In der Schweiz wurde bereits 2017 über die Erschwerung der Einbürgerung abgestimmt - By NAC - Own work, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=55860942

Schweiz: Keine Toleranz der Intoleranz!

Von Roger Letsch — Bis vor wenigen Jahren kam die Schweiz in unseren Medien deutlich häu­figer vor als heute. Bevor sie Ort der Begehr­lich­keiten deut­scher Finanz­mi­nister und Steu­er­fahnder wurde, war die Schweiz Vorbild! Es verging fast kein Tag, an dem nicht gerade ver­meintlich pro­gressive linke Poli­tiker vom Schweizer Ren­ten­system schwärmten, in das alle ein­zahlten oder den Ausbau des Schweizer Schie­nen­netzes lobten, das so viel besser, umfang­reicher und zuver­läs­siger sei, als das in Deutschland. Alles richtig, auch wenn gern ver­gessen wurde, dass das Schweizer Ren­ten­system zwar umfas­sender auf­ge­stellt ist, der Staat seinen Bürgern dort aber auch nicht so tief in alle Taschen greift, wie er es in Deutschland tut. Doch die Presse ist ver­stummt, die Schweiz wieder ein weißer kleiner Fleck auf dem bunten Teppich des besten Europas, in dem wir je lebten. Das Interesse flammt indes jäh wieder auf, wenn die Schweizer sich auf­machen, ihr Ver­hältnis zum Islam zu klären. Als das Minarett-Verbot beschlossen wurde, hieß es in deut­schen Medien, direkte Demo­kratie führe dazu, dass sich „rück­wärts­ge­wandte Kräfte“ und „Into­leranz” durch­ge­setzt hätten – was natürlich ein Schmarrn ist, ange­sichts der Tat­sache, dass es ja gerade darum ging, einer into­le­ranten, rück­wärts­ge­wandten Religion ihre Grenzen auf­zu­zeigen. Seit dieser Zeit jedoch und nochmal ver­stärkt durch den Brexit gilt direkte Demo­kratie in Deutschland als Teu­felszeug und die Schweiz nimmt man in unseren Medien längst nicht mehr so gern als Vorbild in den Blick.
Aber ich schweife ab, wenn auch not­wen­di­ger­weise. Man muss schon im Blick haben, wie die Schweizer so ticken, denn gerade die direkte Demo­kratie sorgt dort dafür, dass die Politik nicht nur Prin­zipien reitet, sondern oft ganz prag­ma­tisch die Inter­essen der Bürger im Blick hat. Nicht dass man die als deut­scher Poli­tiker nicht auch kennte, man betrachtet sie aber eher als stö­rende mora­lische Fehl­bildung, gegen die man erzie­he­risch, juris­tisch und mora­lisch angehen müsse, anstatt sie zu exe­ku­tieren. Immer wenn sie einen Poli­tiker davon sprechen hören, man müsse „die Men­schen mit­nehmen“ oder wenn er nach einer ver­lo­renen Wahl sagt, er habe seine Politik „nicht gut genug erklärt“, wissen sie, wie ein Poli­tiker das Ver­hältnis der eigenen Meinung zu der seiner (Nicht)Wähler defi­niert. Es ist ein Herr-Knecht-Ver­hältnis. Das exis­tiert in der Schweiz natürlich auch, nur gibt es dort das Ver­hältnis auch viermal pro Jahr in umge­kehrter Form, wenn ein Wahltag ansteht. Mit Erklä­rungen und Recht­fer­ti­gungen hält sich der Sou­verän in der Schweiz nicht auf, er sagt seinen Poli­tikern einfach, was sie machen sollen.
