Donald Trump, Bildquelle: Wikimedia Commons, Gage Skidmore, Bildlizenz: CC-BY-SA 2.0

Wie das rus­sische Fern­sehen über Nord Stream 2 und die Droh­briefe des US-Bot­schafters Grenell berichtet

In der rus­si­schen Sendung “Nach­richten der Woche” brachte das rus­sische Fern­sehen am Sonntag zwei Berichte zum Thema Nord Stream 2, zunächst einen Kom­mentar des Chef­re­dak­teurs Kiseljew über die Sank­ti­ons­dro­hungen vom US-Bot­schafter in Berlin gegen euro­päische Firmen und dann einen Bericht über Nord Stream 2 generell. Ich habe beide Bei­träge hier übersetzt.

(Von Thomas Röper)

Beginn der Übersetzung:

Kom­mentar des Chef­re­dak­teurs Kieseljew:

Letzte Woche las Deutschland die Briefe von Richard Grenell, dem für seine Extra­vaganz berühmten US-Bot­schafter in Berlin. Teile der skan­da­lösen Briefe ver­öf­fent­lichte die Bild-Zeitung. Indem er Anstand und die diplo­ma­ti­schen Gepflo­gen­heiten erneut zur Seite wischte, ver­langte Grenell direkt und schriftlich, dass die an Nord Stream 2 betei­ligten Unter­nehmen das Projekt auf­geben sollten, andern­falls drohten ame­ri­ka­nische Sanktionen.

“Wir betonen: Die Betei­ligung an einem Projekt des rus­si­schen Ener­gie­ex­port­sektors kann für Unter­nehmen zu erheb­lichen Sank­ti­ons­ri­siken führen”, schrieb Grenell.

Bisher hat sich der Bot­schafter so pro­vo­kativ ver­halten, dass man ihn in Berlin bereits reichlich satt hat. Er hat den Ruf eines Men­schen, mit dem man sich nicht ohne Not trifft. Grenell selbst scheint jedoch nicht allzu sehr unter einem Mangel an Gesell­schaft zu leiden. Auf jeden Fall sieht es so aus, wenn man ihn mit dem Mann seines Herzens sieht, von dem er sich nicht für eine Minute trennt und mit dem er gerne für die Kameras posiert.

Hier sind sie unter der sen­genden Sonne im Urlaub am Meer. Ihr gemein­sames Hobby ist Surfen. Hier sind sie im Fern­seh­studio. Wenn es ein Interview gibt, dann nur mit beiden zusammen. Egal zu welchem Thema. Hier sind sie bei Prä­sident Stein­meier. Und hier sind sie im Weißen Haus. Immer sind sie zusammen. Grenell leidet also nicht unter Ein­samkeit. Und wenn er Deutschland erklärt, was es tun soll und was nicht, dann gibt es noch die bewährte Waffe von Trump: Twitter.

“Deutsche Unter­nehmen, die mit dem Iran Geschäfte machen, müssen das sofort ein­stellen” schrieb der Bot­schafter auf Twitter.

Als Grenell dies letztes Jahr schrieb, ver­schluckte man sich in Deutschland fast. Und dann hat man es dennoch geschluckt. Der Bot­schafter wurde nicht nach Hause geschickt. Viel­leicht weil der Nach­folger auch nicht besser gewesen wäre. Am Ende handelt Grenell genau im Stil seines Prä­si­denten Trump. Ja, er schreibt, dass die Diplo­matie von Trump am effek­tivsten ist.

Die Deut­schen aber kochen. So for­derte bei­spiels­weise Sarah Wagen­knecht, die Vor­sit­zende der Fraktion der Linken im Bun­destag, im Sommer den Rauswurf von Grenell aus Deutschland. Und jetzt ver­gleicht der stell­ver­tre­tende Chef der SPD-Fraktion, Ralf Stegner, Bot­schafter Grenell mit einem Hohen Kom­missar, also dem Ver­treter der Sie­ger­mächte im besetzten Deutschland unmit­telbar nach Hitlers Kapi­tu­lation am Ende des Zweiten Weltkriegs.

