Wie sich die Bundesregierung in die sogenannte Industriepolitik stürzt – Unter Altmaier soll sie Fahrt aufnehmen – Mit ihm als Wirtschaftsminister färbt Frankreichs Planification nun verstärkt auf Deutschland ab – Auch die EU will auf eine aktive Industriepolitik hinaus – Wie es auch ohne Industriepolitik ginge – Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik findet kaum noch statt – An Altmaiers „Nationaler Industriestrategie“ lassen Ökonomen kein gutes Haar – Vom Geist Ludwig Erhards ist Altmaier mit seiner Politik weit entfernt
von Klaus Peter Krause
Es gibt politische Witze, die abgedroschen sind. Zu ihnen gehört dieser: Was passiert, wenn in der Sahara die Kommunisten an die Macht kommen? Die bekannte Antwort: Dann wird der Sand knapp. Sie dürfen gähnen. Gerade allerdings waren Berichte[1] zu lesen mit der Überschrift „In Deutschland wird der Sand knapp“. Um Himmelswillen, herrscht denn schon der Kommunismus bei uns, und wir haben gar nichts davon gemerkt? Haben wir da was verschlafen? Muss uns erst der knappe Sand auf die Sprünge helfen? Nein, Kommunismus kann man den politischen Zustand in Deutschland natürlich nicht nennen. Aber mehr und mehr sozialistisch geht es in der deutschen Wirtschaftspolitik unübersehbar zu – und wie meist, wenn sich etwas verändert, auf zunächst unmerkliche Weise. Ein Beispiel dafür ist, wie sich die Bundesregierung in die sogenannte Industriepolitik stürzt.
Industriepolitik läuft auf staatliche Planwirtschaft hinaus
Der Begriff „Industriepolitik“ bedeutet, dass der Staat auf das Markt- und Wirtschaftsgeschehen direkten Einfluss nimmt, dass er sich in Wirtschaftszweige, in Branchen zielsetzend, strukturbestimmend und regulierend einmischt, statt diesem Geschehen nur einen Ordnungsrahmen zu verpassen, indem er durch Gesetzgebung für Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit sorgt. Industriepolitik ist staatlicher Interventionismus, sie läuft auf staatliche Planwirtschaft mit allen ihren nachteiligen Folgen hinaus. Politiker greifen in Dinge ein, von denen sie nicht genug, zu wenig oder gar nichts wissen – jedenfalls weniger als die Vielzahl der Unternehmer als Anbieter von Leistungen und als die Vielzahl aller jener, die deren Leistungen nachfragen. Statt dem Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich A. von Hayek) freie Fahrt zu geben, wird es durch staatliche Industriepolitik bestenfalls nur behindert und verlangsamt, schlimmstenfalls ausgebremst und gestoppt, also unterbunden. (Näheres zur Entwicklung der Industriepolitik in der Europäischen Union siehe hier).
Unter Altmaier als Wirtschaftsminister soll die Industriepolitik Fahrt aufnehmen
Aus seinem Hang zur Industriepolitik macht Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier keinerlei Hehl. Unter ihm soll sie Fahrt aufnehmen. Gerade hat er mit Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire in Berlin zur Industriepolitik ein gemeinsames Manifest vorgelegt. Beide Minister sorgen sich, dass die EU bei Techniken wie Batteriezellen für Elektro-Autos und Künstliche Intelligenz den globalen Anschluss verlieren. Der Bau einer gemeinsamen Batteriefabrik soll dafür den Anfang machen. Sie sei für eine stärker verzahnte Industriepolitik in Europa ein erster Anwendungsfall. Man müsse die Kräfte bündeln, sagt Altmaier. Er will ein Drittel der globalen Batteriezellen-Produktion nach Europa holen und so Tausende von Arbeitsplätzen entstehen lassen. Zwar soll sich der Staat an der Fabrik nicht direkt beteiligen, aber sie finanziell unterstützen: Frankreich zum Anschub mit 700 Millionen Euro, Deutschland mit 1000 Millionen. (Quelle unter anderem hier).
