Was Medien im Fall Lübcke ver­schweigen: „Zwei­fel­hafte“ DNA und feh­lendes Video

Der mut­maß­liche Mörder Stephan E. soll den Kas­seler Regie­rungs­prä­si­denten Walter Lübcke (CDU) getötet haben. Sicher­heits­be­hörden geben eine beweg­liche DNA-Spur als wich­tigsten Hinweis zum Täter an. „Schwaches Indiz, DNA-Spuren kann man insze­nieren“, kri­ti­siert Wolf Wetzel, inves­ti­ga­tiver Jour­nalist und Experte zum NSU-Fall, im Sputnik-Interview.
„Warum ver­suchte man so ver­zweifelt, erst den poli­ti­schen Zusam­menhang zu leugnen und aus diesem Mann einen Ein­zel­täter zu machen? Wenn doch seine Ver­bin­dungen zu rechten Netz­werken so evident sind.“ Das erklärte der inves­ti­gative Jour­nalist Wolf Wetzel im Sputnik-Interview. Ihn wundere es, dass bislang weder Behörden noch Medien die Video­über­wa­chung des Wohn­hauses vom ermor­deten Kas­seler Regie­rungs­prä­si­denten Walter Lübcke (CDU) im hes­si­schen Wolf­hagen-Istha thematisieren.
„Das Opfer war die dritt­höchste poli­tische Person in Hessen. Jour­na­listen, Poli­zei­beamte und Staats­an­wälte wissen, dass gewisse Sicher­heits­vor­keh­rungen für solche Per­sonen gelten. Warum sagt die Staats­an­walt­schaft nicht, was die Video­über­wa­chung ergeben hat? Warum fragen Jour­na­listen nicht nach, was mit der Video­über­wa­chung ist? Ich finde es sehr auf­fällig, dass bis heute darüber nicht wirklich gesprochen wird.“
Stammt DNA wirklich vom echten Täter?

Laut Jus­tiz­be­hörden und Medien weise eine am Tatort gefundene, beweg­liche DNA-Spur nach, dass Stephan E. der dringend Tat­ver­dächtige sei. Bei der DNA (in der Bio­logie auch DNS genannt) handelt es sich um mensch­liches Erbgut, das bei­spiels­weise in zurück­ge­las­senen Haaren, Haut­schuppen oder Speichel gefunden werden kann.

„Es kann doch nicht sein“, kom­men­tierte Wetzel, „dass eine beweg­liche DNA-Spur aus­reicht, um jemand des Mordes zu bezich­tigen. Wie die DNA dorthin gekommen ist, ist völlig offen. Bis hin zu der Mög­lichkeit, dass man eine DNA-Spur legt, um von anderen Tätern abzu­lenken. Bei einem Mord­vorwurf muss man darauf bestehen nach­zu­fragen: Ist dies das einzige Indiz? Falls ja, ist es ein äußerst schwaches Indiz. Wenn es andere Indizien gibt, muss man fragen: Warum werden diese nicht öffentlich gemacht?

Was die DNA-Spuren angehe, sieht der NSU-Experte Par­al­lelen zum NSU-Mord an einer Poli­zistin in Heil­bronn. Wetzel rechnet mit einer „schwachen Auf­klärung“ von Behör­den­seite im Fall Lübcke, wie dies auch schon beim NSU-Komplex der Fall war. Zudem gebe es per­so­nelle und orga­ni­sa­to­rische Ver­flech­tungen rechts­extremer Netz­werke zum mut­maß­lichen Täter Stephan E. Außerdem soll E. vor drei Jahren auch dem AfD-Lan­des­verband in Thü­ringen eine Wahl­kampf-Spende zukommen lassen haben. Das berichtet die „taz“.
„Stephan E. war in rechten Gruppen aktiv“
„Das wird ein zweites Desaster“, sagte Wetzel für die lau­fenden Ermitt­lungen voraus. „Der Zufall will es, dass dieses Mord­ge­schehen nach Kassel zurück­kommt. 2006 war der letzte Mord in Kassel, der dem NSU zuge­schrieben wurde.“ Zum dama­ligen Zeit­punkt habe sich der Mit­ar­beiter des Ver­fas­sungs­schutzes, Andreas Temme (auch „Klein-Adolf“ genannt), in einem Kas­seler Internet-Café auf­ge­halten. Das war der Tatort. „Temme hatte einen Nazi als V‑Mann geführt, der heute wieder eine Rolle spielt. Nämlich Ben­jamin G.“

Ben­jamin G. und Stephan E. waren laut ihm in „den­selben poli­ti­schen Zusam­men­hängen aktiv.“ Beide seien in rechten Grup­pie­rungen in Hessen äußerst aktiv gewesen. „Es geht um all die Struk­turen, die der Ver­fas­sungs­schutz bis heute als pro­funde und terror-affine Grup­pie­rungen leugnet. Um ‚Blood & Honour‘, um ‚Combat 18‘ und um ‚Freie Kame­rad­schaften‘, die eng mit dem NSU koope­riert haben. Die span­nende Frage ist: Wenn man ermittelt, wird man in diesen Struk­turen auch auf V‑Leute stoßen. Haben diese vorab etwas gewusst? Der Ver­fas­sungs­schutz hat mit großer Wahr­schein­lichkeit sehr viel über Stephan E. gewusst. Er war mehrfach vor­ge­straft und wurde von den Behörden als gewalt­be­reiter Neonazi geführt. Hat der Ver­fas­sungs­schutz etwas von der Tat gewusst und es nicht ver­hindert? Diese Fragen stehen im Raum.“

Jour­nalist Wetzel hat für die „Nach­Denk­Seiten“ aktuell in dem Beitrag „Mordfall Lübcke – NSU 2.0?“ geschrieben: „Wer sich die Ermittlungs(un-)tätigkeit in der Mord­serie in Erin­nerung ruft (…), der kann die Wut nach­voll­ziehen, die hoch­kommt, wenn man den Mordfall Lübcke bis heute verfolgt.“
Ver­nichtete Hessens Ver­fas­sungs­schutz Akten?
Dass die Behörden bis heute im Fall Lübcke keine gute Figur abgeben, machen aktuelle Mel­dungen deutlich. Zunächst meldete die „Hes­sen­schau“, Hessens Ver­fas­sungs­schützer „ent­fernten die Akte des Rechts­extremen Stephan E. aus ihrem Infor­ma­ti­ons­system“. Dar­aufhin teilte das hes­sische Innen­mi­nis­terium mit, es seien „keine Akten geschreddert“ worden. Die „Daten und Akten (…) liegen im LfV Hessen wei­terhin phy­sisch vor“, so die Behauptung. Die Linke in Hessen fordert mitt­ler­weile eine umfas­sende Auf­klärung, was mit den Akten wirklich pas­siert ist.
Letztlich sieht Inves­ti­gativ-Jour­nalist und NSU-Kenner Wetzel eine Par­allele zum Okto­berfest-Attentat von 1980. Auch bei diesem Ereignis sei mitt­ler­weile die zu Beginn ange­botene „Ein­zel­täter-Theorie“ zusam­men­ge­brochen. Die Frage sei nun, wie lange die Öffent­lichkeit beim aktu­ellen Fall auf Auf­klärung warten muss.
Das Radio-Interview mit Wolf Wetzel zum Nachhören:

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Quelle: Sputniknews.com