Es gibt den Ausweg aus der Target-Falle!

Mein Freund Hans Albrecht hat in der Frank­furter All­ge­meinen Sonn­tags­zeitung einen viel beach­teten Artikel zur Target2-Pro­ble­matik ver­öf­fent­licht. Er bezog sich dabei auf einen auch bei Stelter dis­ku­tierten Kom­mentar von Martin Hellwig, der bekanntlich die Auf­fassung ver­tritt, dass diese Salden keine Rolle spielen, wie sie auch bei Zah­lungen von Hamburg nach München keine Rolle spielten. 
Dieser Meinung wider­spricht Hans Albrecht vehement, zugleich zeigt er aber auf, dass es leicht wäre, die Target2-Salden abzu­bauen. Auch das hatten wir an dieser Stelle schon mal besprochen: 
Dennoch geht Albrecht weiter und zeigt umfassend auf, dass es nicht nur in unserem Interesse ist, sondern auch im Interesse Europas: 
  • „Dass Europa nach wie vor aus Natio­nal­staaten besteht, spürt Deutschland besonders dann, wenn seine Nachbarn wirt­schaft­liche Leis­tungen oder Zuge­ständ­nisse von ihm ein­fordern. Es ist uto­pisch zu sagen, dass wir in Europa eigentlich keine getrennten Kassen mehr haben dürfen. Dieser Effekt träte ein, wenn man alle Noten­banken Europas zu einem Fili­al­system der Euro­päi­schen Zen­tralbank (EZB) ver­schmelzen wurde. Das war nie gewollt, und genau deshalb gibt es auch wei­terhin nationale Noten­banken, und genau deshalb gehört die EZB den Natio­nal­banken und nicht umge­kehrt.“
    Stelter: eine wichtige Erinnerung.
  • Die „Target-For­de­rungen (stellen) sehr wohl Konsum- und Pro­duk­ti­vi­täts­un­gleich­ge­wichte innerhalb der EU und damit Ansprüche auf Waren und Dienst­leis­tungen dar (…) die von Schuld­ner­ländern zu befrie­digen sind, die derzeit aller­dings selbst nicht genug pro­du­zieren, um ihren eigenen Kon­sum­bedarf zu decken. Das ist die schlechte Nachricht.“
    Stelter: Darum haben wir sie ja auch.
  • „Die gute Nach­richt ist aber, dass es auch nicht stimmt, dass man die Mittel auf den Target-Konten nicht nutzen kann. Im Gegenteil geht dies ganz einfach und ermög­licht, massive Inves­ti­tionen zur Sicherung der Zukunfts­fä­higkeit unserer Länder und auch – im Sinne der euro­päi­schen Soli­da­rität – zum Abbau von Pro­duk­ti­vitäts- und Kon­su­mun­gleich­ge­wichten in Europa zu tätigen.“
    Stelter: Man muss es halt nur machen. Ich denke, wie Albrecht, dass es ein enormes Ver­säumnis unserer Politik ist, nicht ent­spre­chend gehandelt zu haben.
  • „Das Problem ent­steht, wenn irgendwann einige der an diesem Spiel betei­ligten Nationen ständig mehr kon­su­mieren, als sie pro­du­zieren. Dann kaufen sie immer mehr aus dem Ausland, als sie selbst dorthin liefern, und häufen so immer mehr Target-Anschriften bezie­hungs­weise Inter­ban­ken­kredite an. So lange, bis die kre­dit­ge­benden Banken merken, dass die Schuld­ner­banken des betrof­fenen Landes offenbar die ihnen gewährten Inter­ban­ken­kredite nicht gut ver­geben haben, also pro­duk­ti­vi­täts­mehrend, sondern schlecht, also kon­sumtiv.“
    Stelter: Das ver­steht sich von selbst, weil stei­gende Schuldenquoten immer auf eine unpro­duktive Ver­wendung der Kredite hindeuten.
