Es ist ein penibles Procedere: Obwohl die 51 Bürger vorher sorgfältig ausgesucht wurden, müssen sie noch einen Workshop besuchen, bevor sie am „Bürgerdialog“ mit der Kanzlerin teilnehmen dürfen. Wenn Angela Merkel so tut, als ob sie mit dem Volk spricht, darf nichts schief gehen; Kritiker müssen aussortiert werden. Gestern fand diese Farce in Jena statt. Das ganze erinnert an Erich Honeckers Treffen mit ausgewählten FDJ-Delegationen.
Die Auswahl, wer im Gespräch mit der Kanzlerin das Volk spielen darf, haben Merkels engste Verbündeten vorgenommen. Journalisten von „Ostthüringer Zeitung“, der „Thüringischen Landeszeitung“ und dem Mitteldeutschen Rundfunk bestimmen, wer der Kanzlerin sagen darf, wie großartig er sie findet. Vorsichtshalber muss sich dennoch vorher jeder eine Schulung unterziehen.
Selbst Probeabstimmungen gibt es bei dem Workshop: Auf die Frage, ob „Deutschland von Europa mehr Vorteile oder mehr Nachteile“ habe, heben 49 die grüne Karte für „Ja“. Schon mal nicht schlecht: weit über 90 Prozent. Zwar nicht repräsentativ für die Bevölkerung, aber darum geht es beim „Bürgerdialog“ nicht. Es geht darum, Merkel-Fans vor laufenden Kameras zu präsentieren. Und da haben die Journalisten bei ihrer Auswahl keine so schlechte Arbeit geleistet. Aber: Wer muss sich dafür verantworten, dass trotzdem noch jemand die rote Karte für „Nein“ zückt?
Ein weiteres Stimmungsbild ergibt ebenfalls das Gewünschte: Die ausgewählten Thüringer sind sich einig, dass die EU ein „Friedensprojekt“ sei und Jugendliche dringend dazu gebracht werden müssten, mehr Begeisterung für Europa zu zeigen, berichtet die Welt.
Aber war da nicht etwas mit Migration und EU? Haben sich die Mitgliedsstaaten über die Massenzuwanderung nicht heillos zerstritten? Wäre wegen Merkels „europäischer Lösung“ nicht um ein Haar die Koalition geplatzt? All das darf kein Thema sein. Im Workshop der Kanzlerin-Claqueure kommt die Asylproblematik überhaupt nicht zur Sprache. Kritik an Merkel ist in dieser exklusiven Runde tabu. „Stattdessen beschäftigen die Jenaer ‚der Trump‘, die ‚Aufrüstung für die amerikanischen Angriffskriege‘ und eine zu große Distanz zu Russland“, hat „Welt“-Redakteur Robin Alexander beobachtet.
Aus Erfahrungen hat man gelernt: Obwohl auch im Bundestagswahlkampf 2017 bei einer ähnlichen Sendung im öffentlich-rechtlich Fernsehen kräftig vorsortiert und in letzter Minute noch die Sprecherin der Terroropfer vom Breitscheidplatz aus der Runde gekickt wurde, hatte es einen semi-kritischen Moment gegeben: Ein Altenpfleger stellte nicht die gewünschte Frage, sondern sprach auch von seinen Arbeitsbedingungen und brachte damit die Kanzlerin zumindest in eine kleine Bedrängnis. So etwas darf nie wieder vorkommen, wenn die Kanzlerin auf ihr Volk trifft.
Im Jenaer „Bürgerdialog“ stellen die Menschen daher offene Fragen, die der Kanzlerin Gelegenheit geben, sich als hart arbeitende Europäerin darzustellen. Die erste lautet, was Europa für Merkel bedeute. Für sie als Politikerin auch lange Nachtsitzungen, antwortet sie verschmitzt. Der vorbereitete Gag macht die Kanzlerin sympathisch, das auf Kurs gebrachte Publikum lacht wie gewünscht. Und dann sagt sie noch, „als Bürgerin“ liebe sie natürlich das Reisen ohne Pass – wie jeder ihrer Flüchtlinge.
Nun zeigt sich, wie wichtig die vorherige Schulung war: „Das Publikum ist noch braver als im Vorbereitungsworkshop“, schreibt die „Welt“. Die erste Frage lautet, warum die EU ihre vielen Leistungen nicht besser in der Öffentlichkeit „verkaufe“. Wie gemacht für die Kanzlerin, die nun erzählen kann, wie toll die EU ist und dass es eben manchmal nur ein kleines Kommunikationsproblem gebe: „Im Augenblick wird fast nur noch über das gesprochen, was nicht gut läuft. Die vielen Sachen, die gelungen sind, müssen auch einmal in den Vordergrund gestellt werden.“
Und so geht es weiter: Wie bestellt kritisiert ein Fragesteller Merkels Intimfeind, Innenminister Horst Seehofer (CSU), und dessen Masterplan zur Migration. Die nächste Fragerin geht auf Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán los, weil der einen Zaun gegen Flüchtlinge gebaut habe. Ach, wie wohl muss sich die Kanzlerin in ihrem „Volk“ fühlen.
Nach der Zirkus-Veranstaltung mit Merkel soll diese nun ausgewertet und auf einem EU-Rat im Dezember diskutiert werden. Wenn die anderen Regierungschefs sich ebenfalls vorher genau ausgewählten Bürgern stellen dürfen, kann das nur in einem großen Schulterklopfen von Macron, Sanchez und Merkel enden. (WS)
Quelle: Journalistenwatch.com