Ver­tu­schungen beim Ver­fas­sungs­schutz: Der Mord an Walter Lübcke und die Ver­bin­dungen zum NSU-Skandal

Stephan E., der Mörder von Walter Lübcke, hatte Ver­bin­dungen zur NSU und der Ver­fas­sungs­schutz hat Stephan E. sei­nerzeit geschützt und sich geweigert, dem Unter­su­chungs­aus­schuss Fragen über ihn zu beantworten. 
Der NSU-Prozess hat viele Fragen nicht klären können. Die Unter­su­chungs­aus­schüsse auch nicht. Alle diese Fragen betreffen „Behör­den­ver­sagen“, vor allem beim Ver­fas­sungs­schutz. Aber bei all dem „Behör­den­ver­sagen“ wurde anschließend massiv ver­tuscht und vieles einfach als „geheim“ ein­ge­stuft und den Ermittlern nicht zur Ver­fügung gestellt.
Im Ergebnis sind Men­schen gestorben, aber die Schul­digen beim Ver­fas­sungs­schutz wurden weder ermittelt oder bestraft. Und auch Lübcke könnte wohl noch leben, sein Mörder geriet damals im Zuge des NSU-Skandals ins Visier des hes­si­schen Unter­su­chungs­aus­schusses, aber der Ver­fas­sungs­schutz stellte sich schützend vor ihn.
All das wollen wir hier mal ein wenig näher betrachten.
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Die wich­tigsten unge­klärten Fragen im NSU-Skandal hat der Stern nach dem Prozess auf­ge­listet. Wir wollen einige einmal näher anschauen.
Finan­zierte der Ver­fas­sungs­schutz die Neonazi-Szene, die die Ter­ro­risten her­vor­brachte?“ Die offi­ziell benannten NSU-Ter­ro­risten kamen aus einer Szene, in der 1/3 der Mit­glieder V‑Leute waren und Geld von Ver­fas­sungs­schutz bekamen.
Ver­ei­telte der Bran­den­burger Ver­fas­sungs­schutz die Fest­nahme des Trios?“ Der Bran­den­burger Ver­fas­sungs­schutz hat die Kripo bei der Arbeit behindert, weil ihm Quel­len­schutz wich­tiger war, war als poli­zei­liche Ermitt­lungen. Im Ergebnis blieb das NSU-Trio in Freiheit, dabei hätte es schon 1998 wegen ille­galem Waf­fen­besitz ver­haftet werden können. Statt­dessen kam es zu der Mord­serie. Der Stern schrieb in dem Artikel dazu:
„Ein Unter­su­chungs­aus­schuss im Bran­den­burger Landtag ver­sucht gerade zu klären, ob das stimmt. Doch in den Akten fehlen über 100 Kurz­nach­richten, die Szce­panski 1998 auf seinem Handy emp­fangen hat.“
Wie groß war der NSU wirklich?“ Der Stern beschreibt aus­führlich, wie die NSU gemäß der offi­zi­ellen Version in kurzer Zeit mehrere Morde in ganz Deutschland aus­führte und fragt:
„Waren die Ter­ro­risten wirklich nur zu Dritt? Sie mussten von Sachsen quer durch Deutschland fahren, Tatorte aus­suchen, Opfer aus­spio­nieren. Und das alles ohne fremde Hilfe? Während die Bun­des­an­walt­schaft davon ausgeht, dass der NSU eine iso­lierte Ter­ror­zelle aus drei Leuten war, haben die Unter­su­chungs­aus­schüsse im Bun­destag und in den Bun­des­ländern die Drei-Täter-Theorie immer wieder bezweifelt.“
Welche Rolle spielte der Ver­fas­sungs­schutz?“ Diese Frage hat nach dem Mord an Lübcke besondere Brisanz bekommen. Der Stern schrieb über Unge­reimt­heiten im Fall des NSU-Mordes in einem Inter­netcafé in Kassel. Bei dem Mord war Andreas Temme in dem Inter­netcafé, aber er will von dem Mord nichts mit­be­kommen und den Schuss nicht gehört haben. Brisant: Temme war zu dem Zeit­punkt beim Ver­fas­sungs­schutz und hat V‑Leute geführt.
Temme wurde später offi­ziell aus dem Ver­fas­sungs­schutz in eine andere Behörde ver­setzt. Und zwar aus­ge­rechnet in das Regie­rungs­prä­sidium Kassel, welches Walter Lübcke geleitet hat. Dort arbeitet Temme immer noch. Bis heute ist nicht geklärt, welche V‑Leute Temme geführt hat und ob mög­li­cher­weise Lübckes Mörder Stephan E. dazu gehört hat. Als der hes­sische Unter­su­chungs­aus­schuss sei­nerzeit dem Ver­fas­sungs­schutz dazu Fragen über­mittelt hat, blieben diese unbeantwortet.
