Es ist ermüdend und traurig: Ermüdend, weil wir es schon alle wissen (zumindest jene, die es wissen wollen) und traurig, weil wir, obgleich wissend, nichts dagegen tun. Erneut geht es um mangelhafte Bildung und den fehlenden Willen, bei uns zu gründen:
- Die „(…) OECD bescheinigt diesem Deutschland mit die niedrigste soziale Mobilität in der OECD. Der Bericht zeigt, dass der elterliche Hintergrund entscheidend für das Erreichen des sozialen Status in der nächsten Generation ist. (…) Ungleichheit in den Möglichkeiten ist zutiefst unfair. Aber die soziale Mobilität einer Gesellschaft sollte uns auch aus einem anderen Grund nicht kaltlassen: Sie bestimmt die Innovationsrate und damit das Wachstum eines Landes.“
– Stelter: Natürlich muss man wissen, warum denn diese Mobilität so gering ist. - „(…) Raj Chetty von der Harvard Universität (…) verbindet Daten von 1.2 Millionen Erfindern in den Vereinigten Staaten, deren und deren Eltern Einkommen, ihre Schulbildung und deren Testergebnisse in Mathematik. Als erstes Ergebnis hat er gefunden, dass aus Haushalten mit einem Einkommen unter dem mittleren Einkommen nur 0,84 Erfinder pro 1000 Kindern entstehen, bei jenen der Top 1 Prozent der Einkommen sind es 8, 3 Erfinder pro 1000 Kinder.“
— Stelter: Das wirft die Frage auf, ob das nur am Geld liegt. Dafür gibt es sicherlich auch andere Ursachen, zum Beispiel das Umfeld. - „Aus den Kindern mit Top-Mathematiknoten aus armen Elternhäusern gehen nur drei Erfinder (pro 1000 Kinder) hervor, aus Kindern mit Top-Mathematiknoten aus reichen Elternhäusern hingegen sieben. Ähnlich diskrepante Ergebnisse erhielt er für das Geschlecht und für
Minderheiten. Aus den Mädchen mit Top-Mathematiknoten gehen nur zwei Erfinderinnen (pro 1000 Mädchen) hervor, verglichen mit sechs Erfindern unter Jungen mit Top-Mathematiknoten.“
– Stelter: Das spricht dafür, dass wir es mit anderen Gründen zu tun haben. Zum Beispiel: So absolvieren viel weniger Frauen als Männer ein naturwissenschaftliches Studium oder bewerben sich beispielsweise bei Beratungsfirmen. - „(…) in Bezirksgemeinden, in denen mehr Innovationen stattfinden, die Anzahl der Erfinder pro 1000 Kinder deutlich höher ist. Er zeigt auch, dass die oben beschriebene Innovationskluft zwischen den Geschlechtern halbiert würde, wären Mädchen derselben Anzahl weiblicher Erfinder ausgesetzt wie Jungen männlichen Erfindern. Chetty hat berechnet, dass sich die Innovationsrate der amerikanischen Wirtschaft vervierfachte, wenn es gelänge, Mädchen, Kinder von Minderheiten und aus armen Elternhäusern mit der gleichen Rate zu Erfindern zu machen wie Jungen aus reichen Familien.“
– Stelter: Das ist reine Theorie. - „Chettys Arbeit legt nahe, dass Deutschland einen hohen Preis für seine geringe soziale Mobilität zahlt: einen Mangel an Hightech-Unternehmen.“
– Stelter: Ist es das oder ist es der Niedergang des Bildungswesens? - „Wie kann die Anzahl an Erfindern und Hightech-Firmen in Deutschland gehoben werden? In einem ersten Schritt müssen Mädchen und Kinder aus armen Elternhäusern und von Einwanderern mit herausragenden Noten in Mathematik und Naturwissenschaften in einem sehr frühen Stadium gefunden und einem Innovationsumfeld ausgesetzt werden.“
– Stelter: Und was wissen wir? Dass gerade diese Kinder noch schlechter in Mathematik sind und zudem besonders unter der schlechten Schulqualität leiden. Ich erinnere an den sehr geringen Anteil der Top-Leister in Mathematik hierzulande. - „Der Fokus auf die Talente ist auch deshalb wichtig, weil die Entdeckung neuer Ideen teurer geworden ist. Je größer die Gesamtmenge an Wissen wird, desto schwieriger wird es, an die Grenze des Wissens zu gelangen. Eine Studie des MIT schätzt, dass heute zwanzigmal so viele Forscher benötigt werden wie vor 80 Jahren, um denselben Forschungsoutput zu erzielen. Die Ideen gehen uns nicht aus, es wird aber schwieriger, sie zu finden.“
– Stelter: Übersetzt heißt das, die Geschwindigkeit unseres Niedergangs nimmt zu!
Dr. Daniel Stelter — www.think-beyondtheobvious.com
→ edition.faz.net: „Deutschland verliert seine Einsteins“, 21. März 2019