Der Westen will die UNO schwächen und bricht das Völ­ker­recht öfter, als alle anderen Länder zusammen

Das Völ­ker­recht ist ein heikles Thema, von dem wenige wirklich wissen, was es eigentlich besagt, dabei ist es gar nicht allzu kom­pli­ziert. Dieses Aus­nutzen der Unwis­senheit seiner Leser hat diese Woche der Spiegel in einem Artikel über den deut­schen Vorsitz im UNO-Sicher­heitsrat deutlich demonstriert.
(Von Thomas Röper)
Um zu ver­stehen, wie die west­lichen Medien ihre Leser beim Thema Völ­ker­recht für dumm ver­kaufen, müssen wir uns zunächst die heute aktu­ellsten Punkte im Völ­ker­recht ansehen, bevor wir die west­liche Bericht­erstattung zum Ver­gleich daneben halten.
Diese wich­tigsten und aktu­ellsten Punkte sind sicher das Gewalt­verbot, das als Basis des Völ­ker­rechts sowohl in der Prä­ambel, als auch in den Artikeln 1 und 2 erwähnt wird. Demnach ist Krieg nur zulässig, wenn man sich gegen einen Angriff ver­teidigt oder wenn der UNO-Sicher­heitsrat diesen per Reso­lution erlaubt hat.
Das war und ist die wich­tigste Vor­schrift im Völ­ker­recht: Krieg ist grund­sätzlich verboten!
Wenn man sich dies vor Augen führt, dann stellt man Fol­gendes fest: Der Westen hat in den letzten 20 Jahren gleich eine ganze Reihe völ­ker­rechts­wid­riger Kriege geführt: Jugo­slawien, Afgha­nistan, Irak, Libyen, Syrien, Jemen und so weiter und so fort. Für all diese Kriege gilt: Es gab weder eine Erlaubnis für diese Kriege aus dem UN-Sicher­heitsrat, noch hat eines dieser Länder einen west­lichen Staat ange­griffen. Auch Afgha­nistan hat die USA nicht ange­griffen. Damit sind alle diese Kriege Brüche des Völ­ker­rechts und per Defi­nition illegale Angriffs­kriege und die zustän­digen Poli­tiker, die diese Kriege ange­ordnet haben, sind Kriegsverbrecher.
Nur steht das so nie in den Medien, obwohl es eine Tat­sache ist.
Der Westen hat zwar den Begriff der „huma­ni­tären Inter­vention“ erfunden, nur ist das kein Begriff aus dem Völ­ker­recht. Und Recht ist eigentlich ganz einfach: Wenn mein Nachbar mir nicht gefällt, er aber gegen keine Gesetze ver­stößt, dann kann ich mich nicht auf „huma­nitäre Inter­vention“ berufen, wenn ich ver­prügeln will. Ich darf es nicht tun, auch wenn ich ihn nicht mag und für einen Tyrannen in seiner Familie halte. Und so ist es auch im Völ­ker­recht: Dass irgendeine Regierung dem Westen nicht gefällt, ist kein Grund für mili­tä­ri­sches Eingreifen. 
Dann gibt es zwei Punkte, die aktuell oft zusam­men­ge­hören und ein­ander wider­sprechen: Es geht um die Unver­letz­barkeit der Grenzen (Artikel 2 Ziffer 4 der UN-Charta, dort „Ter­ri­to­riale Inte­grität“ genannt) und das Selbst­be­stim­mungs­recht der Völker (Artikel 1 Ziffer 2 UN-Charta).
Als sich Slo­wenien, Kroatien etc. von Jugo­slawien los­sagen wollten, da haben sie sich gemeinsam mit dem Westen auf ihr Selbst­be­stim­mungs­recht berufen und es über die Unver­letz­barkeit der Grenzen des Staates Jugo­slawien gestellt. Das war durchaus umstritten, denn die beiden Punkte stehen gleich­be­rechtigt in der UN-Charta und die Frage war, welcher Punkt ist stärker. Wenn wir uns als Demo­kraten bezeichnen, dann müsste das Selbst­be­stim­mungs­recht der Men­schen in einem Staat höher stehen, als das Recht dieses Staates auf seine Grenzen. Aber das ist nur meine Meinung und keine juris­tische Einschätzung.

