Berlin: Verschiedene Welten
Berlin ist der Beweis für Paralleluniversen. Es gibt verschiedene Mafiastrukturen. Im Prinzip drei, weiß die Berliner Polizei. Einmal die arabischen Großfamilien (Clans darf man nicht mehr sagen), die verschiedenen Rockergruppen, die sich auch nicht alle untereinander grün sind und organisierte Banden aus Osteuropa. Aber alle diese Gruppen bleiben unter sich, kapseln sich hermetisch nach außen ab und leben nach eigenen Gesetzen. Sie haben sich ihre Reviere auch aufgeteilt und verschiedene „Kernkompetenzen“.
Araber-Großfamilien
Die Araber und Kurden betreiben die Schutzgelderpressung, das Rotlichtmilieu und den Drogenhandel. Da gibt es ein gutes Dutzend Großfamilien, alle polizeibekannt, sind aber in allen Kapiteln des Strafrechts nebenbei auch noch vertreten. Die Kinder dieser Familien eröffnen ihre Strafakte bei Strafmündigkeit, wie andere Jugendliche mit 18 den Führerschein machen. Man lernt: Anfangs kleinere Delikte, die Reifeprüfung sind dann schwere Körperverletzung und Mord. Schießereien sind nicht selten, Zeugen werden zum Schweigen gebracht. Es gilt die Familienehre, niemand packt aus.
Rocker: Höllenengel und Banditen
Diese Gruppen sind nach Einschätzung der Berliner Polizei noch härter drauf als die arabisch-kurdischen Großfamilien. Hier gibt es keine Skrupel vor Schießereien und Mordanschlägen. Man vermutet, dass der Autobombenanschlag in Berlin, bei dem ein Mann komplett in die Luft gesprengt wurde, auf ihr Konto geht. Zur Zeit stehen mehrere Hells Angels vor Gericht. Einmal wegen tödlicher Schüsse auf einen Türsteher, der sie nicht einlassen wollte, dann wegen eines Mordes an einem Mitglied einer Konkurrenztruppe. Auch die Rocker betreiben ihre Aktivitäten im Rotlicht- und Drogenmilieu.
Die Balkan- oder Russen-Mafia
Auch teilweise „Russenmafia“ genannt. Sie agieren zwar am liebsten aus dem Hintergrund und scheuen eher öffentliche Aufmerksamkeit, aber keineswegs aus Schüchternheit. Sie sind der Polizei vor allem wegen ihrer unfassbaren Brutalität bekannt. Man geht aber dort mit den Gewinnen aus den Aktivitäten wesentlich intelligenter um, investiert das Geld in legale Geschäfte. Sehr beliebt: Immobilien. Man vermeidet gern Unappetitlichkeiten wie Schießereien und Morde und möchte unauffällig sein. Medienberichte und polizeiliche Ermittlungen sind nicht so gut für‘s Geschäft. Aber wenn ein Mord sein muss, dann, so haben die in der Szene erfahrenen Ermittler festgestellt, muss er in seiner Skrupellosigkeit, Grausamkeit und Brutalität eine nicht misszuverstehende Machtdemonstration sein.
So auch in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober, die Nacht von Freitag auf Samstag: In einem Café in der Prinzenallee geriet der Streit um ein verlorenes Poker-Spiel außer Kontrolle. Eine 23-jährige Frau starb. Genauer gesagt, sie wurde erschossen. Die junge Frau stammte aus Bosnien-Herzegowina. Ein Mann wurde schwer verletzt, ein Auto mit serbischem Kennzeichen ist auch eine Zutat, welche auch immer. Die Kanonen sitzen locker in diesen Kreisen.
Aber auch ohne Schießeisen muss es in dem Café in der Prinzenallee in dieser Nacht wild zugegangen sein. Da passte wirklich das Wort vom Hauen und Stechen. Mit Äxten, Hämmern und Baseballschlägern müssen die Beteiligten einer illegalen Pokerrunde aufeinander eingeschlagen haben. Dann sollen mehrere Schüsse gefallen sein, dabei wurde die junge Frauu getroffen, die offenbar einer der beiden verfeindeten Gruppen angehörte. Die Polizei weiß entweder nicht viel über die Personen und Hintergründe der Tat oder sie sagt nichts. Auch nichts dazu, ob die junge Frau zufällig oder gezielt erschossen wurde. Es gibt auch keine Antworten auf die Frage nach möglichen Tatverdächtigen. Möglicherweise sind diese tatsächlich völlig unbekannt. Und überdies wahrscheinlich auch gar nicht mehr in Deutschland auffindbar.
