Was völlig unglaublich klingt, ist heute geschehen. Der US-Vizepräsident drohte der Türkei mit Ausschluss aus der Nato und der türkische Vizepräsident zeigte sich unbeeindruckt. Wie kam es dazu, und was bedeutet das?
Ich habe gerade erst vor zwei Tagen über die Eskalation im Streit zwischen der Türkei und den USA berichtet. In diesem Artikel lasse ich diese Vorgeschichte weg, daher können Sie hier den Artikel von vor zwei Tagen lesen. Und hier finden Sie alle weiteren Hintergründe zu der Vorgeschichte des Konfliktes, die erklären, warum sich Erdogan von Washington ab- und Russland zugewendet hat.
In aller Kürze geht es darum, dass die Türkei das russische Luftabwehrsystem S‑400 kaufen will, was die USA um jeden Preis verhindern wollen. Da die Auslieferung des Systems für Sommer geplant ist und die Türkei immer wieder klar gemacht hat, dass sie daran festhalten wird, wird die Zeit für die USA knapp. Vor zwei Tagen haben sie schon die Auslieferung der F‑35-Kampfjets an die Türkei deswegen gestoppt.
Heute nun hat US-Vizepräsident Pence beim Jubiläumstreffen der Nato in Washington Folgendes gesagt:
„Die Türkei muss sich entscheiden. Will sie ein wichtiger Partner in der erfolgreichsten Militärallianz der Geschichte bleiben, oder will sie die Sicherheit dieser Partnerschaft riskieren, indem sie so rücksichtslose Entscheidungen trifft, die unser Bündnis untergraben?“
Das ist eine kaum verborgene Drohung mit dem Rausschmiss aus der Nato. Aber die Türkei hat sich davon keine Angst einjagen lassen, der türkische Vizepräsident Fuat Oktay antwortete auf Twitter selbstbewusst:
„Die Vereinigten Staaten müssen sich entscheiden. Wollen sie Verbündeter der Türkei bleiben oder unsere Freundschaft riskieren, indem sie sich mit Terroristen zusammenschließen, um die Verteidigung ihres NATO-Verbündeten gegen ihre Feinde zu untergraben?“
Ein klarer Hinweis auf die US-Unterstützung für den syrischen Ableger der kurdischen PKK in Syrien, die die Türkei schon lange heftig kritisiert.
Nun ist es aber so, dass die USA die Türkei niemals aus der Nato lassen werden. Sie ist für die USA viel zu wichtig. Sie wird als Militärbasis im Nahen Osten gebraucht, sie grenzt an Russland und vor allem kontrolliert sie die Einfahrt ins Schwarze Meer und könnte diese Einfahrt am Bosporus für die Nato schließen.
Man muss diese Aussage von Pence also als Drohung gegen Erdogan sehen. Die USA werden nun wohl mindestens ihre Finanzmarkt-Angriffe auf die Wirtschaft der Türkei wieder aufnehmen. Oder sie werden sehr kurzfristig sogar versuchen, in der Türkei einen Regimechange durchzuführen und Erdogan durch einen gehorsameren Präsidenten ersetzen. Das Problem ist nur, dass das schon 2016 nicht funktioniert hat und es sieht nicht so aus, als wären die Erfolgsaussichten heute größer als 2016, im Gegenteil.
Aktuell gibt es einen Streit in der Türkei über die Ergebnisse der Wahlen am Sonntag. Erdogans Partei ist zwar stärkste Partei geblieben, hat aber die großen Städte an die Opposition verloren. Und genau dort könnten die USA für Unruhe sorgen.
Man sollte die Nachrichten aus und über die Türkei in der nächsten Zeit aufmerksam beobachten. Den US-Regimechanges gehen immer breit angelegte Medienkampagnen gegen den betroffenen Regierungschef voraus. Man muss die westliche Öffentlichkeit ja darauf vorbereiten, dass man einen Putsch unterstützt, anstatt einer gewählten Regierung. Dazu müssen die Medien die betroffene Regierung verteufeln. Bei Erdogan ist das ja seit Jahren der Fall, die westliche Öffentlichkeit würde sich kaum an einer westlichen Unterstützung für Putschisten stören.
Wenn sich also die Erdogan-kritische Berichterstattung jetzt häufen sollte und die westliche Öffentlichkeit ständig daran erinnert wird, wie schlimm Erdogan ist und wie sehr die Türken einen anderen Präsidenten wollen, ist das ein weiteres Indiz für das, was da kommen mag.
Die USA haben jedenfalls die Möglichkeiten, die Wirtschaft der Türkei weiter zu schädigen und so die Unzufriedenheit im Land zu erhöhen. Dann kann es in türkischen Städten auch zu einem „Maidan“ kommen. Aber ob Erdogan sich davon aus dem Amt drängen lässt, darf bezweifelt werden, solange die Sicherheitskräfte auf seiner Seite stehen. Und das tun sie eindeutig.
Den USA steht also eine schwierige Aufgabe bevor, wenn sie die Lieferung der S‑400 noch aufhalten wollen, denn das wird kaum möglich sein, solange Erdogan noch an der Macht ist. Und der hat nicht vergessen, wer ihn 2016 wegputschen und lynchen lassen wollte und wer ihm damals das Leben gerettet hat.
Thomas Röper / anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“