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Die Lösung brachte erst der Inter­na­tionale Gerichtshof, als er 2011 ein Urteil zu dieser Frage fällte. Und dort stand ganz deutlich drin, dass „eine Unab­hän­gig­keits­er­klärung eines Lan­des­teils nicht gegen das Völ­ker­recht ver­stößt, auch wenn sie gegen die Ver­fassung des Zen­tral­staates ver­stößt”.
So hat sich der Westen seine Unter­stützung für die neuen Staaten nach­träglich rechtlich geneh­migen lassen.
Das war kurz­sichtig, denn nun bedeutet das auch, dass die ein­seitige Unab­hän­gig­keits­er­klärung der Krim von der Ukraine nicht gegen das Völ­ker­recht ver­stößt, und danach war die Krim als unab­hän­giger Staat frei, sich Russland anzu­schließen, so wie sich auch die DDR frei­willig der Bun­des­re­publik anschließen durfte. Aus völ­ker­recht­licher Sicht gibt es zwi­schen diesen beiden Ver­ei­ni­gungen kei­nerlei Unterschied.
Trotzdem wettert der Westen gegen die Ver­ei­nigung der Krim mit Russland, denn poli­tisch ist der Westen dagegen und spricht von einer „völ­ker­rechts­wid­rigen Annektion“. Wie gesehen ist das Unsinn. 
Gleiches gilt für die Kata­lanen, die sich eben­falls auf das Selbst­be­stim­mungs­recht und das Urteil des Inter­na­tio­nalen Gerichtshofs berufen. Und auch da findet der Westen das, was er bei Jugo­slawien unter­stützt hat, nun gar nicht mehr so gut.
Hier sieht man also wieder, dass der Westen es mit dem Völ­ker­recht nicht allzu genau nimmt und es nur dann akzep­tiert, wenn es seinen poli­ti­schen Zielen ent­spricht. Wenn es das nicht tut, wird es vom Westen igno­riert oder sogar gebrochen.
Außerdem gibt es noch das Verbot der Ein­mi­schung in die inneren Ange­le­gen­heiten eines Staates, das in Artikel 2 Ziffer 4 und Ziffer 7 geregelt ist.
Das bedeutet, dass jeder Staat alleine ent­scheidet, wie er regiert werden möchte, welche Wirt­schaftsform er haben möchte und auch in allen anderen Fragen selbst für sich ent­scheidet. Die UN-Charta kennt keinen Zwang, die Staatsform der „west­lichen Demo­kratien“ anzu­nehmen. Und wenn ein Staat mit dem Westen befreundet ist, ist das auch kein Problem. Saudi-Arabien ist eine abso­lu­tis­tische Mon­archie ohne wirk­sames Par­lament oder Wahlen, dafür mit mas­siven Ein­schrän­kungen der Men­schen­rechte. Das stört im Westen nie­manden, solange Saudi-Arabien nur brav auf Linie des Westens bleibt.
Es bedeutet aber auch, dass zum Bei­spiel die west­liche Ein­mi­schung in der Ukraine beim Maidan ein Bruch des Völ­ker­rechts war. Andere Staaten hätten sich gemäß Völ­ker­recht raus­halten müssen und die Ukraine hätte das alleine regeln müssen. Trotzdem gaben sich damals in Kiew auf dem Maidan west­liche Poli­tiker die Klinke in die Hand und haben die Maidan-Pro­teste angefeuert.
Man stelle sich einmal vor, heute würden der rus­sische und der chi­ne­sische Außen­mi­nister samstags in Paris die Gelb­westen anfeuern und zum Sturz der fran­zö­si­schen Regierung auf­rufen. Der Protest aus dem Westen wäre gigan­tisch, aber wenn der Westen das in der Ukraine getan hat, oder in Syrien oder aktuell in Vene­zuela, dann ist das angeblich in Ordnung.
Auch hier also sieht man, dass es der Westen mit dem Völ­ker­recht nicht allzu genau nimmt. Frank­reich war sogar so emp­findlich, dass es seinen Bot­schafter aus Italien abbe­rufen hat, nur weil ein ita­lie­ni­scher Minister ein wenig Ver­ständnis für die Gelb­westen geäußert hat. Gleich­zeitig mischt sich Frank­reich aber massiv in Syrien oder Vene­zuela ein. Noch deut­licher kann die Dop­pel­moral des Westens gar nicht ins Auge springen. 
