Dass Venezuela in der Krise ist, ist weltweit bekannt. Die Nachrichten über die Hyperinflation und schwierige Lebensbedingungen ebenfalls. Wer einkaufen will, muss quasi mit einem Rucksack voller Geldscheine losziehen und sich auf hunderte Meter lange Warteschlangen vor den Supermärkten gefasst machen. Für einen Euro gibt es auf dem Schwarzmarkt mittlerweile rund 160.000 Bolivar. Zudem will sich Maduro mit einer mit den Ölreserven abgesicherten Kryptowährung („Petro“) unabhängiger von der Inflation und den Finanzmärkten machen. Da diese von den USA dominiert werden, stößt das in Washington nicht auf Begeisterung.
Venezuela ist das ölreichste Land der Welt, und eigentlich kann so ein Land gar nicht pleite gehen. Das es das aber doch ist, liegt im Prinzip an zwei Dingen:
Zum ersten hat sich Venezuela auf seinem Ölreichtum ausgeruht und die Industrie und Produktivität im Land nicht gefördert, sondern sich darauf verlassen, mit den Gewinnen aus Erdöl alles, was man so braucht, importieren zu können. Was ja auch relativ lange gut ging und die großzügigen Sozialprogramme des sozialistischen Venezuela finanzierte. Eine Situation, die das Land aber auch zweitens verwundbar macht. Und da die USA sozialistisch regierte Länder grundsätzlich nicht mag und ganz besonders keine sozialistischen Länder, die ein gutes Verhältnis zu den Russen haben, insbesondere wenn diese Länder auch noch das Ölgeschäfte mit China und Russland zu günstigen Konditionen machen… und, noch schlimmer, wenn so ein Land den Russen noch erlaubt, einen venezolanischen Luftwaffenstützpunkt für ihre strategischen Bomber zu nutzen und dieses Land mit den russischen Bombern dann auch noch sehr nah vor der US-amerikanischen Küste liegt. Und dieser Supergau ist nun passiert. Schon Anfang April schrieb die Webseite „heise“:
Laut der Zeitung Nezavisimaya Gazeta soll Russland erwägen, nach dem verbalen Schlagabtausch mit den USA, permanent strategische Bomber, die mit Atomwaffen ausgestattet werden können, nach Venezuela zu verlegen. Das hätten Informanten aus dem Militär berichtet. So sei es zu einer Vereinbarung gekommen, russische Militärmaschinen auf den venezolanischen Stützpunkt auf der Insel Orchila zu verlegen. Da die Verfassung Venezuealas einen permanenten ausländischen Stützpunkt verbietet, würden die Flugzeuge nur vorübergehend – aber vielleicht immer wieder – dort stationiert. Schon Chavez hatte 2008 die Insel den Russen als Stützpunkt angeboten.
Die mexikanische Nachrichtenseite Excelsior schrieb bereits 2014: „Russland verspricht Venezuela, die US-Invasion zu verhindern. Die Präsidentin des russischen Senats, Valentina Matviyenko, trifft mit dem Vizepräsidenten von Venezuela, Delcy Rodríguez, zusammen und garantiert ihr die gesamte Unterstützung Moskaus gegen eine militärische Intervention der Vereinigten Staaten.“
Russia Today schreibt hierzu: „Die Quellen berichteten dem Blatt, dass Moskau bestrebt sei, eine semi-permanente Basis für die russische Langstreckenluftfahrt auf einer der venezolanischen Inseln in der Karibik zu errichten, während es sich auf die ‘langfristige militärische Präsenz’ im ‘Hinterhof’ der USA vorbereite. Die Basis sollte angeblich auf der Karibikinsel Orchila, etwa 160 Kilometer von der venezolanischen Hauptstadt Caracas entfernt, errichtet werden. Die Insel beherbergt einen venezolanischen Flugplatz sowie eine Marinebasis und wurde bereits vor zehn Jahren vom russischen Militär besucht. Der verstorbene venezolanische Staatschef Hugo Chávez habe Russland bereits 2008 angeboten, dort eine Luftwaffenbasis einzurichten.“
Mit andern Worten: Gerade erlebt die USA, wie ein neues „Super-Kuba“ direkt vor Ihrer Haustür entsteht.
In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich, einen Blick rückwärts in die jüngere Geschichte zu werfen und unter dem Stichwort „Kubakrise“ nachzulesen, wie nahe die Welt an einem atomaren Dritten Weltkrieg vorbeigeschrammt ist, als die UdSSR auf der sozialistischen, befreundeten Insel Kuba sowjetische Mittelstreckenraketen stationieren wollte, nachdem die NATO in der Türkei amerikanische Jupiter-Mittelstreckenraketen gegen die UdSSR stationiert hatte.