  • „Die Folge ist, dass diese Banken in ihrem Hei­mat­markt zunehmend auf faulen Kre­diten sitzen und ob dieser schlechten Geschäfte selbst schlecht werden. Sobald die Finanz­märkte merken, dass das der Fall ist, stellen Banken, die solche Inter­ban­ken­kredite gewährt haben, diese fällig. Sie müssen wegen ihrer sehr kurzen Lauf­zeiten über Nacht getilgt werden und wandern so auf gleichem Wege wieder in die Bilanzen der Noten­banken, was die gewal­tigen sprung­haften Anstiege der Target-Salden bei jedem Wie­der­auf­fla­ckern der Euro-Krise erklärt.“
    Stelter: und wie wir es wieder im Falle von Italien erleben werden.
  • „(…) die Kol­lek­tiv­per­spektive der Volks­wirt­schaften klaffen weit aus­ein­ander, und das Tra­gische ist, dass sich die kol­lek­tiven Effekte nur unbe­merkt und sehr ver­zögert dar­stellen. Aber wenn dieses Ponzi-Schema, eine Art Schnee­ball­system, irgendwann kol­la­biert und die Über­pro­du­zierer nicht mehr liefern bezie­hungs­weise wenn man die bisher zu viel kon­su­mie­renden Länder nicht mehr unbe­grenzt anschreiben lässt, wird es dort große Unruhen geben, weil ver­meintlich redlich selbst ver­diente Lebens­stan­dards zwangs­läufig auf­ge­geben werden müssen. Und Deutschland wird, wenn es Der­ar­tiges fordert, gehasst werden, weil keiner ver­steht, dass die ganze Party bisher vor allem von Deutschland – durch Kon­sum­ver­zicht seiner Steu­er­zahler – finan­ziert wurde.“
    Stelter: Es ist eigentlich ein Kon­sum­ver­zicht seiner Bürger, nicht nur der Steu­er­zahler. Im Kern ist es halt so, dass wir zu wenig aus diesen Ländern nach­fragen und so sparen und Kredit gewähren.
  • „Der einzige Weg, ohne soziale Unruhen und Unfrieden in Europa diesem Dilemma zu ent­kommen, ist, die Pro­duk­ti­vität in den Ländern zu steigern, die zu viel kon­su­mieren, um so Ungleich­heiten und Target-Salden abzu­bauen. Pro­duk­ti­vi­täts­stei­gerung erfordert aber Inves­ti­tionen. Genau dafür kann und sollte man die Tar­get­salden nutzen!“
    Stelter: Natürlich könnten uns die Schuldner auch Ver­mö­gens­werte über­tragen, die berühmten grie­chi­schen Inseln, dann geht es auch ohne Pro­duk­ti­vität. Letztere soll die Länder natürlich wett­be­werbs­fä­higer machen und ihnen so Exporte nach Deutschland ermöglichen.
  • „Die Deut­schen könnten erstens – als Indi­viduen – einfach mehr in Süd­europa inves­tieren: Firmen kaufen oder gründen, Immo­bilien kaufen oder bauen, Invest­ment­fonds zeichnen oder auch einfach nur Urlaub machen. All dies würde Target-Salden abbauen und vor Ort Nach­frage und so hof­fentlich irgendwann auch Pro­duk­ti­vität erzeugen.“
    Stelter: Rei­se­gut­scheine für Italien wäre eine Antwort!
  • „Die Deut­schen könnten zweitens – kol­lektiv – Gleiches natürlich auch gemein­schaftlich bewerk­stel­ligen. So könnten deutsche Banken bei­spiels­weise einen Süd­europa Investment Pool gründen, diesen finan­zieren und dafür auch private Inves­toren gewinnen.“
    Stelter: was natürlich an den Risiken scheitert. Aber dann muss man diese Risiken eben besser managen.
