(c) Freud (Own work) [GFDL (http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html) or CC BY-SA 3.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Blamage à trois: Aus­ge­merkelt, Söder-hofer! – oder: Wie rui­niert man eine Volkspartei?

Land­tags­wahlen in Bayern: Künftig Ver­bots­staat statt Freistaat?
Ein Gespenst geht um in Bayern: Der viel­ge­rühmten „Libe­ra­litas Bavariae“ könnte der Garaus und ein Ablösung durch eine Grüne Obrig­keits-Dik­tatur drohen: Ver­bots­staat statt Frei­staat. Dann aber würde auf jeden Fall nicht mehr gelten, daß Bayern gleich CSU ist und die CSU gleich Bayern. Die Wahr­schein­lichkeit, daß das irgendwann in Zukunft wieder so sein wird, ist sehr klein.
(Von Peter Helmes)
Also adieu, „reines Premium-Bun­desland Bayern, Himmel auf Erden, den anderen Licht­jahre voraus“, wie der (noch-) Minis­ter­prä­sident Söder sein Hei­matland in der Abschluß­kund­gebung der CSU (etwas zu) eupho­risch titu­lierte. Da schim­merte keine Sie­ges­zu­ver­sicht zwi­schen den Zeilen, sondern es klang eher wie das Pfeifen im schwarzen Kohlenkeller.
Im Wesent­lichen hatte Söder drei Kern­pro­bleme: sich selbst, See­hofer und Merkel – alle Unions-hausgebacken. 
Das kann man jetzt gerne einmal in Minus­punkte umrechnen. Ob diese desas­tröse Aus­gangslage auf die kom­menden Ergeb­nisse in Hessen Aus­wir­kungen haben werden, scheint nicht unwahrscheinlich.
Für die CSU heute klingt es wie Hohn: Bei den meisten Par­teien in Deutschland und Europa würden 35–36 Prozent der Wäh­ler­stimmen das Paradies bedeuten, im CSU-ver­wöhnten Bay­ernland gleicht diese Pro­zentzahl jedoch einem Erd­beben, dem even­tuell gar ein Tsunami folgen könnte, der die ganze Uni­ons­kaste hin­weg­zu­fegen geeignet wäre.
Gründe für den unglaub­lichen Abstieg der Christ­so­zialen gibt es viele – dazu später mehr. Hier nur ein Hinweis: Mit ihrer (vor­ge­spielten) Haltung zur Ein­wan­derung – in Berlin bis kurz vor Schluß alles mit­ge­tragen, in Bayern dann ein „Nein“ – hat sich die CSU selbst ein Bein gestellt. Für gewöhnlich geben Wähler ihre Stimme lieber einer authen­ti­schen Partei. Der Versuch einer Partei, auf der Popu­lis­mus­welle zu surfen und eine andere Partei zu kopieren, wird nie gou­tiert. Die authen­ti­schere Partei ist in diesem Fall die AfD.
Statt­dessen zeigten Horst See­hofer und Markus Söder ein­drücklich, wie es nicht geht: Mit halb­her­ziger Stra­tegie begaben sie sich auf einen dilet­tan­tisch vor­be­rei­teten Zickzackkurs.
Selbst das kleine bißchen Hoffnung, die ver­öf­fent­lichte Häme nahezu aller deut­schen Zei­tungen über das Zeit­geist­nach­rennen der CSU würde wohl eine kleine Gegen­re­aktion abge­sprun­gener Wähler aus­lösen – also eine Art kleiner Mit­leids­effekt, wie ihn die ÖVP vor einigen Jahren immer wieder erleben durfte, zur Folge haben – zerstob an der Wahlurne. Aua!
