Vera Lengsfeld: Die CDU sitzt in der Merkel-Falle

Der gestrige Tag hat das befürch­tetete Desaster der Uni­ons­par­teien klar bestätigt; mit gerade 28% erzielten sie das schlech­teste Wahl­er­gebnis aller Zeiten. Sogar die bis­herige Tiefst­marke von 31% von 1949 wurde noch unterboten.
Das Ver­hängnis hat einen Namen: Angela Merkel.
Niemand weiß besser, als die Kanz­lerin selbst, dass ihre Politik gescheitert ist. Deshalb hat sie bereits ihren Par­tei­vorsitz abge­geben, damit ihrer Nach­fol­gerin die Blamage der Euro­pawahl ange­heftet wird. Merkels schein­barer Kri­tiker und heim­licher treu­ester Ver­bün­deter Wolfgang Bosbach, der 2015 den ein­zigen Antrag von etwa 70 Bun­des­tags­ab­ge­ord­neten der Union gegen Merkels Grenz­öffnung zu Fall gebracht hat, hat schon Tage vor der Wahl seine Kritik an Annegret Kramp-Kar­ren­bauer den Medien zu Pro­tokoll gegeben. Weitere Merkel-Ver­traute werden folgen, um von der eigent­lichen Ver­ur­sa­cherin der Unions-Misere abzu­lenken. Für die CDU wird es über­le­bens­wichtig, ob sie sich endlich ein­ge­steht, dass sie von Merkel ihrer eigent­lichen Inhalte beraubt und auf eine stramm grün-linken Kurs geführt wurde.
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Natürlich gehören immer zwei dazu; einer, der in die Irre leitet und einer, der sich in die Irre leiten lässt. Die CDU hat sich nur zu willig gezeigt. Das lag auch an ihrer ekla­tanten Per­so­nal­schwäche. Merkels Kon­tra­henten, die Jung­männer vom soge­nannten Andenpakt, deren süd­ame­ri­ka­nische Höhen­träume an ihrer eigenen Schwäche schei­terten, sind namentlich kaum noch in Erin­nerung. Es lohnt sich auch nicht, sie aus der Ver­ges­senheit zu holen. Der wieder als Hoff­nungs­träger gehan­delte Friedrich Merz will zum Jagen getragen werden, statt selbst um die Position zu kämpfen, die ihm seiner Meinung nach zusteht. Von einem Men­schen mit solch einem Egotrip ist jeden­falls keine Erneuerung zu erwarten.
Merkels unauf­halt­samer Auf­stieg, erst zur CDU-Spitze, dann ins Kanz­leramt war möglich, weil es keine Alter­na­tiven zu ihr gab. Nur deshalb konnte sie ihr erstes Wahl­de­bakel als Spit­zen­kan­di­datin 2005 über­leben. Damals fuhr sie mit 35,2% das schlech­teste Wahl­er­gebnis für die Union seit Gründung der Bun­des­re­publik ein. Am Wahl­abend brauchte sie etwa eine Drei­vier­tel­stunde, um nach Ver­kündung der ersten Hoch­rechnung vor die Kameras zu treten. Dass sie dennoch eine Regierung bilden konnte, lag vor allem am Macho-Gehabe des schei­denden Bun­des­kanzlers Schröder, der so unklug war, Merkel im Fern­sehen zu beschei­nigen, dass sie keine Regierung würde bilden können. Nach diesem Akt der Selbst­ent­machtung war der Weg für Merkel frei.
Mit der ersten Großen Koalition ent­wi­ckelte Merkel ihren cha­rak­te­ris­ti­schen Poli­tikstil. Die Regie­rungs­be­tei­ligung der SPD hatte sie sich mit wei­test­ge­henden Zuge­ständ­nissen an den Koali­ti­ons­partner erkauft. Keines der großen Pro­jekte: Steu­er­reform, Gesund­heits­reform, Ren­ten­reform, mit denen sich Merkel poli­tisch pro­fi­liert hatte, fand auch nur ansatz­weise Eingang in den Koali­ti­ons­vertrag. Selbst Posi­tionen, die sie pro­blemlos hätte halten können, wie die Frage nach dem Ver­bands­kla­ge­recht, das uns heute schwer zu schaffen macht, weil es Ver­einen wie der Deut­schen Umwelt­hilfe die Mög­lichkeit gibt, für Fahr­verbote zu klagen, räumte Merkel ohne Not.
