„Ein sorg­fältig durch­ge­führter Dexit ist die Alter­native zum Chaos“

Interview mit Bruno Bandulet zu seinem neuen Buch „DEXIT. Warum der Aus­stieg Deutsch­lands aus dem Euro zwar schwierig, aber dennoch machbar und not­wendig ist“.

Herr Bandulet, der Brexit ist noch nicht vom Tisch, da legen Sie ein Buch mit dem Titel „Dexit“ vor über den Aus­stieg Deutsch­lands aus dem Euro. Was hat Sie dazu bewogen?

Ich hatte schon drei Bücher über den Euro geschrieben. Das erste, erschienen 1993, warnte noch vor der Ein­heits­währung und sollte mit­helfen, die Wäh­rungs­union zu ver­hindern. Das letzte kam 2010 heraus, als Grie­chenland in die Insolvenz rutschte und das neue, noch offene Kapitel der Euro­rettung auf­ge­schlagen wurde. Inzwi­schen kann kein ver­nünf­tiger Mensch mehr bestreiten, dass der Euro nicht funk­tio­niert und nicht funk­tio­nieren kann. Jetzt gilt es, die Vor- und Nach­teile eines Exits gegen­ein­ander abzu­wägen. Das tue ich mit meinem neuen Buch und komme zu dem Schluss, dass der Aus­tritt Deutsch­lands aus der Wäh­rungs­union die ele­gan­teste und am wenigsten teure Option dar­stellt. Hätte ich damit warten sollen, bis das Chaos aus­bricht? Ich bin lieber dem abseh­baren Unheil ein paar Schritte voraus.
Beschreiben Sie doch bitte das „Chaos“ bzw. das „absehbare Unheil“…
Wir wissen zunächst nur, dass die neue ita­lie­nische Regierung der Meinung ist, dass der Euro nicht zu Italien passt, dass sie bereits über Alter­na­tiven nach­ge­dacht hat und dass sie nicht gewillt ist, sich an die Vor­gaben aus Brüssel und Berlin zu halten. Jetzt stellen Sie sich vor, dass ita­lie­nische Staats­an­leihen am Kapi­tal­markt nicht mehr absetzbar sind, dass das Land in die Insolvenz rutscht und dass die Regierung beginnt, eine Par­al­lel­währung aus­zu­geben. Es braucht wenig Phan­tasie, sich die dann aus­bre­chende Finanz­krise aus­zu­malen. Oder was würde pas­sieren, wenn die Inflation in der Eurozone aus­ufert und die EZB nicht mehr in der Lage ist, mit ent­spre­chenden Zins­er­hö­hungen zu reagieren. Dann würde der Euro unkon­trol­liert abstürzen. Die gesamte Wäh­rungs­union ist extrem fragil und weniger belastbar als noch 2010. Aller­dings exis­tiert eine Alter­native zum Wäh­rungs­chaos, die ich in meinem Buch auch beschreibe: Die totale Schulden- und Trans­fer­union zu Lasten Deutsch­lands. Das letztere wollen wir nicht, und das Chaos-Sze­nario sollten wir nicht riskieren.
Würde ein ‚Dexit‘ nicht auch cha­os­artige Tur­bu­lenzen ver­ur­sachen? Gerade, weil alles so fragil ist…
Ent­scheidend wird sein, dass der Aus­trittsplan gene­ral­stabs­mäßig und unter Aus­schluss der Öffent­lichkeit aus­ge­ar­beitet und dann pro­fes­sionell kom­mu­ni­ziert wird. Das ist der Bun­desbank durchaus zuzu­trauen. Bekanntlich hassen die Finanz­märkte nichts so sehr wie Unsi­cherheit und Unbe­re­chen­barkeit. Diesen Zustand haben wir ja bereits. Schauen Sie nur auf die Kurs­ver­luste ita­lie­ni­scher Staats­an­leihen in diesem Herbst. Ein sorg­fältig durch­ge­führter Dexit ist die Alter­native zum Chaos. Einfach und pro­blemlos ist er selbst­ver­ständlich nicht. In meinem Buch spiele ich durch, was im Ein­zelnen pas­sieren könnte und wie darauf zu reagieren wäre. Dass die Schwie­rig­keiten eines Dexit ungleich leichter zu beherr­schen wären als der Aus­tritt Ita­liens, der eigentlich über­fällig ist, daran habe ich jeden­falls keinen Zweifel.
Mit ‚ungleich leichter zu beherr­schen‘ meinen Sie sicher, die Ver­luste wären andern­falls für Deutschland noch höher. In Ihrem Buch spielen Sie den Dexit kal­ku­la­to­risch durch. Können Sie das für unsere Leser hier kurz skizzieren?
Falls Deutschland vom Euro in die Neue Deutsche Mark (NDM) wechselt, würde sich der Staat ent­schulden, weil die in Euro bege­benen Regie­rungs­an­leihen stehen bleiben und der Euro zur NDM abwertet. Ande­rer­seits erleiden Banken, Ver­si­che­rungen und Pri­vat­an­leger Abwer­tungs­ver­luste, die über einen Las­ten­aus­gleich aus­ge­glichen werden müssten – insofern mehr oder weniger ein Null­sum­men­spiel. Außerdem müsste sich die Bun­desbank gegen eine über­mäßige Auf­wertung der NDM stemmen. Aus diesen und anderen Gründen glaube ich, dass die NDM – zunächst oder für längere Zeit – als Par­al­lel­währung die bessere Alter­native wäre. Die Ver­luste aus den Target-For­de­rungen müssen ohnehin ein­kal­ku­liert werden. Noch einmal: Alles ist besser als eine per­ma­nente Schulden- und Trans­fer­union, auf die die Bun­des­re­gierung offenbar zusteuert.
Mit Blick auf die Eurozone und die Stimmung in der EU…  geben Sie dem Euro über­haupt eine Überlebenschance?
Ja, wenn die Eurozone kom­plett sozia­lis­tisch umge­staltet wird. Wenn die EZB auch in Zukunft nach Belieben Geld druckt, wenn Schulden und Haftung voll­ständig ver­ge­mein­schaftet werden, wenn eine gemeinsame Ein­lagen- und Arbeits­lo­sen­ver­si­cherung ein­ge­führt wird. An letz­terer bastelt gerade der SPD-Finanz­mi­nister Scholz und bekommt dafür auch noch Beifall von den Grünen, die in Deutschland derzeit in Mode sind. Alles in allem ein grau­en­haftes, selbst­zer­stö­re­ri­sches Konzept. Die Frage ist, ob wir das wollen.
Sehen Sie auf poli­ti­scher Ebene gegen­wärtig über­haupt Akteure, die das Thema ‚Dexit‘ auf die Tages­ordnung heben könnten, bevor es zu spät ist?
Nein. Unter den Bun­des­tags­par­teien ist es nur die AfD, die den Aus­stieg aus der Wäh­rungs­union anstrebt. Aber deren Anträge im Bun­destag werden ja grund­sätzlich von der Mehrheit abge­lehnt. Dass die Politik zu spät handelt, ist völlig normal. Sie lebt ja davon, auf selbst­ge­schaffene Pro­bleme zu reagieren. Also wird der Dexit erst auf die Tages­ordnung kommen, wenn die Kosten und Risiken einer Euro-Abwicklung größer sind, als sie hätten sein müssen.
Gesetzt den Fall, es käme zum Dexit, sollte man für Deutschland nicht besser gleich einen Wäh­rungs­wett­bewerb à la Hayek anstreben?
Gegen Par­al­lel­wäh­rungen spricht nichts, ganz im Gegenteil. Ich war schon in den neun­ziger Jahren, bevor der Euro kam, der Meinung, man solle ihn erst einmal als Par­al­lel­währung ein­führen. Das war auch der Vor­schlag der bri­ti­schen Regierung. Viel­leicht hätte der Euro mit der Zeit die anderen Wäh­rungen ver­drängt, viel­leicht hätten sie neben­ein­ander exis­tiert, aber ohne Trans­fer­union. Wett­bewerb ist immer eine gute Sache, er schadet nie. Ich denke auch, dass ein harter Dexit – der Wechsel Deutsch­lands vom Euro direkt zur Neuen Deut­schen Mark – Tur­bu­lenzen an den Finanz­märkten ver­ur­sachen würde. Dem­ge­genüber wäre die NDM als Par­al­lel­währung leichter zu eta­blieren. Man könnte in Ruhe abwarten, ob sie akzep­tiert wird. Wenn dann der Euro nach und nach aus dem Umlauf ver­schwindet, auch gut.
Vielen Dank, Herr Bandulet.
*****
Das Interview wurde per email geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

