Wehrlos in die Rezession

Die WELT dis­ku­tiert die Aus­gangslage Deutsch­lands für den Fall einer erneuten Rezession – was ja bekanntlich nur eine Frage des Wann, nicht des Ob ist – und zitiert mich in diesem Zusammenhang:

  • „Offenbar ist die Bun­des­re­publik schlecht gegen die nächste Rezession gewappnet. Im Fall eines Abschwungs könnte es dem deut­schen Staat an fis­ka­li­scher Munition mangeln, um sich erfolg­reich gegen die Krise zu stemmen und die Aus­wir­kungen auf die Wirt­schaft abzu­federn. Der Bund gebe zwar viel Geld aus, aber nicht auf eine Weise, die die Wider­stands­kraft der hei­mi­schen Indus­trien stärkt, warnen Ökonomen.“
    Stelter: Eben für Konsum, statt für Investitionen.
  • „Die Rating­agentur Moody’s, die regel­mäßig die Kre­dit­wür­digkeit von Staaten bewertet, hat einen Fle­xi­bi­li­täts­index erstellt. Er gibt Auf­schluss darüber, wie groß die Hand­lungs­spiel­räume eines Staates im Falle einer Krise sind. Das Urteil der Boni­täts­prüfer für Deutschland fällt weit weniger rosig aus, als man erwarten könnte: Anders als andere Staaten hat die Bun­des­re­publik in den ver­gan­genen Jahren Schulden abgebaut, was die Wider­stands­fä­higkeit im Fall einer Krise stärken sollte – eigentlich.“
    Stelter: Was auch der poli­ti­schen Dis­kussion ent­spricht. Man fühlt sich bekanntlich „reich“.
  • „Zeit­gleich hat die Große Koalition aller­dings zahl­reiche Gesetze beschlossen, die dem Bund auf Jahr­zehnte Aus­gaben vor­geben, von denen er prak­tisch nicht mehr abrücken kann. Dazu gehören etwa die Müt­ter­rente und die Rente mit 63. Da die Bürger einen recht­lichen Anspruch auf diese Leis­tungen haben, muss der Staat in guten wie in schlechten Zeiten ein­springen. Der Regierung sind die Hände gebunden, um den Kon­junk­tur­sturz durch kurz­fristige Mehr­aus­gaben abzu­federn.“
    Stelter: Schlimmer noch, es wird dann noch mehr an den fal­schen Stellen gespart.
  • „Moody’s beziffert den Anteil der vor­ge­ge­benen Kosten, die heutige wie auch künftige Regie­rungen binden, schon jetzt auf 76 Prozent des Bun­des­haus­halts. Die Politik kann also über weniger als ein Viertel des Budgets frei ver­fügen. Das ist nicht das einzige Problem. Das Gros der lang­fristig fest­ge­legten Kosten ent­fällt auf Sozi­al­aus­gaben, die nichts dazu bei­tragen, dass die Wirt­schaft zukunfts­fähig wird. Pro­duk­ti­vi­täts­wachstum und künftige Wohl­stands­chancen Fehl­an­zeige. Wenn man allein auf die Haus­halts­über­schüsse und die Ver­schul­dungs­zahlen schaut, scheint die Bun­des­re­publik gut dazu­stehen. Doch das ist eine Illusion, sagt der Ökonom und Stra­te­gie­be­rater Daniel Stelter. Er hat gerade ein Buch mit dem Titel Das Märchen vom reichen Land: Wie die Politik uns rui­niert herausgebracht.“
    Stelter: Ich finde inter­essant, dass immer mehr Stimmen warnen, so schon vor einigen Wochen der IWF.
  • „Die Sozi­al­aus­gaben betrachtet er als ver­steckte Ver­schuldung, die zu den amt­lichen Schulden hin­zu­ge­rechnet werden müssten. Offi­ziell hat der deutsche Staat Ver­bind­lich­keiten in Höhe von 1934 Mil­li­arden Euro. Davon ent­fallen 1223 Mil­li­arden auf den Bund, 575 Mil­li­arden auf die Länder und noch einmal 136 Mil­li­arden auf die Kom­munen, (…) Stelter hin­gegen rechnet vor, dass sich die wahre Ver­schuldung – die sich unter anderem aus den lang­fris­tigen Aus­gaben für Soziales, Alters­bezüge und Gesundheit ergibt –, auf ein Viel­faches beläuft. Er kommt auf 3000 bis 4000 Mil­li­arden Euro, davon resul­tieren allein rund 1000 Mil­li­arden aus den Ren­ten­re­formen der letzten Jahre.“
    Stelter: Das ist der Unter­schied der Betrachtung nach Kame­ra­listik und ordent­licher Buchführung.
