Collaga von Hanno Vollenweider - Originalbild von Peter Altmaier: By Olaf Kosinsky - Own work, CC BY-SA 3.0 de, Link

Alt­maiers großer Happen — Oder: Die neue “Indus­trie­po­litik” als Weg­be­reiter für die staat­liche Planwirtschaft

Wie sich die Bun­des­re­gierung in die soge­nannte Indus­trie­po­litik stürzt – Unter Alt­maier soll sie Fahrt auf­nehmen – Mit ihm als Wirt­schafts­mi­nister färbt Frank­reichs Pla­ni­fi­cation nun ver­stärkt auf Deutschland ab – Auch die EU will auf eine aktive Indus­trie­po­litik hinaus – Wie es auch ohne Indus­trie­po­litik ginge – Wirt­schafts­po­litik als Ord­nungs­po­litik findet kaum noch statt – An Alt­maiers „Natio­naler Indus­trie­stra­tegie“ lassen Öko­nomen kein gutes Haar – Vom Geist Ludwig Erhards ist Alt­maier mit seiner Politik weit entfernt
von Klaus Peter Krause
Es gibt poli­tische Witze, die abge­dro­schen sind. Zu ihnen gehört dieser: Was pas­siert, wenn in der Sahara die Kom­mu­nisten an die Macht kommen? Die bekannte Antwort: Dann wird der Sand knapp. Sie dürfen gähnen. Gerade aller­dings waren Berichte[1] zu lesen mit der Über­schrift „In Deutschland wird der Sand knapp“. Um Him­mels­willen, herrscht denn schon der Kom­mu­nismus bei uns, und wir haben gar nichts davon gemerkt? Haben wir da was ver­schlafen? Muss uns erst der knappe Sand auf die Sprünge helfen? Nein, Kom­mu­nismus kann man den poli­ti­schen Zustand in Deutschland natürlich nicht nennen. Aber mehr und mehr sozia­lis­tisch geht es in der deut­schen Wirt­schafts­po­litik unüber­sehbar zu – und wie meist, wenn sich etwas ver­ändert, auf zunächst unmerk­liche Weise. Ein Bei­spiel dafür ist, wie sich die Bun­des­re­gierung in die soge­nannte Indus­trie­po­litik stürzt.
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Indus­trie­po­litik läuft auf staat­liche Plan­wirt­schaft hinaus
Der Begriff „Indus­trie­po­litik“ bedeutet, dass der Staat auf das Markt- und Wirt­schafts­ge­schehen direkten Ein­fluss nimmt, dass er sich in Wirt­schafts­zweige, in Branchen ziel­setzend, struk­tur­be­stimmend und regu­lierend ein­mischt, statt diesem Geschehen nur einen Ord­nungs­rahmen zu ver­passen, indem er durch Gesetz­gebung für Wett­bewerb und Wett­be­werbs­freiheit sorgt. Indus­trie­po­litik ist staat­licher Inter­ven­tio­nismus, sie läuft auf staat­liche Plan­wirt­schaft mit allen ihren nach­tei­ligen Folgen hinaus. Poli­tiker greifen in Dinge ein, von denen sie nicht genug, zu wenig oder gar nichts wissen – jeden­falls weniger als die Vielzahl der Unter­nehmer als Anbieter von Leis­tungen und als die Vielzahl aller jener, die deren Leis­tungen nach­fragen. Statt dem Wett­bewerb als „Ent­de­ckungs­ver­fahren“ (Friedrich A. von Hayek) freie Fahrt zu geben, wird es durch staat­liche Indus­trie­po­litik bes­ten­falls nur behindert und ver­langsamt, schlimms­ten­falls aus­ge­bremst und gestoppt, also unter­bunden. (Näheres zur Ent­wicklung der Indus­trie­po­litik in der Euro­päi­schen Union siehe hier). 
