Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Spahn zur Organspende durchgewunken. Diese Woche wurde der Gesetzentwurf im Bundestag beraten, auch der Bundesrat muss zustimmen. Das Gesetz soll voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte in Kraft treten. Spahn möchte künftig einfach jeden Bürger zum Organspender erklären, der dem nicht ausdrücklich widersprochen hat. Zum Glück gab es in der Bundestags-Debatte auch kritische Stimmen. Für mich käme Spahns Vorschlag einer staatlichen Lizenz zur Zwangsausschlachtung gleich. Und ich frage mich, ob wir uns gerade in einer Zeitmaschine rückwärts bewegen in Zeiten, die wir als inhuman, barbarisch und grausam bezeichnen – Zeiten, in denen die Beschaffung von Organmaterial nicht Medizinern, sondern den Scharfrichtern oblag. Schon im 16. und 18. Jahrhundert war Medizin aus Leichen begehrt. Gewonnen wurde sie damals allerdings ausschließlich aus sogenannten „Armen Sündern“ – hingerichteten Verbrechern. Tritt das Gesetz in Kraft, würde praktisch jeder, der stirbt, zum Ersatz-Teillager für menschliche Organe.
Medizin aus Leichen
Zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert durften in einer Apotheke, die auf sich hielt, Blut, Herzen, Hirne, Fett, Haut und geraspelte Schädelknochen vom Menschen nicht fehlen. Die „Materialbeschaffung“ war nicht Aufgabe des Apothekers, sondern des Scharfrichters. Er entnahm nach der Hinrichtung Fett und andere Körperteile, um daraus Heilmittel herzustellen. Dies war übrigens eine streng genehmigungspflichtige Nebentätigkeit. Der Scharfrichter musste von Fall zu Fall bei der vorgesetzten Behörde die Materialentnahme beantragen. Erst dann durfte er den Hingerichteten entfetten und häuten und auch die Haut als Heilmittel oder Amulett verkaufen. Menschenfett galt als das beste und teuerste aller Fette. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zahlten Münchener Apotheker dem Scharfrichter drei Gulden pro Pfund – so viel wie für 12 Pfund Butter, 36 Pfund Fleisch oder 45 Maß Bier. Menschenfett wurde verordnet bei Lungenschwindsucht, Muskelschwund, starken Zahnschmerzen. Bei Geisteskrankheiten wurde es als Nervensalbe auf den Kopf aufgetragen. Es half angeblich gegen Läuse. Frauen schluckten in Menschenfett gebratene Kaulquappen — in der Hoffnung auf eine empfängnisverhütende Wirkung.
Die „Spender“ waren meist gesunde, junge Burschen, von deren Lebenskraft man sich besondere Heilwirkung versprach. So mancher Bürger, der tagsüber einen großen Bogen um den Angstmann machte, klopfte nachts von Malässen geplagt im Henkershaus an und kaufte wundersame Medizin aus Leichen.
Die Angst, ausgeschlachtet zu werden
1752 verkaufte William Signal seinen Körper an einen Mediziner, damit er zu seiner eigenen Hinrichtung in anständiger Kleidung erscheinen konnte. Viele Hingerichtete landeten allerdings unfreiwillig auf den Seziertischen der Mediziner. Für das einfache Volk gab es damals nichts Schlimmeres als die Vorstellung, vom Chirurgen aufgeschnitten und zerlegt zu werden. Es galt als Demütigung und verhinderte den Übertritt ins Jenseits. Und dann war da noch die nicht ganz unbegründete Angst, vielleicht noch nicht ganz tot zu sein, wenn die Mediziner zum Messer griffen. So geschehen 1740 in Tyburn. Der 17-jährige William Duell hing eine halbe Stunde am Galgen, dann brachte man ihn zur Sektion. Als die Ärzte den ersten Schnitt setzen wollten, hörten sie ihn stöhnen und leiteten sofort Wiederbelebungsmaßnahmen ein. Er sagte, er sei im Paradies gewesen, dort hätte ein Engel ihm gesagt, seine Sünden seien ihm vergeben. Da er überlebt hatte, wurde die Todesstrafe in Verbannung umgewandelt.