  • „Wenn nichts der­gleichen geschieht, sondern statt­dessen immer weiter umfi­nan­ziert wird, ohne die Pro­duk­ti­vität zu steigern, wird sich das Problem zwangs­läufig ver­schärfen. Bis irgendwann die Blase platzt! In dem Fall würde Deutschland viel mehr als nur die unmit­tel­baren For­de­rungen aus den Target-Salden ver­lieren. Die Inter­ban­ken­kredite würden fällig gestellt, müssten zurück­über­wiesen werden und würden so zu noch mehr Target-Salden führen. Die Bun­desbank würde noch mehr zur unfrei­wil­ligen Bad Bank Europas, die auf den faulen Kre­diten sitzen bleibt – mit allen nega­tiven Folgen für den deut­schen Steu­er­zahler.“
    Stelter: Das stimmt und wurde auch in der Risi­ko­analyse der Deut­schen Bank, die ich hier dis­ku­tiert habe, aus­führlich besprochen:
  • „Hier hilft es auch nichts, wenn dann die EZB einfach fri­sches Geld druckt und damit die deut­schen Target-For­de­rungen bezahlt. Zwar hat Martin Hellwig recht, dass die EZB ohne Ende Bank­noten drucken und deshalb tech­nisch nicht plei­te­gehen kann. Das Wesent­liche an Geld sind aber nicht die Bank­noten, sondern die Ansprüche auf Waren und Dienst­leis­tungen, die sie ver­körpern sollten. Und die kann die EZB eben nicht drucken!“
    Stelter: So ist es. Wir bekämen wie in der DDR „Essens­marken mit beschränkter Haftung“, die sich „Geld“ nennen. Bunte Zettel, für die wir nichts bekommen. Eigentlich ist Target2 das heute schon, doch noch können wir sie aus bunten Zetteln zu einem echten Asset machen.
  • „Die Target-Salden sind aus Export­über­schüssen und Kapi­tal­flucht ent­standen, weil Länder wie Grie­chenland über ihre Ver­hält­nisse leben, also ständig mehr kon­su­mieren, als sie selbst her­stellen. Diesen Über­konsum haben wir ermög­licht, und deshalb haben wir jetzt Ansprüche auf Waren und Dienst­leis­tungen aus Grie­chenland. Grie­chenland kann sie aber nicht bedienen, wenn es seine Pro­duk­ti­vität nicht schneller steigert als den Konsum. (…) Das wie­derum bedeutet, dass die Ansprüche auf Waren und Dienst­leis­tungen, welche die von Martin Hellwig vor­ge­schla­genen neuen Bank­noten dann reprä­sen­tieren, von den Über­schuss­ländern wie Deutschland befriedigt werden müssen. Und das würde bedeuten, dass die Gläu­biger ihre Schulden selbst bezahlen würden.“
    Stelter: was nichts anderes als ein Schul­den­erlass ist, nur anders verpackt.
  • „Deutschland kann (…) das Problem (…) lösen, (…) indem die Bun­des­re­gierung einen „Euro­päi­schen Soli­da­ritäts-Fonds“ (ESF)  ins Leben ruft, der vor allem in Süd­europa Wachs­tums­in­ves­ti­tionen finan­zieren würde. Das könnte wie folgt geschehen: Der ESF begibt eine Anleihe (…) Diese kaufen deutsche Geschäfts­banken und reichen sie zur Refi­nan­zierung weiter zur Bun­desbank. (…)  Damit würde sich die Bun­des­bank­bilanz um eine Mil­liarde Euro ver­längern (…) Sobald der Fonds aber die Mittel für Inves­ti­tionen nach Süd­europa über­weist, redu­ziert dies die Target-Salden genauso wie ein Inter­ban­ken­kredit. Die Bun­des­bank­bilanz ist wieder genauso lang wie vorher (…) Aus Sicht der Volks­wirt­schaft und der Bun­desbank wurde nur ein unbe­si­cherter, unver­zinster und unbe­fris­teter Saldo, wie dies Martin Hellweg nennt, getauscht in eine indirekt durch die Invest­ments des Fonds besi­cherte und ver­zinste For­derung gegen eine deutsche Geschäftsbank.“
    Stelter: und damit – ent­spre­chend gute Inves­tition des Geldes vor­aus­ge­setzt, deutlich besser ver­zinst und sicherer!