Wegen gescheiterter Fusion wollen Altmaier und Le Maire das EU-Wettbewerbsrecht ändern
Zuvor gescheitert waren beide Politiker mit der von ihnen angestrebten Fusion der Eisenbahn-Sparten von Siemens und Alstom. Aber die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, hatte, gestützt auf die EU-Wettbewerbsregeln, die Fusion untersagt. Vor der Fusion gewarnt hatten auch die nationalen Kartellbehörden. Jetzt planen die beiden Minister, das EU-Wettbewerbsrecht in ihrem Sinn zu ändern, weil es – so Le Maire – „veraltet“ sei. Sie denken dabei an eine Art Vetorecht des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs. Der soll die Entscheidungen der EU-Kommission außer Kraft setzen können.
Frankreichs Industriepolitik färbt nun mit Altmaier verstärkt auf Deutschland ab
Staatliche Industriepolitik (planification) anstelle von Markt und Wettbewerb ist schon immer eine trübe Eigenschaft gerade französischer Regierungen gewesen. Sie äußert sich in der Protektion für absteigende Industriezweige und in der Subvention und Intervention zugunsten technischer Entwicklungen und Industriezweige, die der Staat (nach entsprechender Behandlung durch die jeweilige Lobby) für zukunftsträchtig hält. Stärker spielt nun auch Deutschland dabei mit. In manchen Fällen soll sich der Staat an Unternehmen beteiligen. Eine neue Industriepolitik soll europäische Großkonzerne ermöglichen. Es gehe darum, „europäische Champions“ zu bilden nach dem Vorbild des Flugzeugbauers Airbus. Deutschland und Frankreich wollen bei der geplanten Industriestrategie die Führung übernehmen. (Quelle unter anderem hier).
Auch die EU will auf eine aktive Industriepolitik hinaus
Altmaier und Le Maire haben auch vor, einen Fonds zu schaffen, um Hightech-Unternehmen zu unterstützen. Daneben wollen sie wichtige Innovationen subventionieren und wichtige Wirtschaftsbereiche schützen, die für sie „Schlüsselfunktionen“ haben. Die EU müsse verstärkt auch in die Künstliche Intelligenz investieren. Auf diesem Gebiet seien die USA und China führend. Vor allem China übernehme zusehends europäische Hightech-Firmen. Mit seiner Industriestrategie und staatlichen Subventionen wolle es in vielen Wirtschaftsbereichen seine technische Lücke zu westlichen Unternehmen schließen und selbst Weltmarktführer hervorbringen. Bei den „EU-Industrietagen“ am 22. und 23. Februar in Brüssel (hier) steht im Zentrum, wie die EU künftig eine aktive Industriepolitik betreiben kann, um gegen globale Wettbewerber aus China und den USA zu bestehen. Es ist eine von der EU-Kommission organisierte Konferenz.
Gegenüber Marktkräften und Wettbewerb fehlt es an Vertrauen, es wird auch unterbunden
Alles dies dient dazu, die Industriepolitik zu rechtfertigen und als notwendig erscheinen zu lassen. Unbeachtet bleibt, was ohne staatliche Industriepolitik stattfände. Dann würden sich die innovativen Kräfte, wenn diese wüssten, dass sich der Staat mit finanzieller Unterstützung heraushält, möglicherweise oder wahrscheinlich ebenso oder noch stärker selbst regen und selbst helfen. Aber das bleibt unsichtbar, und dass es eintritt, ist allenfalls zu vermuten, sichtbar wird es erst, wenn sich Vertrauen in die „Marktkräfte“ durchgesetzt hat und Industriepolitik als direkte staatliche Intervention unterblieben ist. Aber am Vertrauen in das, was freies Denken und Arbeiten, unabhängiges Unternehmertum und Freiheit des Wettbewerbs hervorzubringen vermögen, fehlt es. Betätigungssucht von Politikern, um sich als unentbehrlich darzustellen, unterbindet das Vertrauen.
