Landtagswahlen in Bayern: Künftig Verbotsstaat statt Freistaat?
Ein Gespenst geht um in Bayern: Der vielgerühmten „Liberalitas Bavariae“ könnte der Garaus und ein Ablösung durch eine Grüne Obrigkeits-Diktatur drohen: Verbotsstaat statt Freistaat. Dann aber würde auf jeden Fall nicht mehr gelten, daß Bayern gleich CSU ist und die CSU gleich Bayern. Die Wahrscheinlichkeit, daß das irgendwann in Zukunft wieder so sein wird, ist sehr klein.
(Von Peter Helmes)
Also adieu, „reines Premium-Bundesland Bayern, Himmel auf Erden, den anderen Lichtjahre voraus“, wie der (noch-) Ministerpräsident Söder sein Heimatland in der Abschlußkundgebung der CSU (etwas zu) euphorisch titulierte. Da schimmerte keine Siegeszuversicht zwischen den Zeilen, sondern es klang eher wie das Pfeifen im schwarzen Kohlenkeller.
Im Wesentlichen hatte Söder drei Kernprobleme: sich selbst, Seehofer und Merkel – alle Unions-hausgebacken.
Das kann man jetzt gerne einmal in Minuspunkte umrechnen. Ob diese desaströse Ausgangslage auf die kommenden Ergebnisse in Hessen Auswirkungen haben werden, scheint nicht unwahrscheinlich.
Für die CSU heute klingt es wie Hohn: Bei den meisten Parteien in Deutschland und Europa würden 35–36 Prozent der Wählerstimmen das Paradies bedeuten, im CSU-verwöhnten Bayernland gleicht diese Prozentzahl jedoch einem Erdbeben, dem eventuell gar ein Tsunami folgen könnte, der die ganze Unionskaste hinwegzufegen geeignet wäre.
Gründe für den unglaublichen Abstieg der Christsozialen gibt es viele – dazu später mehr. Hier nur ein Hinweis: Mit ihrer (vorgespielten) Haltung zur Einwanderung – in Berlin bis kurz vor Schluß alles mitgetragen, in Bayern dann ein „Nein“ – hat sich die CSU selbst ein Bein gestellt. Für gewöhnlich geben Wähler ihre Stimme lieber einer authentischen Partei. Der Versuch einer Partei, auf der Populismuswelle zu surfen und eine andere Partei zu kopieren, wird nie goutiert. Die authentischere Partei ist in diesem Fall die AfD.
Stattdessen zeigten Horst Seehofer und Markus Söder eindrücklich, wie es nicht geht: Mit halbherziger Strategie begaben sie sich auf einen dilettantisch vorbereiteten Zickzackkurs.
Selbst das kleine bißchen Hoffnung, die veröffentlichte Häme nahezu aller deutschen Zeitungen über das Zeitgeistnachrennen der CSU würde wohl eine kleine Gegenreaktion abgesprungener Wähler auslösen – also eine Art kleiner Mitleidseffekt, wie ihn die ÖVP vor einigen Jahren immer wieder erleben durfte, zur Folge haben – zerstob an der Wahlurne. Aua!
Warnsignale überhört
An Warnsignalen hat es nicht gefehlt. Aber die Arroganz der Macht fegte die Warnungen zur Seite. Rund drei Viertel der Bayern wünschten sich den Umfragen zufolge eine Koalitionsregierung: 71 Prozent der Befragten waren der Meinung, daß das besser für den Freistaat wäre. Es hätte der CSU schon viel früher zu denken geben müssen, daß bei all diesen Umfragen nur noch 31 Prozent der Bayern eine CSU-Alleinregierung präferierten, mehr als jeder zweite (53 Prozent) fand dies schlecht. Am beliebtesten wäre demnach eine schwarz-grüne Koalition (48 Prozent), gefolgt von dem aber rechnerisch vielleicht möglichen Bündnis von CSU und Freien Wählern (45 Prozent), Stand 14.10., 20 Uhr.
Aber Linksruck? War da was?
Doch gemach! 2013 bei der letzten Landtagswahl in Bayern kamen SPD, Grüne und Linkspartei zusammen auf 31,3 % der gültigen Stimmen (SPD = 20,6; Grüne 8,6; Linkspartei 2,1%). Die Nachfolgepartei der SED verpaßte dabei den Einzug in den Landtag.
Bei der Bundestagswahl 2017 erreichten die Rot-Rot-Grünen Parteien auf Landesebene in Bayern bei den Zweitstimmen zusammen 31,2 % (SPD 15,3; Grüne 9,8; Linkspartei 6,1. Also, wenn man genau hinschaut, ist das linke Lager gleichklein. ABER: Den Grünen ist es gelungen, viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Jetzt, bei dieser Landtagswahl, ist das Bild im Kern gleichgeblieben:
Die Linksfront aus SPD (9,7 %), Grüne (18,3 %) und Linkspartei erreicht zusammen 31,3 %, die Bürgerlichen kommen zusammen auf 63 % (35,6 % CSU, 11,6 % FWG, 10,9 % AfD, 5,1 % FDP). Das heißt:
Also, es gibt keinen Linksruck, es gibt keine linke Mehrheit, es gibt keine Mehrheit gegen die Bürgerlichen.