Warn­si­gnale überhört
An Warn­si­gnalen hat es nicht gefehlt. Aber die Arroganz der Macht fegte die War­nungen zur Seite. Rund drei Viertel der Bayern wünschten sich den Umfragen zufolge eine Koali­ti­ons­re­gierung: 71 Prozent der Befragten waren der Meinung, daß das besser für den Frei­staat wäre. Es hätte der CSU schon viel früher zu denken geben müssen, daß bei all diesen Umfragen nur noch 31 Prozent der Bayern eine CSU-Allein­re­gierung prä­fe­rierten, mehr als jeder zweite (53 Prozent) fand dies schlecht. Am belieb­testen wäre demnach eine schwarz-grüne Koalition (48 Prozent), gefolgt von dem aber rech­ne­risch viel­leicht mög­lichen Bündnis von CSU und Freien Wählern (45 Prozent), Stand 14.10., 20 Uhr.
Aber Linksruck? War da was?
Doch gemach! 2013 bei der letzten Land­tagswahl in Bayern kamen SPD, Grüne und Links­partei zusammen auf 31,3 % der gül­tigen Stimmen (SPD = 20,6; Grüne 8,6; Links­partei 2,1%). Die Nach­fol­ge­partei der SED ver­paßte dabei den Einzug in den Landtag.
Bei der Bun­des­tagswahl 2017 erreichten die Rot-Rot-Grünen Par­teien auf Lan­des­ebene in Bayern bei den Zweit­stimmen zusammen 31,2 % (SPD 15,3; Grüne 9,8; Links­partei 6,1. Also, wenn man genau hin­schaut, ist das linke Lager gleich­klein. ABER: Den Grünen ist es gelungen, viel Auf­merk­samkeit auf sich zu ziehen.
Jetzt, bei dieser Land­tagswahl, ist das Bild im Kern gleichgeblieben:
Die Links­front aus SPD (9,7 %), Grüne (18,3 %) und Links­partei erreicht zusammen 31,3 %, die Bür­ger­lichen kommen zusammen auf 63 % (35,6 % CSU, 11,6 % FWG, 10,9 % AfD, 5,1 % FDP). Das heißt:
Also, es gibt keinen Linksruck, es gibt keine linke Mehrheit, es gibt keine Mehrheit gegen die Bürgerlichen.
Ande­rer­seits bereitet das Abschneiden der Grünen Sorge:
Bayerns Grüne besetzen das Thema Heimat
Grün wählen, scheint nach einer langen Durst­phase dieser Partei wieder „in“ zu sein. Wobei ein kleiner Neben­hinweis einen Blick in die Seele des Wählers freigibt: Grün wählen ist für viele offen­sichtlich so etwas wie eine Art Ablaß­handel: Auf die eigene Fern­reise möchte man nicht ver­zichten, aber man möchte auch kein schlechtes Gewissen haben. Also tut man so, als ob grün wählen etwas wäre, was gut für die Umwelt ist. Also Kreuzchen bei Grün!
Grünen-Par­teichef Robert Habeck hatte aller­dings eine kluge Idee, das sollte man ihm neidlos zuge­stehen: Die Grünen sprechen seit einiger Zeit immer öfter über den Wert der „Heimat“. Sie ver­zahnen den Begriff einfach mit ihrem Stamm­thema, dem Umwelt- und Kli­ma­schutz, und dringen damit zunehmend auch in kon­ser­vative Wäh­ler­schichten vor. Und machen ver­gessen, daß den Grünen „Heimat“ lange Jahre als ein Unwort galt.
Die Öko­partei wurde zweit­stärkste Kraft im einst tief­schwarzen Bayern. Wie­derholt sich da ein Sze­nario wie 2011 in Baden-Würt­temberg, als Win­fried Kret­schmann die Grünen zur Volks­partei erhob? Eher nicht! Zum einen sind die Grünen in Bayern eher Groß­stadt­partei, in der Fläche aber nicht so ver­ankert wie im Ländle nebenan. Außerdem fehlt in München ein Zug­pferd vom Schlage Kret­sch­manns – die baye­ri­schen Spit­zen­kan­di­daten Katharina Schulze und Ludwig Hartmann erscheinen noch zu sehr „grün hinter den Ohren“.