Wie es auch ohne Industriepolitik ginge
Erfinder, Innovatoren und Unternehmen brauchen für Höchstleistungen Freiheit. Dazu gehört auch finanzielle Freiheit, also finanzielle Unabhängigkeit. Der Staat könnte sie durch Verzicht auf Hochbesteuerung unterstützen. Wenn den Unternehmern und Unternehmen durch geringere Besteuerung mehr Geld bliebe, um Neuerungen von sich aus in Angriff zu nehmen und selbst für die Finanzierung zu sorgen (zum Beispiel auch durch Einwerben von Wagniskapital aus privaten Schatullen), bedarf es einer Finanzierung und staatlicher Unternehmertätigkeit durch Industriepolitik nicht.
Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik findet kaum noch statt
Schon lange ist vom Ordo-Liberalismus der einstigen Freiburger Schule oder von der liberal-ökonomischen Lehre der Wiener oder österreichischen Schule (im Englischen als „The Austrians“ bekannt) keine Rede mehr. Beide sind in Deutschlands Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Versenkung verschwunden. Auch auf deutschen Hochschulen lernen die Ökonomiestudenten sie kaum noch kennen, Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik findet kaum noch statt. Sie können, wenn sie mit dem Studium fertig sind, gegen die Fehlentwicklungen nicht mehr helfen, weil sie nicht gelernt haben, wie ordnungspolitisch zu helfen wäre.
An Altmaiers „Nationaler Industriestrategie“ lassen Ökonomen kein gutes Haar
Am 5. Februar hatte Altmaier seine „Nationale Industriestrategie“ öffentlich gemacht und vernichtende Kritik geerntet (hier). Vier der fünf Mitglieder des Sachverständigenrats („Wirtschaftsweise“) urteilen, Altmaiers „aktivierende“ Politik zugunsten der Industrie könne großen Schaden anrichten. Seine Industriepolitik sei ein Strategiewechsel in die falsche Richtung und gebe Anlass zu großer Sorge. Denn der Minister maße sich damit an, konkrete Technologien oder Unternehmen benennen zu können, die eine „strategische“ Bedeutung für die Volkswirtschaft hätten (siehe hier). Schon vor der offiziellen Bekanntgabe hatten Ökonomen und Unternehmer kein gutes Haar an den Ideen Altmaiers für eine neue Industriepolitik gelassen. Der CDU-Wirtschaftsrat erinnerte an Ludwig Erhard und sagte, in dessen Sinn sollte sein Nachfolger bei staatlichen Eingriffen maßhalten. Der Staat könne keine Batteriefabriken bauen oder Unternehmer ersetzen. Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer äußerte zu Altmaier: „Falls er jemals einen ordnungspolitischen Kompass hatte, hat er ihn nun völlig aufgegeben.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17).
Vom Geist Ludwig Erhards weit entfernt
Philipp Plickert kommentierte in der FAZ: „Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will sich gerne in eine Reihe mit Ludwig Erhard stellen. Dessen Büste steht im Foyer des Ministeriums in Berlin, Altmaier hat einen Saal nach dem legendären „Vater des Wirtschaftswunders“ benannt. Doch vom Geist Erhards ist die Wirtschaftspolitik der GroKo weit entfernt. Altmaiers Vorstöße für eine neue Industriepolitik stehen sogar diametral den ordoliberalen und wettbewerbspolitischen Ideen seines großen Vorgängers entgegen. Nach Erhard soll der Staat gute Rahmenbedingungen schaffen, etwa mit mäßiger Besteuerung, damit Unternehmer und Investoren im Wettbewerb Neues entwickeln. Das Kartellamt soll Monopole und den Missbrauch von Marktmacht verhindern. Altmaier jedoch kramt derzeit in der industriepolitischen Mottenkiste, die nicht zu Erhard, sondern eher zur französischen Lenkungspolitik und Planification passt, die Erhard stets abgelehnt hat.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17).
