Vom Urknall zum Durchknall

Nüch­terne Wis­sen­schaftler erkennen Ansätze von Grö­ßenwahn in einer zunehmend indus­tri­ellen Physik. For­schende Him­mel­stürmer bean­spruchen nichts Gerin­geres, als die Ent­stehung des Weltalls nachzustellen. 

Wie beflissene Laien wissen, haben Astro­phy­siker einen Urknall. Vor rund vierzehn Mil­li­arden Jahren, so lehren die Wis­sen­schaftler, gähnte ein ein­ziges uner­mess­liches schwarzes Loch. Das dunkle Gebilde ver­einte in sich allen Stoff der Welt. So heißt es. Unver­sehens sei das Düs­terding mit einem gewal­tigen Don­ner­schlag geborsten. Sein Inhalt wäre gleich einer plat­zenden Sil­ves­ter­rakete aus­ein­ander gestoben und fliege noch heute in Gestalt der Sterne in alle Rich­tungen davon.

Bollrige Heils­bot­schaft

Diese Fassung der bibli­schen Schöp­fungs­ge­schichte als über­großer Böller stammt – was Wunder – von einem Got­tesmann, der zugleich Phy­siker war und zuvor als Artil­lerist gedient hatte. Die Rede ist von dem bel­gi­schen Abbé Georges Lemaître. Der lärm­ge­wohnte Geist­liche ver­öf­fent­lichte sein frommes Pol­terwerk um 1927, mithin wohl ver­ortet zwi­schen den beiden Welt­kriegen. Geboren aus Stahl­ge­wittern wurde seine knallige Heils­bot­schaft zum Kern­stück der phy­si­ka­li­schen Kos­mo­logie, der Kunde von der Welt als Ganzem, sozu­sagen der Ideo­logie-Abteilung der Naturwissenschaft.

Soweit die hei­ligen Worte! Hätte es damit sein Bewenden gehabt, wäre Steu­er­zahlern viel erspart geblieben. Aber ehr­geizige Phy­siker am euro­päi­schen Zentrum für Kern­for­schung CERN bei Genf in der Schweiz beun­ru­higen ihre Zeit­ge­nossen mit der erklärten Absicht, hier und heute schwarze Löcher der erwähnten Art zu erzeugen. Dazu ließen sie in der Schweiz die gewal­tigste und teu­erste Maschine errichten, die Men­schen jemals gebaut haben: Einen großen Teil­chen­be­schleu­niger, zünftig auf Deng­lisch “Large Hadron Col­lider” genannt, kurz LHC.

Lage und Aus­dehnung des LHC in der Schweiz (Abbildung CERN)

Auf­prall bei Weltraumkälte

Ein kreis­för­miger, dick­bauchiger U‑Bahn-Tunnel von sage und schreibe 27 Kilo­metern Länge wurde hundert Meter unterhalb der Acker­krume in eid­ge­nös­si­schen Grund und Boden gebuddelt. An die 9.400 Elek­tro­ma­gnete bestücken die Wände der Rie­sen­röhre. Flüs­siger Was­ser­stoff und eben solches Helium kühlen sie auf Welt­raum­kälte herunter.

Blick in den Tunnel des großen Teilchen-Beschleu­nigers beim CERN nahe Genf. (Link)

Die sol­cher­maßen hoch gekit­zelten Kraft­pakete sollen gewisse Teilchen bis nahezu Licht­ge­schwin­digkeit im Kreis herum jagen und in vollem Lauf auf­ein­ander prallen lassen. Dabei ent­stehen angeblich die besagten fins­teren Ver­tie­fungen wie bei der mut­maß­lichen Stunde Null, in der das All seinen Anfang genommen hätte — vorerst noch in ver­klei­nertem Maßstab.

Teil­weise Göttliches

Die Abkürzung CERN steht für Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire, dem Euro­parat für Kern­for­schung. Der hat den Teil­chen­tempel gegründet. Der Name klingt nüchtern und sachlich. Geworden ist daraus eine Ato­marena für Artil­le­risten aus aller Herren Länder, die dort ein wenig Gott spielen.