Ich schweife schon wieder ab, denn ich wollte ja noch etwas zu den Medien sagen, den Schweizer Medien. Ich maße mir nicht an, ein­zu­schätzen, wie die Medi­en­land­schaft im fran­zö­si­schen und im ita­lie­ni­schen Teil der Schweiz auf die Bürger Frank­reichs und Ita­liens wirken – die Medien der deutsch­spra­chigen Schweiz jedoch sind für kri­tisch den­kende Deutsche mitt­ler­weile das, was das West­fern­sehen für DDR-Bürger war: Gewährs­quelle. Wem der arrogant-beleh­rende Tonfall deut­scher Leit­medien nicht mitt­ler­weile gehörig auf die Nerven geht, der muss die letzten fünf Jahre auf dem Mars ver­bracht haben. Par­tei­nahme, Alar­mismus auf der einen und Tot­schweigen und Abwiegeln auf der anderen Seite sind an der Tages­ordnung. Seit fast zwei Jahren ver­suche ich bei­spiels­weise ver­geblich, einen Tag im Kalender rot ein­zu­kreisen, an dem der Spiegel Donald Trump mal nicht verbal den Schädel ein­schlägt, meist schon in der Titel­zeile. Nicht dass wir uns hier falsch ver­stehen: vieles was Trump tut, muss kri­tisch beleuchtet werden. Man hat nur schon keine Lust mehr, sich in vielen deut­schen Medien die Fakten unter dem obli­ga­to­ri­schen Haufen Mist heraus zu suchen. Also schaut man lieber gleich in die NZZ, die BAZ oder die Welt­woche. Ich würde SZ, SPON, FAZ, TAZ, ARD, ZDF und Kon­sorten gar nicht mehr lesen oder schauen, würde mir dort nicht Tag für Tag die Munition für meine Artikel frei Haus geliefert, die ich einfach nicht unver­schossen liegen lassen kann.
Nun aber genug der Abschwei­fungen und zum eigent­lichen Thema: Ein­bür­gerung in die Schweiz. So ein Schweizer Pass ist eine feine Sache. Man ist damit überall auf der Welt (außer in deut­schen Finanz­mi­nis­terien) gern gese­hener Gast. Ein Tür­öffner also. Und anders als die deutsche Regierung, die amt­liche Papiere über Kri­sen­ge­bieten im über­tra­genen Sinne mit dem Heli­kopter abwirft, schaut man in der Schweiz sehr genau hin, ob jemand, der einen solchen Pass haben möchte, aus­rei­chend gefestigt ist in seiner Schwei­ze­rischkeit. Wie hält er oder sie es mit der Ver­fassung, wie mit den ver­fas­sungs­mäßig garan­tierten Bür­ger­rechten, wozu auch die Gleich­stellung von Mann und Frau gehört?
Die Stadt Lau­sanne jeden­falls war der Meinung, dass ein streng reli­giöses mus­li­mi­sches Ehepaar die Schweizer Staats­bür­ger­schaft auf­grund der Ver­wei­gerung des Hand­schlages nicht erhalten dürfe. BAZonline schreibt dazu: Die Antrag­steller hätten damit man­gelnden Respekt für die Gleich­be­rech­tigung der Geschlechter demons­triert, sagte der Bür­ger­meister von Lau­sanne, Gré­goire Junod.“ Und weiter: „Bei der Befragung durch die drei­köpfige Kom­mission hätten sie zudem «grosse Pro­bleme damit gehabt, Fragen zu beant­worten, die von einem Mit­glied des anderen Geschlechts gestellt wurden». Zwar gelte in der Schweiz die Reli­gi­ons­freiheit, sagte Junod. Die Aus­übung des Glaubens dürfe aber nicht «aus­serhalb des Rechts» erfolgen.“
Lau­sannes Vize­bür­ger­meister Pierre-Antoine Hild­brand, selbst Mit­glied dieser Kom­mission schiebt dann auch noch eine Erklärung nach, für die er sich meinen aller­größten Respekt ver­dient hat. Ach was, ich könnte ihn küssen für diesen fol­genden Satz, mit dem ich meinen kleinen, abschwei­fenden Ausflug in die Schweizer Berge dann auch aus­klingen lassen möchte. Genießen Sie diesen Satz, liebe Leser! Schreiben Sie ihn auf einen Zettel und stecken Sie diesen in ihre Tasche, denn in Deutschland werden sie ihn nicht ver­nehmen, bis dorthin reichen die Echos aus den Bergen leider nicht mehr. Dieser Satz ist ein Kompass, der Ori­en­tierung geben und Leben retten könnte, wenn er auch in Deutschland gälte.
Die Ver­fassung und die Gleich­be­rech­tigung von Mann und Frau haben einen höheren Wert als reli­giöse Intoleranz.“

Roger Letsch — www.unbesorgt.de