“Herr Grenell sollte wissen, dass die Zeit der Hohen Kom­missare in Deutschland längst vorbei ist” sagte Stegner.

Bot­schafter Grenell scheint jedoch nichts davon zu bemerken und ant­wortet den Deut­schen mit ame­ri­ka­ni­scher Direktheit: “Sie haben keine mili­tä­rische Macht zur Unter­stützung ihrer Diplo­matie. Sie sind ein anschau­liches Bei­spiel für ein Land, in dem die Kampf­be­reit­schaft ein ernstes Problem dar­stellt, es gibt keine ein­satz­fä­higen U‑Boote und keine mili­tä­rische Aus­rüstung. Wenn Sie eine erfolg­reiche Nation sein wollen, muss hinter Ihnen auch die Androhung von Gewalt stehen.”

Hop oder Top. Auf jeden Fall bat das deutsche Außen­mi­nis­terium die Unter­nehmen, die Briefe vom ame­ri­ka­ni­schen Bot­schafter Grenell erhalten hatten, ihnen keine Auf­merk­samkeit zu schenken und sich nicht von der Arbeit an Nord Stream 2 ablenken zu lassen.

Bericht über Nord Stream 2:

Die genaue Länge von “Nord Stream 2” ist noch unbe­kannt. Ungefähr 1.200 Kilo­meter. Wenn die däni­schen Behörden keine Erlaubnis geben, die Rohre in der Nähe der Insel Bornholm zu ver­legen, wird der Weg unbe­deutend – etwa um 30 Kilo­meter — länger. Die Pipeline-Ver­leger von Soliter und Pio­neering Spirit ziehen ein­ander die zwei Lei­tungen der neuen Gas­pipeline ent­gegen, durch die jährlich 55 Mil­li­arden Kubik­meter Erdgas von Russland nach Deutschland gepumpt werden können.

Jedes Rohr ist 12 Meter lang. Alle acht Minuten gehen 24 Tonnen unter Wasser. Über “Nord Stream” kann man lange in Zahlen berichten. Zum Bei­spiel: Ein Tag Aus­fallzeit für Pio­neering Spirit – bei­spiels­weise auf­grund eines Aus­falls der Logistik — kostet das inter­na­tionale Kon­sortium eine Million Euro, das ist aus­rei­chend Moti­vation für effek­tives Arbeiten. In den Küs­ten­ge­bieten wurden bereits 400 Kilo­meter der Gas­pipeline verlegt, schnell und unsichtbar.

Wenn man nicht wüsste, dass Nord Stream 2 hier am Strand anlandet, würde man nichts davon bemerken. Aber tat­sächlich ver­läuft sie hier in fünf Metern Tiefe unter dem Strand. Jetzt ist es zu kalt, um darüber nach­zu­denken, aber bei gutem warmem Wetter kann man hier ein Picknick machen oder direkt über den Rohren mit einem Druck von ein­hundert Atmo­sphären ein Son­nenbad nehmen. Es ist absolut sicher, die Gas­leitung hält auch 220 Atmo­sphären stand.

Einige hundert Meter vom Ufer ent­fernt, ver­läuft die Pipeline unter einem Wald­gürtel hin­durch, der den Strand von der Bau­stelle der Emp­fangs­station abschirmt. Von hier aus wird das Gas über die NEL-Pipeline in den Westen und über die im Bau befind­liche Eugel-Pipeline in den Süden, in die Tsche­chische Republik und Öster­reich geleitet. Unter den Teilen, aus denen die Station besteht, sind auch massive Stahlschalen.

“Sie können hier ein großes Sicher­heits­ventil sehen. Es wurde in Italien her­ge­stellt, das Gewicht der Kon­struktion beträgt 100 Tonnen. In diesem Abschnitt befinden sich sechs solcher Ventile, in Russland acht. Wenn Repa­ra­turen erfor­derlich sind, können Sie mit diesen Ven­tilen den Gas­fluss innerhalb einer Minute unter­brechen”, sagte Steffen Ebert, der offi­zielle Ver­treter der Firma Nord Stream 2.