Mit einer gewissen Fol­ge­rich­tigkeit haben die For­scher angeblich ein soge­nanntes Got­tes­teilchen dingfest gemacht. Eine weniger wei­he­volle Bezeichnung für das wun­dersame Etwas lautet Higgs-Boson. Was nach einem Mittel gegen den Schluckauf klingt, gilt der Kern­physik als Stein der Weisen.

Hei­liges Higgs

Wahr­nehmen könne man das heilige Higgs aller­dings nicht, räumen die Ver­suchs­leiter ein. Das himm­lische Teilchen zer­falle sofort wieder, kaum dass es ent­standen sei. Nur Spuren des flüch­tigen, wenn nicht gar ver­schwin­denden Daseins der sagen­haften Knall­erbsen ließen sich mehr oder weniger mit­telbar messen. Ein namentlich nicht genannter For­scher wurde mit dem Satz zitiert: „Wir wissen alles über das Higgs-Teilchen, nur nicht, ob es wirklich existiert.”

Der Drang vom Höherem zum Aller­höchsten scheint unter Phy­sikern zunehmend um sich zu greifen. Der ame­ri­ka­nische Ver­treter des neuen Ordens George Smoot glaubt nach eigenen Worten das „Antlitz Gottes geschaut” zu haben. Die Gesichtszüge des All­mäch­tigen erkannte der Leiter eines Satel­liten-Pro­gramms der NASA in der kos­mi­schen Hin­ter­grund-Strahlung. Diese Erscheinung ist dem Ver­nehmen nach von der ersten großen Urknal­lerei übrig geblieben. Jeden­falls haben die neuen Ver­künder zu Genf mit ihrem Kern­teil­chen­kreisel ihrer eigenen Groß­manns­sucht ein ein­drucks­volles Denkmal gesetzt.

Holzweg durchs Universum

Bei so viel Ver­mes­senheit regt sich auch innerhalb der Zunft ein gewisses Unbe­hagen. Der Münchner Phy­siker Alex­ander Unzicker sieht die Kol­legen auf dem Weg „Vom Urknall zum Durch­knall“. So lautet der Titel eins seiner Bücher. Ferner bescheinigt er ihnen „Auf dem Holzweg durch das Uni­versum“ zu sein. So heißt ein wei­teres Werk aus der Feder des tadelnden Spötters. Trotz strit­tiger Befunde erhielten die Genfer Schleu­derer den Nobel­preis. Unzicker ver­öf­fent­lichte dazu einen Aufsatz unter dem Titel “Wie die Leute vom CERN das Nobel­preis-Komitee herein legten”.

Ob die sol­cher­maßen Gerüf­felten künftig auf dem Teppich bleiben, erscheint fraglich. Auch außerhalb der schleu­dernden Gemeinde zu Genf ist man eher auf flie­genden Läufern durch „gekrümmte Räume“ und „ima­ginäre Zeiten“ unterwegs. Was auch immer das bedeuten mag!

Besorgte Mit­men­schen hegen ernste Bedenken, den Zau­ber­lehr­lingen des CERN könnte ihr Machwerk ent­gleiten. Statt den Anfang der Welt nach­zu­stellen, würden die Urknaller deren Untergang her­auf­be­schwören. Schließlich hätten Phy­siker der Mitwelt einst ohne nen­nens­werte Gewis­sens­bisse die Atom­bombe beschert. Auch über die Pannen der mut­maßlich sau­beren Kern­meiler trös­teten sie von Gau zu Gau hinweg. Unter­dessen wüchsen die Berge gefährlich strah­lenden Atom­mülls immer weiter, und niemand wisse wohin damit.