  • „Auch für Inves­ti­tionen innerhalb Deutsch­lands oder außerhalb Europas ließen sich Target-Salden nutzen. (…) wenn zunächst die Mittel durch Vor­schaltung zweier Über­wei­sungen aus dem Target-System gewis­ser­maßen aus­ge­schleust werden: Unser ESF (…) über­weist von einem Konto, das er bei einer deut­schen Bank hat, auf eines, das er bei einer Bank bei­spiels­weise in Frank­reich unterhält. Da diese Über­weisung durch das Target-System fließt, wird so unser Target-Saldo abgebaut. Von Frank­reich aus wird das Geld nach England über­wiesen, und schon ist der Target-Saldo abgebaut und die Mittel als Giralgeld auf einem eng­li­schen Bank­konto frei ver­fügbar. Wenn gewünscht, kann das Geld übrigens von England aus auch wieder zurück auf ein deut­sches Bank­konto über­wiesen werden, ohne dass dabei wieder Target-Salden auf­gebaut werden, weil England ja nicht im Target-Verbund ist.“
    Stelter: in der Tat eine ein­fache Ope­ration. Ver­mutlich wird das schon jetzt gemacht, wenn der Target-Saldo zu steigen droht, um keine Unruhe an den Märkten auf­kommen zu lassen.
  • „Unsere angeblich durch Target blo­ckierten Mittel werden so zu Giralgeld und können bei­spiels­weise zum Abbau des immer größer wer­denden deut­schen Inves­ti­ti­ons­staus, zur Finan­zierung des Ausbaus von digi­taler Infra­struktur und für vieles mehr genutzt werden.“
    Stelter: Wir könnten also das Märchen vom reichen Land wahr werden lassen.
  • „(…) die Bun­desbank (könnte) so agieren, wie es ihr die Schwei­ze­rische Natio­nalbank vor­macht: selbst ihre Gut­haben aus dem Target-System befreien und statt­dessen nach den Regeln der Kunst in ein weltweit diver­si­fi­ziertes Port­folio anlegen, (…). Die Bun­desbank könnte so das ihr anver­traute Ver­mögen der deut­schen Volks­wirt­schaft aus einer unbe­si­cherten, unver­zinsten, nie ein­for­der­baren und nur einem Schuldner zur freien Ver­fügung gestellten For­derung befreien und es statt­dessen im Sinne der euro­päi­schen Idee und zukünf­tiger Gene­ra­tionen global diver­si­fi­ziert inves­tieren. So übrigens, wie es uns alle Nationen vor­machen, die über erheb­liche Export­über­schüsse ver­fügen: Nor­wegen, Russland, die Golf-Staaten, China, Sin­gapur und die Schweiz. Denn alle diese Länder ver­walten ihre Über­schüsse im Sinne des Gemein­wohls durch Staats­fonds. Es sollte uns zu denken geben, dass wir als stän­diger Export­welt­meister die Ein­zigen sind, die dies nicht tun!“
    Stelter: und noch dazu unser Geld inter­na­tional verlieren.
  • „Am Ende haben wir so statt unbe­si­cherter und unver­zinster Target-For­de­rungen eine global diver­si­fi­zierte Vielzahl von Ver­mö­gens­an­lagen, von soge­nannten Assets. Wir haben unser Risiko diver­si­fi­ziert. Was allemal besser ist, als alles auf eine Karte zu setzen.
  • „Schließlich würden sich die aus der Target-Falle befreiten Mittel her­vor­ragend zur Finan­zierung der vielen künftig zu erwar­tenden wei­teren euro­päi­schen Ret­tungs­fonds und Soli­da­ri­täts­ab­gaben eignen. Alle bisher von unseren euro­päi­schen Freunden erdachten Mecha­nismen – EFSF, ESM und wie sie alle heißen – haben gemein, dass Deutschland stets gewis­ser­maßen fri­sches Geld auf den Tisch legen oder neue Bürg­schaften über­nehmen muss. Warum nutzen wir nicht statt­dessen die Target-Salden?“
    Stelter: so richtig. Die Frage ist: Ja, warum eigentlich nicht? Ist es Dummheit oder böser Wille?

→ faz.net: „Der Ausweg aus der Target-Falle“, 20. Oktober 2018


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com