Ner­viger Uni­ons­streit, ver­lorene und ver­zwei­felte SPD
Der Dauer-Streit der Uni­ons­schwestern und die Dau­er­schwäche der Sozi­al­de­mo­kraten fallen den Par­teien nun auf die Füße. SPD-Chefin Andrea Nahles ver­suchte zwar in letzter Sekunde, das Ruder her­um­zu­reißen und kündigt die Abkehr von der Agenda 2010 an. Doch bei der Basis kam das kaum noch an. Und die Partei-Linke wollte an diesem Wochenende wieder einmal über die Zukunft der SPD beraten (Ergebnis ist mir nicht bekannt). Die Erosion dieser Volks­partei wirkt bedrohlich, aber die Genossen scheinen´s nicht ´mal zu merken.
Anders aus­ge­drückt: Die SPD hat kein Thema, und die CSU irritiert(e) die Wähler durch zahl­reiche Streits mit Berlin und innerhalb der Partei. Aber das Ein­malige an dieser Wahl ist, daß wir es bei der CSU mit einer Partei zu tun haben, die wei­terhin unglaublich hohe Kom­petenz in fast allen wich­tigen poli­ti­schen Fragen auf­weist, die nach wie vor aner­kannt wird – wie die Umfragen ergeben – und auf der anderen Seite dann so abge­straft wird, weil sie im Prinzip die Emo­tio­na­li­sierung der Wähler nicht richtig mit­ge­macht hat.
Von der eins­tigen „Partei der Intel­lek­tu­ellen“ – „der Geist steht links“, meinte einmal der längst ver­gessene Nobel­preis­träger Günter Grass – ist nichts geblieben als Schulz, Scholz, Stegner, Nahles, Kohnen, Kevin K. & Genossen. Der/die Letzte macht das Licht aus…
Zwist ist Mist
Schauen wir uns die Gründe dafür an, daß die Ergeb­nisse für die CSU so desaströs sind:
Es geht im Prinzip um die Frage, was letzt­endlich eine Wahl ent­scheidet: Stil oder Kom­petenz? Oder ist es die bessere Politik? Oder wollten die Wähler der CSU einen Denk­zettel geben?
Eine alte Demo­sko­pen­regel lautet: „Zwist ist Mist.“ Da trifft es die CSU gleich dreimal. Sie „pflegt“ den Koali­ti­ons­streit mit dem Koali­ti­ons­partner CDU, dann den Koali­ti­ons­streit ins­gesamt, was die Regierung anbe­langt, und letzt­endlich noch den Streit innerhalb der CSU. Und dreimal Streit heißt, daß nur noch diese Zwis­tig­keiten in das Erleben bezie­hungs­weise in die Vor­stellung der Wähler gelangen und über­haupt nicht mehr über die Politik, über Inhalte geredet wird. Inter­essant zum Bei­spiel, daß See­hofers Position, was die Flücht­lings- und Asy­lan­ten­frage anbe­langt, bei zwei Dritteln bun­desweit und natürlich auch in Bayern auf Zustimmung trifft, und trotzdem ist er ein Poli­tiker, der derzeit am unteren Ende der Rang­reihe steht – weil der Zwist auch die besten Absichten über­lagert und damit zunichtemacht.
Kein Rückenwind, sondern Gegen­orkan aus Berlin
Auch Angela Merkels Flücht­lings­po­litik – doch nicht nur diese allein – hat dazu bei­getragen, daß die CDU/CSU – also die Uni­ons­par­teien gemeinsam – bun­desweit viel­leicht 28 Prozent der Stimmen bekom­menen würde, wären jetzt Bun­des­tags­wahlen. Das ist jeden­falls alles andere als Rückenwind. Nein, das ist (war???) ein Gegen­orkan, der aus Berlin nach Bayern bläst.
Zwei Drittel der baye­ri­schen Wähler attes­tieren der CSU eine bessere Politik. Dieses unge­heuer wert­volle Pfand haben See­hofer, Söder und „Freunde“ zer­trampelt, so daß die­selben Wähler, die der CSU besondere Kom­petenz beschei­nigen, inzwi­schen zur Meinung kommen mußten, diese Partei brauche endlich mal einen Denk­zettel, weil sie viele und schwere Fehler in der Kom­mu­ni­kation, in der Dar­stellung nach außen macht und im Prinzip zu allem Überdruß auch noch den Ein­druck auf­kommen läßt, dem Zeit­geist hinterherzuhecheln.