Der Kosovo- und Jugoslawien-Krieg: Eine harte Schule
„Leute, die aus den Balkan-Staaten kommen, haben immer eine sehr gute Verbindung in ihre Heimatländer, wo sie sofort untertauchen können, wenn es nötig wird“, erklärt ein hochrangiger LKA-Beamter dem Berliner Kurier. „Egal ob sie aus Serbien, dem Kosovo, Kroatien oder auch aus Albanien kommen, die Familien-Bande sind fast noch enger als bei den hiesigen Araber-Clans.“
Nicht nur das unterscheide die Balkan-Banden von den arabischen Clans. Der Berliner Kurier nennt ein Dossier vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, das den „hartgesottenen Gruppen“ aus dem Kosovo, Mazedonien und Montenegro eine ausgeprägte „Neigung zur Gewalt und Brutalität“ attestiere. Man habe es da auch mit Männern zu tun, die vollkommen anders gestrickt sind und sich auch „nicht von üblichen polizeilichen Methoden“ abschrecken lassen. „Diese Leute haben häufig in einem der Balkan-Kriege gekämpft“, erklärt der Berliner LKA-Mann, „die haben Dinge gesehen oder auch getan, die wir uns hier gar nicht vorstellen möchten“.
Die Balkan-Banden mischen laut Bundeskriminalamt in nahezu allen „Geschäftsfeldern“ der organisierten Kriminalität, wie Drogen- oder Menschenhandel, Schutzgelderpressung oder illegales Glücksspiel, ganz vorne mit.
Waffen in beliebiger Menge
Und sie haben einen großen „Vorteil“: Waffen in beliebiger Menge und sie kennen sich damit gut aus. Durch den Kosovo-Krieg und die gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ex-Jugoslawien und seinen umgebenden Staaten sind diese Männer hochgerüstet, trainiert, furchtlos und unerbittlich. Mehr als vier Millionen Schusswaffen sollen laut Interpol seit den 90er-Jahren in den Staaten des ehemaligen Jugoslawiens „übrig geblieben“ sein.
Christoph Becker, beim BKA zuständig für die Bekämpfung der Waffen- und Sprengstoffkriminalität, kennt sich aus: „Der Bestand an Waffen, auch ehemaligen Kriegswaffen, auf dem West-Balkan ist sehr hoch.“ In Albanien seien einmal bei einem Aufstand Waffenlager mit bis zu 700.000 Waffen von den Aufständischen erbeutet worden. Sie wandern in den Händen der Balkan-Banden auf verschlungenen Wegen nach Berlin. Und hier finden sie neue Verwendung.
Dagegen ist jeder Agententhriller ein müdes Sie-wissen-schon-was-Runzeln: Im Mai 2017 in der Groninger Straße in Wedding waren vier Tschetschenen und ein Mazedonier an einem Feuerwaffenüberfall auf ein Lokal beteiligt. Der Wirt, ein Albaner aus dem Kosovo, dem der Mordanschlag galt, ballerte eiskalt sofort zurück. Die Attentäter sollen die Geschäfte einer arabischen Rockerbande übernommen haben.
Einer der mächtigsten Verbrecher Europas kontrolliert den Großteil des europäischen Kokain-Handels und war in seiner Heimat Albanien zwischendurch sogar Minister: Klement Balili, der in Anlehnung an einen berüchtigten südamerikanischen Drogenboss auch „der Escobar des Balkans“ genannt wird. Die Blutspur des Mannes zieht sich bis nach Berlin.
In Reinickendorf kam es zu einer wirklich filmreifen Schießerei mit automatischen Sturmgewehren (!) zwischen einer tschetschenisch-mazedonischen sowie einer albanischen Gang. Eine Kulisse, wie aus einem brutalen Gangsterfilm: Blut auf dem Gehweg des Eichhorster Wegs und Einschusslöcher in den Fenstern eines tschetschenischen Kulturvereins, zwei Männer wurden schwer verwundet. Wahrscheinlich wegen Streitigkeiten im Drogenhandel. Anwohner hatten gegen 22.15 Uhr die Polizei alarmiert, nachdem Schüsse gefallen waren. „Die Beamten fanden einen Russen (21) vor, der wegen einer Schusswunde auf sich aufmerksam machte. Kurz darauf brach er zusammen, wurde lebensgefährlich verletzt ins Krankenhaus gebracht. Ein angeschossener Tschetschene (31) war selber in eine Klinik gegangen“, schreibt der Berliner Kurier.
Bei dem Überfall auf einen Geldtransporter in der Schillingstraße in Mitte vor etwa zwei Wochen benutzten die Täter ebenfalls Sturmgewehre des Typs Kalaschnikow AK 47, die auch sehr wahrscheinlich aus Ex-Jugoslawien stammen.
Das deutsche Bundeskriminalamt ist mittlerweile auf die etwas ungwöhnliche Idee gekommen, man solle am besten den Balkan-Staaten einen Großteil der gelagerten Waffen abkaufen: Um sie dann zu vernichten, bevor sie nach Deutschland kommen und da eingesetzt werden.
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