Dr. phil. Bruno Bandulet pro­mo­vierte über Ade­nauers Außen­po­litik, arbeitete in der CSU-Lan­des­leitung als Referent für Deutschland- und Ost­po­litik, war Autor von Zeit­bühne und Trans­at­lantik, Chef vom Dienst der Tages­zeitung Die Welt und Mit­glied der Chef­re­daktion der Illus­trierten Quick. Bis 2013 gab Bandulet den Finanz­dienst Gold & Money Intel­li­gence (G&M) heraus. 1995 gründete er den poli­ti­schen Hin­ter­grund­dienst Deutsch­land­Brief, der seit 2009 als monat­liche Kolumne im liber­tären Magazin eigen­tümlich frei erscheint. Bandulet ist Mit­glied der Friedrich August von Hayek-Gesell­schaft und Träger der Roland-Baader-Aus­zeichnung 2014. 2015 erhielt er den Preis der Deut­schen Edel­me­tall­ge­sell­schaft für seine Ver­dienste um die Auf­klärung zum Wesen und zur Rolle des Goldes seit den 1970er-Jahren. 2017 wurde ihm der Gerhard-Löwenthal-Ehren­preis für seine »her­aus­ra­gende Leistung im Dienste einer unab­hän­gigen Publi­zistik in Deutschland« ver­liehen. Zuletzt erschien von ihm im Kopp Verlag in 3. Auflage 2018 “Beu­teland – Die sys­te­ma­tische Plün­derung Deutsch­lands seit 1945”.