Eva Herman: Der Krieg gegen die Männer – warum wir ihn uns nicht leisten können

Nach dem Ende einer Talk­sendung, zu der ich ein­ge­laden war, saßen wir im Anschluss mit meh­reren Gästen in gemüt­licher Runde zusammen. Schnell kam die Rede auf den Cicero-Artikel, und ein Jour­nalist wollte von mir wissen, welche Rolle denn neben Eman­zi­pation und weib­licher Selbst­ver­wirk­li­chung die Männer eigentlich spielten. Haben sich die Frauen ver­ändert wegen der Männer? Oder ver­ändern sich die Männer wegen des ver­än­derten Ver­haltens der Frauen? Ver­missen die Männer das Weib­liche oder sind sie mit der Ver­männ­li­chung der Frau ein­ver­standen? Das waren die Fragen, mit denen er mich bestürmte.
(Von Eva Herman)
Es war klar, dass er mich pro­vo­zieren wollte, schließlich war er ein Mann und konnte diese Fragen viel besser beant­worten. Darum bat ich ihn dann auch. Das dar­auf­fol­gende Gespräch dauerte viele Stunden, und die Runde wurde immer größer. Jeder hatte etwas zu diesem Thema zu sagen.
Der Jour­nalist, das wurde schnell deutlich, äußerte seine Meinung gern, und es war voll­kommen offen­sichtlich, dass sich bei ihm einiges auf­ge­staut hatte. So war er der Ansicht, dass Frauen sich heut­zutage weit­gehend vom Frausein ver­ab­schiedet hätten. Tugenden wie Anmut und Reinheit, die für ihn unmit­telbar mit dem Begriff Weib­lichkeit ver­bunden waren, exis­tierten nicht mehr. Selber Vater von zwei Kindern, betonte er, dass zwar seine eigene Frau und einige wenige andere Bekannte noch Vor­stel­lungen von Müt­ter­lichkeit und Für­sorg­lichkeit hätten, dass sie aber die Aus­nahme seien. Auch Hingabe und Zuwendung seien Fremd­wörter für die meisten Frauen.
Das waren Worte, die teils für Stirn­runzeln, teils für Erstaunen, am meisten aber für zustim­mendes Kopf­nicken in der Runde sorgten. Kün­digte sich hier ein neuer Blick und eine neue Sprache für den Geschlech­ter­kampf an? Standen die Frauen nach der jahr­zehn­te­langen erbit­terten Aburtei­lung und Miss­bil­ligung von Männern nun selbst im Kreuz­feuer der Kritik?
Es ging aber noch weiter. Emo­tio­na­lität und Emp­findung sprach der Jour­nalist den meisten Frauen ab. Für sie zähle allein das Erfolgs­streben und die Anstrengung, es den Männern gleich­zutun. »Und die Männer?«, fragte ich nun zurück. »Was hat sich da getan?«
»Männer«, ant­wortete er, »haben ganz normale Sehn­süchte. Sie wün­schen sich endlich wieder eine har­mo­nische, funk­tio­nie­rende Familie. Sie wollen arbeiten gehen, das Geld ver­dienen, und zu Hause soll alles stö­rungsfrei laufen. Doch es sind im Grunde die Frauen, die keine Lust mehr darauf haben.«
Eine junge Sän­gerin meldete sich zu Wort, sichtlich wütend. So einfach sei die Sache nun auch wieder nicht, fuhr sie ihn an. Einige Folgen der Eman­zi­pation seien zwar durchaus nicht erfreulich für die Part­ner­be­ziehung, aber schließlich könne man nicht alle Frauen über einen Kamm scheren. Sie berichtete von einer erst kürzlich zer­bro­chenen Beziehung zu einem gleich­alt­rigen Mann, den sie gerne gehei­ratet hätte und mit dem sie sich auch gemeinsame Kinder hätte vor­stellen können. »Doch wer wollte keine Ver­ant­wortung überneh­men?«, fragte sie. »Ich schon. Er aber nicht. So ein selbst­süch­tiger Macho.« Sie hatte ihn dar­aufhin ver­lassen, weil sie sich der Per­spektive einer gemein­samen Zukunft beraubt sah.
»Das ist ja ein inter­es­santes Thema«, brachte ein Mitt­vier­ziger aus der Musik­branche hervor. »Mich verließ vor kurzem meine lang­jährige Freundin, weil ich ihr mit meinem ewigen Fami­li­en­ge­fasel auf die Nerven ging. Sie hatte gerade ihr Studium beendet und wollte sich nun ein Berufs­leben auf­bauen. Bin ich denn auch ein Macho, wenn ich mir Kinder wünsche?«
Die Talk­runde war ein gutes Bei­spiel für die Viel­fäl­tigkeit der Bezeich­nungen, die wir heute zu ver­teilen haben, wenn wir über Männer sprechen: Machos, Softies, Leit­hammel, Weicheier. Und man muss sich ernsthaft fragen, ob die Spezies Mann mitt­ler­weile zum abson­der­lichen Sor­genfall mutiert ist. Ent­weder kommt er gleichsam als pri­mi­tiver Stein­zeitmann mit der Keule daher oder er wird als ver­weib­lichtes und ver­weich­lichtes Zivi­li­sa­ti­ons­opfer belä­chelt. Wie aber steht es wirklich um den Mann?
Keine Frage, das neue weib­liche Rol­len­ver­ständnis erschüt­terte auch das Selbstbild der Männer. Je domi­nanter die Frauen auf­traten und die Männer in Frage stellten; desto ver­un­si­cherter wurden sie. Sie fanden sich plötzlich in der Ver­tei­di­gungs­po­sition wieder. Sie mussten sich nun recht­fer­tigen für vieles, was früher als selbst­ver­ständlich galt. Viele gaben dem Anpas­sungs­druck nach und taten schließlich das, was die Frauen von ihnen ver­langten: Sie ver­suchten ihre männ­lichen Eigen­schaften und Ver­hal­tens­weisen nach Kräften zu unter­drücken. Das reichte bis in den Alltag hinein, bis hin zu den kleinsten Dingen, die nun mit Bedeutung auf­ge­laden wurden. Gut ging das Expe­riment nicht aus.
Anette bei­spiels­weise, eine sehr erfolg­reiche Phy­sio­the­ra­peutin, machte die Erziehung ihres Freundes zum »Sitz­pinkler« zur Qua­li­täts­frage ihrer Beziehung. »Wenn du mich wirklich liebst…«, begannen ihre Sätze. Sie sprach von Hygiene, meinte aber die Unter­ordnung unter ihre weib­lichen Vor­stel­lungen. Ein halbes Jahr lang nahm der Mann ergeben Platz beim kleinen Geschäft. Dann stand er auf – und ging für immer.
Er tat es mit dem Hinweis, dass er die Nase voll habe, sich für sein Mannsein per­manent ent­schul­digen zu müssen. Dafür, dass er samstags gern die Sport­schau sehe. Dafür, dass er am Wochenende lieber zum Auto­wa­schen gehe statt zum Kochkurs »Zaubern mit Tofu«. Und er wolle sich auch nicht mehr dafür ent­schul­digen, dass er manchmal einfach keine Lust hätte zu reden und von einer Harley Davidson träume, obwohl man damit nicht den Wochen­end­einkauf trans­por­tieren kann.
All das erzählte Anette im Ton größter Empörung. Fast schien es mir, als sei sie so beleidigt wie eine Leh­rerin, deren Schüler ihre Lektion nicht lernen wollte. Sie konnte und wollte nicht akzep­tieren, dass ein Mann andere Inter­essen hatte, andere Vor­lieben und andere Träume. Damit war eine Weile Schluss gewesen – bis der Mann diese Selbst­ver­leugnung nicht mehr ertrug.
Es scheint so, als sei der selbst­ver­ständ­liche Umgang der Geschlechter einem miss­traui­schen Umschleichen gewichen. Männer können nicht mehr sicher sein, alles »richtig« zu machen, zu hoch sind die Ansprüche geworden, und zu kom­pli­ziert sind auch die Regeln. Darf ein Mann eine Frau zum Essen ein­laden oder sieht sie es schon als Demü­tigung an, wenn er bezahlt? Ist es eine unzu­lässige Grenz­über­schreitung, wenn er der sym­pa­thi­schen Unbe­kannten morgens im Fahr­stuhl freundlich zunickt? Ist das Kom­pliment für das schicke Kostüm der Kol­legin bereits sexuelle Belästigung?
Mitt­ler­weile sollten sogar extrem selbst­be­wusste und selbst­be­stimmte Frauen begriffen haben, dass »typisch männlich« nicht auto­ma­tisch »typisch Unter­drücker mit Lizenz zur Gewalt« bedeutet, wie der Femi­nismus es uns weis­machen wollte. Noch 2002 schrieb Alice Schwarzer bedenk­liche Sätze wie den, dass sich »unter schein­barer Galan­terie und Für­sorge der Männer in Wahrheit immer Ver­achtung und Benach­tei­ligung gegenüber Frauen ver­berge«. Alles klar? Wenn er ihr in den Mantel hilft oder ihr die Tür aufhält, dann geschieht das nur, um ihre Schwachheit vor­zu­führen oder sie zum Nichts zu degradieren.
Solche kli­schee­haften Vor­stel­lungen haben dazu geführt, dass Männer es häufig gar nicht mehr wagen, höflich und respektvoll mit Frauen umzu­gehen. Oder sie ver­suchen sich krampfhaft anzu­passen – bis der Lei­dens­druck zu groß wird.
 
Auszug aus dem Best­seller Das Eva-Prinzip von Eva Herman, erschienen 2006