Über den Mörder Stephan E. haben sich ehe­malige Mit­glieder des hes­si­schen Unter­su­chungs­aus­schusses nach dem Mord an Lübcke geäußert. Die an dem Unter­su­chungs­aus­schuss betei­ligte Poli­ti­kerin Janine Wissler sagte im ZDF:
„Ich finde man muss ins­be­sondere die Frage stellen: Ist das wirklich ein Ein­zel­täter, weil wir ja schon wissen, dass wir sehr ver­netzte Neonazi-Struk­turen auch haben. Gerade in Nord­hessen, das war ein wich­tiges Thema in diesem Unter­su­chungs­aus­schuss. Na ja, und uns war eben besagter Stephan E. auf­ge­fallen. Wir hatten 2015 explizit nach ihm gefragt. Wir haben das Lan­desamt für Ver­fas­sungs­schutz nach ihm gefragt. Und die Behörden gefragt, was sie über diesen Mann wissen. Und da haben wir leider keine Antwort bekommen.“
Ich habe hier nur einen kleinen Aus­schnitt der offenen Fragen auf­ge­listet, die der Stern gestellt hat und auch dessen Liste ist bei weitem nicht voll­ständig. Aber man sieht schon, dass die Rolle des Ver­fas­sungs­schutzes mehr als frag­würdig ist. Eine Frage des Stern ist daher auch noch interessant:
Warum schred­derte Lothar Lingen Akten?“ Der Stern schreibt dazu:
„Ein paar Tage, nachdem sich der NSU am 4. November 2011 selbst ent­tarnt hatte, ließ „Lothar Lingen“, lang­jäh­riger Refe­rats­leiter im Bun­desamt für Ver­fas­sungs­schutz, Akten von V‑Leuten, die für den Thü­ringer Ver­fas­sungs­schutz spit­zelten, schreddern. Lothar Lingen, der nicht wirklich so heißt, sondern als Ver­fas­sungs­schützer einen Tarn­namen trägt, wurde vom Bun­des­kri­mi­nalamt und dem Ober­staats­anwalt beim BGH ver­nommen. „Ver­nichtete Akten können nicht mehr geprüft werden“, gab er frei­mütig zu Pro­tokoll. Das Straf­ver­fahren gegen Lothar Lingen wegen der Ver­nichtung der Akten wurde ein­ge­stellt. „Wir konnten nicht fest­stellen, dass ein Vorsatz vorlag“, sagte der ermit­telnde Staats­anwalt. Warum Lothar Lingen die Akten ver­nichtet hat, bleibt sein Geheimnis.“
Aber das ist noch nicht alles. In Hessen wurden Akten zu dem Fall nicht geschreddert, sondern für volle 120 Jahre unter Ver­schluss gestellt. Auch die Ermittler und die Unter­su­chungs­aus­schüsse, die angeblich die Geheim­dienste kon­trol­lieren, haben keinen Zugang zu den Akten erhalten. Auf t‑online konnte man über diese Akten vor einem knappen Jahr lesen:
„Es geht um streng geheime Unter­lagen darüber, was der ihm Jahre lange unter­stellte Ver­fas­sungs­schutz zur extremen rechten Szene zusam­men­ge­tragen – und dabei igno­riert oder nicht ernst genommen hat.“
Am Mittwoch meldete der Focus, dass Poli­tiker nun erneut die Freigabe dieser Akten fordern:
„Ich ver­stehe nicht, warum das Land die Akten in Hessen für 120 Jahre als Ver­schluss­sache ein­ge­stuft hat“, kri­ti­sierte der frühere CSU-Obmann im NSU-Unter­su­chungs­sau­schuss die Geheim­haltung rund um das mys­te­riöse Ver­halten eines hes­si­schen Verfassungsschützers.“
Da der CSU-Poli­tiker dabei auf den Mord im Inter­netcafe anspielt, kann er mit dem „hes­si­schen Ver­fas­sungs­schützer“ nur Temme meinen. Aber der Focus geht darauf nicht wirklich näher ein. Im Focus wird auf Ver­bin­dungen von Stephan E. zu rechts­ra­di­kalen Orga­ni­sa­tionen hin­ge­wiesen, dass aber der frag­liche „hes­sische Ver­fas­sungs­schützer“ Temme heute im Regie­rungs­prä­sidium des ermor­deten Lübcke arbeitet, ver­schweigt der Focus.
Über­haupt: Die deutsche Presse ist erstaunlich handzahm im Fall der NSU und auch jetzt bei Lübcke. Die Sache stinkt ganz objektiv zu Himmel, aber nir­gendwo findet man die Zusam­men­hänge, die ich hier auf­ge­zeigt habe. Statt­dessen wird sogar davon abge­lenkt, indem nun die AfD mit Dreck beworfen wird. Es mag ja sogar sein, dass Äuße­rungen einiger AfD-Poli­tiker ein aggres­si­veres Klima geschaffen haben. Aber es waren nicht die AfD-Poli­tiker, die Akten zurück­halten, Akten geschreddert haben oder gar den Mörder Stephan E. vor den NSU-Unter­su­chungs­aus­schüssen geschützt haben. Das waren die Mit­ar­beiter des Ver­fas­sungs­schutzes und die Poli­tiker der eta­blierten Par­teien, die das haben durch­gehen lassen.
