Der Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz – umrahmt wie ein Militärcamp in einem Kriegsgebiet. Trügerische Sicherheit als Camouflage für politische Unfähigkeit. (Quelle: PI-News)

Das Elend dieser Welt — Oder: Ein links­grünes Wintermärchen…

„Alles wird immer schlimmer“ – soziale Ungleichheit, Armut, Umwelt­pro­bleme, über­haupt die Lebens­ver­hält­nisse in Deutschland und auf dem ganzen Pla­neten. Ein links­grünes Wintermärchen.
(Von Dr. Rainer Zitelmann)
Es ist Weih­nachtszeit, und ich erwarte wieder Nach­richten, inzwi­schen fallen leider die „weißen Weih­nachten“ aus – natürlich wegen des Kli­ma­wandels. Gibt es zur Weih­nachtszeit aber wirklich weniger Schnee als bei­spiels­weise in den fünf­ziger Jahren? Im Gegenteil. In Berlin, wo ich lebe, gab es in den 50er-Jahren, als ich geboren wurde, nur in einem ein­zigen Jahr (1956) an einem von drei Weih­nachts­tagen Schnee. Dagegen ist es gar nicht so lange her, dass wir in Berlin drei Mal wun­derbare weiße Weih­nachten hatten – also Schnee sowohl am Hei­lig­abend wie auch am ersten und zweiten Weih­nachts­fei­ertag: Das waren die Jahre 2009, 2010 und 2012. „Der deutsche Wet­ter­dienst konnte bisher noch keine sta­tis­ti­schen Abwei­chungen beim Weih­nachts­wetter fest­stellen“, heißt es in dem lesens­werten Buch von Guido Mingels „Früher war alles schlechter“.
Dis­ku­tiert man mit Men­schen, die dem anti­ka­pi­ta­lis­ti­schen, linken Main­stream zuneigen, dann ver­fallen diese rasch in die Klage, dass die Welt bald vor die Hunde gehe – vor allem nehme die globale Ungleichheit zu und die Schere zwi­schen Arm und Reich gehe immer weiter aus­ein­ander. War früher also alles besser oder zumindest: weniger schlimm?

Das Elend dieser Welt…

Ich emp­fehle diesen Nost­al­gikern das Buch „Auf­klärung jetzt“ von Steven Pinker. Darin kann man z.B. lesen, dass seit dem Ende des 20. Jahr­hun­derts ein armes Land nach dem anderen der Armut ent­flohen ist. Länder, die bis vor kurzem noch jäm­merlich arm waren, ver­fügen heute dank des welt­weiten Sie­ges­zuges des Kapi­ta­lismus über kom­for­tablen Reichtum, vor allem in Asien. Dass „früher alles besser“ war, kann nur behaupten, wer keine Ahnung hat, was auf der Welt vor sich geht: In China lag Anfang der 80er-Jahre der Pro­zentsatz der Men­schen, die in extremer Armut lebten, noch bei 88 Prozent, heute ist es nur noch etwa ein Prozent. Ende der 50er-Jahre ver­hun­gerten bei Maos „großem Sprung nach vorne“ 45 Mil­lionen Chi­nesen, heute ver­hungert dort niemand mehr. Grund ist, dass die Chi­nesen suk­zessive mehr Markt und Pri­vat­ei­gentum zuge­lassen haben.
In den letzten 200 Jahren, seit sich der Kapi­ta­lismus ent­wi­ckelte, ist die Rate der extremen Armut in der Welt von 90 auf 10 Prozent zurück­ge­gangen. Und die gute Bot­schaft: Die Hälfte des Rück­gangs ist in den letzten drei Jahr­zehnten erfolgt, seit der Kom­mu­nismus zusam­men­ge­brochen ist. Während der Kapi­ta­lismus viel zur Besei­tigung der Armut bei­getragen hat, gehen die meisten Toten bei Hun­gers­nöten im 20. Jahr­hundert auf sozia­lis­tische Expe­ri­mente zurück. Das Ende des Kom­mu­nismus und der welt­weite Sie­geszug des Kapi­ta­lismus haben dazu geführt, dass in den 2000er-Jahren nur noch drei von 100.000 Men­schen durch Hun­gersnöte starben. Zwi­schen 1920 und 1970 starben dagegen global im Schnitt 529 von 100.000 Men­schen pro Dekade in Hun­gers­nöten. Mehr als drei Viertel davon gingen auf das Konto der rus­si­schen und chi­ne­si­schen Kommunisten.