Zur Erin­nerung: Im Wahl­kampf 2005 hatte Merkel ver­si­chert, es würde mit ihr nur eine Umsetzung der EU-Richt­linie 1:1 geben, im Gegensatz zur SPD, die eine Aus­weitung der EU-Vorlage wollte. Im Koali­ti­ons­vertrag stand dann sogar ein Ver­bands­kla­ge­recht, das weit über die Vor­stel­lungen der SPD hin­ausging. Nur dank der ein­zigen Rebellion, die es in der Uni­ons­fraktion je gegen die Kanz­lerin gab, wurde das Vor­haben abge­mildert. Aber wichtig ist dieses Bei­spiel, weil es zeigt, dass es Merkel nie um Inhalte ging, sondern nur um Macht.
Die erste Große Koalition war die Umsetzung sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Politik. Der Union wurde das schmackhaft gemacht mit der Formel, man würde die Themen der Sozi­al­de­mo­kraten besetzen. Irgendwie schien das zu klappen, denn die Sozis konnten nicht davon pro­fi­tieren, dass ihre Vor­stel­lungen das Regie­rungs­handeln bestimmten. Sie befinden sich seit 2005 im kon­ti­nu­ier­lichen Fall. Aber auch die CDU-Wäh­ler­schaft gou­tierte die Politik der Kanz­lerin nicht so recht. Im Jahr 2009 unterbot Merkel mit 33,8% das schlech­teste Unions-Wahl­er­gebnis aller Zeiten noch einmal.
Dank des über­ra­genden Ergeb­nisses der FDP konnte sie dennoch weiter regieren, wenn auch nicht mit ihrem Wunsch­partner, wie die Medien damals meinten, sondern mit den unge­liebten Libe­ralen. Wieder ver­dankt Merkel ihr Über­leben der ekla­tanten Schwäche eines Mannes. Diesmal war es der FDP-Vor­sit­zende Guido Wes­ter­welle, der mit Merkel die Politik der GroKo im Wesent­lichen fort­führte, wofür die FDP 2013 ver­dient aus dem Bun­destag flog.
Gewin­nerin dieser Wahl war Merkel, die 41,5% holte. Erstmals erschien ihr Poli­tikstil als Erfolgs­modell. Wie sich her­aus­stellte, war es ein Scheinsieg, denn von da an ging es nur noch bergab.
Nach den sozi­al­de­mo­kra­ti­schen übernahm Merkel auch die grünen Themen, um für die Öko­partei koali­ti­ons­fähig zu werden. Beschleu­nigter Atom­aus­stieg, Ener­gie­wende, nun auch Braun­koh­len­aus­stieg sind die Weg­marken dieses Pro­zesses. Anfangs machte das den grünen Pro­bleme, aber nun sind sie die strah­lenden Pro­fi­teure der Mer­kel­schen Politik. Keines dieser drei Pro­jekte hätten die Grünen selbst durch­setzen können. Das ging nur dank Union.
Inner­par­teilich gab es immer Wider­spruch gegen Merkels Linie, aber der wurde von Anfang an rigoros bekämpft. In Merkels CDU wurde nicht dis­ku­tiert, sondern auf Linie gebracht. Anders­den­kende wurden aus­ge­grenzt und ver­schwanden in der Ver­senkung. Inzwi­schen ist das die poli­tische Unkultur im ganzen Land. Das erschre­ckenste Ergebnis Mer­kel­scher Politik ist, dass laut Allensbach 82% der Bevöl­kerung meint, dass kon­tro­verse Themen nicht mehr öffentlich ange­sprochen werden können – aus Furcht vor Sank­tionen. Das ist ein alar­mie­render Befund, denn ohne Mei­nungs­freiheit und offene Dis­kussion gibt es keine Demokratie.