Von Lemaitre zu Münchhausen

Wegen der Gefahr der­ar­tiger Kol­la­te­ral­schäden haben sich weitere Ketzer zu Wort gemeldet. So hat der ame­ri­ka­nische Spe­zialist für Galaxien-Kunde Alton Harp ver­lauten lassen, die Neu­in­sze­nierung der Urzeit sei eine arge Zumutung für den gesunden Men­schen­ver­stand. Ihre Urheber scheuten nicht die Behauptung, das All habe sich in einem ein­zigen Augen­blick selbst aus dem Nichts ins Dasein gerufen. Tat­sächlich erinnert die Ange­le­genheit in gewisser Weise an eine Erzählung des Lügen­barons von Münch­hausen. Gab der doch vor, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf gezogen zu haben.

Dennoch ange­nommen,“ so Harp, „die Urknall-Theorie würde stimmen. Unter­scheidet sie sich dann wesentlich von dem kirch­lichen Glauben, dass Gott die Welt irgendwann in der Ver­gan­genheit erschaffen hat? Kein Wunder, wenn sich auch der Vatikan die lär­mende Legende längst zu eigen macht. Erkennt er hierin doch die Not­wen­digkeit für den Bestand eines Schöpfers.“

Neue Religion

Was die ton­an­ge­bende Knall­frösche in der Physik von heute als wis­sen­schaft­liche Erkennt­nisse anbieten, unter­scheide sich nach Ansicht des nach­denk­lichen Außen­seiters kaum noch von dem, was die Kirche schon vor Jahr­hun­derten ver­treten hat. „Was ist nur aus der Wis­sen­schaft geworden?“ fragte Alton Harp und gab gleich selbst die Antwort: „Die Physik wurde zur neuen Religion.“

Nach zähem Ringen hätten die Jünger Newtons der Kirche das Vor­recht ent­wunden, die Welt zu erklären. Seither bean­spruchten die For­scher Grals­hüter letzter Wahr­heiten zu sein. Laut Harp ver­tauschten sie dazu die geheim­nis­vollen kirch­lichen Lehren mit nicht minder rät­sel­haften physikalischen.

Die Rolle von Jesus Christus wurde mit Albert Ein­stein neu besetzt. Was vormals die Heilige Offen­barung war, hieß von nun an Rela­ti­vi­täts­theorie. Das Geheimnis der Drei­fal­tigkeit bestand für­derhin aus gekrümmten Räumen, dehn­baren Zeiten und einer vierten Dimension. Mit dem Dogma von einer unüber­wind­lichen Licht­ge­schwin­digkeit wurde ein gedank­licher Zaun zwi­schen der Erde und dem übrigen All errichtet.

Nur für Auserkorene

Eine nach­voll­ziehbare Dar­stellung dieser Lehr­mei­nungen suche der gewöhnlich Sterb­liche freilich ebenso ver­gebens wie für die unbe­fleckte Emp­fängnis Mariae. So meinte Harp. Das rela­ti­vis­tische, mul­ti­di­men­sionale Raum-Zeit-Kon­tinuum scheine nur einem sehr kleinen, erlauchten Kreis von Aus­er­ko­renen zugänglich zu sein, die vor­geben, der­gleichen zu ver­stehen. Die gläubige wie ungläubige Mitwelt speisen die Gelehrten mit dem Hinweis ab, das Ganze sei eben schwer vor­stellbar. Und damit basta.

Ähnlich dem Klerus von einst ver­schafften sich die hohen Priester der neuen Heils­lehre reich­liche staat­liche Pfründe. Dazu winkten sie unter anderem mit der Mög­lichkeit, aus Wasser Strom her­stellen zu können. Tat­sächlich erinnern die Ver­suche zu kon­trol­lierter Ver­schmelzung von Was­ser­stoff zu Helium an die mit­tel­al­ter­liche Alchemie, die bekanntlich Blei zu Gold machen wollte.

