Wer sind die Armen in Deutschland?

Dieser Beitrag erschien erstmals im Juni 2016 bei bto und ist ange­sichts der Dis­kussion von heute Morgen sehr passend. 
Laut­stark wird die zuneh­mende Ungleich­ver­teilung von Ver­mögen und Ein­kommen in Deutschland beklagt. Trotz mas­siver Mängel in der Studie des DIW (in Wirk­lichkeit ist die Pro­ble­matik viel kleiner) greifen Medien und Politik das Thema begeistert auf. Endlich kann man zugunsten der Armen mehr umver­teilen (in Wirk­lichkeit pro­fi­tieren jedoch nur die Umver­tei­lungs­bü­ro­kratie und die Poli­tiker, die damit noch mehr an Ein­fluss gewinnen). Doch wer sind eigentlich die Armen in Deutschland? Für welche Bevöl­ke­rungs­gruppe wird mehr Umver­teilung und Soli­da­rität gefordert, gerade auch ange­sichts des Umstandes, dass immer mehr Kinder von Hartz IV leben?
Macht­beben von Dirk Mueller

Nun, laut F.A.Z. sind es vor allem Zuwan­derer. Das erstaunt, wird doch von den­selben Medien immer wieder der wirt­schaft­liche Nutzen der Zuwan­derung betont, basierend auf feh­ler­haften Studien des DIW. Die hier lebenden Zuwan­derer stellen jeden­falls die Haupt­gruppe der Armen:
  • „Etwa ein Sechstel der in Deutschland lebenden Men­schen gilt als armuts­ge­fährdet, weil ihr Ein­kommen weniger als 60 Prozent des gesell­schaft­lichen Mit­tel­werts beträgt. Nach Messung des Sta­tis­ti­schen Bun­desamts beträgt die Armuts­ri­si­ko­quote derzeit im Durch­schnitt 15,4 Prozent.“
  • „Beim näheren Blick zeigt sich, dass die Kluft zwi­schen Arm und Reich nicht nur ein Gegensatz zwi­schen unten und oben ist, sondern auch einer zwi­schen Men­schen mit und ohne Migrationshintergrund.“
  • „Besonders groß ist der Unter­schied zwi­schen Men­schen mit tür­ki­schen Wurzeln und der übrigen Bevöl­kerung.Stelter: Das hat übrigens das DIW in einer anderen Studie bestätigt. So ver­dienen Men­schen aus der Türkei und ara­bi­schen Ländern deutlich weniger als die Zuwan­derer aus anderen Regionen.
  • „Schon für die Gesamt­gruppe der Migranten und ihrer Nach­kommen, zusammen 16,4 Mil­lionen Men­schen, weist der Report eine beacht­liche Armuts­ri­si­ko­quote von 24 Prozent der Erwach­senen aus. Unter den 2,9 Mil­lionen Ein­wohnern mit tür­ki­schen Wurzeln ist der Anteil aber noch deutlich höher: 36 Prozent.“ – Stelter: Zuwan­derer sollten einen Beitrag zum Wohl­stand leisten.
  • „Während ein deut­scher Durch­schnitts­haushalt aus 1,9 Per­sonen besteht und auf 59 Qua­drat­metern pro Kopf lebt, bestehen tür­kische Haus­halte im Durch­schnitt aus 3,2 Per­sonen mit einer Wohn­fläche von 32 Qua­drat­metern pro Kopf.“
  • „Eine Erklärung für karge Lebens­ver­hält­nisse vieler Türken liefert indes auch das Bil­dungs­niveau – und zwar nicht nur das der ersten Ein­wan­de­rer­ge­neration, die einst als Gast­ar­beiter kamen, sondern auch ihrer hier gebo­renen Nach­kommen. Unter den heute 17- bis 45-Jäh­rigen mit tür­ki­schen Wurzeln haben 40 Prozent höchstens die Haupt­schule abge­schlossen; 51 Prozent haben nach der Schulzeit keinen Berufs­ab­schluss erreicht.“
  • Nur 17 Prozent der Frauen und 56 Prozent der Männer tür­ki­scher Her­kunft arbeiten Vollzeit, zugleich sind viele als Hilfs­ar­beiter tätig. Im Durch­schnitt aller Migranten arbeiten 27 Prozent der Frauen und 67 Prozent der Männer Vollzeit; unter den übrigen Bürgern sind es 37 Prozent der Frauen und 70 Prozent der Männer.“
  • „Den Befra­gungen zufolge leiden Bürger mit tür­ki­schen Wurzeln vor allem in der zweiten Lebens­hälfte weit häu­figer unter Schmerzen als der Durch­schnitt der Bevöl­kerung. Zudem zeigt die amt­liche Sta­tistik, die nicht nach Natio­na­li­täten auf­schlüsselt, dass Migranten in der zweiten Lebens­hälfte über­durch­schnittlich oft ver­letzt oder krank sind.“ – Stelter: Damit steigen auch die Gesundheitsausgaben.
  • „Würden allein die 2,9 Mil­lionen tür­kisch­stäm­migen Ein­wohner ähn­liche Lebens­ver­hält­nisse erreichen wie der Durch­schnitt der übrigen 78 Mil­lionen Ein­wohner, dann ver­rin­gerte sich schon dadurch die all­ge­meine Quote um etwa einen drei­viertel Pro­zent­punkt. Das ent­spräche einem Rückgang der sta­tis­tisch gemes­senen Armut auf das Niveau des Jahres 2005.“