Die drei grundlegenden Probleme der Industriepolitik
Für den Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest hat Industriepolitik drei grundlegende Probleme: „Erstens weiß die Politik nicht mehr als private Investoren darüber, welche Technologien zukunftsfähig sind. Zweitens sind sie eher schlechter darin, erfolglose Projekte rechtzeitig zu beenden. Drittens besteht die Gefahr, dass politisch einflussreiche und etablierte Unternehmen Industriepolitik missbrauchen, um Privilegien für sich durchzusetzen, auf Kosten der Wettbewerber, Steuerzahler und Konsumenten.“ Fuest lehnt Industriepolitik nicht in Bausch und Bogen ab und erläutert, wo, wann und wie sie gerechtfertigt sein kann (hier).
Ja, mach nur einen Plan …
Industriepolitik hat sich in Deutschland peut à peut schon lange breitgemacht. Jetzt mit Altmaier gerät sie in eine noch größere Dimension. Mit staatlicher Industriepolitik ist der Weg in die staatliche Planwirtschaft vorgezeichnet, eine Rückkehr wegen menschlicher Unzulänglichkeit, Unvernunft, Unkenntnis, Eitelkeit, Ehrgeiz, Ruhmsucht, Arroganz und politisch-ideologischer Verblendung kaum mehr möglich, ähnlich einem Versinken im Sumpf, wenn ein Retter nicht naht. Wie heißt es doch so wahr in Brechts Dreigroschenoper: „Ja, mach nur einen Plan. Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh‘ n tun sie beide nicht.“ Es sind Zeilen aus dem „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“. Anhören können Sie es sich hier.
[1] FAZ vom 19. Februar 2019, Seite 19. Auch andere Blätter ließen sich das Thema nicht entgehen, darunter die Tageszeitung Die Welt (hier). Die einschlägige Branche wird eine Pressekonferenz veranstaltet oder eine Pressemitteilung herumgeschickt haben.
Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966 promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de
von Klaus Peter Krause
Es gibt politische Witze, die abgedroschen sind. Zu ihnen gehört dieser: Was passiert, wenn in der Sahara die Kommunisten an die Macht kommen? Die bekannte Antwort: Dann wird der Sand knapp. Sie dürfen gähnen. Gerade allerdings waren Berichte[1] zu lesen mit der Überschrift „In Deutschland wird der Sand knapp“. Um Himmelswillen, herrscht denn schon der Kommunismus bei uns, und wir haben gar nichts davon gemerkt? Haben wir da was verschlafen? Muss uns erst der knappe Sand auf die Sprünge helfen? Nein, Kommunismus kann man den politischen Zustand in Deutschland natürlich nicht nennen. Aber mehr und mehr sozialistisch geht es in der deutschen Wirtschaftspolitik unübersehbar zu – und wie meist, wenn sich etwas verändert, auf zunächst unmerkliche Weise. Ein Beispiel dafür ist, wie sich die Bundesregierung in die sogenannte Industriepolitik stürzt.
Industriepolitik läuft auf staatliche Planwirtschaft hinaus
Der Begriff „Industriepolitik“ bedeutet, dass der Staat auf das Markt- und Wirtschaftsgeschehen direkten Einfluss nimmt, dass er sich in Wirtschaftszweige, in Branchen zielsetzend, strukturbestimmend und regulierend einmischt, statt diesem Geschehen nur einen Ordnungsrahmen zu verpassen, indem er durch Gesetzgebung für Wettbewerb und Wettbewerbsfreiheit sorgt. Industriepolitik ist staatlicher Interventionismus, sie läuft auf staatliche Planwirtschaft mit allen ihren nachteiligen Folgen hinaus. Politiker greifen in Dinge ein, von denen sie nicht genug, zu wenig oder gar nichts wissen – jedenfalls weniger als die Vielzahl der Unternehmer als Anbieter von Leistungen und als die Vielzahl aller jener, die deren Leistungen nachfragen. Statt dem Wettbewerb als „Entdeckungsverfahren“ (Friedrich A. von Hayek) freie Fahrt zu geben, wird es durch staatliche Industriepolitik bestenfalls nur behindert und verlangsamt, schlimmstenfalls ausgebremst und gestoppt, also unterbunden. (Näheres zur Entwicklung der Industriepolitik in der Europäischen Union siehe hier).