Andererseits bereitet das Abschneiden der Grünen Sorge:
Bayerns Grüne besetzen das Thema Heimat
Grün wählen, scheint nach einer langen Durstphase dieser Partei wieder „in“ zu sein. Wobei ein kleiner Nebenhinweis einen Blick in die Seele des Wählers freigibt: Grün wählen ist für viele offensichtlich so etwas wie eine Art Ablaßhandel: Auf die eigene Fernreise möchte man nicht verzichten, aber man möchte auch kein schlechtes Gewissen haben. Also tut man so, als ob grün wählen etwas wäre, was gut für die Umwelt ist. Also Kreuzchen bei Grün!
Grünen-Parteichef Robert Habeck hatte allerdings eine kluge Idee, das sollte man ihm neidlos zugestehen: Die Grünen sprechen seit einiger Zeit immer öfter über den Wert der „Heimat“. Sie verzahnen den Begriff einfach mit ihrem Stammthema, dem Umwelt- und Klimaschutz, und dringen damit zunehmend auch in konservative Wählerschichten vor. Und machen vergessen, daß den Grünen „Heimat“ lange Jahre als ein Unwort galt.
Die Ökopartei wurde zweitstärkste Kraft im einst tiefschwarzen Bayern. Wiederholt sich da ein Szenario wie 2011 in Baden-Württemberg, als Winfried Kretschmann die Grünen zur Volkspartei erhob? Eher nicht! Zum einen sind die Grünen in Bayern eher Großstadtpartei, in der Fläche aber nicht so verankert wie im Ländle nebenan. Außerdem fehlt in München ein Zugpferd vom Schlage Kretschmanns – die bayerischen Spitzenkandidaten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann erscheinen noch zu sehr „grün hinter den Ohren“.
Nerviger Unionsstreit, verlorene und verzweifelte SPD
Der Dauer-Streit der Unionsschwestern und die Dauerschwäche der Sozialdemokraten fallen den Parteien nun auf die Füße. SPD-Chefin Andrea Nahles versuchte zwar in letzter Sekunde, das Ruder herumzureißen und kündigt die Abkehr von der Agenda 2010 an. Doch bei der Basis kam das kaum noch an. Und die Partei-Linke wollte an diesem Wochenende wieder einmal über die Zukunft der SPD beraten (Ergebnis ist mir nicht bekannt). Die Erosion dieser Volkspartei wirkt bedrohlich, aber die Genossen scheinen´s nicht ´mal zu merken.
Anders ausgedrückt: Die SPD hat kein Thema, und die CSU irritiert(e) die Wähler durch zahlreiche Streits mit Berlin und innerhalb der Partei. Aber das Einmalige an dieser Wahl ist, daß wir es bei der CSU mit einer Partei zu tun haben, die weiterhin unglaublich hohe Kompetenz in fast allen wichtigen politischen Fragen aufweist, die nach wie vor anerkannt wird – wie die Umfragen ergeben – und auf der anderen Seite dann so abgestraft wird, weil sie im Prinzip die Emotionalisierung der Wähler nicht richtig mitgemacht hat.
Von der einstigen „Partei der Intellektuellen“ – „der Geist steht links“, meinte einmal der längst vergessene Nobelpreisträger Günter Grass – ist nichts geblieben als Schulz, Scholz, Stegner, Nahles, Kohnen, Kevin K. & Genossen. Der/die Letzte macht das Licht aus…
Zwist ist Mist
Schauen wir uns die Gründe dafür an, daß die Ergebnisse für die CSU so desaströs sind:
Es geht im Prinzip um die Frage, was letztendlich eine Wahl entscheidet: Stil oder Kompetenz? Oder ist es die bessere Politik? Oder wollten die Wähler der CSU einen Denkzettel geben?
Eine alte Demoskopenregel lautet: „Zwist ist Mist.“ Da trifft es die CSU gleich dreimal. Sie „pflegt“ den Koalitionsstreit mit dem Koalitionspartner CDU, dann den Koalitionsstreit insgesamt, was die Regierung anbelangt, und letztendlich noch den Streit innerhalb der CSU. Und dreimal Streit heißt, daß nur noch diese Zwistigkeiten in das Erleben beziehungsweise in die Vorstellung der Wähler gelangen und überhaupt nicht mehr über die Politik, über Inhalte geredet wird. Interessant zum Beispiel, daß Seehofers Position, was die Flüchtlings- und Asylantenfrage anbelangt, bei zwei Dritteln bundesweit und natürlich auch in Bayern auf Zustimmung trifft, und trotzdem ist er ein Politiker, der derzeit am unteren Ende der Rangreihe steht – weil der Zwist auch die besten Absichten überlagert und damit zunichtemacht.