Unter Alt­maier als Wirt­schafts­mi­nister soll die Indus­trie­po­litik Fahrt aufnehmen
Aus seinem Hang zur Indus­trie­po­litik macht Bun­des­wirt­schafts­mi­nister Peter Alt­maier kei­nerlei Hehl. Unter ihm soll sie Fahrt auf­nehmen. Gerade hat er mit Frank­reichs Wirt­schafts­mi­nister Bruno Le Maire in Berlin zur Indus­trie­po­litik ein gemein­sames Manifest vor­gelegt. Beide Minister sorgen sich, dass die EU bei Tech­niken wie Bat­te­rie­zellen für Elektro-Autos und Künst­liche Intel­ligenz den glo­balen Anschluss ver­lieren. Der Bau einer gemein­samen Bat­te­rie­fabrik soll dafür den Anfang machen. Sie sei für eine stärker ver­zahnte Indus­trie­po­litik in Europa ein erster Anwen­dungsfall. Man müsse die Kräfte bündeln, sagt Alt­maier. Er will ein Drittel der glo­balen Bat­te­rie­zellen-Pro­duktion nach Europa holen und so Tau­sende von Arbeits­plätzen ent­stehen lassen. Zwar soll sich der Staat an der Fabrik nicht direkt betei­ligen, aber sie finan­ziell unter­stützen: Frank­reich zum Anschub mit 700 Mil­lionen Euro, Deutschland mit 1000 Mil­lionen. (Quelle unter anderem hier). 
Wegen geschei­terter Fusion wollen Alt­maier und Le Maire das EU-Wett­be­werbs­recht ändern
Zuvor gescheitert waren beide Poli­tiker mit der von ihnen ange­strebten Fusion der Eisenbahn-Sparten von Siemens und Alstom. Aber die EU-Kom­mis­sarin für Wett­bewerb, Mar­grethe Ves­tager, hatte, gestützt auf die EU-Wett­be­werbs­regeln, die Fusion untersagt. Vor der Fusion gewarnt hatten auch die natio­nalen Kar­tell­be­hörden. Jetzt planen die beiden Minister, das EU-Wett­be­werbs­recht in ihrem Sinn zu ändern, weil es – so Le Maire – „ver­altet“ sei. Sie denken dabei an eine Art Veto­recht des Euro­päi­schen Rates der Staats- und Regie­rungs­chefs. Der soll die Ent­schei­dungen der EU-Kom­mission außer Kraft setzen können.

Frankreichs Indus­trie­po­litik färbt nun mit Alt­maier ver­stärkt auf Deutschland ab
Staat­liche Indus­trie­po­litik (pla­ni­fi­cation) anstelle von Markt und Wett­bewerb ist schon immer eine trübe Eigen­schaft gerade fran­zö­si­scher Regie­rungen gewesen. Sie äußert sich in der Pro­tektion für abstei­gende Indus­trie­zweige und in der Sub­vention und Inter­vention zugunsten tech­ni­scher Ent­wick­lungen und Indus­trie­zweige, die der Staat (nach ent­spre­chender Behandlung durch die jeweilige Lobby) für zukunfts­trächtig hält. Stärker spielt nun auch Deutschland dabei mit. In manchen Fällen soll sich der Staat an Unter­nehmen betei­ligen. Eine neue Indus­trie­po­litik soll euro­päische Groß­kon­zerne ermög­lichen. Es gehe darum, „euro­päische Cham­pions“ zu bilden nach dem Vorbild des Flug­zeug­bauers Airbus. Deutschland und Frank­reich wollen bei der geplanten Indus­trie­stra­tegie die Führung über­nehmen. (Quelle unter anderem hier). 
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Auch die EU will auf eine aktive Indus­trie­po­litik hinaus
Alt­maier und Le Maire haben auch vor, einen Fonds zu schaffen, um Hightech-Unter­nehmen zu unter­stützen. Daneben wollen sie wichtige Inno­va­tionen sub­ven­tio­nieren und wichtige Wirt­schafts­be­reiche schützen, die für sie „Schlüs­sel­funk­tionen“ haben. Die EU müsse ver­stärkt auch in die Künst­liche Intel­ligenz inves­tieren. Auf diesem Gebiet seien die USA und China führend. Vor allem China über­nehme zuse­hends euro­päische Hightech-Firmen. Mit seiner Indus­trie­stra­tegie und staat­lichen Sub­ven­tionen wolle es in vielen Wirt­schafts­be­reichen seine tech­nische Lücke zu west­lichen Unter­nehmen schließen und selbst Welt­markt­führer her­vor­bringen. Bei den „EU-Indus­trie­tagen“ am 22. und 23. Februar in Brüssel (hier) steht im Zentrum, wie die EU künftig eine aktive Indus­trie­po­litik betreiben kann, um gegen globale Wett­be­werber aus China und den USA zu bestehen. Es ist eine von der EU-Kom­mission orga­ni­sierte Kon­ferenz. 