Übrigens konnte und kann die SPD nicht von der Schwäche der CSU pro­fi­tieren, weil sie beim (baye­ri­schen) Wähler so gut wie nicht existent war (und ist). Und sie ist zwi­schen die poli­ti­schen Blöcke geraten. So bleibt sie – allem Säbel­rassen der Nahles und des unse­ligen Stegner zum Trotz – gerade in wich­tigen Fragen außen vor. Sie schafft es nicht einmal, mit Aktionen wie zum Bei­spiel dem Versuch, das Ren­ten­thema zu the­ma­ti­sieren, ins Gespräch zu kommen.
Hinzu kommt, daß sie nicht die rich­tigen Poli­tiker hat, die dort so auf­treten, daß man ihnen gerne zuhört. Wahl­kampf­auf­tritte roter Funk­tionäre sind alles andere denn eine typisch baye­rische Gaudi. Aka­de­misch daher­kom­mende Funk­tionäre geben den Klug­scheißer, haben aber offen­sichtlich noch nie eine Werkbank, geschweige denn einen Kuh­stall von innen, gesehen. Sie ver­schrecken eher, als daß sie Wähler anziehen. So bleiben die baye­ri­schen Sozis, was sie schon seit Urzeiten in Bayern waren: das fünfte Rad am Polit­karren. Kein Thema, keine Politik, letzt­endlich auch keine Kom­petenz! Deshalb spielt die SPD in der poli­ti­schen Dis­kussion Bayerns allen­falls eine Rolle am Rande – kaum wahr- und schon gar nicht ernstgenommen.
Und Merkel?
Was bleibt, ist eine riesen Ver­ant­wortung der CDU-Par­tei­vor­sit­zenden für das Fiasko. Sie liebt Allein­gänge und schert sich keinen Deut um die Befind­lichkeit ihrer(?) Partei. Dis­kus­sionen von ihr oder mit ihr weicht sie aus. Sie schwebt in ihrem eigenen Kosmos – ent­rückt von den Nie­de­rungen der Par­tei­po­litik. Schon von daher muß sie weg, Platz machen für eine auf die Zukunft gerichtete Dis­kussion – für ein neues kon­ser­va­tives und libe­rales Konzept, von dem sich die Merkel-Union längst ver­ab­schiedet hat.
Feh­lende Selbstkorrektur
Mehr Dis­kussion wünscht sich offenbar auch Hans-Jürgen Papier. Das ist nicht irgend­jemand. Es ist der frühere Prä­sident des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts, selbst CSU-Mit­glied, der sich spricht gegenüber den Zei­tungen der „Funke Medi­en­gruppe“ für eine Begrenzung der Amtszeit des deut­schen Regie­rungs­chefs auf zwei Wahl­pe­rioden aus (Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/schaeuble-aeusserungen-ueber-merkel-diskussionen-und.1766.de.html?dram:article_id=430464). Dafür hatte gerade erst die Junge Union plä­diert – gegen das Votum der Kanz­lerin. Papiers Begründung ist all­gemein, kann sich nach den Gege­ben­heiten in Deutschland aber nur auf die Uni­ons­par­teien beziehen. Zwar könne ein Kanzler jederzeit durch kon­struk­tives Miss­trau­ens­votum abbe­rufen werden, betont der Jurist. Aber, Zitat: „Offen­sichtlich sind die poli­ti­schen Par­teien, die den Kanzler tragen, gar nicht mehr in der Lage, eine solche Selbst­kor­rektur vor­zu­nehmen.“ Zitat Ende. Eine begrenzte Amtszeit erhöhe zudem den Druck auf den Amts­träger, Nach­wuchs zu fördern. Wer wollte dem widersprechen.
Frau Merkel, Sie haben der Union schwer geschadet. Leisten Sie ihr einen letzten Dienst: Treten Sie ab!


Erst­ver­öf­fent­li­chung auf conservo.wordpress.com