Kein Rückenwind, sondern Gegenorkan aus Berlin
Auch Angela Merkels Flüchtlingspolitik – doch nicht nur diese allein – hat dazu beigetragen, daß die CDU/CSU – also die Unionsparteien gemeinsam – bundesweit vielleicht 28 Prozent der Stimmen bekommenen würde, wären jetzt Bundestagswahlen. Das ist jedenfalls alles andere als Rückenwind. Nein, das ist (war???) ein Gegenorkan, der aus Berlin nach Bayern bläst.
Zwei Drittel der bayerischen Wähler attestieren der CSU eine bessere Politik. Dieses ungeheuer wertvolle Pfand haben Seehofer, Söder und „Freunde“ zertrampelt, so daß dieselben Wähler, die der CSU besondere Kompetenz bescheinigen, inzwischen zur Meinung kommen mußten, diese Partei brauche endlich mal einen Denkzettel, weil sie viele und schwere Fehler in der Kommunikation, in der Darstellung nach außen macht und im Prinzip zu allem Überdruß auch noch den Eindruck aufkommen läßt, dem Zeitgeist hinterherzuhecheln.
Übrigens konnte und kann die SPD nicht von der Schwäche der CSU profitieren, weil sie beim (bayerischen) Wähler so gut wie nicht existent war (und ist). Und sie ist zwischen die politischen Blöcke geraten. So bleibt sie – allem Säbelrassen der Nahles und des unseligen Stegner zum Trotz – gerade in wichtigen Fragen außen vor. Sie schafft es nicht einmal, mit Aktionen wie zum Beispiel dem Versuch, das Rententhema zu thematisieren, ins Gespräch zu kommen.
Hinzu kommt, daß sie nicht die richtigen Politiker hat, die dort so auftreten, daß man ihnen gerne zuhört. Wahlkampfauftritte roter Funktionäre sind alles andere denn eine typisch bayerische Gaudi. Akademisch daherkommende Funktionäre geben den Klugscheißer, haben aber offensichtlich noch nie eine Werkbank, geschweige denn einen Kuhstall von innen, gesehen. Sie verschrecken eher, als daß sie Wähler anziehen. So bleiben die bayerischen Sozis, was sie schon seit Urzeiten in Bayern waren: das fünfte Rad am Politkarren. Kein Thema, keine Politik, letztendlich auch keine Kompetenz! Deshalb spielt die SPD in der politischen Diskussion Bayerns allenfalls eine Rolle am Rande – kaum wahr- und schon gar nicht ernstgenommen.
Und Merkel?
Was bleibt, ist eine riesen Verantwortung der CDU-Parteivorsitzenden für das Fiasko. Sie liebt Alleingänge und schert sich keinen Deut um die Befindlichkeit ihrer(?) Partei. Diskussionen von ihr oder mit ihr weicht sie aus. Sie schwebt in ihrem eigenen Kosmos – entrückt von den Niederungen der Parteipolitik. Schon von daher muß sie weg, Platz machen für eine auf die Zukunft gerichtete Diskussion – für ein neues konservatives und liberales Konzept, von dem sich die Merkel-Union längst verabschiedet hat.
Fehlende Selbstkorrektur
Mehr Diskussion wünscht sich offenbar auch Hans-Jürgen Papier. Das ist nicht irgendjemand. Es ist der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, selbst CSU-Mitglied, der sich spricht gegenüber den Zeitungen der „Funke Mediengruppe“ für eine Begrenzung der Amtszeit des deutschen Regierungschefs auf zwei Wahlperioden aus (Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/schaeuble-aeusserungen-ueber-merkel-diskussionen-und.1766.de.html?dram:article_id=430464). Dafür hatte gerade erst die Junge Union plädiert – gegen das Votum der Kanzlerin. Papiers Begründung ist allgemein, kann sich nach den Gegebenheiten in Deutschland aber nur auf die Unionsparteien beziehen. Zwar könne ein Kanzler jederzeit durch konstruktives Misstrauensvotum abberufen werden, betont der Jurist. Aber, Zitat: „Offensichtlich sind die politischen Parteien, die den Kanzler tragen, gar nicht mehr in der Lage, eine solche Selbstkorrektur vorzunehmen.“ Zitat Ende. Eine begrenzte Amtszeit erhöhe zudem den Druck auf den Amtsträger, Nachwuchs zu fördern. Wer wollte dem widersprechen.
Frau Merkel, Sie haben der Union schwer geschadet. Leisten Sie ihr einen letzten Dienst: Treten Sie ab!
Erstveröffentlichung auf conservo.wordpress.com