Rohstoff Leiche
Heute wird Medizin aus Leichen nicht mehr von Hingerichteten gewonnen, alle Bürger sind Organspender! Ihr Körper ist ein kostbarer Rohstoff. Damals wie heute. Das Geschäft mit aus Toten gewonnenen Produkten floriert. Die Wissenschaftsjournalistin und Autorin Martina Keller schreibt in ihrem Buch „Ausgeschlachtet – die Leiche als menschlicher Rohstoff“, der Erlös aller Körperteile, die sich aus einer Leiche gewinnen lassen, summiere sich auf bis zu 250.000 Dollar. Fast alles kann die Medizin gebrauchen. Sehnen, Haut, Knochen, Knorpel. Ein Stück Aorta kostet um die 3.000 Euro, eine Herzklappe ist bereits für knapp 2.600 Euro zu bekommen. Ein Verstorbener versorgt bis zu 60 Patienten mit Gewebeersatz, schätzt man. Verpflanzt werden u.a. Sehnen, Bänder, Knochen, Knorpelgewebe, Muskelhüllen, Gehörknöchelchen, Augenhornhäute, Augäpfel, Herzklappen, Herzbeutelgewebe, Arterien, Venen, Leberzellen. Und Leichenhaut wird bei Bauchoperationen oder in der kosmetischen Chirurgie eingesetzt. Weil es an Spenderorganen fehlt, blüht der illegale Organhandel. Heute wie damals.
Die unstillbare Gier
In London erhielt das Royal College of Physicians jedes Jahr die Leichen von sechs Gehängten. Der Gesellschaft der Barbiere und Ärzte waren vier Leichen zugeteilt. Das war natürlich viel zu wenig, und billig waren die Leichen auch nicht gerade. Zwischen 1715 und 1750 gab die Gesellschaft der Barbiere und Ärzte insgesamt 450 Pfund für die Leichen aus, die ihr zustanden. Der Schwarzmarkt blühte. Die Anatomen gierten nach frischer Ware, so wohlfeil wie möglich. Erst recht, als die Exekutionen in den 1820er- und 1830er-Jahren immer seltener wurden. Den Bedarf deckte das schon lange nicht mehr. Während in den deutschen Staaten die Mediziner ihr Material aus Strafanstalten und Armenhäusern rekrutierten, mussten sich ihre Kollegen in Schottland und England selbst etwas einfallen lassen. Studenten gingen nachts auf Grabraub. Anerkannte Chirurgen arbeiteten eng mit Grabräuber-Banden zusammen. Die sogenannten Auferstehungsmänner plünderten die Friedhöfe. Und verdienten sich eine goldene Nase mit den Leichen; die Körper für die Anatomie, die Haare verkauften sie den Perückenmachern, die Zähne Dentisten. Betuchte Bürger versuchten sich vor den Leichendieben zu schützen, indem sie ihr Haupt in eisernen Särgen zur letzten Ruhe betteten. Nachdem 1831 in London Leichenlieferanten drei Anatomiemorde gestanden hatten, wurde ein Jahr später im Parlament das Anatomie-Gesetz verabschiedet. Leichenraub wurde unter Strafe gestellt. Die Anatomie bekam ihr Material fortan ganz legal aus Hospitälern und Armenhäusern. Und blieb bis ins 20. Jahrhundert das Schreckgespenst der Armen.
Schreckgespenst Organspende à la Spahn
Geht es nach dem Willen unseres Gesundheitsministers, muss jeder Bürger, der nicht zu Lebzeiten Widerspruch gegen die Organspende eingelegt hat, damit rechnen, als Sterbender ausgeschlachtet zu werden. Vielleicht sitzen bald Klinikärzte mit dem Skalpell am Totenbett und versuchen, mit einem computergestützten System, lückenlos zu erfassen, was alles vom Verstorbenen verwertbar ist. Mit staatlicher Genehmigung… Wie war das noch mit Artikel 1 des Grundgesetztes? „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
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