Diese Ablen­kungs­ma­növer der deut­schen Presse sieht man besonders anschaulich im Spiegel. Dort gab es heute einen Artikel mit der Über­schrift „Mordfall Lübcke – Stein­meier sieht Demo­kratie in Gefahr”. Und da habe ich schon gedacht, jetzt wird der Spiegel seinem frü­heren Ruf als „Nach­rich­ten­ma­gazin“ gerecht und erinnert an all die Unstim­mig­keiten und offenen Ver­tu­schungen der NSU-Affäre und stellt den Zusam­menhang zwi­schen Temme und Stephan E. her, den es ja aller Wahr­schein­lichkeit nach zu geben scheint. Zumindest wäre es die Aufgabe der Presse, danach zu fragen und wenn es keinen Zusam­menhang gibt, dann könnte man das ja in den für 120 Jahre weg­ge­schlos­senen Akten sehen und widerlegen.
Aber der Spiegel erwähnt all das mit keinem Wort. Statt­dessen wird Stein­meier zitiert:
„Ange­sichts der Ermordung des CDU-Poli­tikers Walter Lübcke hat Bun­des­prä­sident Frank-Walter Stein­meier in Kassel zur Unter­stützung von Poli­tikern und anderen Reprä­sen­tanten der deut­schen Demo­kratie auf­ge­rufen. ‘Es muss uns beschämen und darf uns auch nicht ruhen lassen, dass wir Walter Lübcke nicht schützen konnten’, sagte er.“
Da hat er Recht, nur hat er mit keinem Wort etwas dazu gesagt, wie einfach man Lübcke wahr­scheinlich hätte schützen können, indem man einfach den NSU-Skandal ohne Wenn und Aber auf­ge­klärt hätte.
Weiter zitiert der Spiegel:
“‘Die umfas­sende Auf­klärung des Ver­bre­chens hat nun oberste Prio­rität’“, sagte Stein­meier laut offi­zi­ellem Redentext.“
Wenn der Fall genauso „umfassend“ auf­ge­klärt wird, wie der NSU-Skandal, dann kann man sich teure Unter­su­chungs­aus­schüsse sparen. Solange die Geheim­dienste die Unter­lagen zurück­halten dürfen, wird es keine Auf­klärung geben. Aber hat eine Zeitung nach­drücklich und dau­erhaft Auf­klärung gefordert, hat das ein Poli­tiker ernsthaft? Nein, es gab hier und da mal Äuße­rungen und Mel­dungen, aber das Thema wurde schnell wieder fallen gelassen.
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Außerdem ist bekannt geworden, dass Lübcke auf einer Todes­liste des NSU stand. Und wenn wir uns an die Frage des Stern erinnern, ob die drei NSU-Ter­ro­risten wirklich allein gehandelt haben, dann bekommt diese Tat­sache eine besondere Brisanz. Und aus­ge­rechnet ein Mann, der schon beim NSU-Skandal in das Blickfeld der Ermittler geraten ist, aber vom Ver­fas­sungs­schutz gedeckt wurde, ist heute der Mörder von Lübcke.
Aber darüber schreibt der Spiegel kein Wort.
Wie aber soll die Politik die Geheim­dienste über­wachen, wenn diese selbst ent­scheiden können, welche Infor­ma­tionen sie an die Politik wei­ter­geben und welche Akten sie den Unter­su­chungs­aus­schüssen ver­weigern? All das tun sie völlig unge­straft. Man fragt sich, wer wen in Deutschland kon­trol­liert, die Politik die Geheim­dienste oder umgekehrt? 
Und es kommt ein sehr fades Déjà-vu hoch, wenn man an den Breit­scheid­platz und Anis Amri denkt. Auch dort hat der Ver­fas­sungs­schutz Infor­ma­tionen zurück­ge­halten und die Regierung hat das Par­lament zu V‑Leuten in Amris Umfeld belogen.
Was geht da vor in Deutschland?

Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Ost­europa in ver­schie­denen Ver­si­che­rungs- und Finanz­dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen in Ost­europa und Russland Vor­stands- und Auf­sichts­rats­po­si­tionen bekleidet, bevor er sich ent­schloss, sich als unab­hän­giger Unter­neh­mens­be­rater in seiner Wahl­heimat St. Petersburg nie­der­zu­lassen. Er lebt ins­gesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite  www.anti-spiegel.ru. Die Schwer­punkte seiner medi­en­kri­ti­schen Arbeit sind das (mediale) Russ­landbild in Deutschland, Kritik an der Bericht­erstattung west­licher Medien im All­ge­meinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vla­dimir Putin: Seht Ihr, was Ihr ange­richtet habt?“