  • „Zudem ist die Steuern- und Abga­benlast schon relativ hoch. Ange­sichts einer alternden Bevöl­kerung, für die Sozi­al­aus­gaben eine heilige Kuh sind, dürfte es in Zukunft poli­tisch noch schwie­riger werden, Kür­zungen durch­zu­setzen: Wenn es eine Chance gegeben hätte, die Abga­benlast zu redu­zieren, dann war es jetzt, in den kon­junk­turell guten Zeiten.
    Stelter: Und das wurde in den letzten Jahren eben ver­säumt. Wir wurden schlecht regiert.
  • „Seit dem Jahr 2013 hat die Große Koalition bei ihren Aus­gaben einen klaren Schwer­punkt auf Sozi­al­transfers gelegt, (…). Vor allem diverse Ren­ten­pakete kosten Mil­li­arden, die nicht nur von den Beitrags‑, sondern auch den Steu­er­zahlern auf­ge­bracht werden müssen. Nach Kal­ku­la­tionen des BdSt lässt die Wirkung dieser Pakete den Steu­er­zu­schuss aus dem Bun­desetat an die gesetz­liche Ren­ten­kasse geradezu explo­dieren. Bereits 2020 wird die 100-Mil­li­arden-Euro-Marke geknackt, bis zum Jahr 2022 dürfte der Ren­ten­zu­schuss auf mehr als 110 Mil­li­arden Euro steigen, (…).  Im Ergebnis werden immer mehr Bun­des­mittel für Sozi­al­aus­gaben blo­ckiert, die leider nicht für Inves­ti­tionen, Bildung oder For­schung zur Ver­fügung stehen.
    Stelter: Es ist wirklich ein Leben von der Substanz.
  • „Auch Stelter kri­ti­siert, dass es Deutschland unter dem Diktat der Bud­get­kon­so­li­dierung ver­säumt habe, Inves­ti­tionen in Infra­struktur und Bildung anzu­schieben. Doch nicht nur die ver­schleppte Moder­ni­sierung der öffent­lichen Infra­struktur bereitet Stelter Sorgen. Er hält das deutsche Wirt­schafts­modell im Fall eines Abschwungs für besonders gefährdet: Die Bun­des­re­publik hat nicht nur am fal­schen Ende gespart, die Export­ori­en­tierung birgt auch ihre eigenen Risiken. – Han­dels­na­tionen erleiden in einer glo­balen Rezession meist einen viel stär­keren Ein­bruch als Öko­nomien mit starkem Bin­nen­konsum. Die Bun­des­re­publik läuft aus zwei Gründen Gefahr, dass der nächste Abschwung besonders brutal wird. Zum einen ver­lieren wichtige Han­dels­partner langsam die Geduld mit Deutsch­lands hohen Über­schüssen, die bei ihnen als Defizite zu Buche schlagen. Zum anderen liegen die Schwer­punkte der deut­schen Wirt­schaft in zykli­schen Sek­toren wie Chemie oder Auto­mo­bilbau, die besonders sen­sibel auf das Auf und Ab der glo­balen Nach­frage reagieren.“
  • Unser Wirt­schaftsboom steht auf tönernen Füßen. Mir graut vor der nächsten Rezession, sagt daher Stelter. Aus Sicht des Wirt­schafts­wis­sen­schaftlers wäre Deutschland gut beraten, durch Inves­ti­tionen und gezielte Aus­gaben die Grund­lagen für künf­tiges Pro­duk­ti­vi­täts­wachstum zu legen. Auch der Steu­er­zah­lerbund, eigentlich kein Freund von Staats­aus­gaben, mahnt mehr Geld für Inves­ti­tionen an. Die Aus­gaben für die Infra­struktur haben sich spie­gel­bildlich zu den stark stei­genden Sozi­al­transfers ent­wi­ckelt, erklärt Holz­nagel. Straßen, Brücken, Schulen und viele andere öffent­liche Ein­rich­tungen seien in einem teils maroden Zustand.“
    Stelter: Und zwar erschre­ckend schlecht wie Studien zeigen.
  • „Noch schlechter steht es laut Moody’s um Italien, Zypern, Spanien, Grie­chenland und Belgien. Die größte Fle­xi­bi­lität, um auf eine kon­junk­tu­relle Krise zu reagieren, haben die bal­ti­schen Staaten Lettland und Estland. Deutschland aber ist, als größte Volks­wirt­schaft der Euro-Zone, nur bedingt abwehr­bereit.“
    Stelter: Was zu einem unan­ge­nehmen Sze­nario führt. Sobald das Märchen vom reichen Land platzt, werden wir massive soziale Ver­wer­fungen erleben.

→ welt.de: „Wehrlos in die Rezession“, 3. November 2018


Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com