Das Bestreben, das Bargeld zu entwerten

Pro­fessor Dr. Franz Seitz lehrt Volks­wirt­schafts­lehre, ins­be­sondere Geld­po­litik und Finanz­märkte, an der Ost­baye­ri­schen Tech­ni­schen Hoch­schule in Weiden. Zugleich ist er feder­füh­rendes Mit­glied im „Akti­ons­kreis: Sta­biles Geld“. Pro­fessor Seitz ist Autor zahl­reicher Artikel in natio­nalen und inter­na­tio­nalen Fach­zeit­schriften. Das in seiner Ko-Autor­schaft inzwi­schen in der 6. Auflage vor­lie­gende Buch „Euro­päische Geld­po­litik: Theorie, Empirie und Praxis“ ist inzwi­schen ein Stan­dardwerk im deutsch­spra­chigen Raum. Zudem forscht er zu Fragen des Zah­lungs­ver­kehrs und des Bar­gelds. Seit Jahren fun­giert Pro­fessor Seitz in meh­reren Pro­jekten als Berater ver­schie­dener Zen­tral­banken, Geschäfts­banken und Indus­trie­un­ter­nehmen. Seine website ist: www.oth-aw.de/seitz

Die Fragen stellte Thorsten Polleit.
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Sehr geehrter Pro­fessor Seitz. Sie haben sich ein­gehend mit dem Thema Bargeld beschäftigt – als Sie noch bei der Deut­schen Bun­desbank gear­beitet haben und jüngst in wis­sen­schaft­lichen Aus­ar­bei­tungen. Viele unserer Leser fragen sich: Was sind eigentlich die Motive, warum Regie­rungen und Zen­tral­banken das Bargeld los­werden wollen? 

Franz Seitz

Zunächst einmal ist fest­zu­stellen, dass diese Bestre­bungen nicht von den Kon­su­menten oder Bürgern aus­gehen. Sie kommen von Regie­rungen, Zen­tral­banken, anglo­ame­ri­ka­ni­schen Wis­sen­schaftlern und inter­na­tio­nalen Orga­ni­sa­tionen wie der EU-Kom­mission und dem Inter­na­tio­nalen Wäh­rungs­fonds (IWF). Und Finanz­in­sti­tu­tionen, Kar­ten­un­ter­nehmen (wie zum Bei­spiel Visa Card und Mas­tercard) sowie FinTechs schließen sich dem gerne an. Dabei werden vor allem zwei Begrün­dungen vorgebracht.
Zum ersten, die Bekämpfung von Schwarz­arbeit, Kri­mi­na­lität und Ter­ro­rismus. Dieses Argument kommt seit Jahren immer wieder auf und ver­schwindet auch immer wieder, da sich die Argu­mente als nicht stich­haltig erwiesen haben. So fällt es einem schwer, damit die starke Zunahme des Bar­geld­um­laufs in der Schweiz und in Japan zu erklären, recht sicheren Ländern mit geringer Kri­mi­na­lität. Der schat­ten­wirt­schaft­lichen Begründung einer Bar­geld­ab­schaffung ist zudem ent­gegen zu halten, dass dieser Effekt nur sehr begrenzt auf­treten würde, wenn ein Wäh­rungs­gebiet iso­liert einen solchen Schritt vornimmt.
Wei­terhin sollte bedacht werden, dass einer­seits illegale Akti­vi­täten, vor allem die Groß­kri­mi­na­lität, bei der es um bedeu­tende Summen geht, bevorzugt bar­geldlos abge­wi­ckelt werden, ande­rer­seits aber der größte Teil der mit Bargeld finan­zierten Trans­ak­tionen legaler Natur ist. Mit Hilfe kom­pli­ziert ver­schach­telter Trans­ak­ti­ons­ketten über Län­der­grenzen hinweg gelingt es Kri­mi­nellen bemer­kenswert gut, die Her­kunft ihrer Gelder zu ver­schleiern. Schät­zungen des Umfangs der Schat­ten­wirt­schaft zeigen auch, dass es keinen gesi­cherten Zusam­menhang zwi­schen der Inten­sität der Bar­geld­nutzung und der Größe der Schat­ten­wirt­schaft gibt.

