Foto: Jochen Zick/action press - CC0 1.0

“Der DAX kommt nicht voran” — Wo soll er denn hin?

Täglich wird der deutsche Bürger mit Nach­richten über den DAX ver­sorgt, teil­weise im Vier­tel­stun­dentakt, obwohl weniger als zehn Prozent Aktionäre sind. Oft fällt der Satz: “Der DAX kommt nicht voran!” Wem selbst­stän­diges Denken noch erhalten ist, dem drängt sich die Frage auf, ob es eine Ziel­vorgabe beim DAX gibt.

(Von Peter Haisenko)

Mir ist keine wis­sen­schaftlich fun­dierte Studie bekannt, die einen opti­malen Wert für den DAX gefunden hätte. Ebenso wenig wie für alle anderen Akti­en­in­dizes. Dennoch erleben wir, dass bei Sinken oder gar Fallen von Bör­sen­werten der nahende Welt­un­tergang unter­stellt wird und das Steigen eupho­rische Kom­mentare aus­lösen kann. Generell wird insi­nuiert, dass hohe Bör­sen­stände eine gesunde Wirt­schaft signa­li­sieren. Kann es also sein, dass es der Menschheit immer besser geht, je höher die Bör­sen­no­tie­rungen stehen? Gibt es eine Ober­grenze für “gesunde” Bör­sen­werte? Von welcher Höhe an besteht eine akute Gefahr für das Platzen einer Blase?

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Akti­en­in­dizes können nicht ins Unend­liche steigen

Immer wieder ist zu beob­achten, dass der Bör­senwert eines Unter­nehmens steigt, wenn Mit­ar­beiter flächig ent­lassen werden; wenn Arbeits­plätze in Bil­lig­lohn­länder ver­lagert werden. Das steigert wahr­scheinlich die Ren­di­te­er­wartung, ist aber eher kurz­fristig gedacht und für die Arbeit­nehmer höchst uner­freulich. Für Aktionäre selbst ist es auch nicht unpro­ble­ma­tisch, wenn Aktien zu hoch bewertet sind. Das ist dann der Fall, wenn die Divi­dende nicht mehr zum Kurs passt.

Als Zielwert für Divi­denden hat sich über lange Jahre ein Wert von etwa 8,5 Prozent als guter Anhalts­punkt eta­bliert. Daran konnte man sehen, ob eine Aktie richtig bewertet wird. Daraus folgt, dass sich die Ren­ta­bi­lität eines Unter­nehmens ver­doppelt haben müsste, wenn der Kurs aufs Dop­pelte gestiegen ist. Hat das nicht statt­ge­funden, ist die Aktie über­be­wertet. Das heißt aber, dass nach klas­si­schen Regeln sehr wohl ein opti­maler Bör­sen­stand defi­niert werden könnte. Es sei denn, die Börse ist nur noch eine Zockerbude, getrieben vom bil­ligen Geld der Null­zins­po­litik. Daran können aber nur Banken und Groß­kon­zerne teil­nehmen, denn nur sie können das billige Geld auf­nehmen und dafür Aktien oder auch über­teuerte Immo­bilien kaufen. Für Immo­bilien gilt so das­selbe wie für die Akti­en­kurse: Der zu hohe Preis gestattet nicht mehr, durch Ver­mietung zu trag­baren Mieten eine anständige Rendite zu erzielen.

Positiv gesehen kann also fest­ge­stellt werden, dass ein stei­gender Akti­enkurs signa­li­siert, das Unter­nehmen arbeitet effi­zi­enter. Negativ gilt aber, das Unter­nehmen handelt skru­pel­loser im Umgang mit seinen Mit­ar­beitern. Wenn also der DAX “vor­an­kommt”, können beide Vari­anten dafür zum Tragen kommen. Dennoch bleibt die Frage offen, wo da Ober­grenzen liegen könnten. Akti­en­in­dizes können nicht ins Unend­liche steigen. Die Floskel “der DAX kommt nicht voran” ist folglich grober Unfug. Unbe­dacht und unre­flek­tiert. Dieses Phä­nomen ist nicht nur beim DAX zu beobachten.