Alchemie der Neuzeit

Die heu­tigen Alche­misten sind damit auf eine ver­gleichbare Masche ver­fallen wie die herrsch­süchtige Geist­lichkeit von einst. Der Klerus gründete seinen Einfluß auf das Ver­sprechen einer ewigen Seligkeit. Die Physik der Gegenwart ver­heißt unbe­grenzte Energie. Auf dem Weg zu derart Schwindel erre­genden Zielen wachsen vor allem die Kosten in den Himmel. Der Bau des unter­ir­di­schen Molochs zu Genf ver­schlang die runde Summe von 

3.000.000.000

Euro, in Worten drei Mil­li­arden. Aller­dings ist selbst diese Summe ange­sichts immer­wäh­render Rettung Grie­chen­lands durch die EU kein Geld mehr. Wer solche Beträge in Kin­der­gärten oder Kran­ken­häuser umrechnen wollte, käme kaum noch zu Rande. Er müsste schon die nach oben offenbar unbe­grenzten Kosten des Ber­liner Flug­hafens BER als Ver­gleichs-Maßstab bemühen. Für das CERN kommen immerhin alle Jahre nochmals ver­gleichbar lumpige 9.000.000 Euro für Betrieb und Wartung oben drauf. 

Nullen über Nullen

Ein Pla­nungs­fehler zu Genf von fünf Prozent würde ein halbes Dutzend nach­weislich nütz­licher For­schungs-Institute erschlagen, deren Mittel nur einen win­zigen Bruchteil der dor­tigen Summen aus­machen. Doch, so ver­lautet es von Seiten des CERN, es handle sich schließlich um Erkennt­nisse über die Ent­stehung des Uni­versums. Zuge­geben, auch das ist schier unfassbar groß und sein Ver­ständnis wohl deshalb kaum bil­liger zu haben. Darum geht in der indus­tri­ellen Physik unter sechs bis neun Nullen anscheinend so gut wie nichts mehr.

Nur wenige Aus­er­wählte gleich der eins­tigen Bun­des­mi­nis­terin für Bildung und For­schung und der­zeitige Bot­schaf­terin beim Vatikan, Annette Schavan, wissen das scheinbar wirklich zu schätzen. „Ich freue mich,“ so soll sie gesagt haben, „dass die For­schung am CERN so weit vor­an­ge­kommen ist.“ Aller­dings hat auch Frau Schavan dem Ver­nehmen nach gleich dem got­tes­fürch­tigen Schieß­künstler Lemaître ein Studium der Theo­logie abge­schlossen und steht deshalb wohl besonders fest im Glauben.

Her­um­ge­schleudert

Was für ein Glück für den deut­schen Steu­er­zahler! Die Poli­ti­kerin hat immerhin maß­geblich zu ver­treten, dass die 600.000.000 Euro des Ber­liner Anteils an den Bau­kosten des Teil­chen­tunnels nicht sinnlos her­um­ge­schleudert werden oder gar in einem schwarzen Loch ver­schwinden. Ebenso gilt sicher zu stellen, dass die Herren beim CERN den jähr­lichen Beitrag aus Deutschland an den Betriebs­kosten in Höhe von 180.000.000 Euro eins zu eins in Geis­tes­blitze umsetzen. Jeden­falls bleibt zu wün­schen, dass die Genfer Größen gewis­sen­hafter zu Werke gehen als Frau Schavan selbst bei den Zitaten ihrer strit­tigen Doktorarbeit. 

Wer weiß, wovon sie reden

Was auch immer Phy­siker als Ergebnis aus­weisen mögen: Kaum ein Außen­ste­hender wird jemals dessen Wahr­heits­gehalt über­prüfen können. Am wenigsten ist das von den Volks­ver­tretern zu erwarten, die dafür die erfor­der­lichen Betriebs­mittel bewil­ligen. Die Loch­kun­digen zu Genf han­tieren mit Ener­gie­dichte, Planckzeit, Raumzeit, kos­mo­lo­gi­schem Prinzip, Anfangs­sin­gu­la­rität, elek­tro­schwacher Wech­sel­wirkung, endo­thermer Rück­re­aktion, spon­taner Sym­me­rie­bre­chung und Sacha­row­kri­terien. Welcher Poli­tiker würde schon offen zugeben, er wüßte nicht, wovon die Wis­sen­schaftler reden?

