Han­nibal Lecter im „WDR-Tisch­ge­spräch“

Wir doku­men­tieren hier einen wich­tigen Leser­brief an David Berger, der die Gescheh­nisse rund um die “umstrittene” WDR-Sendung “Tisch­ge­spräche” sehr gut analysiert:
Unser Leser­brief des Monats kommt von einer Leserin, die früher sehr viel hier kom­men­tiert, sich dann aber – nach der Umstellung von disqus – aus dem Dis­kus­si­ons­forum ver­ab­schiedet hat. Sie nimmt zu den Vor­gängen rund um das „WDR-Tisch­ge­spräch“ Stellung. Grotesk: Der WDR hat jetzt dem Podcast in seiner Mediathek einen Warn­hinweis vor­aus­ge­stellt, als ob es sich bei meinen Aus­sagen um einen Hardcore-Porno handeln würde, der jugend­ge­fährdend ist.
 
Lieber Dr. David Berger,
vielen Dank für das wun­derbar ent­spannte, authen­tische, seriöse und höchst inter­es­sante „Tisch­ge­spräch“, welches mir überaus gut gefallen hat. Umso unver­ständ­licher ist mir die shit­s­tormige Vorab-Empörung, die schon Züge einer ‚Dämo­ni­sierung‘ Ihrer Person aufwies. Wer Sie, Ihren Wer­degang und Ihren Blog PP nicht kennt, musste annehmen, der WDR habe sich gewis­ser­maßen Han­nibal Lecter („Das Schweigen der Lämmer“) zu Tisch geladen. So weit, so gut bzw. schlecht. Nun, es ist das System, welches bekanntlich alles zu 180 Grad ver­dreht, per­ver­tiert etc.
Ihren (unseren) Kon­tra­henten wäre sicherlich ein bil­dungs­fernes, kon­formes und übel rie­chendes „Fisch­ge­spräch“ lieber gewesen…
Für mich war dieses Interview ein Dialog mit einem eigen­wil­ligen Indi­vi­dua­listen, der authen­tisch und offen vor allem Bio­gra­phi­sches preisgab, welches sich zutiefst ereig­nis­reich und spannend ent­falten durfte; ein Interview mit einer span­nenden Per­sön­lichkeit des öffent­lichen Lebens, die Sinn für das Eigene auf­weist, wie es vor der Trans­for­mation Deutsch­lands ganz üblich, also gang und gäbe, war.
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Ich kann mich an viele Inter­views mit Pro­mi­nenten erinnern, die Rede und Antwort standen und Ein­blicke in ihr – mehr oder weniger inter­es­santes – Leben gaben. WAS ist grund­sätzlich daran schlimm? Das, was so böse und schlimm zu sein scheint, ist, dass es sich hier David Berger wohl offen­kundig nicht (mehr) leisten darf, einfach indi­vi­duell, einfach ER selbst, zu sein. Das macht mich unge­heuer zornig.
Mit der Dar­legung meiner Gedanken möchte ich Ihnen den Weg zum „Psych­iater“ ersparen, da er meines Erachtens unnötig ist.
Ich möchte Ihnen einfach nur meine per­sön­lichen „unfri­sierten Gedanken“ (frei nach Martin Walser hehehe…) mit­teilen, die mich über­fielen, als ich die Stelle des Inter­views vernahm, in welcher Sie über „das Sitzen zwi­schen allen Stühlen“ sprachen.
Es geht an dieser Stelle um Ihre „wech­sel­hafte Bio­graphie“, die anderen Men­schen „ver­rückt vor­kommen“ mag … um Ihren bio­gra­phi­schen „Schlin­gerkurs“… „Das Immer­wäh­rende“… „Gän­se­blümchen“… „Das Ringen um eine über­zeit­liche Weisheit des Menschen“…