Trotz alledem spielt sich der Westen als Hüter des Völ­ker­rechts auf, obwohl er selbst es häu­figer bricht, als die ganze rest­liche Welt zusammen.
Schon seit einiger Zeit bereiten die Medien den Weg für eine weitere Aus­höhlung des Völ­ker­rechts. Denn die UNO selbst und der Sicher­heitsrat stehen immer öfter in der Kritik, weil sie angeblich keine Ent­schei­dungen treffen können und zu schwer­fällig sind. Nun war es aber auch nie geplant, dass die UNO schnelle Ent­schei­dungen trifft. Sie war nach dem Schock des Zweiten Welt­krieges gegründet worden, um den Frieden zu erhalten und Kon­flikte am Ver­hand­lungs­tisch zu lösen. Und niemand hat je behauptet, dass das einfach wäre oder schnell ginge.
Im Spiegel kann man heute als „Argument“ für eine Schwä­chung des Sicher­heits­rates lesen:
„In der Rea­lität hat sich der Sicher­heitsrat trotz der vielen Krisen, die es zu lösen gilt, immer mehr mar­gi­na­li­siert. Die Groß­mächte USA, China und Russland messen dem Gremium wenig Relevanz zu, beachten die beschlos­senen Reso­lu­tionen kaum und ver­hindern, dass der Sicher­heitsrat neue Beschlüsse für die bru­talsten Kon­flikte wie in Syrien beschließt.“
Dass der Westen unter Führung der USA das Völ­ker­recht ständig bricht, haben wir gesehen. Der Spiegel hat also Recht, wenn er das über die USA schreibt. Aber weil der Spiegel niemals die USA alleine hart kri­ti­sieren würde, mussten auch Russland und China irgendwie in den Satz gepackt werden. Die Frage ist jedoch, gegen welche Reso­lution sollen Russland oder China eigentlich ver­stoßen haben? Mir fällt einfach keine einzige ein. Bei den USA ist die Liste hin­gegen lang. Und nicht nur das, Israel igno­riert alle Reso­lu­tionen des Sicher­heits­rates an seine Adresse und wird dabei von den USA gedeckt.
Um Ver­ständnis für den Kurs des Westens zu wecken, spricht der Spiegel von den „bru­talsten Kon­flikten wie in Syrien“. Was der Spiegel ver­schweigt ist, dass es diesen bru­talen Kon­flikt gar nicht geben würde, wenn der Westen nicht das Völ­ker­recht gebrochen hätte, indem er sich in die inneren Ange­le­gen­heiten Syriens ein­ge­mischt und Rebellen bewaffnet hätte. Das ist nicht etwa eine Ver­schwö­rungs­theorie, die Details der CIA-Ope­ration „Timber Sycamore“ zur Bewaffnung isla­mis­ti­scher Ter­ro­risten in Syrien sind von den USA öffentlich gemacht worden.
Es sind im Gegenteil Russland und China, die ständig auf die Ein­haltung des Völ­ker­rechts pochen und den Westen für seine Völ­ker­rechts­brüche kri­ti­sieren, sei es im Irak, in Syrien, im Jemen, Vene­zuela und so weiter. Das rus­sische Außen­mi­nis­terium weist immer wieder auf die lange Liste der Brüche inter­na­tio­naler Ver­träge und des Völ­ker­rechts durch die USA hin.
Nur wird darüber in den west­lichen Medien nicht berichtet, statt­dessen wird von den west­lichen Medien mit dem Finger auf diese Länder gezeigt, so wie es der Räuber macht, der mit dem Finger auf jemanden zeigt und ruft „Haltet den Dieb!“
Auch dass die USA den Inter­na­tio­nalen Gerichtshof nicht aner­kennen und sogar Dro­hungen gegen seine Mit­ar­beiter aus­sprechen, ist den deut­schen Medien kein Wort der Kritik wert.
Besonders auf­ge­fallen ist mit das bei der Arbeit an meinem Buch über Putin, denn Putin lässt keine Gele­genheit aus, diese Völ­ker­rechts­brüche des Westens öffentlich anzu­sprechen und eine Stärkung der UNO zu fordern. Das zieht sich daher unver­meidlich wie ein roter Faden durch das ganze Buch und Putin nennt immer die Bestim­mungen des Völ­ker­rechts und wer an seinen Aus­sagen dazu zweifelt, kann selbst nach­prüfen, ob Putin mit seinen Vor­würfen Recht hat.
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“