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Auch haben Länder ohne große Stü­cke­lungen wie zum Bei­spiel Groß­bri­tannien oder die USA nicht not­wen­di­ger­weise eine geringere Schat­ten­wirt­schaft. Auf der anderen Seite hat die Schweiz mit dem 1000-Franken-Schein die Banknote mit dem weltweit höchsten Nomi­nalwert. Der Umfang schat­ten­wirt­schaft­licher Akti­vität in der Schweiz ist im inter­na­tio­nalen Kontext dagegen äußerst niedrig. Schweden wie­derum, das einer bar­geld­losen Gesell­schaft am nächsten kommt, hat Schät­zungen zufolge eine deutlich höhere Schat­ten­wirt­schaft als Deutschland.
Ins­gesamt lässt sich somit fest­stellen, dass Bargeld ver­mutlich weniger intensiv bei kri­mi­nellen Akti­vi­täten genutzt wird, wie häufig ver­mutet und dass seine Abschaffung oder Begrenzung weniger effektiv Ver­brechen ein­dämmen würde als erhofft. Ein elek­tro­ni­sches Zah­lungs­mittel, das alle Eigen­schaften von Bargeld besitzt, wäre zudem ein Traum für alle, die in der Schat­ten­wirt­schaft aktiv sind, auch von Ter­ro­risten. Einen ersten Hinweis darauf haben die Schil­de­rungen im Zusam­menhang mit Bit­coins und Ran­somware bereits geliefert.
 …von zen­traler Bedeutung scheint derzeit ja die Idee zu sein, dass das Bargeld abge­schafft werden muss, damit die Zen­tralbank unge­hindert eine Nega­tiv­zins­po­litik ver­folgen kann… 
In der Tat. Eine ver­gleichs­weise neue Über­legung ist, dass Bargeld die Effek­ti­vität der Geld­po­litik ein­schränkt, weil Zen­tral­banken in Kri­sen­zeiten die Zinsen nicht beliebig senken können. Da bei nega­tiven Nomi­nal­zinsen stets die Alter­native besteht, auf Bargeld aus­zu­weichen, ergibt sich für den risi­ko­losen kurz­fris­tigen Zins zwingend eine Zins­un­ter­grenze, oftmals unter Ver­nach­läs­sigung von Umstel­lungs- und Anpas­sungs­kosten etwas ver­ein­facht als „Null­zins­schranke“ oder „zero lower bound“ bezeichnet.
Die Ver­füg­barkeit von Bargeld ver­hindert auf natür­liche Weise, dass Zen­tral­banken tief negative Zinsen durch­setzen können. Nega­tiv­zinsen von ‑5 bis ‑10% könnten aber – so Befür­worter der Bar­geld­ab­schaffung – erfor­derlich sein, um die Wirt­schaft in kon­junk­turell schwie­rigen Zeiten wieder in Schwung zu bringen. Der expansive geld­po­li­tische Kurs entlang der Null­zins­linie soll also effek­tiver werden und eine noch größere Durch­schlags­kraft durch Nega­tiv­zinsen erhalten, indem durch staat­liche Inter­vention das Medium abge­schafft wird, mit dem man sich gegen diese Politik „zur Wehr setzen“ kann.
Würde man dem Argument folgen – und nicht denken, dass sich ein böses Motiv dahinter ver­birgt –, dann stellt sich die Frage, welche makro­öko­no­mische Theorie steckt hinter der Idee, mit der Zins­po­litik der Zen­tral­banken ließe sich jedes Problem lösen? 
