Von Wolfgang Prabel — Weimar war noch in den sechziger Jahren eine überwiegend mittelbäuerlich geprägte Stadt. Die Figur des Kellners Mager im Film „Lotte in Weimar“ charakterisiert die Ureinwohner treffend. Um Kultur zwar äußerlich bemüht, aber im Kern Banausen.
Der Dichterfürst Goethe ließ im nach ihm benannten Park ein Sandsteinmonument für den Geist des Ortes – den genius loci – errichten. Eine Schlange windet sich ein Postament herauf, um eine Semmel zu erlangen. Die Schlange ist das Sinnbild der Tücke und das Brötchen das der Banalität. Die Klassikstiftung pflegt ein heiles Bild von Weimar und klärt über die wirkliche Meinung des Geheimrats zu seiner Wirkungsstätte nicht auf. Als Erstklässer lernte ich von meinen Mitschülern erstmal ein bildungsskeptisches Skandalgedicht:
Goethe, bopöte, hat im Asch ne Flöte, Schiller bopiller hat im Arsch nen Triller.
Es war für uns richtige Jungs unfein, in Museen oder gar ins Theater zu gehen. Es gab da einen Gruppenzwang, wie heutzutage unter Moslems Ungläubige zu verachten. Ich habe bis heute viele Stätten der deutschen Klassik nie besucht, wo die Touris scharenweise durchgetrieben worden sind. Das Römische Haus, das Schloß Tiefurt, das Wittumspalais, das Wielandgut, die Fürstengruft…
Trotzdem habe ich angefangen, die entstandenen Defizite aufzuarbeiten. Nach der Fahrt von Wolfgang Stumph nach Italien habe ich die „Italienische Reise“ gelesen. Es ist übrigens bezeichnend, dass der Kultfilm über die deutsche Einheit „Go Trabi Go“ zu zwei Dritteln in Rom und Umgebung gedreht worden ist. Die Filmemacher sind damit vielen störenden Details aus dem Weg gegangen.
Jetzt bin ich gerade dabei das Buch von Rüdiger Safranski über Goethe und Schiller zu studieren. Dabei fiel mir auf, dass auch der hochgelahrte Klassizist Safranski wie fast der gesamte niedere Dienstadel der alten Bundesrepublik mal Maoist war.
Also in der Zone kannte ich nicht einen einzigen Anhänger des Großen Vorsitzenden Mao. Das wäre ein weißer Elefant gewesen. Meine volkstümliche Freundin hatte in Lichtenberg mal eine Maobibel organisiert. Sie ist ihr gestohlen worden, bevor sie das Heftel überhaupt aufgeschlagen hatte, auch weil sie anderweitig gut beschäftigt war.
Im Osten waren die 68er entweder Trotzkisten oder einfach Träumer wie Biermann. Die einzig mögliche halboffene und dreimal durch den Wolf gedrehte Kritik an den Zuständen verbrämte sich als Sucht nach einem besseren Sozialismus, und der Prototyp dieses dogmatischen Sozialismusverbesserers war nun einmal Trotzki und nicht Mao. Lehrer und Professoren aus dem offenen Fenster des vierten bis zehnten Stocks rauszuwerfen, das wäre dem durch die pedantische Schule der deutschen Lebensreform gegangenen Bolschewiken Trotzki nicht in den Sinn gekommen. Er hätte sie ordentlich erschießen lassen.
Mao hinterherzurennen, da musste man schon so runtergekommen sein, wie die kleinbürgerlichen Revoluzzer in Marburg, Göttingen oder Westberlin.
Nun sind 50 Jahre vergangen, und die Exmaoisten beschimpfen uns als Nazis und wir halten sie wiederum für gehirngewaschen und PC-verseucht. Die deutsche Einheit ist sowas von gescheitert…
Beitragsbild: Goethe stiftet den jungen Großherzog zu Eskapaden an. Charlotte vom Stein jammerte immer über diese Abenteuer.
Wolfgang Prabel — www.prabelsblog.de