Gegenüber Markt­kräften und Wett­bewerb fehlt es an Ver­trauen, es wird auch unterbunden
Alles dies dient dazu, die Indus­trie­po­litik zu recht­fer­tigen und als not­wendig erscheinen zu lassen. Unbe­achtet bleibt, was ohne  staat­liche Indus­trie­po­litik statt­fände. Dann würden sich die inno­va­tiven Kräfte, wenn diese wüssten, dass sich der Staat mit finan­zi­eller Unter­stützung her­aushält, mög­li­cher­weise oder wahr­scheinlich ebenso oder noch stärker selbst regen und selbst helfen. Aber das bleibt unsichtbar, und dass es ein­tritt, ist allen­falls zu ver­muten, sichtbar wird es erst, wenn sich Ver­trauen in die „Markt­kräfte“ durch­ge­setzt hat und Indus­trie­po­litik als direkte staat­liche Inter­vention unter­blieben ist. Aber am Ver­trauen in das, was freies Denken und Arbeiten, unab­hän­giges Unter­neh­mertum und Freiheit des Wett­be­werbs her­vor­zu­bringen ver­mögen, fehlt es. Betä­ti­gungs­sucht von Poli­tikern, um sich als unent­behrlich dar­zu­stellen, unter­bindet das Ver­trauen. 
Wie es auch ohne Indus­trie­po­litik ginge
Erfinder, Inno­va­toren und Unter­nehmen brauchen für Höchst­leis­tungen Freiheit. Dazu gehört auch finan­zielle Freiheit, also finan­zielle Unab­hän­gigkeit. Der Staat könnte sie durch Ver­zicht auf Hoch­be­steuerung unter­stützen. Wenn den Unter­nehmern und Unter­nehmen durch geringere Besteuerung mehr Geld bliebe, um Neue­rungen von sich aus in Angriff zu nehmen und selbst für die Finan­zierung zu sorgen (zum Bei­spiel auch durch Ein­werben von Wag­nis­ka­pital aus pri­vaten Scha­tullen), bedarf es einer Finan­zierung und staat­licher Unter­neh­mer­tä­tigkeit durch Indus­trie­po­litik nicht. 
Wirt­schafts­po­litik als Ord­nungs­po­litik findet kaum noch statt
Schon lange ist vom Ordo-Libe­ra­lismus der eins­tigen Frei­burger Schule oder von der liberal-öko­no­mi­schen Lehre der Wiener oder öster­rei­chi­schen Schule (im Eng­li­schen als „The Aus­trians“ bekannt) keine Rede mehr. Beide sind in Deutsch­lands Wirt­schafts- und Finanz­po­litik in der Ver­senkung ver­schwunden. Auch auf deut­schen Hoch­schulen lernen die Öko­no­mie­stu­denten sie kaum noch kennen, Wirt­schafts­po­litik als Ord­nungs­po­litik findet kaum noch statt. Sie können, wenn sie mit dem Studium fertig sind, gegen die Fehl­ent­wick­lungen nicht mehr helfen, weil sie nicht gelernt haben, wie ord­nungs­po­li­tisch zu helfen wäre. 
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An Alt­maiers „Natio­naler Indus­trie­stra­tegie“ lassen Öko­nomen kein gutes Haar
Am 5. Februar hatte Alt­maier seine „Nationale Indus­trie­stra­tegie“ öffentlich gemacht und ver­nich­tende Kritik geerntet (hier). Vier der fünf Mit­glieder des Sach­ver­stän­di­genrats („Wirt­schafts­weise“) urteilen, Alt­maiers „akti­vie­rende“ Politik zugunsten der Industrie könne großen Schaden anrichten. Seine Indus­trie­po­litik sei ein Stra­te­gie­wechsel in die falsche Richtung und gebe Anlass zu großer Sorge. Denn der Minister maße sich damit an, kon­krete Tech­no­logien oder Unter­nehmen benennen zu können, die eine „stra­te­gische“ Bedeutung für die Volks­wirt­schaft hätten (siehe hier). Schon vor der offi­zi­ellen Bekanntgabe hatten Öko­no­men und Un­ter­neh­mer kein gu­tes Haar an den Ide­en Alt­mai­ers für ei­ne neue In­dus­trie­po­li­tik gelassen. Der CDU-Wir­t­­schafts­rat erin­nerte an Lud­wig Er­hard und sagte, in dessen Sinn soll­te sein Nach­fol­ger bei staat­li­chen Ein­grif­fen maßhal­ten. Der Staat könne kei­ne Bat­te­rie­fa­bri­ken bau­en oder Un­ter­neh­mer er­set­zen. Der FDP-Frak­­ti­ons­­vi­ze Mi­cha­el Theu­rer äußerte zu Alt­maier: „Falls er je­mals ei­nen ord­nungs­po­li­ti­schen Kom­pass hat­te, hat er ihn nun völ­lig auf­ge­ge­ben.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17). 