Dabei ist diese Erkenntnis nicht nur mit Blick auf die Türken inter­essant, sondern auch mit Blick auf die Flücht­lings­welle wie die WiWo berichtet: Die kul­tu­relle Nähe oder Distanz spielt eine ent­schei­dende Rolle. Je größer diese Distanz der Zuge­wan­derten oder deren Nach­kommen zur Mehr­heits­ge­sell­schaft ist, desto größer sind im Schnitt auch deren Schwie­rig­keiten auf dem Arbeits­markt. ‚In allen euro­päi­schen Ländern liegen mus­li­mische Immi­granten bei fast allen Merk­malen der Inte­gration hinter allen anderen Ein­wan­de­rer­gruppen. Das gilt für den Arbeits­markt, aber auch für Bil­dungs­er­geb­nisse, für inter­eth­nische Kon­takte, also solche mit der hei­mi­schen Bevöl­kerung und die Iden­ti­fi­kation mit dem Wohnland‘, sagte Koopmans. Kul­tu­relle Assi­mi­la­ti­ons­be­reit­schaft, so kurz gefasst seine These, ist die beste Vor­aus­setzung für eine gelin­gende Integration.“
„Koopmans wurde lange von der Migra­ti­ons­for­schung in Deutschland und erst recht von den poli­ti­schen Akteuren igno­riert oder gar ange­feindet. Seine Ergeb­nisse sind schließlich unbequem für Poli­tiker, da sie keine kon­flikt­freien Lösungen durch büro­kra­tische Akte des Staates nahe­legen. Kultur und reli­giöse Praxis von Men­schen sind in einem freien Land dem direkten Zugriff des Staates schließlich mit gutem Grund entzogen.“
Womit wir wieder bei der Kern­aussage wären: Es geht nicht um Umver­teilung, sondern um Bildung, Inves­tition und Steuerung der Zuwan­derung. Was nutzt uns Zuwan­derung, die den Anteil der Armen erhöht, die dann per Umver­teilung ali­men­tiert werden?
F.A.Z.: „Viele Türken in Deutschland sind arm“, 19. Mai 2016
WiWo.de: „Warum viele Türken weniger inte­griert sind als andere Gruppen“, 3. Juni 2016


Dr. Daniel Stelter – www.think-beyondtheobvious.com