Inflation: Der lautlose Wohlstandskiller

Von Andreas Tögel — Nach dem obli­gaten Säbel­ge­rassel der öster­rei­chi­schen Gewerk­schaft haben die Arbeit­geber der Metall­branche letztlich ein­ge­lenkt und am Ende einer deutlich über der Infla­ti­onsrate lie­genden Lohn­stei­gerung zuge­stimmt. Die Beamten wurden in ihrer Lohn­runde eben­falls gut bedient (+2,76%). Und die Ver­hand­lungen über die Erhöhung der Eisen­bah­ner­löhne haben für die Arbeit­neh­mer­seite mit deutlich mehr als drei Prozent plus ein noch erfreu­li­cheres Ergebnis gebracht. Im Land der Hämmer in geschützten Werk­stätten zu werken, ren­tiert sich – trotz der in Kreisen der Beam­ten­schaft auf alar­mie­rende Weise gras­sie­renden Arbeits­un­fä­higkeit in Folge des Burnout-Syn­droms. Der Schreiber dieser Zeilen hat daher bereits den unum­stöß­lichen Ent­schluss gefasst, im nächsten Leben eben­falls bei der Bun­desbahn anzu­heuern und dort­selbst eine Kar­riere als Betriebsrat anzustreben.
Haupt­nutz­nießer bei allen Lohn­runden waren und sind indes in keinem Fall die Arbeit­nehmer. Es ist vielmehr der Fiskus, was den meisten Zeit­ge­nossen gar nicht erst ins Bewusstsein dringt. Dass die Netto-Real­löhne in der Alpen­re­publik deshalb seit Jahren kaum von Fleck kommen, weil sich der Staat nämlich zumindest die Hälfte davon aneignet (dieses unschöne Phä­nomen hört auf den Namen „kalte Pro­gression“ und ist dem Hin­ein­wachsen in höhere Steu­er­pro­gres­si­ons­stufen geschuldet), wird kaum dis­ku­tiert. Immerhin sind Öster­reich bisher wenigstens Streik­orgien erspart geblieben, wie man sie zum Bei­spiel aus Frank­reich kennt.
Ungemach droht aber ohnehin nicht von der Arbeits­kampf­front, sondern aus einer Ecke, der ebenso wenig mediale Auf­merk­samkeit zuteil wird wie der kalten Pro­gression: Es geht um die Inflation. Amtlich aus­ge­wiesen wird für das lau­fende Jahr derzeit ein Wert von rund 2,2 Prozent. Das von der EZB ange­peilte „Infla­ti­onsziel“ wird heuer somit bereits um ein Zehntel über­schritten. Dennoch läuten keine Alarm­glocken, denn Inflation, so ver­si­chern uns die natio­nal­öko­no­misch ver­sierten Fach­leute uner­müdlich, sei „alter­na­tivlos“ not­wendig, um eine Deflation zu ver­hindern. Ende der Durchsage.
Was an einer Kauf­kraft­stei­gerung pro Wäh­rungs­einheit übel sein sollte und nichts anderes ist die Kon­se­quenz einer Deflation, ist noch niemals plau­sibel argu­men­tiert worden. Die regel­mäßig gestreuten Schau­er­märchen von einer dräu­enden Abwärts­spirale infolge kol­lek­tiven Kon­sum­ver­zichts, sind im Grunde zu abwegig, um sich damit zu beschäf­tigen. Daher nur so viel: Wie die Ent­wicklung der Com­puter- und Unter­hal­tungs­elek­tronik­branche bei­spielhaft zeigt, lässt es sich in einem defla­tio­nären Umfeld prächtig leben. Wohl deshalb, weil in einer sich ent­wi­ckelnden und damit pro­duk­tiver wer­denden Wirt­schaft und unter sonst gleichen Bedin­gungen, eine Deflation einfach den „Natur­zu­stand“ dar­stellt: Wenn die (Massen-)Produktion bil­liger wird, sinken halt die Kon­su­men­ten­preise. Und Kon­sum­auf­schub im Segment des mensch­lichen Grund­be­darfs findet ohnehin niemals statt, weil niemand heute ver­hungern oder erfrieren will, weil er in drei Wochen Nah­rungs­mittel und Tex­tilien mög­li­cher­weise bil­liger kaufen könnte.

Wie auch immer, es gibt unter uns Zeit­ge­nossen, die sich der Mühe unter­ziehen, die Preis­dy­namik aus­ge­suchter Pro­dukte zu unter­suchen und sich nicht auf einen lis­ten­reich zusam­men­ge­stellten Warenkorb (der Begriff „getürkt“ ver­bietet sich aus Gründen der poli­ti­schen Kor­rektheit) ver­lassen, der die Grundlage für amt­liche Teue­rungs­sta­tis­tiken bildet. So errechnet sich heuer für Brot eine Preis­stei­gerung von rund 17 Prozent. Seit Ein­führung der schwind­süch­tigen Euro­währung anno 2002 hat sich der Brot­preis mehr als ver­doppelt. Wer bit­te­schön ver­dient heute doppelt so viel wie damals (von den Bewohnern geschützter Werk­stätten und Poli­tikern abgesehen)?