Unter Altmaier als Wirtschaftsminister soll die Industriepolitik Fahrt aufnehmen
Aus seinem Hang zur Industriepolitik macht Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier keinerlei Hehl. Unter ihm soll sie Fahrt aufnehmen. Gerade hat er mit Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire in Berlin zur Industriepolitik ein gemeinsames Manifest vorgelegt. Beide Minister sorgen sich, dass die EU bei Techniken wie Batteriezellen für Elektro-Autos und Künstliche Intelligenz den globalen Anschluss verlieren. Der Bau einer gemeinsamen Batteriefabrik soll dafür den Anfang machen. Sie sei für eine stärker verzahnte Industriepolitik in Europa ein erster Anwendungsfall. Man müsse die Kräfte bündeln, sagt Altmaier. Er will ein Drittel der globalen Batteriezellen-Produktion nach Europa holen und so Tausende von Arbeitsplätzen entstehen lassen. Zwar soll sich der Staat an der Fabrik nicht direkt beteiligen, aber sie finanziell unterstützen: Frankreich zum Anschub mit 700 Millionen Euro, Deutschland mit 1000 Millionen. (Quelle unter anderem hier).
Wegen gescheiterter Fusion wollen Altmaier und Le Maire das EU-Wettbewerbsrecht ändern
Zuvor gescheitert waren beide Politiker mit der von ihnen angestrebten Fusion der Eisenbahn-Sparten von Siemens und Alstom. Aber die EU-Kommissarin für Wettbewerb, Margrethe Vestager, hatte, gestützt auf die EU-Wettbewerbsregeln, die Fusion untersagt. Vor der Fusion gewarnt hatten auch die nationalen Kartellbehörden. Jetzt planen die beiden Minister, das EU-Wettbewerbsrecht in ihrem Sinn zu ändern, weil es – so Le Maire – „veraltet“ sei. Sie denken dabei an eine Art Vetorecht des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs. Der soll die Entscheidungen der EU-Kommission außer Kraft setzen können.
Frankreichs Industriepolitik färbt nun mit Altmaier verstärkt auf Deutschland ab
Staatliche Industriepolitik (planification) anstelle von Markt und Wettbewerb ist schon immer eine trübe Eigenschaft gerade französischer Regierungen gewesen. Sie äußert sich in der Protektion für absteigende Industriezweige und in der Subvention und Intervention zugunsten technischer Entwicklungen und Industriezweige, die der Staat (nach entsprechender Behandlung durch die jeweilige Lobby) für zukunftsträchtig hält. Stärker spielt nun auch Deutschland dabei mit. In manchen Fällen soll sich der Staat an Unternehmen beteiligen. Eine neue Industriepolitik soll europäische Großkonzerne ermöglichen. Es gehe darum, „europäische Champions“ zu bilden nach dem Vorbild des Flugzeugbauers Airbus. Deutschland und Frankreich wollen bei der geplanten Industriestrategie die Führung übernehmen. (Quelle unter anderem hier).