Daher ist alles ordentlich, sauber und ruhig, wie die nahe gelegene Pump­station von Nord Stream‑1, die seit acht Jahren 55 Mil­li­arden Kubik­meter pro Jahr befördert, zeigt. Gleich­zeitig hat die Stadt Lubmin, in der sich das alles befindet, nicht an Attrak­ti­vität ver­loren, im Gegenteil. Die Steuern kamen dem ört­lichen Haushalt zu Gute: ein­einhalb Mil­lionen Euro pro Jahr, und es werden bald drei Mil­lionen sein. Nicht schlecht für eine Gemeinde mit 2.200 Einwohnern.

“Dank dieser Ein­nahmen konnten wir Straßen repa­rieren und die Stra­ßen­be­leuchtung ver­bessern. Wir bauen und repa­rieren unser Stadion, in dem Schulen, Kin­der­gärten und Sport­vereine trai­nieren können. Dieses Geld hätten wir ohne die Gewer­be­steuer von Nord Stream 1 nicht”, sagte Axel Vogt, der Bür­ger­meister von Lubmin.

Der Gewinn aus den Gas­pipe­lines, den Lubmin erhält, deckte den Verlust des ehe­ma­ligen großen Steu­er­zahlers, von dem nur riesige Beton­kästen übrig­ge­blieben sind, mehr als aus.

Dies ist genau der Punkt, an dem Nord Stream 2 endet und das euro­päische Gas­trans­port­system beginnt, und auch der Ort, an dem die Zukunft der deut­schen Ener­gie­ver­sorgung auf die Ver­gan­genheit trifft: Es handelt sich um ein Atom­kraftwerk, das abge­rissen wird. Deutschland hat die Atom­energie auf­ge­geben und plant, die Koh­le­er­zeugung ein­zu­schränken und auf Gas und erneu­erbare Energien umzu­steigen, die jedoch stark vom Wetter abhängig sind. Wenn nichts unter­nommen wird, haben Deutschland und ganz Europa in naher Zukunft ein Energiedefizit.

“Die Planung von ‘Nord Stream 2’ basiert auf der gemein­samen Position ver­schie­dener maß­geb­licher Wirt­schafts- und Ener­gie­for­schungs­in­stitute, nach denen Europa mehr Gas impor­tieren sollte. Nicht auf­grund einer stark stei­genden Nach­frage, sondern weil die eigene För­derung in Europa, in der Nordsee und in den Nie­der­landen, sich in den nächsten zwanzig Jahren hal­bieren wird, wodurch ein Gas­de­fizit von 100 Mil­li­arden Kubik­meter Gas pro Jahr ent­stehen wird, das aus­ge­glichen werden muss“ sagte Jens Müller, der Sprecher von Nord Stream 2.

Nur Russland kann dieses Problem zu einem ver­nünf­tigen Preis lösen, von dem die Wett­be­werbs­fä­higkeit euro­päi­scher Güter auf dem Welt­markt direkt abhängt. Heute kommt Nord Stream 2 und später viel­leicht Nummer 3 und 4. In Anbe­tracht der Ent­wick­lungen ist dies defi­nitiv ein­facher, als das Kiewer Regime zu über­zeugen, etwas in das zu inves­tieren, was man das Gas­über­tra­gungs­system der Ukraine nennt.

“In der Ver­gan­genheit berei­cherte ein erheb­licher Teil der Ein­nahmen aus Gas­ge­schäften mit Russland nicht den Haushalt der Ukraine, sondern private und schwarze Kassen. Es wurde prak­tisch kein Geld in Repa­ra­turen und Instand­haltung der Gas­pipe­lines inves­tiert. Laut einer Reihe von Berichten kommt es 14 Mal häu­figer zu Aus­fällen in der ukrai­ni­schen Gas­pipeline als bei ähn­lichen Objekten in anderen Ländern ” schrieb der Spiegel.