Ein Blick auf diese Karte offenbart, dass ein russischer Stützpunkt auf der Insel La Orchila (der gelbe Punkt auf der Karte) eine zweite Kubakrise wäre. Die heutigen hochmodernen, russischen Überschall-Bomber mit heutigen Missiles wären mindestens genauso schnell über US-Gebiet, wie damals die weit weniger effizienten kubanischen Mittelstreckenraketen, und Washington zu erreichen wäre ein Kinderspiel:
Erschwerend kommt hinzu, dass die Amerikaner es in Venezuela nicht nur mit den Russen zu tun haben werden. Auch der freundliche Chinese von nebenan hat schon längst begriffen, dass sich hier Chancen bieten. Und so tauchten schon Anfang April 2019 jede Menge Chinesen in Venezuela auf. Natürlich nur, um humanitäre Hilfe zu bringen:
Sofort nach Eintreffen der Russen und zusammen mit den 65 Tonnen Medikamenten und anderen Hilfsgütern kamen auch eine Menge lächelnder Herren aus dem Reich der Mitte in etwas untypischer Sanitäterkleidung. Hier in trauter Kameradschaft beieinander: Chinesische PLA-Militärs zusammen mit der venezolanischen FANB-Militärs am Freitag, den 29. März 2019. Hat davon jemand in Deutschen Mainstreammedien gelesen oder gehört? Nein? (Bild: Screenshot Webseite AMN)
Nun, es dürfte aus den vorausgegangenen Ausführungen ersichtlich geworden sein, dass einerseits Präsident Maduro sich seiner Position recht sicher ist, denn er hat Freunde, bei denen sich die USA vielleicht doch lieber zweimal überlegen, ob sie dieses Fass öffnen wollen. Andererseits erschließt sich aus genau diesem Grund auch, dass es für die USA inakzeptabel ist, diese Entwicklung weiter laufen zu lassen. Das hieße für die USA nichts anderes, als zuzuschauen, wie Russland und China direkt in ihrem Vorgarten in aller Ruhe eine Angriffsposition einrichten. Das würde nicht nur die USA praktisch verteidigungslos machen, es würde auch in Lateinamerika die sowieso schon breite Phalanx gegen die USA enorm beflügeln. Und die USA haben Lateinamerika schon immer als ihren Hinterhof betrachtet. Es bleibt den Amerikanern eigentlich nichts anderes, als sich auf den Showdown in Venezuela einzulassen. Nachdem die amerikanische „Mission“ in Syrien fulminant danebengegangen ist und Bashar al Assad, der Erzbösewicht, noch immer breit grinsend auf seinem Präsidentenstuhl in Syrien sitzt, können sich die USA nicht noch einen weiteren, epochalen Flop leisten.
Bedeutet: Der rechtmäßig gewählte Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, der sozialistische Russen und Chinesenfreund, muss weg und zwar schnell. Und wenn die USA nicht ihr Gesicht verlieren will, muss jetzt ein sauberer „Régimechange“ in Venezuela durchgezogen werden. Das Ganze muss natürlich demokratisch und humanitär verbrämt werden, wie es der Westen ja immer macht, und darin hat man seit vielen Jahrzehnten Übung.
Der Auswärtige Ausschuss des US-Senats hat daher einstimmig ein Gesetz gebilligt, das auf einen Sturz der Regierung des Präsidenten Maduro zielt. Einen schönen, menschenfreundlich klingenden Namen dafür gibt es auch schon: „Gesetz zu Venezuela für Nothilfe, Demokratieförderung und Entwicklung“ (Venezuela Emergency Relief, Democracy Assistance and Development Act). Der Gesetzesvorschlag stieß parteiübergreifend auf Zustimmung, sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten. Im April war der erste Entwurf dazu von Senator Bob Menendez (Demokratische Partei) eingereicht worden. Diese noble Initiative sei “die bisher umfangreichste Anstrengung zur Bewältigung der Krise” in Venezuela, lobte Menendez sich selbst nach der positiv verlaufenen Abstimmung.
Jetzt muss der Senat das Gesetz noch annehmen, und dann muss es im Anschluss vom Repräsentantenhaus gebilligt werden. Man darf davon ausgehen, dass dies zügig geschehen wird.
Im dazugehörigen Text wird der anzuzettelnde Bürgerkrieg in Venezuela schon einmal kräftig mit Vorschusslorbeeren versehen. Man strebe einen “Beitrag der US-Politik zu einer friedlichen, demokratischen Lösung” in Venezuela an, was natürlich – Überraschung! — darin besteht, den in Venezuela als Verräter und amerikanische Marionette unbeliebten Juan Guaidó an die Macht zu putschen. Die Unruhen, den Terror und den dadurch entfachten Mord und Totschlag umschreibt das Gesetzespapier eloquent: Es solle mit „internationalen Partnern“ eine “Task Force” zur Koordinierung der dazu erforderlichen Aktivitäten geschaffen werden. Die Geheimdienste werden beauftragt, Berichte über “Dynamiken innerhalb der venezolanischen Sicherheitskräfte und des Maduro-Regimes” sowie der “Beteiligung von Regierungsmitgliedern an illegalen Aktivitäten” vorzulegen. Man könnte auch sagen, Armee und Polizei sollen ausspioniert, beeinflusst, abgeworben und aufgewiegelt werden gegen die Maduro-Regierung und Regierungsmitglieder bespitzelt werden, um sie zum Rücktritt oder zum Überlaufen zu zwingen. Zuckerbrot und Peitsche liegen schon bereit: Man will „Überläufer belohnen“. Wer Guaidó öffentlich anerkennt, soll von entsprechenden Strafmaßnahmen ausgenommen werden. Im Klartext: Man sucht nun bei allen Regierungsmitgliedern nach Kompromaten, um sie zum Seitenwechsel zu erpressen.