Der Umgang mit der Kli­ma­dis­kussion ist ein ultrakonservativer

Betrachten wir dazu die Kli­ma­dis­kussion. Unbe­an­standet wird gesagt, das Welt­klima dürfe sich nicht um mehr als zwei Grad erwärmen. Warum eigentlich, wird nicht gefragt. Es ist noch nie ermittelt worden, was denn die optimale Tem­pe­ratur für unseren Pla­neten ist. Im Gegenteil ist das gar nicht möglich, denn die Impli­ka­tionen sind man­nig­faltig, die Zusam­men­hänge derart komplex, dass man erst im Nach­hinein wirklich sehen kann, welche Erd­tem­pe­ratur uns Men­schen die besten Bedin­gungen zum Leben beschert hat.

Der aktuelle Umgang mit der Kli­ma­dis­kussion ist ein ultra­kon­ser­va­tiver, im nega­tivst mög­lichen Sinn. Man nimmt einfach den Durch­schnittswert einer bekannten Epoche und legt diesen als opti­malen Zielwert fest. Dass es sich bei dieser Methode um reine Ideo­logie handelt, wird daran erkennbar, dass es sich bei dem aus­ge­wählten Zeitraum um das Ende einer Kaltzeit handelt, deren Hun­gersnöte Men­schen mas­sen­weise zur Aus­wan­derung auf andere Kon­ti­nente gezwungen hat. Warum wird als Optimum nicht die Zeit vor tausend Jahren genommen, als die Durch­schnitts­tem­pe­ra­turen etwa drei Grad höher lag als heute und Mit­tel­europa eine frühe Hochzeit geschenkt hat? Das fol­gende “finstere Mit­tel­alter” war unter anderem finster, weil Jahr­hun­derte der Kaltzeit folgten, mit ihren Hun­gers­nöten und Kriegen. Es ist wie mit dem DAX. Es gibt keine wis­sen­schaftlich fun­dierte Fest­legung, was denn die optimale Tem­pe­ratur für unseren Pla­neten wäre und die ist kaum ermittelbar.

Beim Klima und beim DAX wird die­selbe Methode ange­wandt, grund­le­gende Dis­kus­sionen zu ver­hindern. Es werden Sekun­där­dis­kus­sionen eröffnet, die ver­hindern, dass die mög­li­cher­weise fal­schen Grund­an­nahmen über­haupt noch dis­ku­tiert werden. Es wird dis­ku­tiert, warum der DAX fällt oder steigt, aber nicht, ob es dafür einen opti­malen Wert über­haupt gibt. Beim Klima wird darüber dis­ku­tiert, wie eine weitere Erwärmung zu ver­hindern wäre unter der Grund­an­nahme, dass die aktuelle Tem­pe­ratur ideal ist. Mit der­ge­stalt axio­ma­ti­schen Fest­le­gungen wird jeg­liche ergeb­nis­offene Dis­kussion ver­hindert, die hin­ter­fragt, warum denn aus­ge­rechnet dieser Wert der optimale sein muss.

Wir leben in einer Zeit der Entmündigung

Es ist wie mit dem Cho­le­sterin, dessen Grenz­werte in den 1970-er Jahren auf einer Kon­ferenz der Phar­ma­in­dustrie einfach hal­biert worden sind. Weder die alten noch die neuen Grenz­werte sind ernsthaft wis­sen­schaftlich belegt, aber mit den neuen ver­dient sich die Phar­ma­in­dustrie eine goldene Nase. Auch hier wird nach der­selben Methode vor­ge­gangen wie beim Klima. Wer zweifelt, wird abge­kanzelt und ver­dammt, mundtot gemacht. Ja noch schlimmer, müssen Ärzte auch gegen ihre Über­zeugung Medi­ka­mente gegen “zu hohe” Cho­le­sterin-Werte (Statine) ver­schreiben, wenn sie sich nicht der Gefahr von Regress­for­de­rungen oder gar des Ver­lustes der Appro­bation aus­setzen wollen.

Wir leben in einer Zeit der Ent­mün­digung. Politik und die von ihr usur­pierten Mas­sen­medien setzen Stan­dards, denen nicht wider­sprochen werden darf, obwohl kei­neswegs geklärt ist, ob diese Stan­dards eine beweisbare Gül­tigkeit haben; ob sie wirklich dem Wohl der Men­schen dienen. So wird auch keine Dis­kussion darüber zuge­lassen, inwieweit das Finanz­system in seiner heu­tigen Form über­haupt noch tauglich ist. Ja, dis­ku­tiert wird darüber, wo man an der einen oder anderen Stell­schraube drehen müsste und mit dieser Sekun­där­dis­kussion wird ver­hindert, über Grund­le­gendes zu diskutieren.