Durch die Pipeline, die die Ukraine von der UdSSR geerbt hat, fließen derzeit weniger als 90 Mil­li­arden Kubik­meter Gas pro Jahr. Nach der Fer­tig­stellung von “Nord Stream 2” werden etwa 30 Mil­li­arden Kubik­meter übrig­bleiben, und dann werden die ukrai­ni­schen Rohre von selbst ver­rotten. Die Hys­terie der Kiewer Führung war nicht darauf zurück­zu­führen, dass das Land stabile Ein­nahmen in Höhe von 2–3 Mil­li­arden Dollar ver­lieren würde, sie hatten sich selbst schon aus­rei­chend bedient. Der Grund ist, dass sie zusammen mit den Polen und den Balten nicht in der Lage waren, den Auftrag ihrer Auf­trag­geber zu erfüllen: Europa für ame­ri­ka­ni­sches Flüs­siggas zu öffnen und Pipe­lines aus Russland zu ver­hindern. Und die Auf­trag­geber werden nervös.

Der US-Bot­schafter in Deutschland, Richard Grenell, schickte Briefe an die Partner von Gazprom, an Win­tershall, Uniper, OMV, Shell und Engie, erpresste sie und drohte mit Sank­tionen. Gleich­zeitig ver­steckt er sich hinter der Ukraine und sagt, Nord Stream 2 werde ihre poli­tische Position schwächen. Mit dieser Art, die Leute zum Narren zu halten, ver­är­gerte er sogar die Tole­ran­testen in Deutschland.

“Wir sind abhängig von den USA. Wir arbeiten mit den Ame­ri­kanern zusammen, aber Deutschland war nie ihre Kolonie. Wir sind nicht im Jahr 1949, sondern im Jahr 2019. In dieser Zeit hat sich viel geändert. Deutschland ist ein sou­ve­räner Staat. Früher wurde unsere Abhän­gigkeit in einigen Bereichen hinter Diplo­matie und Freund­lichkeit ver­borgen, daher löst das unver­schämte Ver­halten eines solchen Bot­schafters wie Grenell öffent­liche Empörung aus”, sagte der Abge­ordnete des Bun­destags, Andrej Hunko, von den Linken.

Das deutsche Außen­mi­nis­terium, das sich an die unkon­ven­tio­nelle Diplo­matie von Grenell gewöhnt hatte, empfahl den Kon­sor­ti­ums­teil­nehmern, nicht auf die Briefe zu ant­worten. In einem Interview mit der DPA schlug der deutsche Außen­mi­nister Heiko Maas den Ame­ri­kaner mit seinen eigenen Waffen.

“US-Straf­maß­nahmen können dazu führen, dass Bedenken, dar­unter auch deutsche, nicht in das Projekt ein­be­zogen werden. Dies bedeutet nicht das Ende für Nord Stream 2. In diesem Fall wird Russland den Bau selbst fer­tig­stellen und im Ergebnis können wir nicht mehr auf den Gas­transit durch die Ukraine bestehen”, sagte Maas.

Die Fort­setzung des ukrai­ni­schen Transits ist eine Bedingung, mit der Ver­treter der deut­schen Regierung das Thema Nord Stream 2 begleiten. Volumen und Bedin­gungen der Fort­setzung sind nicht defi­niert, die Deut­schen wollen einfach nur, dass der Transit irgendwann aus tech­ni­schen Gründen aufhört. Und wenn dies geschieht, dann soll es für Industrie und Hei­zungs­systeme in Deutschland so fol­genlos wie möglich pas­sieren. Daher wird Nord Stream 2 noch in diesem Jahr fertig gebaut.

Ende der Übersetzung

Wenn Sie sich für die rus­sische Sicht auf die inter­na­tionale Politik inter­es­sieren, sollten Sie sich mein Buch einmal ansehen, in dem ich Putin selbst mit langen Zitaten zu den aktu­ellen Fragen zu Wort kommen lasse. Dies Buch war aus meiner Sicht not­wendig, weil in den west­lichen Medien zwar viel über Putin berichtet wird, aber er selbst nie zu Wort kommt. Und wenn doch, werden seine Aus­sagen so aus dem Zusam­menhang gerissen, dass sie einen völlig anderen Sinn bekommen.

 


Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru