Der Spiegel meldet heute unter der Überschrift „Mögliches Defizitverfahren – Italien muss harte Sanktionen fürchten”, dass Italien Strafen aus Brüssel drohen. Und der Spiegel stellt das als Maßnahme dar, die rein auf den Haushaltsdaten begründet ist:
„Lange hat sie dem Treiben in Italien zugeschaut und es bei Ermahnungen belassen – doch jetzt scheint die Geduld der EU-Kommission erschöpft zu sein: Am Mittwoch könnte die Brüsseler Behörde ein Verfahren einleiten, das die Regierung in Rom mit harten Sanktionen bedroht.“
Wir lernen also, dass Italien trotz aller Mahnungen gegen die Stabilitätskriterien verstößt und dafür nun bestraft werden muss. Dass das nicht ganz die Wahrheit ist, kann man auch im Spiegel zwischen den Zeilen lesen:
„Diesen Schritt kann die Kommission einleiten, wenn ein Mitgliedsland gegen den Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU verstößt. Dessen wichtigstes Kriterium – ein Haushaltsdefizit von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts – hält Italien zwar derzeit ein. Gegen ein anderes aber verstößt das Land massiv: Erlaubt ist eine Staatsverschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In Italien liegt sie bei 130 Prozent.“
Nun ist es nichts Neues, dass Italien 130% Schulden hat. Das ist schon sechs Jahre lang so, hat aber nie zu einem Verfahren geführt und wie der Spiegel schreibt, stimmt der Kurs Italiens, denn es hält die drei-Prozent-Regel ein, ein Wachstum der Schulden ist also nicht zu erwarten. Es geht der EU um Maßnahmen, die die ungeliebte italienische Regierung umsetzen möchte und von denen Brüssel behauptet, sie könnten daran etwas ändern:
„Laut den Regeln müsste Rom diesen Berg sukzessive abbauen. Doch die Koalition aus rechtsnationaler Lega und populistischer Fünf-Sterne-Bewegung hat Gegenteiliges vor: Sie will Steuern senken, Sozialausgaben erhöhen, Investitionen tätigen – und zwar auf Pump. Das, so argumentierte die Regierung in Rom noch Ende 2018, würde das Wirtschaftswachstum auf 1,5 Prozent jährlich steigern. Im ersten Quartal 2019 lag es bei gerade einmal 0,1 Prozent.“
Keine Ahnung, wer Recht hat, das wird die Zeit zeigen. Vielleicht geht die Rechung der italienischen Regierung ja auf. Die EU mag aber die Regierung dort nicht und geht deshalb nun gegen Italien vor, schon bevor es gegen die drei-Prozent-Regel verstößt. Andere Ländern, auch Deutschland unter Schröder, haben über Jahre dagegen verstoßen, ohne dass Verfahren eröffnet wurden. Das zeigt, dass es der EU-Kommission kaum um wirtschaftliche Daten geht, sondern darum, der ungeliebten italienischen Regierung das Leben schwer zu machen.
Das bestätigt auch ein Blick auf die Entwicklung der Staatsschulden ausgewählter Euro-Länder. Frankreich, wo ein Präsident regiert, den man in Brüssel mag, verstößt ebenfalls gegen die Höchstgrenze von 60% Staatsschulden und erhöht seine Schuldenlast jedes Jahr. Von 2009 bis heute ist sie von 83% aud 100% angestiegen. Spanien hat seine Schuldenlast zwischen 2007 und 2014 von 35% auf 100% erhöht. Bei Portugal ging es zwischen 2008 und 2012 von 72% auf 126% in die Höhe. Von Griechenland gar nicht zu reden, das seine Schulden zwischen 2007 und 2013 von 103% auf 177% erhöhte.
Aber ist gegen irgendeines dieser Länder ein Defizitverfahren eröffnet worden? Nein, denn die Regierungen waren gegenüber Brüssel gehorsam. Nur Italien, das gegen die unsoziale Wirtschafts- und Haushaltspolitik aus Brüssel aufbegehrt, wird nun mit Strafen bedroht.
Dabei sieht Italiens Entwicklung im Vergleich zu den anderen genannten Ländern noch richtig gut aus! 1999, als man den Euro als Buchgeld einführte, lagen Italiens Schulden bei 110%, sie sind seitdem also kaum gestiegen, zumindest im Vergleich zu anderen Ländern. Und man wusste in Brüssel von Anfang an, dass Italien gegen dieses Kriterium verstößt.
Zum Vergleich: Bei Frankreich lag die Verschuldung 1999 bei 60,5%, heute liegt sie bei 100%. Wenn es also um die Entwicklung der Staatsverschuldung ginge, müsste sich die EU-Kommission zunächst einmal um andere Länder kümmern, bevor sie sich auf Italien stürzt. Die nackten Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.
Generell ist das Verfahren in Sachen Maastricht Kriterien merkwürdig. Die EU-Kommission kann Strafen verhängen, wenn sie der Meinung ist, es könnte durch einen neuen Haushalt in der Zukunft gegen die Kriterien verstoßen werden. Es geht also nicht bestehende Verstöße, sondern um welche, die in der Zukunft vielleicht stattfinden. Das wäre so, als wenn ein Polizist Ihnen einen Strafzettel schreibt, weil er der Meinung ist, Sie könnten in Zukunft zu schnell fahren.
Die EU-Kommission nutzt also die Maastricht Kriterien für einen Feldzug gegen eine demokratisch gewählte, in Brüssel aber ungeliebte, Regierung. So viel zum Thema Demokratieverständnis in Brüssel.
Nachtrag: Inzwischen hat die EU-Kommission beschlossen, das Strafverfahren einzuleiten. Die Reaktion aus Italien kam prompt. Der Spiegel schreibt dazu:
„Die rechte Lega in Italien hatte bereits zuvor angekündigt, bei den anstehenden Haushaltsgesprächen mit der EU-Kommission hart bleiben zu wollen. „Unsere Wirtschaft stagniert bereits. Wenn wir Ausgaben senken oder Steuern erhöhen, dann werden wir definitiv eine Rezession bekommen“, sagte der Chef des Haushaltsausschusses im Abgeordnetenhaus, Claudio Borghi von der Regierungspartei Lega. „Ist es das, was die Kommission will?““
Ja, das ist es offensichtlich, was die EU-Kommission will. Wenn die von Brüssel ungeliebte Regierung eine Rezession und höhere Arbeitslosigkeit produziert, wird sie schnell wieder abgewählt. Das ist das Ziel in Brüssel, um die Menschen in Italien geht es dabei nicht.
Thomas Röper — www.anti-spiegel.ru
Thomas Röper, Jahrgang 1971, hat als Experte für Osteuropa in verschiedenen Versicherungs- und Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet, bevor er sich entschloss, sich als unabhängiger Unternehmensberater in seiner Wahlheimat St. Petersburg niederzulassen. Er lebt insgesamt über 15 Jahre in Russland und betreibt die Seite www.anti-spiegel.ru. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
Thomas Röper ist Autor des Buches „Vladimir Putin: Seht Ihr, was Ihr angerichtet habt?“