel der „Verlorenen Stadt des Affengottes“ darstellt)
Sein einheimischer Führer habe ihm berichtet, dass die Herrschenden dieses Reichs von goldenen Tellern aßen und aus goldenen Tassen tranken. Da sich Pedraza nicht für Gold interessierte, zog er weiter und stieg nicht hinunter in das Tal. Aber sein späterer Bericht an Kaiser Karl V. gab dem Mythos neue Nahrung.
In den nächsten drei Jahrhunderten berichteten Geografen und Reisende immer wieder von geheimnisvollen Städten in Zentralamerika. In den dreißiger Jahren des 19.Jahrhunderts war ein New Yorker namens John Lloyd Stephens regelrecht besessen von dem Gedanken, in den Regenwäldern der Region nach versunkenen Zivilisationen zu suchen, wenn es sie denn gab.
Es gelang ihm, einen Termin beim Botschafter der kurzlebigen Konföderation von Zentralamerika zu bekommen, doch als er 1839 in Honduras ankam, ging diese gerade in einem Bürgerkrieg unter. Inmitten der Wirren sah er für sich die Chance, allein aufzubrechen und sich auf die Suche nach den geheimnisvollen Ruinen zu machen.
Mit dem Briten Frederick Catherwood begleitete ihn ein hervorragender Maler, der eine Camera lucida im Gepäck hatte, um mögliche Entdeckungen bis ins kleinste Detail abzeichnen zu können. Wochenlang wanderten die beiden mit ihren einheimischen Führern durch Honduras, immer den Gerüchten über eine große Stadt auf der Spur. Tief im Landesinneren stießen sie schließlich am Ufer eines Flusses nahe der Grenze zu Guatemala auf ein elendes, abweisendes und von Mücken geplagtes Dorf namens Copán. Von den Einwohnern erfuhren sie, dass es auf der anderen Seite des Flusses uralte Tempel gab, in denen nur noch die Affen hausten.
Tatsächlich war am Ufer gegenüber eine Mauer aus behauenem Stein zu sehen. Sie überquerten den Fluss auf Eseln, kletterten eine Treppe hinauf und betraten die Stadt.
»Wir stiegen große Steinstufen hinauf«, schrieb Stephens später. »An manchen Stellen waren sie bestens erhalten, an anderen zerstört durch Bäume, die zwischen den Ritzen hervorgewachsen waren. Schließlich standen wir auf einer Terrasse, deren Form wir nicht ausmachen konnten, da der Wald, der sie überwucherte, zu dicht war. Unser Führer hieb mit seiner Machete einen Weg frei … Auf dem Weg durch das Dickicht stießen wir auf eine rechteckige Steinsäule … Auf der Vorderseite war ein sonderbar, aber reich gekleideter Mann zu sehen, und das Gesicht, offenbar ein Porträt, war ernst, streng und geeignet, dem Besucher Angst einzuflößen. Die Rückseite zeigte ein Muster, das mit nichts Ähnlichkeit hatte, das wir bis dahin gesehen hatten, und die Seiten waren mit Hieroglyphen bedeckt.« (Auf einer Tafel entdeckten Forscher, wie erschreckend fortgeschritten eine 3.700 Jahre alte Zivilisation war (Video))
Vor dieser Entdeckung glaubten die meisten von Stephens’ amerikanischen Landsleuten, dass die Ureinwohner der Neuen Welt von den Jägern und Sammlern abstammten, die westlich des Mississippi lebten. Auch in den Augen der meisten Europäer waren die »Indianer« halbnackte Wilde, die nichts hervorgebracht hatten, was den Namen »Kultur« verdiente. Stephens’ Expeditionen vermittelten ein ganz neues Bild. Plötzlich erkannte die Welt, dass es auf dem amerikanischen Doppelkontinent atemberaubende Zivilisationen gegeben hatte.
Er schrieb: »Der Anblick dieses unerwarteten Bauwerks widerlegte ein für alle Mal jegliche Zweifel hinsichtlich des amerikanischen Altertums und bewies, genau wie die neu entdeckten historischen Dokumente, dass die Menschen, die auf dem amerikanischen Kontinent lebten, keine Wilden waren.«
Diese Menschen, die die weitläufige Stadt aus Pyramiden und Palästen errichtet und ihre Denkmäler mit Inschriften bedeckt hatten, waren die Maya; sie hatten eine Zivilisation geschaffen, die den antiken Kulturen der Alten Welt in nichts nachstand…
Inhaltsverzeichnis:
1 Das Tor zur Hölle 9
2 Irgendwo in Amerika 16
3 Der Teufel hat ihn geholt 21
4 Grausamer Urwald 31
5 Eines der letzten Geheimnisse des Kontinents 38
6 Das Herz der Finsternis 53
7 Der Fisch, der den Wal verschluckt 68
8 Laser im Dschungel 77
9 Glücksspiel 83
10 Der gefährlichste Ort der Erde 93
11 Unbekanntes Gelände 109
12 Eine große Stadt 129
13 Die Lanzenotter 138
14 Blumen pflücken verboten! 150
15 Von Menschenhand geschaffen 167
16 Ich versinke! 178
17 Ein verzauberter Ort 192
18 Im Morast 204
19 Streit 217
20 Die Höhle der leuchtenden Schädel 230
21 Das Symbol des Todes 249
22 Und die Blumen verwelkten 258
23 Weiße Lepra 274
24 Im Nationalen Gesundheitsinstitut 292
25 Eine isolierte Art 304
26 La Ciudad del Jaguar 318
27 Wir sind Waisen 339
Hier gibt es die gesamte Leseprobe als PDF.
Videos:
Quellen: PublicDomain/randomhouse.de am 18.10.2017
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