Unter­dessen wird gemunkelt, schon jetzt gehe der Unter­schied zwi­schen maschinen-eigenen Vor­gängen und Zielen, die man zu erfor­schen vorgibt, mehr und mehr ver­loren. Es soll bereits öfter vor­ge­kommen sein, dass Dok­tor­ar­beiten über Erschei­nungen ange­fertigt wurden, die es ohne die hoch­ge­züch­teten Maschinen gar nicht gäbe. CERN-Gene­ral­di­rektor Pro­fessor Rolf-Dieter Heuer hat für alle Fälle vor­gebaut. „Zufällige Fluk­tua­tionen,“ so warnte der Ober­be­schleu­niger, könnten die For­scher narren.

Mate­ri­al­schlacht gegen die Natur

Würden frei­giebige Poli­tiker bloß zwei und zwei zusam­men­zählen, käme er wahr­scheinlich zu gänzlich über­ra­schenden Schlüssen. Die Ver­suchs­an­ordnung von Otto Hahn, mit deren Hilfe der Nobel­preis­träger die erste Kern­spaltung nach­ge­wiesen hat, passt bequem auf einen Schreib­tisch. Der­ge­stalt ist sie im Deut­schen Museum in München zu besich­tigen. Hahn besaß offenbar klare Vor­stel­lungen davon, worauf es ankam. Wer dagegen einen Rie­sen­tunnel von 27 Kilo­metern Umfang gräbt, weiß wohl eher nicht so genau, wonach er sucht. Dennoch haben die Wis­sen­schaftler schon gedroht, die Metri­al­schlacht gegen die Natur aus­zu­weiten. Ein noch grö­ßerer Beschleu­niger von hundert Kilo­metern Länge soll her.

Bei der­maßen großen Sprüngen wollen andere For­scher nicht zurück­stehen. Im Hardtwald auf der Gemarkung des badi­schen Leo­polds­hafen am Ober­rhein liegt tief im Tann der soge­nannte Campus Nord. So heißt das For­schungs­ge­lände des KIT, des Karls­ruher Instituts für Tech­no­logie, eine der größten wis­sen­schaft­lichen Anstalten Deutsch­lands. Abge­schirmt hinter hohen Zäunen unter­sucht dort ein Heer von Wis­sen­schaftlern, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Groß­versuch unter anderer Frau

Unter dem ver­meint­lichen Mäd­chen­namen KATRIN haben Phy­siker und Inge­nieure des KIT kürzlich einen Groß­versuch begonnen, der laut Bun­des­for­schungs-Minis­terin Anja Kar­liczek nichts Gerin­geres als „die Erkennt­nisse über unser Uni­versum ent­scheidend ergänzen“ soll, das „Karls­ruher Tritium Neu­trino Expe­riment“. Das steckt hinter dem Kürzel KATRIN. Es geht darum, Neu­trinos dingfest zu machen, die häu­figsten Teilchen im Weltall, denen sich eine Masse zuordnen lässt. Es sei als Zeichen der Hoffnung gedeutet, dass Anja Kar­liczek nicht Theo­logie stu­diert hat wie ihre Vor­gän­gerin Schavan sondern Wirtschaft.

Gemäß dem Weltbild der Phy­siker besteht die belebte wie die unbe­lebte Natur und alles andere Stoff­liche aus win­zigen Ein­heiten, die sie als Ele­men­tar­teilchen bezeichnen. Demnach bilden Elek­tronen, Pro­tonen und Neu­tronen durch Wech­sel­wirkung Atome. Die formen mit kleinen Kernen Bau­steine von leichten Gasen wie Was­ser­stoff und Helium bis zu schweren Kernen für Metalle wie Eisen, Gold oder Uran. Zudem unter­scheidet die Teilchen-Physik einige Dutzend wei­terer Arten wie Lep­tonen und Quarks.