Der Planet geht zugrunde

Und die Umwelt? Bilder von großen Kata­strophen wie etwa der Havarie der Exxon Valdez haben sich in unser Bewusstsein ein­ge­prägt. Aber die schlimmsten Unfälle pas­sierten nicht in den letzten Jahren, sondern in der Zeit, in der alles angeblich noch besser war. Die jähr­liche Zahl der Ölka­ta­strophen, die Anfang der 70er-Jahre noch bei über 100 lag, ist auf nur noch etwa fünf gesunken. Links­grüne, mit denen ich über diese Themen dis­ku­tiere und die behaupten, alles werde immer schlimmer und bald gehe die Welt zugrunde, haben das Gleiche schon in den 80er-Jahren gesagt. Damals pro­phe­zeiten sie, in nur wenigen Jahren werde der deutsche Wald wegen der kapi­ta­lis­ti­schen Umwelt­ver­schmutzung gestorben sein. Demons­tranten ket­teten sich an Bäumen fest, Schla­ger­sänger besangen den ster­benden Wald, ver­zwei­felte junge Umwelt­schützer umarmten Bäume. Und was ist geschehen? Deutschland hat seit 1970 eine Million Hektar Wald dazu gewonnen. Das sind 10.000 Qua­drat­ki­lo­meter (und dies unab­hängig vom Zuwachs durch die Wie­der­ver­ei­nigung). Eine Fläche, die viermal größer ist als das Saarland. Trotzdem kämpfen Grüne nach wie vor ver­bissen um jeden Baum, der etwa für ein Woh­nungs­bau­projekt gefällt werden soll.
Ich erinnere mich noch an ständige Alarm­mel­dungen beim „Bio­wetter“, als im Fern­sehen Ozon­alarm gegeben wurde. Das Ozonloch wurde größer, größer und größer – eigen­ar­ti­ger­weise hört man heute weder etwas vom Ozonloch noch vom Wald­sterben. Die Themen wechseln, aber die Bot­schaft wird immer schriller ver­kündet: Katrin Göring-Eck­hardt von den Grünen bringt es in einem 3‑Mi­nuten-Beitrag zustande, fünf Mal zu erzählen, dass es um die Existenz des Pla­neten gehe und wir deshalb grün wählen müssten. Die Kapi­ta­lis­mus­kri­tikern Ulrike Herrmann von der taz, mit der ich neulich in Tübingen eine öffent­liche Dis­kussion hatte, for­derte, wir alle dürften nicht mehr Auto fahren und nicht mehr fliegen, weil sonst die Welt zugrunde gehe.

Schreiende Armut in Deutschland…

In Deutschland sind die Ver­hält­nisse zum Schreien unge­recht – finden Sahra Wagen­knecht und Kevin Kühnert. Dabei geht die Zahl der Hartz IV-Emp­fänger in Wahrheit ständig zurück – von 4,83 Mil­lionen im Jahr 2010 auf 4,16 Mil­lionen in diesem Jahr. Ohne die von der Anhängern der gren­zen­losen Zuwan­derung begrüßte Migration wäre der Rückgang sogar noch viel beein­dru­ckender, denn über die Hälfte der Hartz-IV-Emp­fänger hat einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund: Erst holt man arme Men­schen ins Land und dann beschwert man sich, dass die Armut steigt.
Wenn ich Kapi­ta­lis­mus­kri­tiker nach ihren Alter­na­tiven zum Kapi­ta­lismus frage, dann trauen sich die wenigsten, sozia­lis­tische Uto­pie­ge­bilde zu ent­werfen. Nein, sie sind merk­wür­di­ger­weise auf einmal Anhänger der „sozialen Markt­wirt­schaft“ geworden, die sie früher vehement bekämpft haben. Sogar Sahra Wagen­knecht ist dafür. Sie zeichnen ein Mär­chenbild von einer Zeit, als es in Deutschland noch keine „Gen­tri­fi­zierung“ gab und alle ein gutes Aus­kommen hatten. Man könnte den Ein­druck haben, damals habe es weder Vil­len­viertel noch arme Quar­tiere gegeben, sondern Reich und Arm hätten Tür an Tür gewohnt. Natürlich ist das ein Märchen. Die Ver­hält­nisse der „sozialen Markt­wirt­schaft“, an die man sich auf einmal so gerne erinnert, wurden damals von den gleichen poli­ti­schen Kräften vehement als kapi­ta­lis­tisch-aus­beu­te­risch und unge­recht bekämpft. Und tat­sächlich ging es Arbeitern und armen Men­schen auch in Deutschland damals schlechter als heute. Niemals wurde in Deutschland so viel für „Soziales“ aus­ge­geben wie heute und niemals wurde gleich­zeitig so oft behauptet, Deutschland sei ein Land schrei­ender sozialer Ungerechtigkeit.

Ver­klärung der Vergangenheit

Wie kommen Men­schen dazu, die Ver­gan­genheit zu ver­klären? Die jungen Men­schen wissen es nicht anders, sie haben es nicht mit­erlebt. Sie wissen das – oder wissen das nicht –, was ihnen grüne Lehrer im Poli­tik­un­ter­richt erzählen oder ver­schweigen. Ältere neigen mit zuneh­mendem Alter bekanntlich dazu, die gute, alte Zeit zu ver­klären. Wie nach einem mit­tel­präch­tigen Urlaub, der sich in der Erin­nerung nach einem Jahr­zehnt in einen Traum­urlaub ver­wandelt hat. Oder wie eine schwierige Beziehung mit einem Partner, die nach jedem Jahr der Trennung in immer schö­nerem Licht erscheint. Die Psy­cho­login Julia Shaw schreibt in ihrem Buch „Das trü­ge­rische Gedächtnis“:
„Wir alle sind anfällig für die gleichen Arten von Erin­ne­rungs­täu­schungen und über­schätzen die Sicherheit unserer Erin­ne­rungen. Und wir müssen aner­kennen, dass allzu große Selbst­ge­wissheit in Bezug auf unsere Erin­ne­rungen nicht ange­bracht ist. Für mich ist diese Selbst­ge­wissheit vielmehr oft ein Warn­signal. ACHTUNG, diese Person ist sich viel­leicht nicht aus­rei­chend über ihre Wahr­neh­mungs­ver­zer­rungen im Klaren. ACHTUNG, diese Person weiß viel­leicht nichts von Erin­ne­rungs­täu­schungen und Erin­ne­rungs­schwächen.“ Das gilt für die indi­vi­duelle Lebens­ge­schichte, aber offenbar auch für kollektive.


Dr. Rainer Zitelmann für TheEuropean.de