Ebenfalls im Gepäck beim Demokratisierungs-Gesetzesvorschlag: Eine Verschärfung von Sanktionen gegen Funktionäre, Staatsunternehmen, venezolanisches Gold und die Kryptowährung Petro. Wenig erstaunlich, wenn man bedenkt, wie tolerant die USA überall in der Welt auf Versuche reagiert, den Petrodollar zu unterlaufen.
Ebenfalls keine Überraschung: Der Zugriff auf Vermögenswerte des venezolanischen Staates soll erweitert und eine Strategie zu ihrer “Identifizierung, Blockierung und Wiederbeschaffung” entwickelt werden. „Wiederbeschaffung“ ist natürlich Unsinn, weil die Vermögenswerte ja den USA nicht gehört haben. Es ist eher eine kreative Beschreibung dafür, dass die USA – wie immer — die Ölindustrien und Staatsvermögen der Länder, in denen sie erfolgreich die Regierung deinstalliert haben, in ihre Gewalt bringen. So geschehen im Irak, in der Ukraine und Libyen.
Natürlich geht es, wie immer, um humanitärer Hilfe und den Schutz der venezolanischen Bevölkerung. Das US-Außenministerium wird daher beauftragt, eine Geberkonferenz zur “Bewältigung der humanitären Krise in Venezuela” einzuberufen. Will sagen: Die anderen Staaten sollen der USA ihren Régime Change in dem südamerikanischen Land finanzieren. US-Vertreter werden entsandt werden, um bei den Vereinten Nationen “die Bemühungen zu verstärken, Venezuelas Krise zu begegnen”(aka: Die UNO wird auf Linie gebracht und soll auch zahlen). Laut diesem neuen Gesetz werden nun für “humanitäre Hilfe” insgesamt 400 Millionen US-Dollar von den USA bereitgestellt. Das ist natürlich Taschengeld. Die gesamte Aktion dürfte unter‘m Strich ein paar Milliarden Dollar kosten, was, wie wir ja gerade erfahren haben, gerne von den befreundeten Staaten übernommen werden wird. Und die amerikanische Pharmaindustrie freut sich schon. Die kann nämlich auf Staatskosten für Hunderte von Millionen Medikamente nach Venezuela schieben, denn man hat ja vorgesorgt: Aufgrund von Artikel 205 sind humanitäre Hilfe, Lebensmittel und Medikamente der USA von den Sanktionen, die die USA aber gegen alle anderen verhängt, ausgenommen.
Das Gesetz sieht für die „Demokratieförderung“ in Venezuela 10 Millionen $ vor, davon 500.000 $ für die Durchführung der „Aktivitäten“ durch die eine „glaubwürdige , internationale Beobachtung“ geleistet wird, die zu freien, fairen und transparenten, demokratischen Wahlprozessen in Venezuela beiträgt“. Überdies 9.500.000 für weitere „Aktivitäten“.
Im Kapitel 5 des noch endgültigen zu verabschiedenden Gesetzes werden die Modalitäten eines “Wiederaufbaus der venezolanischen Wirtschaft und Energieinfrastruktur” umrissen. Natürlich: Wenn die USA mit Hilfe ihres Satrapen Juan Guaidó die venezolanischen Öl- und Gas-Gesellschaften an sich gebracht haben, muss die venezolanischen Bevölkerung anschließend das amerikanische Öl und Gas kaufen. Und damit die Auslagen für den Raubzug auch wieder hereinkommen, müssen die Preise erst einmal erhöht werden. US-Präsident Donald Trump hat den noblen Auftrag, zusammen mit dem berühmt-berüchtigten Länder- und Völkerausbeuter IWF (Internationaler Währungsfonds) und „weiteren Wirtschaftsgremien“ (World Economic Forum?) Pläne für die Zeit “nach der Wiederherstellung der demokratischen Regierungsführung” zu entwickeln und umzusetzen.
Admiral Craig S. Faller ist Oberkommandierender des US-Südkommandos. Er sieht die Möglichkeiten zum Sturz Präsident Maduros sehr optimistisch: „Jedwede Militäraktion könnte durchgeführt werden“, sagt er lapidar. Es ist fast schon sympathisch, mit welcher unverstellten Offenheit Admiral Faller zugibt, dass es sich eigentlich um einen militärischen Überfall der USA in Venezuela handelt, um dessen demokratisch gewählte Regierung zu stürzen. Admiral Faller bestätigt sogar auf Nachfrage, dass es Pläne für eine Militärintervention der USA in Venezuela gibt. Das US-Südkommando bereite sich auf alles vor, betonte er. Dazu gehöre auch eine Militärintervention.