Neu­trinos kommen mil­li­ar­denfach häu­figer vor als alle übrigen Masse-Teilchen. Dennoch wurden sie erst spät ent­deckt. Das lag daran, dass sie unbe­merkt alles durch­dringen, mühe­loser als Licht das Glas. Vielmehr ist von den geis­ter­haften Winz­lingen kaum bekannt. Umso größer wurde die Neugier der For­scher am KIT. Fünfzehn Jahre Vor­arbeit und ver­gleichs­weise bescheidene sechzig Mil­lionen Euro wurden für das Unter­nehmen KATRIN auf­ge­wendet. Allein der Tank eines soge­nannten Haupt­spek­tro­meters geriet so groß wie ein Zeppelin.

Haupt­spek­tro­meter des KATRIN-Ver­suchs kurz vor der Ankunft an seinen Bestim­mungsort (Bild KIT)

Nur eine einzige Firma, die MAN DWE im baye­ri­schen Deg­gendorf, sah sich in der Lage, die tech­ni­schen Vor­gaben zu erfüllen. Für die Beför­derung über Straßen war das Teil viel zu groß. Man mußte es die Donau hinab ins Schwarze Meer schiffen, dann durch den Bos­porus ins Mit­telmeer, um Süd­west­europa herum über die Biskaya in den Ärmel­kanal und schließlich den Rhein hinauf bis kurz vor Karlsruhe. Den Rest besorgte Europas mäch­tigster Riesenkran.

Mehr als 9.000 Kilo­meter Trans­portweg des großen Haupt­spek­tro­meters vom baye­ri­schen Deg­gendorf ins badische KIT (Abbildung KIT).

 

In der Ver­suchs­halle des Campus Nord bildet das Spek­tro­meter das dicke Ende einer Anlage von 70 Metern Länge. An deren Anfang wird durch Radio­ak­ti­vität mittels über­schwerem Was­ser­stoff, auch Tritium genannt, ein Elek­tronen-Strahl erzeugt. Das nennen die Phy­siker “Beta-Zerfall”. Supra­lei­tende Magnete, auf vier Kelvin tief gekühlt, also knapp über Welt­raum­kälte, lenken aus­ge­wählte Elek­tronen in den großen Tank aus Edelstahl.

Voll­ständige Ver­suchs­anlage des KATRIN-Expe­ri­ments mit einer Länge von 70 Metern (Abbildung KIT).

Die Luft des rie­sen­haften Behälters wird zuvor abge­pumpt, bis das Vakuum dünner ist als auf der Ober­fläche des Mondes. Drum­herum bän­digen weitere Magnete aus­ge­wählte Elek­tronen auf einen Dektor. Beim Durchlauf wägt man die ihnen inne woh­nende Energie. Daran müsste dann ein Quäntchen fehlen, denn zugleich mit dem Elektron wird ein Neu­trino frei. Diesen Unter­schied zu ermitteln, gilt der ganze Aufwand.

Mit einer Messung ist es freilich noch lange nicht getan. Der frag­liche Unter­schied, den ein Neu­trino aus­macht, ist so gering, dass es Monate dauert bis eine ange­nä­herte Schätzung vor­liegt. Geplant ist eine Ver­suchs­reihe, die vor­aus­sichtlich bis 2023 währt. Erst dann hofft man genauere Werte zu kennen.

Ist das den unge­heuren Aufwand wert?

Phy­siker Thomas Thümmler, der Koor­di­nator des Spek­tro­meter- und Detektor-Bereichs ist davon über­zeugt. Seine Erklärung lautet: „Es geht um Grund­lagen-For­schung. Wir mussten für den Versuch völlig neue Ver­fahren ent­wi­ckeln, die bereits vor­handene Technik große Schritte voran gebracht hat. Allein dieser Zuwachs an fort­schritt­licher Tech­no­logie zahlt sich bereits mehrfach aus.“

Den Steu­er­zahlern soll es recht sein.