Mit der heu­tigen Form der Demo­kratie wird ähnlich ver­fahren. Eine Dis­kussion darüber, ob nicht Grund­le­gendes ver­ändert werden müsste, darf nicht statt­finden, obwohl schon Helmut Schmidt unsere Demo­kratie als “alles andere als optimal” bezeichnet hat. Auch das kann nur als ultra­kon­ser­vativ bezeichnet werden, im nega­tivst mög­lichen Sinn. Es ist eine Form der Religion, die keinen Wider­spruch duldet. Es ist auf dem­selben Niveau wie die katho­lische Kirche, die Men­schen auf den Schei­ter­haufen geschickt hat, weil sie frech behaup­teten, die Erde sei rund und keine Scheibe.

An die Stelle der Markt­wirt­schaft ist das Diktat von Käu­fer­kar­tellen getreten

Mit dem gleichen Recht wie beim DAX könnte man folglich sagen, die Kli­ma­er­wärmung kommt nicht voran. In beiden Fällen gibt es keinen wis­sen­schaftlich fun­dierten Zielwert. Beim DAX ist das logisch, denn keine einzige der Regeln und “Gesetze” für den Umgang mit Geld hat eine Basis in einem Natur­gesetz. Die Natur kennt kein Geld. Man kann folglich alle Regeln für den Umgang mit Geld beliebig ver­ändern und wird niemals gegen ein Natur­gesetz ver­stoßen können. Genau das findet statt, denn wie oft und wie sehr sind diese Regeln in den letzten 30 Jahren ver­ändert worden. Natürlich immer zugunsten der­je­nigen, die über das Geld herr­schen und das meiste haben. Nebenbei bemerkt, ist freier Wett­bewerb das grund­le­gende Prinzip der Natur, aber genau der ist weit­gehend abge­schafft. Nein, wir haben keine funk­ti­ons­fähige Markt­wirt­schaft mehr, wir haben das Diktat von Käu­fer­kar­tellen, die genügend Kapital inves­tieren können, um eine markt­be­herr­schende Position ein­zu­nehmen und damit den DAX “vor­an­zu­treiben”.

Betrachtet man den DAX unvor­ein­ge­nommen kri­tisch, ist es letztlich gleich­gültig, wo er steht. Selbst wenn er von 12.000 auf 1.000 fiele, würde des­wegen kein ein­ziger realer Gegen­stand von der Erde ver­schwinden. Selbst wenn das gesamte Finanz­system zusam­men­bräche, wäre nur das Geld weg, sonst nichts. Davon gibt es aber sowieso zu viel – hun­dertmal zu viel. Dann bricht die Wirt­schaft zusammen, höre ich schon die Auf­schreie. Muss sie aber gar nicht, sage ich, denn, wie dar­gelegt, könnte man zeit­gleich einfach neue Regeln eta­blieren, wie zum Bei­spiel nach dem Zusam­men­bruch der Sowjet­union. Damals mussten alle Exporte direkt mit Importen aus­ge­glichen werden. Hat funk­tio­niert und sogar der DAX hat es überlebt.

Wer sich also so dumm unbe­dachter Floskeln bedient, dass etwas nicht voran kommt, der sollte sich vorher über­legen, ob es über­haupt eine sat­tel­feste Ziel­de­fi­nition gibt. Denken wir dabei an den alten Witz: Gestern standen wir vor dem Abgrund. Heute sind wir einen Schritt weiter.

Die Regeln und “Gesetze” für den Umgang mit Geld sind beliebig, denn sie haben keine Grundlage in Natur­ge­setzen. Man kann sie jederzeit ver­ändern oder gar kom­plett neu auf­stellen. Das haben wir getan, mit der Ziel­setzung ein System zu schaffen, das dem Wohl mög­lichst aller Men­schen dient und nicht mehr nur einer “Elite” der Besit­zenden. Lesen und staunen Sie, wie einfach und all­um­fassend es möglich wäre, mit der “Humanen Markt­wirt­schaft” nach Haisenko/von Brunn eine Welt zu gestalten, in der Demo­kratie wieder Demo­kratie sein kann, weil dem Kapital die Macht genommen wird; in der Markt­wirt­schaft wieder funk­ti­ons­fähig wird, weil die über­mäch­tigen Kapi­tal­an­häu­fungen nicht mehr möglich sind, mit denen aus dem Nichts Monopol-Kar­telle gebildet werden. “Die Humane Markt­wirt­schaft” ist erhältlich im Buch­handel oder direkt zu bestellen beim Verlag hier.