Dass in den amt­lichen Sta­tis­tiken die dyna­mische Preis­ent­wicklung im Immo­bi­li­en­sektor und bei den Akti­en­kursen völlig unbe­achtet bleibt, ist übrigens alles andere als ein dummer Zufall. Würden diese, was ja die Rea­lität viel besser abbildete, in die Beob­ach­tungen ein­fließen, ergäbe sich nämlich ein ziemlich erschre­ckendes Bild, das die staatlich orches­trierte Geld­men­gen­ver­mehrung schlag­artig offen­baren würde. Preis­stei­ge­rungen auf breiter Front, quer durch alle Branchen, sind nämlich weder ein Natur­phä­nomen, noch sind sie den Umtrieben geld­gie­riger Plu­to­kraten geschuldet, sondern nur und aus­schließlich die Folge einer Aus­weitung der Geld­menge. Würde die Mehrheit der Wahl­be­rech­tigten diesen Zusam­menhang durch­schauen, käme das der Nomen­klatura höchst unge­legen. Die macht nach dem Motto „haltet den Dieb!“ für die Preis­in­flation viel lieber gierige Unter­nehmer und ruchlose Spe­ku­lanten ver­ant­wortlich. Für die Regie­renden ist es einfach kom­for­tabler, das Publikum im irrigen Glauben zu lassen, gewis­senlose Finanz­jon­gleure und der ruchlose Tur­bo­ka­pi­ta­lismus seien für die dra­ma­tische Preis­in­flation in bestimmten Seg­menten ver­ant­wortlich und nicht etwa die infla­tionäre Geld­po­litik der Noten- und Geschäftsbanken.
Preis­stei­ge­rungen sowie Lohn­er­hö­hungen, die durch die kalte Pro­gression ent­wertet werden und eine immer weiter ver­schärfte Inflation sorgen dafür, dass der Mas­sen­wohl­stand suk­zessive ero­diert. Nicht etwa der von den­je­nigen, die zur Wohl­stands­pro­duktion wenig oder nichts bei­tragen, denn die ver­fügen ja unter den Sozia­listen in allen Par­teien und in den NGO´s über eine mächtige Lobby. Auch nicht jener der wirklich Ver­mö­genden, die immer Mittel und Wege finden, um der fri­volen Fiskal- und Schul­den­po­litik der Regie­rungen geschickt aus­zu­weichen oder gar daran zu ver­dienen. Nein, der hart arbei­tende und von allen Seiten immer stärker unter Druck geratene Mit­tel­stand ist es, der die Zeche bezahlt. Die sin­kende Zahl „echter“ Unter­nehmer (also solcher, die nicht als gut ver­die­nende Ange­stellte gekündigt wurden und nun als „Selb­ständige“ einem ein­zigen Kunden – ihrem vor­ma­ligen Dienst­geber – zuar­beiten), ist das unüber­sehbare Symptom einer zuneh­menden Pro­le­ta­ri­sierung unserer Gesell­schaft. Es handelt sich um die Kon­se­quenz einer ver­meintlich arbeit­neh­mer­freund­lichen Gesellschafts‑, Umver­tei­lungs- und Fiskalpolitik.
Auch die jüngste Pen­si­ons­runde zeigt wieder deutlich, dass pen­sio­nierte „Bes­ser­ver­diener“ bei den Erhö­hungen stets die Dummen sind. Dass sie in der Zeit ihrer aktiven Kar­riere die höchsten Sozi­al­ver­si­che­rungs­bei­träge geleistet haben, wird nämlich gerne ver­gessen und sie werden regel­mäßig mit deutlich unter der Infla­ti­onsrate lie­genden Pen­si­ons­stei­ge­rungen abge­speist, was einem Dieb­stahl gleich­kommt. Mit dem Schlachtruf „soziale Gerech­tigkeit her­stellen“ werden unter dem Beifall linker Intel­lek­tu­eller und Medi­en­schaf­fender daher immer wieder die Min­der­leister auf Kosten der Leis­tungs­träger verwöhnt.
Damit nicht genug: Private Alters­vor­sorgen (z. B. Erle­bens­ver­si­che­rungen) werden durch die stetig anzie­hende Inflation scheib­chen­weise ent­eignet. Es ist, als ob man den private Reserven anle­genden Bürgern klamm­heimlich und unbe­merkt eine Kon­ser­vendose nach der anderen aus ihren Vor­rats­schränken davon­trüge. Die Sparer in Deutschland haben nach Berech­nungen der Com­direct Bank und des Finanz­dienst­leisters Barkow Con­sulting, durch die Null­zins­po­litik der EZB allein im ersten Halbjahr 2018 rund 17 Mil­li­arden Euro an Zinsen ver­loren. Für Öster­reich kann dem­gemäß von ungefähr einem Zehntel dieses Betrages aus­ge­gangen werden. Das sind gewaltige Brocken.
Fazit: Sozia­lis­tische Umver­tei­lungs­po­litik erreicht früher oder später immer ein für alle Betei­ligten trau­riges Ende. Dann nämlich, wenn das Geld des bür­ger­lichen Klas­sen­feindes restlos ver­jubelt ist. Zu diesem Zeit­punkt werden die dafür Ver­ant­wort­lichen aller­dings längst nicht mehr in Amt und Würden sein. Für die in ihrer aktiven Zeit getä­tigten Fehl­leis­tungen sind sie auf­grund der in Demo­kratien herr­schenden, unbe­schränkten Nar­ren­freiheit der poli­ti­schen Klasse ohnehin niemals haftbar. Der aus dem Libanon stam­mende Erfolgs­autor Nassim Taleb („Der schwarze Schwan“) würde „Skin in the Game“ ein­mahnen: Ohne per­sön­liches Enga­gement und Risi­ko­über­nahme werden nur selten kluge Ent­schei­dungen getroffen. So einfach ist das.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschi­nen­bauer, aus­übender kauf­män­ni­scher Unter­nehmer und über­zeugter “Aus­trian”.