„Sieg der Demo­kratie“: Pro­teste der Gelb­westen lassen nach

Die Pro­teste der Gelb­westen sind ein gutes Bei­spiel dafür, wie Demo­kratie im Westen (nicht) funktioniert. 
Wir erinnern uns an die Vor­ge­schichte der Gelb­westen. Macron hat 2018 die Ver­mö­gens­steuer in Frank­reich abge­schafft. Um die Ver­luste für den Staats­haushalt zu kom­pen­sieren, plante er eine Erhöhung von Steuern und Abgaben für die breite Masse, unter anderem beim Benzin. Frank­reich hat aber für die „kleinen Leute“ ohnehin schon die höchsten Abgaben in Europa, und daher platzte den Fran­zosen der Kragen. Im November 2018 begannen daher die Pro­teste der Gelbwesten.
Umfragen bestä­tigten und bestä­tigen bis heute, dass die Fran­zosen die For­de­rungen der Gelb­westen, nämlich Ent­las­tungen für die arbei­tende Bevöl­kerung und Wie­der­ein­führung der Ver­mö­gens­steuer unter­stützen. Da wäre es doch demo­kra­tisch, diesen For­de­rungen nachzukommen.
Aber so funk­tio­niert die „west­liche Demo­kratie“ nicht. Das Volk ist aus Sicht der Regie­renden zu blöd, die Pro­bleme zu ver­stehen, daher muss man auf die For­de­rungen der Mehrheit nicht ein­gehen und lässt auch keine Volks­ent­scheide zu. Die Men­schen dürfen alle paar Jahre mal eine Partei wählen, jedoch nie über kon­krete Fragen ent­scheiden. Und was die gewählte Partei dann tat­sächlich umsetzt, weiß man bei Stimm­abgabe nie.
Macron bot den Fran­zosen ein paar Pla­cebos an, zum Bei­spiel die Ein­führung der neuen Steuern um ein halbes Jahr zu ver­schieben. Es gab reichlich Ver­suche der fran­zö­si­schen Regierung, die Pro­teste zu dis­kre­di­tieren. Mal beschul­digte man sie, den Kampf gegen den Terror zu behindern, weil sie Poli­zei­kräfte binden, mal wurden sie als Anti­se­miten beschimpft. Und natürlich wurde das Demons­tra­ti­ons­recht massiv ver­schärft, sogar gegen kri­tische Jour­na­listen wurde vor­ge­gangen.

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Nichts schien zu helfen, die Pro­teste gingen weiter.
Dann begann Macron seinen „Bür­ger­dialog“ und kün­digte anschließend einige Reförmchen an, wie der Spiegel vor zwei Wochen schrieb:
„Dann kün­digte er an, wie er auf die Zukunfts­ängste und Sorgen der Fran­zosen reagieren will – mit vielen kleinen und einigen grö­ßeren Zuge­ständ­nissen: So plant Macron geringere Renten an die Inflation anzu­passen, allein­er­zie­hende Mütter finan­ziell besser zu stellen und die Ein­kom­men­steuer für mittlere und kleine Ein­kommen deutlich zu senken.“
Er bot ein paar Ent­las­tungen an, ohne jedoch an seiner Linie etwas zu ändern. Auch an der Stimmung im Lande änderte sich nichts, die Unter­stützung für die For­de­rungen der Gelb­westen blieb hoch.
Letztlich kann man die Reaktion auf die Pro­teste als „Aus­sitzen“ beschreiben. Macron bot einer­seits ein paar Pla­cebos an und ging gleich­zeitig mit Poli­zei­gewalt und ver­schärftem Demons­tra­ti­ons­recht gegen die Demons­tranten vor.
Das ist das aktuelle Demo­kra­tie­ver­ständnis im Westen, frei nach dem Motto „Ihr dürft ja demons­trieren“, nur ändern tut sich dadurch nichts. Und auch Wahlen ändern an der gene­rellen Linie der Politik wenig.
Trotzdem sitzt die Regierung am län­geren Hebel. Sie muss nur warten, bis der Schwung der Demons­tranten nach­lässt. Irgendwann sind die einen müde und die anderen ver­ängstigt. In Frank­reich scheint genau das nun zu pas­sieren, denn in den letzten Wochen gingen die Zahlen der Demons­tranten stark zurück. Auch wenn die offi­zi­ellen Teil­neh­mer­zahlen geschönt sein dürften, am Samstag meldete das offi­zielle Paris ca. 20.000 Demons­tranten lan­desweit, die Zahlen sind rück­läufig. Die Orga­ni­sa­toren mel­deten eben­falls einen Nega­tiv­rekord von ca. 40.000 Demons­tranten lan­desweit.
Wie schein­heilig dabei die west­lichen Regie­rungen vor­gehen, wird deutich, wenn man einmal in andere Länder schaut. Als 2014 in der Ukraine einige Zehn­tausend ein paar Wochen auf dem zen­tralen Platz in Kiew demons­triert haben, war die Empörung im Westen groß. Man for­derte nicht bloß, ihre For­de­rungen zu erfüllen, man for­derte im Westen gleich einen Regie­rungs­wechsel. Und auch heute können wir die west­liche Dop­pel­moral in Vene­zuela bewundern, wo ein selbst­er­nannter Prä­sident nur wenige Tausend Anhänger mobi­li­sieren kann, aber der Westen trotzdem den Rück­tritt des gewählten Prä­si­denten fordert.
Sowohl in Vene­zuela heute als auch in der Ukraine 2014 war die Zahl der Demons­tranten und auch die Dauer der Pro­teste weit geringer als aktuell in Frank­reich. Aber den For­de­rungen der Demons­tranten nach­zu­kommen, fordert der Westen nur in anderen Ländern, nie bei sich selbst.
Die Pro­teste der Gelb­westen werden sich wohl dem­nächst tot­laufen und die Demo­kratie hat wieder gesiegt…
 

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“