Dahinter steckt die Idee, jede makro­öko­no­mische Krise lasse sich bewäl­tigen, wenn man nur den Zins genügend senken könnte. Die Wir­kungen wären zunächst erneut recht begrenzt, wenn die Abschaffung des Bar­gelds nur einen Wäh­rungsraum beträfe. Zudem werden die Bürger selbst­ver­ständlich ver­suchen, auf alter­native Trans­ak­tions- und Wertauf­be­wah­rungs­mittel aus­zu­weichen, die keinem Nega­tivzins unter­liegen. So ist es jederzeit möglich, auf Gut­scheine über­zu­gehen, Schecks zu ver­wenden und zunächst nicht ein­zu­lösen, Steu­er­vor­aus­zah­lungen zu leisten oder Kredite vor­zeitig zurückzubezahlen.
Des Wei­teren ist es nicht unplau­sibel, dass die Nach­frage nach Gold und anderen Edel­me­tallen deutlich ansteigt. Auch Immo­bilien würden ver­mutlich sehr gefragt sein. Auf diesen Märkten könnte es dann zu aus­ge­prägten Preis­blasen kommen mit der Kon­se­quenz finan­zi­eller Insta­bi­li­täten und Ungleich­ge­wichte. Das geld­po­li­tische Argument zielt darauf ab, dem Bürger die Wahl­freiheit in Bezug auf die Geld­formen zu nehmen, sodass dann das Buchgeld mit (unbe­schränkten) Nega­tiv­zinsen belegt werden kann, das Sparen sinkt, der Konsum zunimmt und die Inves­ti­tionen angeregt werden. Hiervon erhoffen sich die Befür­worter eine nach­haltige Sti­mu­lierung der Konjunktur.
Aller­dings kann auch nach der Pro­ble­m­ad­äquanz, spe­ziell im Euro-Wäh­rungs­gebiet und den Neben­wir­kungen dieser Maß­nahme gefragt werden. So sind in der EWU die Pro­bleme nicht so sehr kon­junk­turell, sondern struk­turell bedingt. Und wenn rea­lis­ti­scher Weise davon aus­ge­gangen wird, dass die Null- bzw. Nega­tiv­zins­po­litik nur ein tem­po­räres Phä­nomen für Aus­nah­me­si­tua­tionen und mit ambi­va­lenten Wir­kungen dar­stellt, sollte darauf nicht mit einer abso­luten und prin­zi­piell unum­kehr­baren Maß­nahme, der dau­er­haften Bar­geld­ab­schaffung, reagiert werden.
Jüngst hat der IWF eine Emp­fehlung gemacht, das Bargeld abzu­werten, es also für den Geld­nach­frager unat­traktiv zu machen. Ent­wertung, nicht Abschaffung heißt das neue Motto. Auf welche Weise kann und soll das geschehen? 
Hier geht es um das zweite, oben genannte Argument, also die Mög­lichkeit, deut­liche Nega­tiv­zinsen durch­zu­setzen. Dafür muss, soll Bargeld bei­be­halten werden, dessen Ver­wendung unat­traktiv gemacht bezie­hungs­weise die Kosten der Bar­geld­haltung müssen erhöht werden, um die effektive Zins­un­ter­grenze in den nega­tiven Bereich zu drücken. Der Vor­schlag des IWF setzt an dem Tausch zu pari (1:1) zwi­schen Bar- und Buchgeld an. Er plä­diert für einen von der Zen­tralbank gesetzten, aber ver­än­der­lichen Wech­selkurs zwi­schen Bar- und Buchgeld zuun­gunsten von Bargeld. So würden bei­spiels­weise bei einer Abhebung von 100 Euro in bar 105 Euro vom Konto abge­bucht werden.
Imple­men­tiert werden soll der Vor­schlag durch eine zeit­va­riable Depo­si­ten­gebühr auf Bargeld, die von den Geschäfts­banken beim Bar­geld­bezug bei der Zen­tralbank zu ent­richten ist. Bei Nega­tiv­zinsen würde sich Papiergeld gegenüber Buchgeld abwerten. Sollen tiefere Nega­tiv­zinsen imple­men­tiert werden, müsste die Gebühr ansteigen. Bargeld bleibt Tausch­mittel, wird aber öko­no­misch gesehen zu einer Art „internen Fremd­währung“. Das würde dann dem Schwund­geld­konzept von Silvio Gesell ent­sprechen. Ver­hal­tens­än­de­rungen beim Bar­geld­bezug sind hier natürlich naheliegend.