Wo es keine Sach­dis­kus­sionen mehr gibt, haben Influ­enzier-Kam­pagnen, wie die mit Rezo einen unheil­vollen Ein­fluss. In der Unfä­higkeit der CDU, diese Kam­pagne als das zu ent­larven, was sie war – eine pro­fes­sionell gesteuerte Werbung für die Grünen und die Linken, kri­tiklos befördert und gestützt von den Main­stream-Medien – zeigt sich das Dilemma, in das die Union, einst Garant für das Erfolgs­modell Bun­des­re­publik, von Merkel manö­vriert wurde. Dem Vorwurf, grüne Politik nicht mit aller Kon­se­quenz durch­zu­setzen, hat sie nichts zu ent­gegnen. So lange die Partei auf dem Kli­mazug sitzt, wird sie von Verlust zu Verlust fahren. Kramp-Kar­ren­bauers hilflose Reaktion auf das Wahl­de­saster ist dafür Beweis.
Einige Stimmen behaupten, diese Wahl wäre vor allem ein Sieg der Pro­pa­ganda-Medien gewesen, die mit dem Greta- und dann dem Rezo-Hype dafür gesorgt haben, dass die wirklich wich­tigen Themen und Pro­bleme unseres Landes kaum noch wahr­ge­nommen wurden. Das ist zwar richtig, dieser Pro­pa­ganda-Effekt war aber nur möglich, weil die ehemals bür­ger­lichen Par­teien Union und FDP als Kor­rektiv aus­ge­fallen sind und die AfD, die im Wesent­lichen das Pro­gramm der CDU von 2002 ver­tritt, als Nazi-Partei ver­teufelt wird, auch von der Union, die damit ihre eigenen Posi­tionen ver­un­glimpft. Da ist es nicht wirklich ver­wun­derlich, dass man keine Argu­mente gegen ein Werbe-Produkt wie Rezo hat. Wundert sich Paul Ziemiak wirklich, dass Rezo seiner Ein­ladung zu einem Gespräch nicht nach­kommt? Er war doch nur der Schau­spieler und müsste mit seinen Regis­seuren anrücken. Das wäre nicht gut für sein Image. Nicht gut für das Image von Ziemiak ist, dass er mit dieser Ein­ladung die Legende, es handle sich bei rezo um einen zor­nigen jungen Mann, der seinem Herzen Luft machen musste, unnötig zementiert.
Statt mit Kunst­pro­dukten zu sprechen sollte sich Paul Ziemiak statt­dessen das Video eines authen­ti­schen jungen Mannes gegen Rezo anschauen. Da könnte er sehen, wie man argu­men­tieren kann und dabei gleich lernen, wohin sich die CDU bewegen muss, wenn sie wieder Glaub­wür­digkeit erlangen will.
Zusätzlich wäre ein Blick in Richtung Wer­te­union hilf­reich, der am 25.03.2017 gegründete bun­des­weite Zusam­men­schluss kon­ser­va­tiver Initia­tiven innerhalb der Union, die als bisher einzige Ver­ei­nigung der Union den Finger in die wunde legt. In einer Pres­ser­klärung zur Euro­pawahl fordert die Wer­te­union eine Umbildung des Kabinetts.
Ein Poli­tik­wechsel sei ins­be­sondere in der Ein­wan­de­rungs­po­litik, der Wirt­schaft- und Finanz­po­litik, aber auch in der Sozial- und Umwelt­po­litik erforderlich.
„Wir brauchen jetzt einen ehr­lichen Blick auf die Ursachen, sprich die Ver­säum­nisse der letzten Jahre und ent­spre­chende Konsequenzen.
Ein ein­faches “weiter so” darf es nicht geben, sonst drohen unserem Land irrever­sible Schäden und der Union weitere emp­find­liche Wahlniederlagen.
Sollten sich die Bun­des­kanz­lerin und/oder der Koali­ti­ons­partner SPD gegen diese dringend not­wen­digen Ver­än­de­rungen stellen, muss sich die Union ernst­hafte Gedanken über das baldige Ende der Kanz­ler­schaft von Angela Merkel und der GroKo machen.“
Je eher sich die Union sich dazu ent­schließt, desto besser für Deutschland. Sollte sie zu feige sein, hat sie das Ver­trauen end­gültig verspielt.

Vera Lengsfeld — Erst­ver­öf­fent­li­chung auf dem Blog der Autorin www.vera-lengsfeld.de