Ein Mensch, der sich zwi­schen allen Stühlen befindet, sich nicht von z.B. einem Verein, einem System, einer Insti­tution, einer Orga­ni­sation usw.  ver­ein­nahmen und absor­bieren lässt, ist ein Mensch, der FREI ist und bleiben will. Jeg­liche „Ver­eins­meierei“ zer­stört die per­sön­liche Indi­vi­dua­lität, da man früher oder später die Sta­tuten und Regeln des Systems annehmen und sich dem Grup­pen­zwang beugen muss, um ein Teil der Gruppe zu bleiben.
„Die Rolle des Außen­seiters“, die oft von allen Seiten bekämpft wird, ist eben­diese Rolle, die stark und aktiv macht, ja. Sie sagen es in Ihrem Interview ja selbst in ähn­lichen Worten, obwohl ich mir gut vor­stellen kann, dass genau diese Stelle im Interview gerne von kon­formen Mit­läufern galant überhört wird. Und diese Rolle des Außen­seiters hält wach, da man alles strenger über­prüft als Men­schen, die konform und gedan­kenlos hinter Ideo­logien her rennen und diese unre­flek­tiert übernehmen.
Auch mir ist diese „Rolle“, die ich vielmehr als Position betrachte, sehr ver­traut. Auch ich ließ und lasse mich bis heute nicht in Schub­laden stecken.
Es war nicht immer ein leichter Lebensweg, aber ein inten­siver, span­nender und sehr reicher Weg, den ich mit großer Lei­den­schaft gegangen bin und weiter gehen werde.
Ich nenne das Non­kon­forme, das „zwi­schen-allen-Stühlen-Sitzen“ und sich niemals von einer Insti­tution o.Ä. ein­ver­leiben lassen, das Ozea­nische der Indi­vi­dua­listen. Es ist eine gewis­ser­maßen spi­ri­tuelle Lebens­weise, die sich partout nicht ein­grenzen lässt und das Wahr­nehmen erst möglich macht. Selbst wenn man wollte, man kann es nicht anders. Es geht einfach nicht. Das echte und tief im Wesen ver­an­kerte Unan­ge­passt-Sein ist nicht änderbar. Das Anpassen ist unmöglich.
Ein freier Fisch im Ozean würde ein abge­grenztes Becken niemals akzep­tieren. Auch wenn es im freien Ozean „da draußen“ nicht immer bequem ist, ist ein freier Fisch viel stärker und lebt weitaus inten­siver, als der homogene Fisch­schwarm im Zuchtbecken.
Und ja, es ist oft der Neid, der den gehor­samen Schwarm der EU-genormten Fische bestimmt, wenn er die Freiheit, mit welcher er in Hass­liebe ver­bunden ist, vor­ge­führt bekommt.
Der Mut der Frei­heit­lichen, welcher der Fang­masse Tag für Tag vorlebt, was sie selbst nicht leben kann… – das „Saure-Trauben-Phä­nomen“, sozu­sagen. Also das, was man nicht erreicht (die innere und äußere Freiheit) – oft weil der Mut, die Kraft und der Geist nicht aus­reichen -, will man dann auch nicht mehr und beginnt es abzu­werten und zu verteufeln.
Lieber Dr. Berger, bleiben Sie eine „saure Traube“!
Bitte bleiben Sie, geschätzter David Berger, der, der Sie sind!
Dieses Land braucht gegen­wärtig nichts so sehr wie starke und mutige Indi­vi­dua­listen, die sich nicht ver­ein­nahmen lassen!
Und bitte, meiden Sie den Psych­iater! SIE brauchen ihn nicht! ?
Mit großem Dank für Ihren tag­täg­lichen mutigen Kampf gegen die ideo­lo­gische Ver­blendung, gegen die Kon­for­mität und Unmensch­lichkeit und für die Freiheit – in jederlei Hinsicht!
Herz­lichste Grüße, Ihre PP-Leserin Plutonia
 


Dieser Beitrag wurde erst­ver­öf­fentlich auf dem Blog von David Berger — www.philosophia-perennis.com