Die Säkularisierung des Westens hat naturgemäß eine generelle Schwächung der Religionen mit sich gebracht. Abgesehen von den zahlenmäßig immer mehr werdenden orientalischen und afrikanischen Immigranten, bei denen die Religion eine zentrale Rolle spielt, ist in Europa der Glaube an “das göttliche Wirken” zu einem Randphänomen geworden. Freilich bahnt sich aber die Sehnsucht nach sinnstiftenden Ideen und nach moralischen Instanzen auch beim säkularisierten Europäer ihren Weg. Echte Atheisten sind in Wirklichkeit sehr selten, an irgendein übernatürliches Wesen, an mehrere davon oder zumindest an eine metaphysische Energie glauben dann doch die meisten.
Das Christentum hat abgedankt
Das Christentum, das einst alles beherrschte und sämtliche Lebensabschnitte und ‑bereiche zumindest prinzipiell strukturierte, hält zwar noch überall seine Symbole präsent, aber im Kern besitzt es keine echte Macht mehr. Dadurch entstand eine Lücke der Sehnsucht — wonach soll der Mensch im Leben nun streben, wenn ihm das Jenseits unglaubwürdig respektive das Hier und Jetzt als Ort des einzig sinnvollen Seins vermittelt wird?
Esoterik und Kulte
In den letzten Jahrzehnten konnten sich deswegen auf der Seite der Diesseits-Orientierten die Spielarten der Esoterik und ein ganzes Bukett von diversen Säkular-Kulten etablieren. Vom Veganismus bis über den Körper-Kult, vom Gesundheitswahn bis zum monomanen Freizeit-Hedonismus, überall wird dem Suchenden etwas angeboten.
Der Sinn fehlt
Allerdings fehlt den meisten dieser Alltagskulte das moralische Fundament. Und selbst als ausschließlich säkular eingestellter Mensch hat man das Bedürfnis, ethische und moralische Rahmenbedingungen zu haben, denn andernfalls wäre das Dasein im Grunde nur ein steinzeitliches: Das Recht des Stärkeren würde gelten, aber sonst nichts.
Die listigen Kinder des Karl Marx
Die stets findigen ideologischen Nachfahren von Karl Marx haben diese Sehnsuchtslücke schon früh erkannt. Der Sozialismus hat sich deswegen in all seinen Erscheinungsformen immer auch kultisch präsentiert und tut dies heute nach wie vor. Jeder Parteitag von modernen Sozialdemokraten ist inszeniert wie ein Hochamt und die Symbolik darf dort nie zu kurz kommen. Es gibt bei den Linken demzufolge Päpste, Priester und Ministranten, Säulenheilige und Märtyrer, Apostel und Prediger. Und das Evangelium wird nach minutiösem Ritus auch immer brav und laut verlesen.
Die linke Ersatzreligion
Mit anderen Worten: Die Linke hat es geschafft, trotz oder gerade wegen Marxens Satz “Religion ist Opium für das Volk” eine funktionierende Ersatzreligion zu entwicklen, die den Leuten moralischen Halt geben soll. Die verschiedenen linken Chef-Ideologen gingen sogar soweit, ihre Lehre zu verabsolutieren und jeden, der nicht das Lied der linken Ideale singt, als Abweichler und Ketzer zu verdammen. Wer nicht links ist, der ist nicht rechtgläubig.
Je säkularer die Welt sich entwickelte, desto fundamentalistischer wurde die Linke in ihrer Fokussierung auf ersatzreligiöse Inhalte. Zur gleichen Zeit gingen ihre politischen Ideen und Visionen verloren, das verstärkte noch einmal ihre moralischen Ansprüche und Vorgaben. Die Ziele der Linksideologen werden deswegen heute nur noch als metapolitische Heilsversprechen formuliert, das aber umso vehementer. Den guten alten Sozi, der glaubwürdig seine alten Ideale vertrat, wird man in der neulinken Kirche nicht mehr finden.
Die tägliche Verkündigung
Den Leuten wird von den linksautoritären Predigern tagtäglich weisgemacht, dass nur die absolute Gleichheit aller Menschen, die offenen Grenzen samt Migrationsrecht für alle, das uneingeschränktes Recht auf Abtreibung und die Ehe für Alle, die Auflösung der traditionellen Familie sowie die schrankenlose Umsetzung und Erweiterung der Menschenrechte in jedem Bereich der alleinige Schlüssel zum irdischen Glück wären. Realpolitische Ziele haben da keinen Platz mehr, dafür wird alles politisch Andere, das den Linksautoritären nicht passt, in Grund und Boden verdammt.
Ab zur Inquisition
Jeder, der Zweifel an den Dogmen der neulinken Ersatzreligion anmeldet oder gar Kritik übt, wird von der Eiligen Inquisition, die in den politkorrekten Redaktionen bestimmter und einschlägig bekannter Medien inklusive der öffentlich-rechtlichen beheimatet ist, öffentlich verdammt und ohne Prozess sofort abgeurteilt. Niemand darf sich rechtfertigen, denn der Widerspruch gegen den linken pseudoreligiösen Hypermoralismus wird nur als taterschwerend behandelt und beschleunigt die Verbrennung am imaginären Scheiterhaufen.
Die linksautoritären Kirchenfürsten handeln de facto so wie ihre in der historischen Heiligen Inquisition tätigen Vorgänger der Katholischen Kirche des 15. und 16. Jahrhunderts — der einzige Unterschied ist, dass die am Ende unweigerlich ausgesprochene Todesstrafe “nur” die jeweilige Reputation des Delinquenten betrifft. Der öffentliche Rufmord hat den realen Scheiterhaufen ersetzt.
Die Einleitung der hypermoralistischen Schauprozesse beginnt mit der pejorativen Zuschreibung “Der ist ja rechts!” und danach ist die Hatz eröffnet. Die Folterinstrumente von damals wurden durch die Bearbeitung mit der Nazi- und Rassismuskeule ersetzt. Damit wird solange hingedroschen, bis das Zielobjekt sich öffentlich selbst geisselt, widerruft und danach wenigstens im Weissen Hemd hingerichtet werden kann. Wer aber sein “Revoco!” nicht laut hörbar schreit, kommt aus dem Folterkeller nicht mehr heraus.
Aufklärung 2.0
Wenn man die neulinke fundamentalistische Ersatzreligion einmal durchschaut hat, wird einem auch klar, warum so viele Linke so wenig Probleme mit den fundamentalistischen und religiös durchsetzten Strömungen haben, die seit einigen Jahren aus dem Orient zu uns dringen. Man versteht sich auf der Meta-Ebene ja bestens. Diese Erkenntnisse führen zu einem eindeutigen Fazit: Die Linken, einst Betreiber des Säkularismus und vormals aktive Proponenten der Aufklärung, stehen heute vor dem Paradoxon, dass sie nun selber eine Aufklärung 2.0 brauchen.
Dr. Marcus Franz — www.thedailyfranz.at