Auch die EU will auf eine aktive Industriepolitik hinaus
Altmaier und Le Maire haben auch vor, einen Fonds zu schaffen, um Hightech-Unternehmen zu unterstützen. Daneben wollen sie wichtige Innovationen subventionieren und wichtige Wirtschaftsbereiche schützen, die für sie „Schlüsselfunktionen“ haben. Die EU müsse verstärkt auch in die Künstliche Intelligenz investieren. Auf diesem Gebiet seien die USA und China führend. Vor allem China übernehme zusehends europäische Hightech-Firmen. Mit seiner Industriestrategie und staatlichen Subventionen wolle es in vielen Wirtschaftsbereichen seine technische Lücke zu westlichen Unternehmen schließen und selbst Weltmarktführer hervorbringen. Bei den „EU-Industrietagen“ am 22. und 23. Februar in Brüssel (hier) steht im Zentrum, wie die EU künftig eine aktive Industriepolitik betreiben kann, um gegen globale Wettbewerber aus China und den USA zu bestehen. Es ist eine von der EU-Kommission organisierte Konferenz.
Gegenüber Marktkräften und Wettbewerb fehlt es an Vertrauen, es wird auch unterbunden
Alles dies dient dazu, die Industriepolitik zu rechtfertigen und als notwendig erscheinen zu lassen. Unbeachtet bleibt, was ohne staatliche Industriepolitik stattfände. Dann würden sich die innovativen Kräfte, wenn diese wüssten, dass sich der Staat mit finanzieller Unterstützung heraushält, möglicherweise oder wahrscheinlich ebenso oder noch stärker selbst regen und selbst helfen. Aber das bleibt unsichtbar, und dass es eintritt, ist allenfalls zu vermuten, sichtbar wird es erst, wenn sich Vertrauen in die „Marktkräfte“ durchgesetzt hat und Industriepolitik als direkte staatliche Intervention unterblieben ist. Aber am Vertrauen in das, was freies Denken und Arbeiten, unabhängiges Unternehmertum und Freiheit des Wettbewerbs hervorzubringen vermögen, fehlt es. Betätigungssucht von Politikern, um sich als unentbehrlich darzustellen, unterbindet das Vertrauen.
Wie es auch ohne Industriepolitik ginge
Erfinder, Innovatoren und Unternehmen brauchen für Höchstleistungen Freiheit. Dazu gehört auch finanzielle Freiheit, also finanzielle Unabhängigkeit. Der Staat könnte sie durch Verzicht auf Hochbesteuerung unterstützen. Wenn den Unternehmern und Unternehmen durch geringere Besteuerung mehr Geld bliebe, um Neuerungen von sich aus in Angriff zu nehmen und selbst für die Finanzierung zu sorgen (zum Beispiel auch durch Einwerben von Wagniskapital aus privaten Schatullen), bedarf es einer Finanzierung und staatlicher Unternehmertätigkeit durch Industriepolitik nicht.
Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik findet kaum noch statt
Schon lange ist vom Ordo-Liberalismus der einstigen Freiburger Schule oder von der liberal-ökonomischen Lehre der Wiener oder österreichischen Schule (im Englischen als „The Austrians“ bekannt) keine Rede mehr. Beide sind in Deutschlands Wirtschafts- und Finanzpolitik in der Versenkung verschwunden. Auch auf deutschen Hochschulen lernen die Ökonomiestudenten sie kaum noch kennen, Wirtschaftspolitik als Ordnungspolitik findet kaum noch statt. Sie können, wenn sie mit dem Studium fertig sind, gegen die Fehlentwicklungen nicht mehr helfen, weil sie nicht gelernt haben, wie ordnungspolitisch zu helfen wäre.