Vom Geist Ludwig Erhards weit entfernt
Philipp Pli­ckert kom­men­tierte in der FAZ: „Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Pe­ter Alt­mai­er will sich ger­ne in ei­ne Rei­he mit Lud­wig Er­hard stel­len. Des­sen Büs­te steht im Foy­er des Mi­nis­te­ri­ums in Ber­lin, Alt­mai­er hat ei­nen Saal nach dem le­gen­dä­ren „Va­ter des Wirt­schafts­wun­ders“ be­nannt. Doch vom Geist Er­hards ist die Wirt­schafts­po­li­tik der Gro­Ko weit ent­fernt. Alt­mai­ers Vor­stö­ße für ei­ne neue In­dus­trie­po­li­tik ste­hen so­gar dia­me­tral den ordo­li­be­ra­len und wett­be­werbs­po­li­ti­schen Ide­en sei­nes gro­ßen Vor­gän­gers ent­ge­gen. Nach Er­hard soll der Staat gu­te Rah­men­be­din­gun­gen schaf­fen, et­wa mit mä­ßi­ger Be­steue­rung, da­mit Un­ter­neh­mer und In­ves­to­ren im Wett­be­werb Neu­es ent­wi­ckeln. Das Kar­tell­amt soll Mo­no­po­le und den Miss­brauch von Markt­macht ver­hin­dern. Alt­mai­er je­doch kramt der­zeit in der in­dus­trie­po­li­ti­schen Mot­ten­kis­te, die nicht zu Er­hard, son­dern eher zur fran­zö­si­schen Len­kungs­po­li­tik und Pla­ni­fi­ca­ti­on passt, die Er­hard stets ab­ge­lehnt hat.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17). 
Die drei grund­le­genden Pro­bleme der Industriepolitik
Für den Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Clemens Fuest hat Indus­trie­po­litik drei grund­le­gende Pro­bleme: „Erstens weiß die Politik nicht mehr als private Inves­toren darüber, welche Tech­no­logien zukunfts­fähig sind. Zweitens sind sie eher schlechter darin, erfolglose Pro­jekte recht­zeitig zu beenden. Drittens besteht die Gefahr, dass poli­tisch ein­fluss­reiche und eta­blierte Unter­nehmen Indus­trie­po­litik miss­brauchen, um Pri­vi­legien für sich durch­zu­setzen, auf Kosten der Wett­be­werber, Steu­er­zahler und Kon­su­menten.“ Fuest lehnt Indus­trie­po­litik nicht in Bausch und Bogen ab und erläutert, wo, wann und wie sie gerecht­fertigt sein kann (hier). 
Ja, mach nur einen Plan … 
Indus­trie­po­litik hat sich in Deutschland peut à peut schon lange breit­ge­macht. Jetzt mit Alt­maier gerät sie in eine noch größere Dimension. Mit staat­licher Indus­trie­po­litik ist der Weg in die staat­liche Plan­wirt­schaft vor­ge­zeichnet, eine Rückkehr wegen mensch­licher Unzu­läng­lichkeit, Unver­nunft, Unkenntnis, Eitelkeit, Ehrgeiz, Ruhm­sucht, Arroganz und poli­tisch-ideo­lo­gi­scher Ver­blendung kaum mehr möglich, ähnlich einem Ver­sinken im Sumpf, wenn ein Retter nicht naht. Wie heißt es doch so wahr in Brechts Drei­gro­schenoper: „Ja, mach nur einen Plan. Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh‘ n tun sie beide nicht.“ Es sind Zeilen aus dem „Lied von der Unzu­läng­lichkeit des mensch­lichen Strebens“. Anhören können Sie es sich hier.
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[1] FAZ vom 19. Februar 2019, Seite 19. Auch andere Blätter ließen sich das Thema nicht ent­gehen, dar­unter die Tages­zeitung Die Welt (hier). Die ein­schlägige Branche wird eine Pres­se­kon­ferenz ver­an­staltet oder eine Pres­se­mit­teilung her­um­ge­schickt haben.
Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kauf­män­nische Lehre. Dann Studium der Wirt­schafts­wis­sen­schaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  pro­mo­vierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frank­furter All­ge­meinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) ver­ant­wortlich für die FAZ-Wirt­schafts­be­richt­erstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäfts­führer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frank­furter All­ge­meine Zeitung GmbH und der Frank­furter Societäts-Dru­ckerei gehört. Jetzt selb­stän­diger Jour­nalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de