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Könnten sich dabei nicht zwei Geld­kreis­läufe her­aus­bilden? Güter­preise werden in Bargeld und in Elek­trogeld aus­ge­wiesen? Was wären die mög­lichen Folgen? 
Wie schon gesagt, das System kann letztlich als Par­al­lel­währung auf­ge­fasst werden: Bargeld und Buchgeld mit einem fle­xiblen Wech­selkurs. Wie bei par­allel umlau­fenden Fremd­wäh­rungen in insta­bilen Ländern kann sich auch hier ein zweiter Geld­kreislauf eta­blieren. Und natürlich auch Schwarz­markt­kurse, die von den offi­zi­ellen abweichen können. Für den Kon­su­menten ist dann immer die tat­säch­liche Infla­ti­onsrate und der Wech­selkurs – ent­weder der offi­zielle oder der inof­fi­zielle – bei Bar­zah­lungs­käufen relevant. Bargeld wird de facto zu einem Wert­papier, das Zah­lungs­mittel, Wertauf­be­wah­rungs­mittel und Spe­ku­la­ti­ons­objekt in einem ist. Es ist denkbar, dass manche Ein­zel­händler Bargeld wei­terhin zum (höheren) Nennwert akzep­tieren und damit womöglich auch werben. Doch spä­testens, wenn der Ein­zel­händler die Bar­ein­nahmen auf das Konto seiner Hausbank ein­zahlt, käme der Abschlag zum Tragen. Die ent­schei­dende Frage ist nur; ob er das noch macht.
Wie schätzen Sie die Wahr­schein­lichkeit ein, dass der IWF-Vor­schlag in die Tat umge­setzt wird? Abschließend noch ein Gedanke: Für mich ist das Abschaffen des Bar­geldes ein Fron­tal­an­griff auf die finan­zielle Pri­vat­sphäre der Men­schen. Das Folgen, die Ver­wen­dungs­mög­lich­keiten des Bar­geldes derart zu hin­ter­treiben, wie es der IWF-Vor­schlag vor­sieht, stehen dem kaum nach, oder? 
Die Umset­zungs­wahr­schein­lichkeit des Vor­schlags stufe ich als sehr gering ein, auch wenn dem Erfin­dungs­reichtum staat­licher Instanzen ja keine Grenzen gesetzt sind. Ich hätte auch nie gedacht, dass man den Vor­schlag einer Bar­geld­ab­schaffung ernsthaft dis­ku­tiert und dass die Pro­duktion des 500-Euro-Scheins ein­ge­stellt wird. In der Schweiz würde es bei der­ar­tigen Vor­schlägen innerhalb kür­zester Zeit ein Refe­rendum geben. Anony­mität und Schutz der Pri­vat­sphäre sind hohe Güter. Und natürlich ist auch der IWF-Vor­schlag ein Schritt zur Ein­schränkung dieser „Güter“. Warum fördert denn die chi­ne­sische Führung intensiv die Ver­breitung von Smart­phones zur Ver­wendung für Bezahl­vor­gänge? Offi­ziell wird das selbst­ver­ständlich nicht zuge­geben, sondern vom Ziel einer modernen und effi­zi­enten Gesell­schaft gesprochen. Aber ich möchte nur an Walter Ulb­richt erinnern – Vor­sit­zender des Staatsrats der DDR –, der am 15. Juni 1961, wenige Wochen vor dem Ber­liner Mau­erbau, anlässlich einer Pres­se­kon­ferenz fest­stellte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“
Vielen Dank für Ihre Ein­schät­zungen, Herr Seitz!
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Das Interview mit Pro­fessor Franz Seitz wurde per e‑mail am 20. und 21. Februar 2019 geführt.