An Altmaiers „Nationaler Industriestrategie“ lassen Ökonomen kein gutes Haar
Am 5. Februar hatte Altmaier seine „Nationale Industriestrategie“ öffentlich gemacht und vernichtende Kritik geerntet (hier). Vier der fünf Mitglieder des Sachverständigenrats („Wirtschaftsweise“) urteilen, Altmaiers „aktivierende“ Politik zugunsten der Industrie könne großen Schaden anrichten. Seine Industriepolitik sei ein Strategiewechsel in die falsche Richtung und gebe Anlass zu großer Sorge. Denn der Minister maße sich damit an, konkrete Technologien oder Unternehmen benennen zu können, die eine „strategische“ Bedeutung für die Volkswirtschaft hätten (siehe hier). Schon vor der offiziellen Bekanntgabe hatten Ökonomen und Unternehmer kein gutes Haar an den Ideen Altmaiers für eine neue Industriepolitik gelassen. Der CDU-Wirtschaftsrat erinnerte an Ludwig Erhard und sagte, in dessen Sinn sollte sein Nachfolger bei staatlichen Eingriffen maßhalten. Der Staat könne keine Batteriefabriken bauen oder Unternehmer ersetzen. Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer äußerte zu Altmaier: „Falls er jemals einen ordnungspolitischen Kompass hatte, hat er ihn nun völlig aufgegeben.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17).
Vom Geist Ludwig Erhards weit entfernt
Philipp Plickert kommentierte in der FAZ: „Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier will sich gerne in eine Reihe mit Ludwig Erhard stellen. Dessen Büste steht im Foyer des Ministeriums in Berlin, Altmaier hat einen Saal nach dem legendären „Vater des Wirtschaftswunders“ benannt. Doch vom Geist Erhards ist die Wirtschaftspolitik der GroKo weit entfernt. Altmaiers Vorstöße für eine neue Industriepolitik stehen sogar diametral den ordoliberalen und wettbewerbspolitischen Ideen seines großen Vorgängers entgegen. Nach Erhard soll der Staat gute Rahmenbedingungen schaffen, etwa mit mäßiger Besteuerung, damit Unternehmer und Investoren im Wettbewerb Neues entwickeln. Das Kartellamt soll Monopole und den Missbrauch von Marktmacht verhindern. Altmaier jedoch kramt derzeit in der industriepolitischen Mottenkiste, die nicht zu Erhard, sondern eher zur französischen Lenkungspolitik und Planification passt, die Erhard stets abgelehnt hat.“ (FAZ vom 2. Februar 2019, Seite 17).
Die drei grundlegenden Probleme der Industriepolitik
Für den Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest hat Industriepolitik drei grundlegende Probleme: „Erstens weiß die Politik nicht mehr als private Investoren darüber, welche Technologien zukunftsfähig sind. Zweitens sind sie eher schlechter darin, erfolglose Projekte rechtzeitig zu beenden. Drittens besteht die Gefahr, dass politisch einflussreiche und etablierte Unternehmen Industriepolitik missbrauchen, um Privilegien für sich durchzusetzen, auf Kosten der Wettbewerber, Steuerzahler und Konsumenten.“ Fuest lehnt Industriepolitik nicht in Bausch und Bogen ab und erläutert, wo, wann und wie sie gerechtfertigt sein kann (hier).
Ja, mach nur einen Plan …
Industriepolitik hat sich in Deutschland peut à peut schon lange breitgemacht. Jetzt mit Altmaier gerät sie in eine noch größere Dimension. Mit staatlicher Industriepolitik ist der Weg in die staatliche Planwirtschaft vorgezeichnet, eine Rückkehr wegen menschlicher Unzulänglichkeit, Unvernunft, Unkenntnis, Eitelkeit, Ehrgeiz, Ruhmsucht, Arroganz und politisch-ideologischer Verblendung kaum mehr möglich, ähnlich einem Versinken im Sumpf, wenn ein Retter nicht naht. Wie heißt es doch so wahr in Brechts Dreigroschenoper: „Ja, mach nur einen Plan. Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan. Geh‘ n tun sie beide nicht.“ Es sind Zeilen aus dem „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“. Anhören können Sie es sich hier.
[1] FAZ vom 19. Februar 2019, Seite 19. Auch andere Blätter ließen sich das Thema nicht entgehen, darunter die Tageszeitung Die Welt (hier). Die einschlägige Branche wird eine Pressekonferenz veranstaltet oder eine Pressemitteilung herumgeschickt haben.
Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966 promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de